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33. Urteil vom 9. Juli 1975 i.S. Eidgenössische Militärversicherung gegen Knoll und Versicherungsgericht des Kantons Bern | |
Regeste |
Die Haftung der Militärversicherung für Gesundheitsschäden, die der einrückende Wehrmann ordnungsgemäss meldet, ohne aber entlassen zu werden (Art. 5 Abs. 3 MVG), setzt nicht voraus, dass seine Entlassungsbedürftigkeit damals erkennbar gewesen sei. | |
Sachverhalt | |
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Mit Verfügung vom 10. April 1973 lehnte die Militärversicherung jede Bundeshaftung ab. Trotz Krankmeldung bei der sanitarischen Eintrittsmusterung bestehe keine Haftung nach Art. 5 Abs. 3 MVG, weil die Gesundheitsschädigung, soweit sie erkennbar gewesen sei, eine Dienstentlassung nicht habe angezeigt erscheinen lassen. Da keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die vordienstliche Gesundheitsschädigung durch dienstliche Einwirkungen verschlimmert oder beschleunigt worden sei, entfalle auch eine Haftung nach den übrigen Bestimmungen.
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B.- Gegen diese Verfügung liess der Versicherte Beschwerde einreichen mit dem Antrag, die Militärversicherung habe gestützt auf Art. 5 Abs. 3 MVG zumindest während 12 Monaten die vollen gesetzlichen Leistungen zu erbringen. Die genannte Bestimmung sei anwendbar, wenn anlässlich der sanitarischen Eintrittsmusterung das Bestehen einer vordienstlichen Gesundheitsschädigung festgestellt, der Wehrmann aber dennoch im Dienst behalten werde. Dabei genüge es, wenn lediglich Symptome gemeldet oder festgestellt würden, von welchen nachträglich anzunehmen sei, dass sie mit der bestehenden Gesundheitsschädigung im Zusammenhang stünden. Im vorliegenden Fall bestehe kein Zweifel, dass es sich bei den anlässlich der Eintrittsmusterung gemeldeten Beschwerden um Symptome des später diagnostizierten Hirntumors gehandelt habe. Im übrigen sei nicht ausgeschlossen, dass der Krankheitsablauf im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. b MVG durch dienstliche Einwirkungen beschleunigt worden sei, was allerdings noch zusätzlicher ärztlicher Abklärungen bedürfe.
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Mit Entscheid vom 29. März 1974 hiess das Versicherungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde insofern gut, als die angefochtene Verfügung aufgehoben und die Militärversicherung verpflichtet wurde, "die im Zusammenhang mit dem Hirntumor des Klägers stehenden gesetzlichen Leistungen für die Dauer von 12 Monaten ab Diensteintritt am 2. Oktober ![]() | 4 |
C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Militärversicherung Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides, soweit dieser eine Haftung auf Grund von Art. 5 Abs. 3 MVG statuiere, und Bestätigung der Verfügung vom 10. April 1973. In der Begründung wird im wesentlichen geltend gemacht, Art. 5 Abs. 3 MVG beinhalte eine Sanktion im Falle offensichtlicher Fehlentscheide der Truppensanität und könne nicht den Sinn haben, den Bund auch dann haftbar zu machen, wenn der Entscheid des Truppenarztes über die Diensttauglichkeit nicht zu beanstanden sei. Das vom Versicherten bei der sanitarischen Eintrittsmusterung vorgewiesene Arztzeugnis habe auf ein vordienstliches Rückenleiden gedeutet und dem Truppenarzt keinen Anlass gegeben, den Dienstpflichtigen zu entlassen. Es fehle somit jede Grundlage für eine Haftung des Bundes auf Grund der Sonderbestimmung von Art. 5 Abs. 3 MVG.
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Der Beschwerdegegner beantragt unter Hinweis auf den vorinstanzlichen Entscheid Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
1. Nach Art. 4 MVG erstreckt sich die Haftung der Militärversicherung auf jede Gesundheitsschädigung, die während des Dienstes in Erscheinung tritt und gemeldet oder sonstwie festgestellt wird (Kontemporalitätsprinzip). Dieser ![]() | 7 |
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a) Mit ihrer Auffassung möchte die Militärversicherung die Haftung nach Art. 5 Abs. 3 MVG von einem kausalen Faktor, wenn nicht gar von einem Verschulden abhängig machen. Eine derart einschränkende Auslegung der Bestimmung findet jedoch keine Stütze im Gesetz. Dem Wortlaut und der systematischen Stellung nach will Art. 5 Abs. 3 MVG lediglich den im Gegensatz zum generellen Haftungsgrundsatz der Kontemporalität stehenden Entlastungsbeweis nach Art. 5 Abs. 1 und 2 MVG wieder aufheben und die Haftung auf das Kontemporalitätsprinzip zurückführen. Eine Auslegung im Sinne der Militärversicherung liesse sich deshalb nur rechtfertigen, Wenn hiefür zwingende Gründe vorhanden wären; solche sind indessen nicht ersichtlich.
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b) Aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung ergibt sich klar, dass die Haftung nach Art. 5 Abs. 3 MVG als eine reine Kontemporalitätshaftung mit zeitlich beschränkter Wirkung konzipiert wurde.
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Im Jahre 1946 hatte die Expertenkommission zur Neufassung des MVG eine Haftung im Sinne der heutigen Bestimmung in Abweichung von der bisherigen Regelung (Art. 9 Abs. 1 MVG 1914) abgelehnt. Die nationalrätliche Kommission beschloss dann aber folgende Fassung des damaligen Art. 6 Abs. 4 MVG:
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"Wenn spätestens anlässlich der Eintrittsmusterung das Bestehen einer vordienstlichen Gesundheitsschädigung festgestellt wird und der Wehrmann trotzdem Dienst leisten muss, hat dieser Anspruch auf die vollen gesetzlichen Leistungen der MV während 6 Monaten. Nachher regelt sich die Haftung der MV gemäss den Absätzen 1-3."
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Anlässlich der Gesetzesrevision von 1963 gelangte die Expertenkommission nach eingehender Diskussion zum Schluss, es sei an der durch die Revision von 1949 eingeführten Regelung festzuhalten. Dabei wurde u.a. ein Ergänzungsantrag als überflüssig abgelehnt, mit welchem festgehalten werden sollte, dass die Haftung der Militärversicherung uneingeschränkt bestehe "... lorsque le militaire n'aurait manifestement pas dû être retenu au service ..." (Protokoll der Sitzung der Expertenkommission vom 7.-9. September 1959, S. 33/34). Daraus geht hervor, dass keinesfalls die Meinung herrschte, die Erkennbarkeit der Entlassungsbedürftigkeit bilde Voraussetzung der Haftung gemäss Art. 5 Abs. 3 MVG. Etwas anderes lässt sich auch den Verhandlungen der Eidgenössischen Räte nicht entnehmen. In der nationalrätlichen Kommission zur Beratung der Gesetzesvorlage stellte der Vertreter der Militärversicherung fest:
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"Or, si l'application de l'art. 5, al. 3 LAM a bien pour condition, suivant la lettre de cette disposition, la constatation de l'affection à la visite sanitaire d'entrée, cette exigence est interprétée largement par l'assurance militaire, qui la considère comme réalisée dès que l'assuré s'est annoncé pour des symptômes - alors même seulement subjectifs - causés par l'affection reconnue plus tard. On ne peut en effet lui faire supporter les conséquences du fait que le médecin militaire n'est pas parvenu à constater l'existence de l'affection à la visite sanitaire d'entrée" (Protokoll der Sitzung vom 13./14. August 1963, S. 30/31).
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Diese Auffassung blieb unbestritten; auch wurde im Laufe der parlamentarischen Beratung kein Antrag auf Einschränkung der Bundeshaftung gestellt. Die einzige Änderung gegenüber der bisherigen Bestimmung betraf die Dauer der vollen Haftung, welche von 6 auf 12 Monate erhöht wurde.
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c) Die von der Militärversicherung erwähnte Praxis des Eidg. Versicherungsgerichts zum altrechtlichen Art. 9 Abs. 1 MVG (vgl. Urteile vom 8. Februar 1944 in Sachen Bachmann und vom 26. März 1949 in Sachen Petralli) vermag zu keinem andern Ergebnis zu führen. Wie die Vorinstanz mit Recht ausführt, wäre zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber die fragliche Praxis anlässlich der Neufassung des MVG im Jahre 1949 klar verankert hätte, wenn er als zusätzliche ![]() | 18 |
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Nachdem feststeht, dass die im vorliegenden Fall bei der Eintrittsmusterung gemeldeten Beschwerden Symptome des während des Dienstes festgestellten Hirntumors waren, hat der Beschwerdegegner mithin Anspruch auf die vollen gesetzlichen Leistungen für die Dauer von 12 Monaten ab Beginn der Leistungspflicht der Militärversicherung.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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