BGE 104 V 98 | |||
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23. Urteil vom 20. April 1978 i.S. Geissmann gegen Öffentliche Krankenkasse Basel-Stadt und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt | |
Regeste |
Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 KUVG. | |
Sachverhalt | |
A.- Geissmann ist Mitglied der Öffentlichen Krankenkasse Basel-Stadt. Wegen eines transmuralen Vorderwandinfarktes befand er sich vom 11. Mai bis 28. Mai 1976 im Kantonsspital Basel zur Behandlung. Mit Zeugnis vom 26. Mai 1976 verordnete das Spital (Dr. med. O.) einen Klinikaufenthalt von 2 bis 3 Wochen zwecks "Remobilisation, Rehabilitation und Abmagerung". Der Versicherte hielt sich in der Folge vom 2. Juni bis 15. Juli 1976 in der Klinik S. (Kanton Thurgau) auf, wofür ihm am 20. Juli 1976 Rechnung im Betrage von Fr. 8'540.40 gestellt wurde.
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Die Kasse beschränkte ihre Leistungen auf einen Kurbeitrag von Fr. 39.- im Tag (insgesamt Fr. 1'677.-) und die Übernahme der Behandlungskosten gemäss Tarif. Auf Einsprache erliess sie am 23. August 1976 eine beschwerdefähige Verfügung, mit welcher sie dem Versicherten eröffnete, laut Bestätigung des Kantonsspitals Basel habe bei Antritt des Aufenthalts in S. keine Spitalbedürftigkeit mehr bestanden; die Voraussetzungen zur Gewährung der versicherten Spitalleistungen anstelle des zugesprochenen Kurbeitrages seien daher nicht erfüllt.
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B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt wies eine hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 9. Juni 1977 ab. Es stellte im wesentlichen fest, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass nach Entlassung aus dem Kantonsspital noch eine Spitalbedürftigkeit vorgelegen habe. Der Beschwerdeführer habe lediglich einen Erholungsaufenthalt benötigt. Hiefür könne er jedoch nur einen Kurbeitrag, nicht dagegen die bei Spitalbehandlung geschuldeten Leistungen beanspruchen.
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C.- Geissmann erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die Kasse habe für die vollen Aufenthaltskosten einschliesslich der ärztlichen Behandlung aufzukommen. Er macht geltend, gemäss einem Rundschreiben des Konkordates der Schweizerischen Krankenkassen sei die Rehabilitation nach Herzinfarkt einer Spitalbehandlung gleichzusetzen. Die Klinik S. sei als Heilanstalt anerkannt. Im übrigen sei die Entlassung aus dem Kantonsspital Basel erst erfolgt, als die Zusicherung der Klinik vorgelegen habe, dass dort die gleiche Behandlungsmethode fortgeführt werde.
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Während sich die Krankenkasse mit dem Antrag auf Abweisung vernehmen lässt, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung sinngemäss Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Begründung dieses Antrags ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nachstehenden Urteilserwägungen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
1. Die Leistungspflicht der Krankenkassen richtet sich u.a. danach, ob die ärztliche Behandlung in einer Heilanstalt erfolgt (Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 KUVG und Art. 23 Abs. 1 Vo III). Als Heilanstalt gilt ein Betrieb, wenn er der Behandlung von Kranken unter ärztlicher Leitung dient und über das erforderliche fachgemäss ausgebildete Pflegepersonal sowie über zweckentsprechende medizinische Einrichtungen verfügt (BGE 100 V 73). Um die gesetzlichen oder statutarischen Leistungen im Falle der Hospitalisation beanspruchen zu können, muss sich der Versicherte nicht nur in einer Heilanstalt aufhalten, sondern auch eine Krankheit aufweisen, die eine Spitalbehandlung erfordert (BGE 99 V 70; RSKV 1977 S. 167, 175).
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a) Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Klinik S. erfolgte auf Anordnung des Kantonsspitals Basel. In dessen Zeugnis vom 26. Mai 1976 werden als medizinische Indikationen des Klinikaufenthaltes Remobilisation, Rehabilitation und Abmagern genannt; eine Einweisung in die Spitalabteilung der Klinik wird als nicht notwendig bezeichnet. Auf eine Anfrage des Vertrauensarztes der Krankenkasse bestätigte das Kantonsspital am 5. August 1976, Geissmann habe im Sinne der üblichen Rehabilitation nach Herzinfarkt einen Kuraufenthalt absolviert; eine Spitalbedürftigkeit habe zu dieser Zeit nicht mehr bestanden.
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Die Krankenkasse und die Vorinstanz schliessen hieraus, der Beschwerdeführer habe nach der Entlassung aus dem Kantonsspital lediglich noch einen Erholungsaufenthalt benötigt. Aus den Akten ergibt sich indessen, dass die Vorkehr nicht der blossen Erholung, sondern der Durchführung medizinischer Rehabilitationsmassnahmen gedient hat. Es stellt sich daher die Frage, ob der Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Klinik S. nicht einer Heilanstaltsbehandlung im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 KUVG gleichgestellt werden muss.
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b) Bei der Beurteilung des Falles ist davon auszugehen, dass sich die Behandlungsmethoden nach Herzinfarkt in den letzten Jahren weitgehend geändert haben. Während Infarktpatienten früher in der Regel über längere Zeit immobil gehalten wurden, herrscht heute die Auffassung vor, dass mit früh einsetzender, den jeweiligen Verhältnissen angepasster Bewegungstherapie eine raschere und weitergehende Wiederherstellung des Gesundheitszustandes und damit auch der Arbeitsfähigkeit erreicht werden kann (vgl. z.B. MOESCHLIN, Therapie-Fibel der innern Medizin, 4. Aufl., 1974, S. 124 ff.).
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Wie das Bundesamt für Sozialversicherung ausführt, werden stationäre Behandlungen der genannten Art von einem Teil der Krankenkassen schon seit Jahren übernommen, sofern sie in hiefür spezialisierten Heilanstalten durchgeführt werden. Mit der Leistungspflicht der Kassen, insbesondere für Nachbehandlungen in der Klinik S. befasste sich auch das Konkordat der Schweizerischen Krankenkassen. In einem Rundschreiben vom 7. März 1977 an die angeschlossenen Kassen stellte es fest, unter Spitalbedürftigkeit könne "auch eine notwendige und spitalmässig durchgeführte Rehabilitation nach Herzinfarkt oder Angina pectoris fallen". Die Frage der Rehabilitation nach Herzinfarkt bildete in der Folge auch Gegenstand einer Stellungnahme der Eidgenössischen Fachkommission für allgemeine Leistungen der Krankenversicherung (Art. 12 Abs. 5 KUVG und Art. 26 Vo III). Die Kommission gelangte zum Schluss, die stationär durchgeführte Bewegungstherapie für Herz- und Kreislaufpatienten sei einer Heilanstaltsbehandlung im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 KUVG gleichzustellen, soweit es sich um ärztlich zugewiesene Patienten mit Status nach Myokardinfarkt, Herzoperation oder anderen schweren Kreislaufkrankheiten (unter Ausschluss chronischer Leiden) handle und die Therapie als Anschlussbehandlung nach der Entlassung aus einem Akutspital erfolge. Die Therapie müsse in einer medizinischen Aktivbehandlung (Bewegungstherapie als Übungs-, Entspannungs- und Trainingsbehandlung in geeigneter Belastungsgruppe unter stetiger ärztlicher Überwachung und Führung, nötigenfalls ergänzt durch begleitende Psychotherapie) in einem ärztlich geleiteten und zureichend ausgerüsteten Institut unter ständiger Anwesenheit eines Arztes bestehen. Schliesslich habe die Behandlung in einer einmaligen geschlossenen Behandlungsperiode von derzeit in der Regel 4 Wochen zu erfolgen (vgl. RSKV 1977 S. 159 ff.).
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3. Die angefochtene Verfügung wurde erlassen, bevor die genannte Regelung für die Krankenkassen verbindlich geworden ist (RSKV 1977 S. 161, Ziff. I/4). Es rechtfertigt sich jedoch, der Beurteilung des vorliegenden Falles die gleichen Grundsätze zugrunde zu legen, wie sie die zuständige Fachkommission als massgebend erachtet hat. Hievon abzuweichen, hat das Eidg. Versicherungsgericht auch in materieller Hinsicht keinen Anlass.
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In Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Sozialversicherung ist anzunehmen, dass der streitige Aufenthalt in der Klinik S. die für die Leistungspflicht der Kasse massgebenden Voraussetzungen erfüllt. Der Beschwerdeführer musste sich auf ärztliche Anordnung im Anschluss an den Aufenthalt im Akutspital in eine anerkannte Heilanstalt begeben, um sich einer Massnahme zu unterziehen, die überwiegend der medizinischen Rehabilitation nach Herzinfarkt diente. Es kann ferner davon ausgegangen werden, dass die durchgeführte Therapie die an die Behandlungsform gestellten Anforderungen erfüllte. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Klinik S. ist daher einer Heilanstaltsbehandlung im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 KUVG gleichzustellen. Aus den Akten geht allerdings nicht hervor, aus welchen Gründen der Klinikaufenthalt wesentlich länger gedauert hat, als vom Kantonsspital angeordnet worden ist. Die Kasse wird zu diesem Punkt ergänzende Abklärungen vorzunehmen und gestützt hierauf ihre Leistungen neu festzusetzen haben.
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Ob der Kasse, wie das Bundesamt für Sozialversicherung meint, das Recht zustünde, die Leistungen aus den Zusatzversicherungen zu beschränken, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Es wird zunächst Sache der Kasse sein, über die entsprechenden Leistungen zu befinden.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der vorinstanzliche Entscheid und die Kassenverfügung vom 23. August 1976 aufgehoben. Die Sache wird im Sinne der Erwägungen an die Öffentliche Krankenkasse des Kantons Basel-Stadt zurückgewiesen zur näheren Abklärung und zur Neufestsetzung der Leistungen in Form einer beschwerdefähigen Verfügung.
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