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62. Urteil vom 12. Oktober 1973 i.S. Tschopp gegen Ausgleichskasse VATI und Rekursbehörde für die Sozialversicherung des Kantons Basel-Landschaft | |
Regeste |
Haftung für das Eingliederungsrisiko (Art. 11 Abs. 2 IVG). Anspruch auf die erweiterte Risikodeckung haben auch die gemäss Art. 8 Abs. 1 IVG von einer Invalidität unmittelbar bedrohten Versicherten. | |
Sachverhalt | |
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Mit Bericht vom 17. Mai 1967 teilte Dr. F. der Invalidenversicherungs-Kommission mit, im Anschluss an die Operation ![]() | 2 |
In Ergänzung ihres früheren Beschlusses leistete die Invalidenversicherungs-Kommission am 22. Januar 1968 Kostengutsprache für eine plastische Operation am rechten Unterschenkel sowie für konsiliarische Abklärungen. Zudem wurde am 16. Juni 1969 Kostenübernahme für die Korrektur der Fussfehlstellung beschlossen.
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Mit Eingabe vom 14. Juli 1971 machte Advokat Dr. S. namens der Versicherten eine Schadenersatzforderung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 IVG für bereits erlittenen und künftigen Erwerbsausfall von insgesamt Fr. 81 906.65 geltend.
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Gestützt auf einen weiteren Bericht von Dr. F. und eine Stellungnahme des Bundesamtes für Sozialversicherung wies die Invalidenversicherungs-Kommission das Begehren mit Beschluss vom 31. Januar 1972 ab.
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B.- Gegen die entsprechende Kassenverfügung vom 9. Februar 1972 erhob Dr. S. Beschwerde bei der kantonalen Rekursbehörde. In der Begründung wird ausgeführt, das Gesetz sage nicht ausdrücklich, in welchem Zeitpunkt der Rentenanspruch bestehen müsse. Da aber nach Art. 8 Abs. 1 IVG die von einer Invalidität unmittelbar Bedrohten den Invaliden gleichgestellt seien, lasse es sich nicht rechtfertigen, sie hinsichtlich des Eingliederungsrisikos schlechter zu behandeln. Mit Rücksicht auf den Grundsatz "Eingliederung vor Rente" könne es zudem nicht darauf ankommen, ob der Versicherte zunächst selbst medizinische Massnahmen verlangt oder ob Antrag auf Rente gestellt ist, aufGrund dessen die Invalidenversicherungs-Kommission vorerst medizinische Eingliederungsmassnahmen anordnet.
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Die Rekursbehörde für die Sozialversicherung des Kantons Basel-Landschaft wies die Beschwerde mit Entscheid vom 23. November 1972 ab. Aus dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 2 IVG ergebe sich klar, dass der volle Schaden nur zu ersetzen sei, wenn die Invalidenversicherung - statt einem Rentenbegehren zu entsprechen - vom Versicherten verlangt, dass er sich zunächst Eingliederungsmassnahmen unterzieht. Ob für ![]() | 7 |
C.- Gegen diesen Entscheid erhebt der Rechtsvertreter der Versicherten rechtzeitig Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er macht erneut geltend, eine Haftung der Invalidenversicherung für das volle Eingliederungsrisiko sei schon dann gegeben, wenn der Versicherte ohne Durchführung von Eingliederungsmassnahmen in absehbarer Zeit als Rentenbezüger in Betracht fallen würde. Indem die Invalidenversicherung den Eingriff als medizinische Eingliederungsmassnahme angeordnet habe, sei anerkannt worden, dass die Versicherte von einer Invalidität unmittelbar bedroht gewesen sei. Die Invalidenversicherung sei daher haftbar für die Folgen des gegen den Willen der Versicherten durchgeführten Eingriffs.
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Das Bundesamt für Sozialversicherung lässt sich mit dem Antrag auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vernehmen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Erfüllt der Versicherte hinsichtlich der Invalidität die Voraussetzungen für den Rentenanspruch, werden ihm jedoch Eingliederungsmassnahmen zugemutet, so erstreckt sich der Anspruch auch auf den Ersatz des nach Art. 11 Abs. 1 IVG nicht gedeckten Schadens (Art. 11 Abs. 2 IVG).
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2. Es ist unbestritten, dass die Invalidenversicherung gemäss Art. 11 Abs. 1 IVG für die Heilungskosten bezüglich ![]() | 12 |
Die Beschwerdeführerin möchte Art. 11 Abs. 2 IVG in dem Sinne verstanden wissen, dass die Invalidenversicherung für den über die Heilungskosten hinausgehenden Schaden auch dann aufzukommen hat, wenn keine Rente beantragt worden ist, jedoch ohne Durchführung der Eingliederungsmassnahme mit einer künftigen rentenbegründenden Invalidität im Sinne von Art. 8 Abs. 1 IVG in absehbarer Zeit gerechnet werden müsste.
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4. Art. 11 Abs. 2 IVG setzt unter anderem voraus, dass dem Versicherten Eingliederungsmassnahmen "zugemutet" werden. Aus dieser Formulierung darf nicht geschlossen werden, die erweiterte Risikodeckung bestehe nur, wenn die Eingliederungsmassnahme gegen den Willen des Versicherten angeordnet würde. Wie den Erläuterungen in der Botschaft des Bundesrates vom 24.Oktober 1958 (BBl 1958 II S. 1174; Separatausgabe S. 38) zu entnehmen ist, wollte mit der Verwendung des Ausdrucks "zumuten" lediglich festgehalten werden, dass es sich auch im Rahmen dieser Spezialnorm nur um zumutbare Eingliederungsmassnahmen handeln kann. Sinngemäss ![]() | 15 |
Etwas anderes lässt sich auch aus dem Wort "jedoch" im erwähnten Satzteil nicht ableiten. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend dartut, wird damit lediglich auf die gesetzliche Ordnung hingewiesen, wonach die Eingliederungsmassnahmen vor den Renten stehen.
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Der Wortlaut dieser Bestimmung lässt darauf schliessen, dass die Voraussetzungen für den Rentenanspruch in dem Zeitpunkt gegeben sein müssen, da - anstelle der Rentenzusprechung - Eingliederungsmassnahmen angeordnet werden. Die Beschwerdeführerin macht jedoch geltend, dass nach Art. 8 Abs. 1 IVG nicht nur der Invalide, sondern auch der von einer Invalidität unmittelbar bedrohte Versicherte Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen hat. In analoger Weise müsse im Rahmen des Art. 11 Abs. 2. IVG der Fall behandelt werden, wo der Rentenanspruch unmittelbar bzw. in absehbarer Zeit bevorstehe, falls keine Eingliederungsmassnahmen durchgeführt würden. Dies habe auch der Bundesrat in der Botschaft vom 24. Oktober 1958 (BBl 1958 II S. 1174 und 1256; Separatausgabe S. 38 und 120) klar zum Ausdruck gebracht.
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Der Auffassung der Beschwerdeführerin ist beizupflichten. Der Grundsatz des Art. 8 Abs. 1 IVG ist auch im Rahmen von Art. 11 Abs. 2 IVG anwendbar. Es macht daher keinen Unterschied aus, ob die Voraussetzungen des Rentenanspruchs im Zeitpunkt der Eingliederungsmassnahme bereits erfüllt sind oder ob der Rentenanspruch unmittelbar bevorsteht.
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Zum Begriff der Unmittelbarkeit im Sinne des Art. 8 Abs. 1 IVG hat das Eidg. Versicherungsgericht in BGE 96 V 76 festgestellt, dass er gegeben ist, wenn eine Invalidität in absehbarer Zeit einzutreten droht, nicht aber, wenn der Eintritt der Invalidität zwar als gewiss erscheint, der Zeitpunkt dieses Eintrittes aber ungewiss ist. Diese Grundsätze sind auch im Rahmen des Art. 11 Abs. 2 IVG anwendbar.
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6. Im vorliegenden Falle ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Kassenverfügung, welche ![]() | 21 |
Hierüber wird die Invalidenversicherungs-Kommission noch nähere Abklärungen zu treffen haben. Sollte sie darnach die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 IVG als erfüllt erachten, dann hätte sie weiter das Massliche der Schadenersatzforderung abzuklären. Die Ausgleichskasse wird alsdann in jedem Falle eine neue beschwerdefähige Verfügung erlassen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird insoweit gutgeheissen, als der vorinstanzliche Entscheid und die angefochtene Kassenverfügung aufgehoben werden und die Sache zu weiterer Abklärung im Sinne der Erwägungen und zu neuer Verfügung an die Ausgleichskasse VATI zurückgewiesen wird.
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