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4. Urteil vom 15. März 1977 i.S. L. gegen Ausgleichskasse des Kantons Graubünden und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden | |
Regeste |
Art. 7 Abs. 1 und Art. 31 Abs. 1 IVG. Kündigung einer vor Jahren durch die Invalidenversicherung vermittelten Stelle durch den Versicherten mit nachfolgender relevanter Erwerbsunfähigkeit: Rentenverweigerung wegen Widersetzlichkeit oder Rentenkürzung wegen grober Fahrlässigkeit? | |
Sachverhalt | |
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Anfangs 1975 berichtete O. L. der Invalidenversicherungs-Kommission, er habe der Firma X. auf den 31. Dezember 1974 seine Kündigung eingereicht, zu deren Begründung er ein "Vorkommnis" und den Umstand angab, dass seine Beine infolge der täglich zehnstündigen Tätigkeit immer schwächer geworden seien. Er ersuchte nunmehr um Ausrichtung einer Invalidenrente. Mit Verfügung vom 9. Oktober 1975 wies die Ausgleichskasse des Kantons Graubünden dieses Begehren ab, weil er die Stelle aus persönlichen Gründen aufgegeben habe, obschon ihm zuzumuten gewesen wäre, die Arbeit weiterhin zu verrichten.
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B.- Der Versicherte beschwerte sich beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit dem Antrag, es sei ihm ab 1. Januar 1975 erneut ein Rentenanspruch zuzuerkennen.
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Die Vorinstanz hat die Beschwerde am 28. November 1975 abgewiesen: Indem O. L. ohne vorherige Rücksprache mit den Organen der Invalidenversicherung auf Ende 1974 vom Arbeitsvertrag zurückgetreten sei, habe er sich einer Eingliederungsmassnahme entzogen. Eine Verschlimmerung des Gesundheitszustandes, welche die bisherige Tätigkeit als unzumutbar erscheinen liesse, sei medizinisch nicht bestätigt.
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C.- O. L. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Zu deren Begründung führt er an: Er sei sich erst heute bewusst, dass er durch die Aufgabe des Arbeitsplatzes einen Fehler begangen habe. Es habe sich um eine Kurzschlussreaktion gehandelt.
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Die Ausgleichskasse erklärt sich mit dem angefochtenen Entscheid einverstanden.
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Das Bundesamt für Sozialversicherung trägt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an: Im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung habe kein Rentenanspruch bestanden; eine Verschlimmerung des Gesundheitszustandes sei nicht nachgewiesen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Am 15. September 1969 teilte die Invalidenversicherungs-Kommission dem Beschwerdeführer mit, er müsse eine neue Arbeit suchen. Die Kommission habe beschlossen, durch die Regionalstelle abklären zu lassen, ob und wie weit berufliche Massnahmen am Platz seien. In der Folge gelang es der Regionalstelle, den Versicherten an die Baufirma X. zu vermitteln; die Arbeitsaufnahme erfolgte am 1. April 1970. - Nach der Rechtsprechung ist die Aufgabe der Invalidenversicherung im Rahmen der Arbeitsvermittlung gemäss Art. 18 Abs. 1 IVG grundsätzlich beendet, sobald der Versicherte plaziert und eingegliedert ist (ZAK 1965 S. 236). Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die von der Regionalstelle durchgeführte Eingliederungsmassnahme "Arbeitsvermittlung" spätestens anfangs April 1970 abgeschlossen war, nachdem der Beschwerdeführer seine Tätigkeit bei der Baufirma X. aufgenommen ![]() | 10 |
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Wenn auch eine Rentenverweigerung im Sinn von Art. 31 Abs. 1 IVG ausser Betracht fällt, so fragt es sich doch, ob der Versicherte durch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses Ende 1974 seine Invalidität nicht leichtfertig verschlimmert hat, so dass allenfalls Art. 7 Abs. 1 IVG angewandt werden müsste. Diese Bestimmung schreibt vor, dass die Geldleistungen der Invalidenversicherung dauernd oder vorübergehend verweigert, gekürzt oder entzogen werden können, wenn der Versicherte die Invalidität vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt oder verschlimmert hat. Grobfahrlässig in diesem Sinn handelt nach ständiger Rechtsprechung, wer unter Verletzung elementarster Sorgfaltspflichten das ausser acht lässt, was jeder verständige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen beachten würde (BGE 97 V 229 und EVGE 1967 S. 95). Das Eidg. Versicherungsgericht hat ferner wiederholt erkannt, dass sich der Invaliditätsgrad nicht nur bei Verbesserung oder Verschlechterung des Gesundheitszustandes, sondern auch dann verändern kann, wenn sich - bei gleichgebliebenem Gesundheitszustand - die erwerblich-wirtschaftlichen Verhältnisse gewandelt haben (EVGE 1968 S. 189 und ZAK 1966 S. 276).
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In seiner vorinstanzlichen Beschwerde führte O. L. zu seiner Kündigung aus: Da seine Beine stets kalt gewesen seien, habe er (in der Baubaracke) einen elektrischen Ofen erhalten. Im September 1974 hätten seine Arbeitskollegen an der Steckdose mutwillig eine Phase herausgezogen, so dass er am Nachmittag ![]() | 13 |
Das Mass der Kürzung bestimmt sich nach der Grösse des Verschuldens, während die Kürzungsdauer von der zeitlichen Einwirkung des schuldhaften Verhaltens auf die Invalidität abhängt (BGE 99 V 32). Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass eine Rente nur bis zu dem Zeitpunkt gekürzt werden dürfte, in welchem dem schwer behinderten Beschwerdeführer mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand die weitere Verrichtung einer rentenausschliessenden Erwerbstätigkeit ohnehin nicht mehr zuzumuten wäre. Darüber wird am ehesten ein neuer Arztbericht Aufschluss geben können.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinn gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 28. November 1975 sowie die Kassenverfügung vom 9. Oktober 1975 aufgehoben Werden und die Sache den Erwägungen entsprechend an die Ausgleichskasse zurückgewiesen wird, damit diese über den Rentenanspruch nach dem 31. Dezember 1974 neu verfüge.
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