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55. Urteil vom 16. Dezember 1975 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Barben und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 12 Abs. 1 IVG |
- Präzisierung zur Frage des zeitlichen Zusammenhangs mit der Unfallbehandlung (Erw. 2b). | |
Sachverhalt | |
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Am 19. September 1974 meldete sich die Versicherte bei der Invalidenversicherung an mit dem Gesuch um Kostenübernahme von medizinischen Massnahmen und Hilfsmitteln (Schulter- und Armfixationsbandage). Mit Verfügung vom 7. November 1974 wies die Ausgleichskasse das Begehren ab. Die medizinischen Vorkehren stünden zeitlich und sachlich in engem Zusammenhang mit dem erlittenen Unfall und dienten ![]() | 2 |
B.- Mit Entscheid vom 13. März 1975 hiess die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich eine hiegegen erhobene Beschwerde gut und verpflichtete die Invalidenversicherung, die Kosten der Rekonstruktion der Clavicula sowie der notwendigen Fixationsbandage zu übernehmen. Die streitige medizinische Massnahme stehe in engem sachlichem Zusammenhang mit der Behandlung primärer Unfallfolgen; nach den ärztlichen Angaben habe sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin aber schon vor Jahren stabilisiert und ihr erlaubt, im Rahmen der verbliebenen Arbeitsfähigkeit weiterhin als Ärztin tätig zu sein. Damit entfalle im Sinne der Verwaltungspraxis der enge zeitliche Zusammenhang, so dass nicht mehr von einer Behandlung des Leidens an sich gesprochen werden könne. Nachdem der Arzt die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit durch den stabilen Defektzustand auf immerhin 20% schätze und den vorgesehenen operativen Eingriff als aussichtsreich beurteile, dürfe mit Sicherheit eine dauernde und wesentliche Verbesserung der Erwerbsfähigkeit erwartet werden, weshalb die Voraussetzungen gemäss Art. 12 Abs. 1 IVG erfüllt seien. Die Fixationsbandage stelle eine notwendige Ergänzung der Operation dar und bilde mit dieser einen einheitlichen Behandlungskomplex.
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C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Wiederherstellung der Kassenverfügung. In der Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, der Claviculadefekt stelle eine unmittelbare Folge der Unfallbehandlung dar. Die Indikation zur Korrektur des Defektes habe spätestens 1969 - als der Zustand als stationär bezeichnet worden sei - festgestanden; jedoch sei schon anlässlich der Resektion des Schlüsselbeines vorauszusehen gewesen, dass der Defekt später korrigiert werden müsse. Der Ersatz des resezierten Teils der Clavicula bilde mit der Unfallbehandlung folglich eine Behandlungseinheit, weshalb die entsprechenden Kosten nicht von der Invalidenversicherung zu übernehmen seien. Im übrigen sei fraglich, ob von der streitigen Massnahme ein wesentlicher Eingliederungserfolg zu erwarten wäre.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Als medizinische Massnahmen im Sinne von Art. 12 IVG gelten namentlich chirurgische, physiotherapeutische und psychotherapeutische Vorkehren, die eine als Folgezustand eines Geburtsgebrechens, einer Krankheit oder eines Unfalles eingetretene Beeinträchtigung der Körperbewegung, der Sinneswahrnehmung oder der Kontaktfähigkeit zu beheben oder zu mildern trachten, um die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung ![]() | 7 |
b) Nach ständiger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis übernimmt die Invalidenversicherung bei Unfall-Knochenbrüchen keine Massnahmen zur Knochenheilung oder zur Verhinderung oder Behandlung von Komplikationen, welche diese Heilung verzögern oder die Wiederherstellung der normalen Bewegungsfunktion hindern, solange solche Massnahmen in engem sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit der Unfallbehandlung stehen (BGE 100 V 174, ZAK 1970 S. 613, EVGE 1965 S. 38 sowie Rz. 6 und 74 des ab 1. April 1974 gültigen Kreisschreibens über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen). In Rz. 1298 der IV-Mitteilungen Nr. 169 vom 10. September 1974 (ZAK 1974 S. 464 ff.) hat das Bundesamt für Sozialversicherung die Verwaltungsweisungen im wesentlichen wie folgt präzisiert und ergänzt: Der sachliche Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die Massnahme - medizinisch betrachtet - mit der Unfall- oder Krankheitsbehandlung einen einheitlichen Komplex bildet. Für die Beurteilung ist dabei ausschliesslich der Zeitpunkt des Entstehens des Defektes und nicht derjenige der Diagnosestellung oder der Durchführung der Massnahme ausschlaggebend. Eine Massnahme, die schon während der Unfall- oder Krankheitsbehandlung als voraussichtlich notwendig erkennbar war, ist keine Eingliederungsmassnahme der Invalidenversicherung. Der zeitliche Zusammenhang mit der Unfall- oder Krankheitsbehandlung ist als unterbrochen zu betrachten, wenn der Defekt ohne Behandlung während längerer Zeit, in der Regel 360 Tagen, stabil war und der Versicherte im Rahmen der noch vorhandenen Arbeitsfähigkeit tätig sein konnte. - Diese Weisungen halten sich im Rahmen der gesetzlichen Ordnung und sind nicht zu beanstanden (BGE 100 V 176).
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b) Der zeitliche Zusammenhang mit der Unfallbehandlung gilt als unterbrochen, wenn der Defekt ohne Behandlung während mindestens 360 Tagen stabil war und der Versicherte im Rahmen der noch vorhandenen Arbeitsfähigkeit tätig sein konnte. Die für die Beurteilung des zeitlichen Zusammenhangs massgebende Zeitspanne beginnt dabei mit dem Eintritt eines stabilen Defektzustandes nach Abschluss der primären Unfallbehandlung und endet mit der erstmaligen Indikation der neuen Behandlungsvorkehr.
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In seinem Bericht vom 9. Oktober 1974 schreibt Prof. W., der jetzige Befund umfasse eine dem Claviculadefekt entsprechende Verkürzung der Schulter. Die Lähmungserscheinungen hätten sich weitgehend zurückgebildet; es bestünden noch etwelche Residuen an der Daumenmuskulatur, ferner Parästhesien, die bei bestimmten Bewegungen mit dem Arm aufträten. Dieser Zustand sei seit einigen Jahren stationär. Aus diesen Angaben geht hervor, dass nach der im Mai 1967 durchgeführten Clavicula-Teilresektion ein zumindest relativ stabilisierter Defektzustand eingetreten ist. Dabei dürfte die Stabilisierung spätestens im Jahre 1969 erfolgt sein, wie auch das Bundesamt für Sozialversicherung annimmt.
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Hinsichtlich des Zeitpunktes, in welchem der rekonstruktive Eingriff objektiv erstmals indiziert war, geht das Bundesamt für Sozialversicherung davon aus, dies sei spätestens 1969 der Fall gewesen, als der Zustand als stationär bezeichnet worden sei; jedoch sei die Notwendigkeit der Defektkorrektur schon bei der Resektion (im Mai 1967) voraussehbar gewesen. Aus den Akten ergeben sich indessen keine Anhaltspunkte, die für eine erstmalige Indikation bereits im Jahre 1969 oder gar im ![]() | 13 |
Selbst wenn im Zeitpunkt der Stabilisierung des Defektzustandes nach medizinischer Erfahrung weitere Vorkehren in der Art des später durchgeführten Eingriffes nicht auszuschliessen gewesen wären, vermöchte dies an der Beurteilung nichts zu ändern. Denn die blosse Möglichkeit künftiger Massnahmen genügt nicht zur Begründung eines rechtserheblichen Zusammenhanges mit der primären Unfallbehandlung. Vielmehr bedarf es der Wahrscheinlichkeit dafür, dass die fragliche Massnahme in einem späteren Zeitpunkt effektiv notwendig, d.h. medizinisch indiziert sein werde.
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Das Bundesamt für Sozialversicherung bezweifelt den Eingliederungscharakter der Massnahme mit der Begründung, die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit liege unter 20% und es ![]() | 16 |
Bei dieser Sachlage bedarf es zusätzlicher Abklärungen. Dabei wird insbesondere festzustellen sein, in welchem Masse die Beschwerdegegnerin vor der Durchführung des Eingriffes in der Ausübung der Berufstätigkeit behindert war. Sodann wird näher abzuklären sein, inwiefern sich die festgestellte Arbeitsunfähigkeit in erwerblicher Hinsicht auswirkte, wobei davon auszugehen ist, dass die Beschwerdegegnerin ihre Tätigkeit soweit möglich und zumutbar auf die bestehende Teilarbeitsfähigkeit auszurichten hatte. Schliesslich bedarf es einer ärztlichen Stellungnahme zur Frage, in welchem Grade und für welche voraussichtliche Dauer sich die Arbeitsfähigkeit, prognostisch gesehen, verbessern lässt.
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Auf Grund der Abklärungsergebnisse wird die Verwaltung darüber zu befinden haben, ob von einem dauerhaften und wesentlichen Eingliederungserfolg im Rechtssinne gesprochen werden kann. Sollte der streitige Eingriff alsdann zu Lasten der Invalidenversicherung gehen, so hat die Versicherung auch für die Kosten der notwendigen Fixationsbandage - als Bestandteil der Behandlung - aufzukommen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der vorinstanzliche Entscheid und die Kassenverfügung vom 7. November 1974 aufgehoben werden und die Sache an die Verwaltung zurückgewiesen wird zwecks zusätzlicher Abklärung im Sinne der Erwägungen und Erlass einer neuen Verfügung.
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