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60. Urteil vom 21. Dezember 1973 i.S. Hemmi gegen Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden | |
Regeste |
Rentenanspruch der verwitweten Pflegemutter. | |
Sachverhalt | |
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B.- Anfangs 1973 gelangte Klara Hemmi erneut an die Ausgleichskasse mit dem Gesuch um Ausrichtung einer Witwenrente.
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C.- Gegen diese Verfügung erhob die Versicherte Beschwerde, die vom Versicherungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 2. März 1973 jedoch abgewiesen wurde. In den Urteilserwägungen führte das Gericht aus, die von der Verwaltungsrechtsprechung an die ausnahmsweise Rückwirkung von Gesetzesbestimmungen gestellten Voraussetzungen seien im vorliegenden Falle nicht erfüllt. Eine rückwirkende Anwendung von Art. 23 Abs. 1 lit. c AHVG sei ausgeschlossen, da sie weder im Gesetz angeordnet sei noch sich aus dem Sinnzusammenhang klar ergebe. Es seien keine triftigen Gründe ersichtlich, die eine Rückwirkung rechtfertigen würden. Zudem wäre auch das Erfordernis der zeitlichen Beschränkung der Rückwirkung nicht erfüllt.
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D.- Klara Hemmi erhebt rechtzeitig Verwaltungsgerichtsbeschwerde. In der Begründung macht sie geltend, im Gegensatz zur Annahme der Vorinstanz verlange sie nicht eine rückwirkende Anwendung von Art. 23 Abs. 1 lit. c AHVG, sondern lediglich dessen Anwendung ab Inkrafttreten. Im Falle des Wiederauflebens der Witwenrente bei Scheidung sei die Anwendbarkeit des neuen Rechts auf die vor seinem Inkrafttreten eingetretenen Tatbestände anerkannt worden. Dies müsse auch für Witwen mit Pflegekindern Geltung haben, deren Rentenanspruch sich nach der gleichen Gesetzesbestimmung richte.
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Während die Ausgleichskasse auf eine weitere Stellungnahme verzichtet, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Amt teilt die Auffassung der Vorinstanz, wonach die Voraussetzungen für eine rückwirkende Anwendung des neuen Rechts nicht erfüllt seien. Dass im Falle des Wiederauflebens der Witwenrente bei Scheidung eine Rückwirkung vorgesehen worden sei, bedeute keinen Verstoss gegen den Gleichheitsgrundsatz, da die Verhältnisse nicht die gleichen seien wie bei Witwen mit Pflegekindern.
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Im vorliegenden Fall lebten im Zeitpunkt der Verwitwung zwei Pflegekinder im gemeinsamen Haushalt, die Anspruch auf eine Waisenrente hatten. Unmittelbar vor seinem Tode war der Ehemann versichert im Sinne von Art. 1 Abs. 1 AHVG. Die Pflegekinder wurden von der Witwe am 21. Februar 1970 adoptiert. Somit sind die Voraussetzungen zur Ausrichtung einer Witwenrente nach Art. 23 Abs. 1 lit. c AHVG an sich erfüllt. Jedoch sind sowohl die Verwitwung wie auch die Adoption vor Inkrafttreten der neuen Gesetzesbestimmung erfolgt. Ein Anspruch auf Witwenrente besteht daher nur, falls das neue Recht auch auf die vor dem 1. Januar 1973 verwitweten Frauen Anwendung findet.
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2. Die Änderungserlasse zur 8. AHV-Revision enthalten keine Übergangsbestimmung bezüglich des Rentenanspruchs von Witwen mit Pflegekindern. Es blieb daher zunächst der Verwaltung überlassen, eine diesbezügliche Regelung zu treffen. Mit Kreisschreiben vom 12. Oktober 1972 wies das Bundesamt für Sozialversicherung die Ausgleichskassen an, Witwenrenten nach neuem Recht nur auszurichten, wenn der Tod des Ehemannes nach dem 31. Dezember 1972 eingetreten ist (Rz. 50 des Kreisschreibens II über die Durchführung der 8. AHV-Revision auf dem Gebiete der Renten). Das Bundesamt stützte sich dabei auf die in Lehre und Praxis umschriebenen Voraussetzungen einer (ausnahmsweisen) Rückwirkung von Verwaltungsgesetzen. Danach ist eine rückwirkende Anwendung neuen Rechts ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage ![]() | 9 |
Im Falle der Gesetzesnovelle von Art. 23 Abs. 1 lit. c AHVG steht keine eigentliche Rückwirkung zur Diskussion. Es stellt sich lediglich die Frage, ob Leistungen nach neuem Recht vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an auch in Fällen zu erbringen seien, in welchen der anspruchsbegründende Sachverhalt bereits vor der Geltung des neuen Rechts eingetreten ist. Da eine diesbezügliche gesetzliche Regelung fehlt, ist vom Richter zu prüfen, welche übergangsrechtliche Ordnung sich als richtig erweist. Er hat dabei zu berücksichtigen, welche intertemporale Regelung die Normadressaten unter den ihnen erkennbaren Umständen erwarten durften.
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3. a) Der Zweck einer Gesetzesänderung kann darin bestehen, den geltenden Rechtszustand für die Zukunft zu Gunsten jener Normadressaten zu verbessern, deren Anspruch unter der Herrschaft und nach Massgabe des neuen Rechts entstehen wird. Sie kann aber auch auf die Beseitigung bestehender Lücken im Leistungssystem gerichtet sein, mit dem Ziel, die Ausrichtung von Leistungen in Fällen zu ermöglichen, in ![]() | 11 |
So wurde mit Bundesgesetz vom 4. Oktober 1968 die Bestimmung des Art. 43bis AHVG eingeführt, welche mit Wirkung ab 1. Januar 1969 Altersrentnern Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit schweren Grades gibt. Obgleich eine diesbezügliche Übergangsbestimmung fehlt, wurde diese Leistung auch den vor Inkrafttreten der Gesetzesnovelle in schwerem Grade hilflos gewordenen Altersrentnern ausgerichtet.
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Anlässlich der 8. AHV-Revision wurde Art. 46 AHVV unter anderem in dem Sinne geändert, dass die wegen Wiederverheiratung erloschene Witwenrente nicht nur wie bisher bei Ungültigerklärung, sondern auch bei Scheidung der neuen Ehe unter bestimmten Voraussetzungen wieder auflebt. Diese Neuregelung wurde vom Bundesamt für Sozialversicherung ausdrücklich auch auf Fälle anwendbar erklärt, bei denen die Scheidung vor dem 1. Januar 1973 ausgesprochen worden ist (Rz. 131 der AHV-Mitteilung Nr. 50 vom 12. Februar 1973; vgl. auch ZAK 1973 S. 161 Ziff. 9), nachdem das Amt anfänglich die gegenteilige Auffassung vertreten hatte (vgl. Rz. 59 des Kreisschreibens II über die Durchführung der 8. AHV-Revision auf dem Gebiete der Renten vom 12. Oktober 1972).
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Ferner ist auf das Änderungsgesetz vom 27. September 1973 zum KUVG hinzuweisen, mit welchem unter anderem der Anspruch auf Hinterlassenenrenten der Unfallversicherung auf Pflegekinder ausgedehnt worden ist. Aus den Übergangsbestimmungen dieser Novelle (Ziffer III: Inkrafttreten) geht implicite der Wille des Gesetzes hervor, dass Leistungen an Pflegekinder gemäss revidiertem Art. 85 Abs. 2 KUVG auch in Fällen zu erbringen sind, in denen sich der Versicherungsfall vor Inkrafttreten der neuen Bestimmung ereignet hat (vgl. auch Amtl.Bull. der Bundesversammlung 1973, NR S. 1085 ff., SR S. 524 f.).
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b) Die Erweiterung des Witwenrentenanspruches auf Witwen mit Pflegekindern stellte ein von verschiedener Seite ![]() | 15 |
4. Es bleibt zu prüfen, ob und inwieweit die nachträglich in den Genuss einer Witwenrente gelangende Witwe rückerstattungspflichtig ist in Bezug auf die ihr ausgerichtete einmalige Witwenabfindung. Es rechtfertigt sich hiebei, die von der Verwaltung bei der nachträglichen Entstehung eines Invalidenrentenanspruches befolgte Praxis sinngemäss anzuwenden. Danach ist die Abfindung in dem Masse zurückzufordern, als sie den Gesamtbetrag der Rentenbetreffnisse übersteigt, welche die Witwe vom Zeitpunkt der Verwitwung bis zur Entstehung des Anspruches auf die Invalidenrente hätte beziehen können, sofern sie die für den Anspruch auf eine Witwenrente erforderlichen Voraussetzungen erfüllt hätte (Rz. 567 der Rentenwegleitung vom 1. Januar 1971). Dem Grundsatze nach bedeutet dies, dass von einer Rückforderung abzusehen ist, wenn die für die Berechnung der einmaligen Abfindung nach Art. 36 Abs. 2 AHVG massgebende Dauer des Rentenanspruches im Zeitpunkt des effektiven Anspruchsbeginns bereits abgelaufen ist. Praktisch wird die Summe der Rentenbetreffnisse den Abfindungsbetrag ![]() | 16 |
Im vorliegenden Fall erhielt die Witwe nach dem am 16. April 1965 erfolgten Tod des Ehemannes eine einmalige Witwenabfindung von Fr. 7104.--, entsprechend dem dreifachen Jahresbetreffnis der Witwenrente. Im Zeitpunkt der Adoption (21. Februar 1970), als sie die Anspruchsvoraussetzungen für die Witwenrente nach neuem Recht erfüllte, hätten die Rentenbetreffnisse den Betrag der Witwenabfindung bereits überschritten. Die Beschwerdeführerin ist daher nicht rückerstattungspflichtig hinsichtlich der im Jahre 1965 bezogenen Witwenabfindung. Mit Wirkung ab 1. Januar 1973 steht ihr folglich eine ungeschmälerte Witwenrente gemäss Art. 23 Abs. 1 lit. c AHVG zu, deren Höhe von der Ausgleichskasse festzulegen ist.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 2. März 1973 und die Verfügung der Ausgleichskasse vom 23. Januar 1973 aufgehoben.
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