BGE 103 V 120 | |||
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29. Auszug aus dem Urteil vom 23. November 1977 i.S. G. gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 52 AHVG. |
Subsidiäre Haftung eines Arbeitgeberorgans. |
Zusammenfassung der Rechtsprechung. | |
Sachverhalt | |
A.- Rechtsanwalt Dr. G. amtierte von der Gründung der X. AG im Jahre 1963 an als deren Verwaltungsratspräsident. Nach eigenen Angaben legte er dieses Mandat am 17. März 1969 nieder. Die entsprechende Mitteilung erfolgte mit Publikation im Schweizerischen Handelsamtsblatt vom 8. Mai 1969. L., seit dem Jahre 1964 Geschäftsführer der Gesellschaft, folgte Dr. G. als Verwaltungsratspräsident. Mit Kaufvertrag vom 14. April 1970 übertrug L. sämtliche Aktien der Firma auf M. Am 20. Januar 1972 wurde über die Firma der Konkurs eröffnet. Das Verfahren musste mangels Aktiven am 8. Februar 1972 eingestellt werden.
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Mit Verfügung vom 9. Mai 1972 verpflichtete die Ausgleichskasse Dr. G. und L., für nicht abgerechnete Beiträge der X. AG aus den Jahren 1967 und 1968 unter Solidarhaftung Fr. 2'401.70 (inkl. Fr. 397.50 FAK-Beiträge) Schadenersatz zu bezahlen. Die Schadenersatzforderung wurde damit begründet, dass die X. AG im Jahre 1967 eine nachträgliche Salärgutschrift von Fr. 39'000.-- zugunsten von L. im Abrechnungsbogen nicht aufgeführt und die entsprechenden Beiträge nicht bezahlt habe. Im Jahre 1968 sei eine Differenz von Fr. 750.-- zur eingereichten Lohnbescheinigung festgestellt worden. Dieses Vorgehen beruhe auf einem grobfahrlässigen Verhalten von Dr. G. und L., die als Organe der in Konkurs geratenen X. AG subsidiär für den der Kasse erwachsenen Schaden verantwortlich seien.
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B.- Gegen die Verfügung der Ausgleichskasse erhoben Dr. G. und L. Einspruch, worauf die Ausgleichskasse bei der AHV-Rekurskommission Klage erhob. Mit Entscheid vom 14. Januar 1977 hiess die Vorinstanz die Klage gut und verpflichtete die Beklagten zur Bezahlung von Fr. 2'401.70. Im wesentlichen wird ausgeführt, Dr. G. sei über die formale Stellung als Verwaltungsratspräsident hinaus in tatsächlich beherrschender Weise an der Willensbildung der X. AG beteiligt gewesen. Als Organ der Aktiengesellschaft habe er grobfahrlässig die Vorschriften des AHVG und dessen Vollzugsverordnung missachtet. Trotz vorhandener Salärbelege seien die geschuldeten Beiträge weder abgerechnet noch entrichtet worden. Vom Jahre 1966 bis 1970 seien insgesamt vier Mahnungen zur Beitragsentrichtung erfolgt. Dies hätte die Aufmerksamkeit der verantwortlichen Organe der X. AG bei pflichtgemässer Betätigung ihrer streng aufzufassenden Sorgfaltspflicht auf die mangelhafte Erledigung der Abrechnungspflichten und Beitragszahlungen lenken müssen. Damit sei die subsidiäre Organhaftung von Dr. G. gegeben. Dem Beweisantrag, die Buchführung der X AG in das Verfahren einzubringen, wurde nicht stattgegeben. Die einschlägigen Feststellungen des Betriebskontrolleurs der Ausgleichskasse, der die Buchhaltung gesichtet habe, seien nicht anzuzweifeln.
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C.- Dr. G. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, soweit es ihn belaste; es sei der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen. Es treffe ihn keinerlei Verantwortung für die Nichtabrechnung von Salärnachzahlungen bzw. Salärgutschriften der X. AG für das Jahr 1967. Die Vorgänge seien zu einer Zeit erfolgt, als er längst nicht mehr Verwaltungsrat dieser AG gewesen sei. L. habe 1967 kein weiterer Saläranspruch zugestanden, der eine Buchungs- und Abrechnungspflicht bereits im Jahre 1967 hätte begründen können. Zum Beweis für diese Behauptung sei die Buchhaltung der X AG vom zuständigen Konkursamt beizuziehen.
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Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter Hinweis auf den bei der Vorinstanz ergangenen Schriftenwechsel und das angefochtene Urteil.
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Aus den Erwägungen: | |
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Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 f. AHVV schreibt vor, dass der Arbeitgeber bei jeder Lohnzahlung die Arbeitnehmerbeiträge in Abzug zu bringen und zusammen mit den Arbeitgeberbeiträgen der Ausgleichskasse zu entrichten hat. Die Arbeitgeber haben den Ausgleichskassen periodisch Abrechnungsunterlagen über die von ihnen an ihre Arbeitnehmer ausbezahlten Löhne zuzustellen, damit die entsprechenden paritätischen Beiträge ermittelt und verfügt werden können. Die Beitrags- und Abrechnungspflicht des Arbeitgebers ist eine gesetzlich vorgeschriebene öffentlichrechtliche Aufgabe, deren Nichterfüllung die Schadensdeckung im Sinne von Art. 52 AHVG nach sich zieht (vgl. BGE 98 V 29).
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Ist der Arbeitgeber - wie im vorliegenden Fall - eine juristische Person, die zur Zeit der Geltendmachung der Haftung nicht mehr besteht, so können gegebenenfalls die verantwortlichen Organe in Anspruch genommen werden, wie dies die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat (vgl. auch BGE 96 V 125).
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Der Eintritt des Schadens im Sinne von Art. 52 AHVG muss als erfolgt gelten, sobald aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die geschuldeten Beiträge nicht mehr erhoben werden können. Zu Recht hat die Vorinstanz festgestellt, dass der Schaden bei der am 20. Januar 1972 mangels Aktiven erfolgten Einstellung des Konkurses eingetreten ist (vgl. ZAK 1973 S. 77). Die Schadenersatzverfügung erging am 9. Mai 1972 und wurde somit sowohl vor Ablauf der einjährigen Verjährungsfrist nach Kenntnis des Schadens als auch vor Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist nach Eintritt des Schadens erlassen (Art. 82 Abs. 1 AHVV).
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Sollte es daher zutreffen, dass der Beschwerdeführer als ehemaliger Verwaltungsrat der X AG es grobfahrlässig unterlassen hat, über die fraglichen Beträge abzurechnen, ist der Kausalzusammenhang zwischen dieser Handlungsweise und dem eingetretenen Schaden gegeben. Der unmittelbare Grund des Schadenseintrittes liegt zwar im Konkurs der Firma begründet, aber die Unterlassung der Abrechnung war - im Sinne einer Teilursache - nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Erfahrung geeignet, zu dem hier eingetretenen Verlust der Beiträge zu führen.
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Der Beschwerdeführer ist nach eigenen Angaben bis zum 13. März 1969 Verwaltungsratspräsident der X AG gewesen; die Löschung des Mandats im Handelsregister erfolgte am 8. Mai 1969. Nach Art. 932 Abs. 2 OR wird eine Eintragung im Handelsregister gegenüber Dritten erst an dem Werktage wirksam, der auf den aufgedruckten Ausgabetag derjenigen Nummer des Schweizerischen Handelsamtsblattes folgt, in der die Eintragung veröffentlicht ist. Dasselbe gilt Dritten gegenüber für die Beendigung des Mandats (vgl. v. STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz 1970, S. 224).
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Die Vorinstanz hat zu den erwähnten Einwänden des Beschwerdeführers nicht näher Stellung genommen, sondern auf den Bericht des Betriebskontrolleurs der Ausgleichskasse abgestellt und aus diesem Bericht gefolgert, dass die Beitragsabrechnung schon in den Jahren 1967/68 hätte erfolgen müssen. Der erwähnte Bericht über die Arbeitgeberkontrolle vom 26. April 1972 ist jedoch an sich nicht klar abgefasst, indem auf S. 2 von den "im Jahre 1967 an L. gutgeschriebenen Salärnachvergütungen von Fr. 39'000.--" die Rede ist, wogegen auf S. 2 b dieser auf das Jahr 1967 fallende Betrag als "nachträgliche Salärgutschrift" bezeichnet wird, welche Formulierung die Frage offen lässt, in welchem Zeitpunkt diese Gutschrift erfolgte. Entscheidend aber ist, dass sämtliche von der Verwaltung getroffenen "Feststellungen" im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren nur noch den Charakter beweisbedürftiger Parteibehauptungen haben und daher im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren unabhängig davon, ob es sich um Leistungs- oder andere Streitigkeiten handelt, nach der Untersuchungsmaxime überprüft werden müssen und dies insbesondere dann, wenn diese Feststellungen von der Gegenpartei ausdrücklich angefochten werden. Diese Abklärung, die hier vornehmlich durch Beizug der Buchhaltung der Firma und eventuell auch durch Zeugeneinvernahmen hätte vorgenommen werden können und müssen, ist nicht erfolgt. Die vorinstanzliche Tatbestandsabklärung erweist sich somit in diesem Punkt im Sinne von Art. 105 Abs. 2 OG als unvollständig. Die Vorinstanz wird daher noch die erforderlichen Abklärungen treffen und gestützt auf das Beweisergebnis prüfen müssen, ob gegenüber dem Beschwerdeführer die Haftungsvoraussetzungen des Art. 52 AHVG erfüllt sind.
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6. Voraussetzung der Schadensersatzpflicht nach Art. 52 AHVG ist, dass der Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften den Schaden verursacht hat. Eine vorsätzliche Missachtung der Vorschriften fällt im vorliegenden Fall ausser Betracht. Bei Beurteilung der Frage, ob dem Beschwerdeführer grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist, wird zu beachten sein, dass nicht schlechthin jedes der Firma als solcher anzulastende Verschulden auch ein solches seiner sämtlichen Organe sein muss. Vielmehr wird abzuwägen sein, ob und inwieweit eine Handlung der Firma einem bestimmten Organ im Hinblick auf dessen rechtliche und faktische Stellung innerhalb der Firma zuzurechnen ist. Das Eidg. Versicherungsgericht hat in konstanter Praxis ausgeführt, grobe Fahrlässigkeit sei gegeben, wenn ein Arbeitgeber das ausser acht lasse, was jedem verständigen Menschen in gleicher Lage und unter gleichen Umständen als beachtlich hätte einleuchten müssen (EVGE 1957 S. 219, EVGE 1961 S. 232, ZAK 1961 S. 448, ZAK 1972 S. 729). Das Mass der zu verlangenden Sorgfalt ist abzustufen entsprechend der Sorgfaltspflicht, die in den kaufmännischen Belangen jener Arbeitgeberkategorie, welcher der Betreffende angehört, üblicherweise erwartet werden kann und muss. Dabei sind an die Sorgfaltspflicht einer Aktiengesellschaft grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen (vgl. ZAK 1972 S. 729). Eine ähnliche Differenzierung ist auch notwendig, wenn es darum geht, die subsidiäre Haftung der Organe eines Arbeitgebers zu ermitteln. Nach Art. 722 Abs. 1 Ziff. 3 OR hat die Verwaltung die mit der Geschäftsführung beauftragten Personen zu überwachen und sich regelmässig über den Geschäftsgang unterrichten zu lassen. Sie hat diese Pflicht nach Massgabe der besonderen Umstände des Einzelfalles "mit aller Sorgfalt" zu erfüllen. Das setzt u.a. voraus, dass der Verwaltungsrat die ihm unterbreiteten Berichte kritisch liest, nötigenfalls ergänzende Auskünfte verlangt und bei Irrtümern oder Unregelmässigkeiten einschreitet. Dabei wird es aber einem Verwaltungsratspräsidenten einer Grossfirma nicht als grobfahrlässiges Verschulden angerechnet werden können, wenn er nicht jedes einzelne Geschäft, sondern nur die Tätigkeit der Geschäftsleitung und den Geschäftsgang im allgemeinen überprüft (vgl. MARIO M. PEDRAZZINI, Gesellschaftsrechtliche Entscheide, Bern 1974, S. 127, mit Hinweis auf BGE 97 II 403 und die Literatur) und daher beispielsweise nicht beachtet, dass in Einzelfällen die Abrechnung über Lohnbeiträge nicht erfolgt ist. Das Gegenstück wäre der Präsident des Verwaltungsrates einer Firma, der faktisch das einzige ausführende Organ der Firma ist oder aber der Verwaltungsratspräsident einer Firma, dem aus irgendwelchen Quellen bekannt ist oder doch bekannt sein sollte, dass die Abrechnungspflicht möglicherweise mangelhaft erfüllt wird. Nötigenfalls wird die Vorinstanz also auch noch zur Frage, ob der Beschwerdeführer grobfahrlässig gehandelt hat, weitere Abklärungen vornehmen müssen.
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7. Soweit sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf jenen Teil des Schadenersatzanspruches bezieht, der auf der Behauptung beruht, dass im Jahre 1968 über einen Lohnbestandteil von Fr. 750.-- nicht abgerechnet worden sei, hat der Beschwerdeführer in seiner Begründung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde überhaupt nichts vorgebracht. Es ist daher davon auszugehen, dass in tatbeständlicher Hinsicht keine Einwendungen gegen die Annahme der Vorinstanz erhoben werden, dass im Jahre 1968 die fragliche Abrechnung unterblieben sei. Dagegen wird die Vorinstanz von Amtes wegen die Rechtsfrage zu prüfen haben, ob im Sinne der vorstehenden Erwägungen die fragliche Nichtabrechnung dem Beschwerdeführer als grobe Fahrlässigkeit anzurechnen ist.
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