BGE 102 V 119 | |||
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26. Urteil vom 24. Mai 1976 i.S. Pappagallo gegen Kantonales Arbeitsamt und Kantonale Rekurskommission für Arbeitslosenversicherung Solothurn | |
Regeste |
Art. 18 und 25 Abs. 2 AlVG, Art. 4 Abs. 1 und 2 AlVV. | |
Sachverhalt | |
A.- Die italienische Staatsangehörige Letizia Pappagallo war seit 1962 bei der Bally Schuhfabriken AG tätig, wo sie der paritätischen Arbeitslosenversicherungskasse angehört hatte. Das Arbeitsverhältnis kündigte sie auf den 31. Januar 1975, anscheinend mit der Begründung, dass sie nach Italien zurückkehren werde. Dort hielt sie sich jedoch nur etwa zwei Monate auf und begab sich dann wieder in die Schweiz, wo sie bei einer Kleiderfabrik eine neue Stelle fand ... Zwischen dem 26. Mai und dem 28. Juni 1975 besuchte Letizia Pappagallo wiederholt die Stempelkontrolle.
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B.- Am 28. April 1975 ersuchte Letizia Pappagallo um Aufnahme in die Arbeitslosenkasse des Verbandes der Bekleidungs-, Leder- und Ausrüstungs-Arbeitnehmer der Schweiz (VBLA), und am 13. Mai 1975 meldete sie sich bei dieser Kasse zum Taggeldbezug an. Die Kasse unterbreitete beide Gesuche als Zweifelsfälle im Sinne von Art. 13 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 3 AlVG dem Arbeitsamt des Kantons Solothurn. Dieses verfügte am 13. Juni 1975, dass die Gesuchstellerin nicht rückwirkend auf den 1. Februar 1975, sondern erst auf den 1. Mai 1975 in die neue Kasse aufgenommen werden könne; die für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung vorgesehene sechsmonatige Wartefrist sei zur Zeit noch nicht abgelaufen, so dass kein Leistungsanspruch bestehe.
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C.- Die von Letizia Pappagallo gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde hat die Kantonale Kommission für Arbeitslosenversicherung Solothurn am 9. September 1975 abgewiesen mit der Begründung: Da Letizia Pappagallo den Ausländerausweis Kategorie C besitze, könne sie ab 1. Mai 1975 in die neue Kasse aufgenommen werden. Und weil die sechsmonatige Wartefrist noch laufe, sei ein Anspruch auf Versicherungsleistungen nicht gegeben.
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D.- Letizia Pappagallo lässt gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und vorbringen: Als sie die Stelle bei der Bally Schuhfabriken AG aufgegeben habe, sei ihr von der paritätischen Arbeitslosenversicherungskasse keine Austrittsbescheinigung ausgehändigt worden. Auch habe man sie nicht pflichtgemäss auf die Möglichkeit eines Übertritts in eine andere Arbeitslosenversicherungskasse aufmerksam gemacht. Die Beschwerdeführerin erhebt Anspruch auf Übertritt in die Arbeitslosenkasse des VBLA auf den 1. Februar 1975 und auf Arbeitslosenentschädigung für die Zeit vom 26. Mai bis 28. Juni 1975.
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In seiner Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde bemerkt das kantonale Arbeitsamt: Die Beschwerdeführerin habe deshalb keine Austrittsbescheinigung erhalten, weil sie sich ins Ausland abgemeldet habe. Aus dem gleichen Grund habe sich die Aufklärung über die Möglichkeit der Weiterversicherung erübrigt.
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Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit trägt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an: Mit der als Kündigungsgrund angegebenen Rückkehr nach Italien habe die Beschwerdeführerin ihren schweizerischen Wohnsitz aufgegeben. Zudem habe die Kassenverfügung ihr nicht zugestellt werden können. Ihre Kassenmitgliedschaft sei somit am 31. Januar 1975 erloschen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
1. a) Art. 18 AlVG regelt den Weiterbestand der Kassenmitgliedschaft, wenn diese auf der Zugehörigkeit zu einem Verband oder zu einem Betrieb beruht. Die Bestimmung geht davon aus, dass mit Beendigung der Verbandsmitgliedschaft bzw. der Zugehörigkeit zu einem Betrieb grundsätzlich auch die Mitgliedschaft in der zugeordneten Verbands- oder paritätischen Arbeitslosenversicherungskasse aufhören soll. Nach Art. 4 Abs. 1 AlVV bleibt aber die Mitgliedschaft eines Versicherten, der aus dem statutarischen Tätigkeitsgebiet der Kasse weggezogen ist, so lange bestehen, als der Übertritt in eine andere Kasse unmöglich oder nicht zumutbar ist.
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Die Entlassung des Versicherten aus der Kassenmitgliedschaft kann nur durch eine beschwerdefähige Kassenverfügung erfolgen. Ein solcher Verwaltungsakt ist dann nicht erforderlich, wenn er dem Versicherten nicht zugestellt werden kann und - kumulativ - eine fällige Prämie länger als einen Monat ausstehend ist; in diesem Fall gilt die Kassenmitgliedschaft auf Ende der letzten Prämienperiode, für welche die Prämien bezahlt worden sind, als erloschen. Grundsätzlich aber gilt, dass der Versicherte so lange Kassenmitglied bleibt, als er nicht durch eine rekursfähige Kassenverfügung aus der Mitgliedschaft entlassen wurde (EVGE 1953 S. 310).
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b) Damit ein Versicherter Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung erheben kann, muss er u.a. während einer Wartefrist Mitglied einer Kasse gewesen sein und während der Dauer seiner Mitgliedschaft die Prämien bezahlt haben (Art. 24 Abs. 2 lit. a AlVG). Die ordentliche Wartefrist beträgt gemäss Art. 25 Abs. 1 AlVG sechs Monate. Absatz 2 derselben Vorschrift bestimmt ferner, dass einem Versicherten, der innert 30 Tagen seit dem Ausscheiden aus einer Kasse bei einer andern Kasse um Aufnahme nachsucht, die bisherige Mitgliedschaft auf die Wartefrist angerechnet wird. Die praktische Folge dieser Ordnung besteht darin, dass der Versicherte bei der neuen Kasse gegebenenfalls unverzüglich zum Leistungsbezug berechtigt ist.
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2. Es ist unbestritten, dass Letizia Pappagallo ihr Dienstverhältnis bei der Firma Bally AG mit der Begründung kündigte, nach Italien zurückkehren zu wollen. Ob sie eine definitive oder nur eine vorübergehende Rückkehr beabsichtigte, lässt sich anhand der Akten nicht zuverlässig feststellen, braucht aber auch nicht näher geprüft zu werden. Fest steht jedenfalls, dass das Dienstverhältnis am 31. Januar 1975 beendet wurde und dass die paritätische Arbeitslosenversicherungskasse der Bally Schuhfabriken AG die Beschwerdeführerin nicht durch eine beschwerdefähige Kassenverfügung aus der Mitgliedschaft entlassen hat. Dass eine solche Verfügung ihr nicht hätte zugestellt werden können, trifft nicht zu, wäre es doch ohne weiteres möglich gewesen, ihr die Entlassungsverfügung am letzten Arbeitstag auszuhändigen. Anders verhielte es sich, wenn die Beschwerdeführerin das Arbeitsverhältnis fristlos aufgelöst und den Arbeitsplatz mit unbekanntem Ziel verlassen hätte, was jedoch vorliegend nicht der Fall ist. Demzufolge ist sie grundsätzlich Mitglied der paritätischen Kasse geblieben. Daher spielt es keine Rolle, ob sie gegebenenfalls mit der Prämienzahlung über einen Monat im Rückstand war, denn diese Voraussetzung für die Beendigung der Kassenmitgliedschaft ohne Entlassungsverfügung ist nur in Verbindung mit der Nichtzustellbarkeit dieser Verfügung von Bedeutung.
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Zwar scheint sich Letizia Pappagallo offensichtlich damit abgefunden zu haben, dass sie mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr der paritätischen Kasse angehören würde. Dafür spricht nicht zuletzt, dass sie sich später (am 28. April 1975) ohne weiteres um die Mitgliedschaft bei der Arbeitslosenkasse des VBLA bewarb. Doch möglicherweise hätte der Erlass einer Entlassungsverfügung zur Folge gehabt, dass sich die Beschwerdeführerin anders verhalten hätte. Der Hauptzweck der Entlassungsverfügung besteht nicht nur in der Herstellung klarer Rechtsverhältnisse, sondern ebensosehr auch im Schutz der Versicherten. Indem diese den Versicherungsschutz nicht automatisch, z.B. mit Auflösung des Dienstverhältnisses, verlieren, werden sie durch die Entlassungsverfügung darauf aufmerksam gemacht, dass ein Versicherungsverhältnis zu Ende geht und Vorkehren zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes nötig sind. Eine ähnliche Regelung findet sich übrigens in Art. 12 Vo II über die Krankenversicherung in Verbindung mit Art. 5bis Abs. 4 KUVG, wonach die Krankenkassen verpflichtet sind, einen Versicherten, der nicht freiwillig, sondern als Folge der Beendigung des Dienstverhältnisses oder der Verbandsmitgliedschaft aus einer betrieblichen oder verbandlichen Kollektivversicherung ausscheidet, auf die Möglichkeiten der Weiterführung des Versicherungsschutzes in der Einzelversicherung aufmerksam zu machen. Verletzt die Krankenkasse diese Aufklärungspflicht, so kann der bisher kollektiv versichert Gewesene vom Zeitpunkt der Beendigung des Kollektivversicherungsschutzes hinweg Einzelmitglied der Kasse werden, auch wenn die für die Ausübung der Freizügigkeit massgebende Frist von drei Monaten unbenützt verstrichen ist (BGE 100 V 134 Erw. 3).
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Die in Art. 4 Abs. 2 AlVV normierte Pflicht zur Ausstellung einer Entlassungsverfügung ist deshalb nicht lediglich als Ordnungsvorschrift zu verstehen. Ihre Verletzung ist ebenso bedeutsam wie die Missachtung der Aufklärungspflicht der Krankenkassen. Sie hat zur Folge, dass das Mitgliedschaftsverhältnis auch nach dem Wegzug des Versicherten aus dem Tätigkeitsgebiet der Arbeitslosenversicherungskasse andauert. Bei Letizia Pappagallo trifft dies bis zum 30. April 1975 zu, da entsprechend der angefochtenen Verfügung die Mitgliedschaft in der Verbandskasse am 1. Mai 1975 begonnen hat.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im folgenden Sinn gutgeheissen: a) Der Entscheid der Kantonalen Rekurskommission für Arbeitslosenversicherung Solothurn vom 9. September 1975 und die Verfügung des Kantonalen Arbeitsamtes Solothurn vom 13. Juni 1975 werden aufgehoben; b) Es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin bis zum 30. April 1975 bei der Paritätischen Arbeitslosenversicherungskasse der Bally Schuhfabriken AG versichert war ...
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