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Informationen zum Dokument  BGE 105 V 86  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Gemäss Art. 69 Ziff. 1 der Kassen-Statuten haben die Mitg ...
2. Weder die Kassen-Statuten noch das KUVG mit seinen Vollzugserl ...
3. ... ...
4. Gemäss Art. 156 werden die Gerichtskosten in der Regel de ...
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20. Urteil vom 18. April 1979 i.S. Loretz gegen Allgemeine Krankenkasse Zürich und Versicherungsgericht des Kantons Zürich
 
 
Regeste
 
Art. 5 Abs. 1 KUVG. Aus wichtigen Gründen darf der Versicherte mit sofortiger Wirkung aus der Kasse austreten. Analoge Anwendung des Zivilrechts mangels besonderer Vorschriften über den sofortigen Austritt.  
Art. 156 Abs. 3 OG. Wenn sich die unterliegende Partei durch das rechtswidrige Verhalten der obsiegenden Gegenpartei zur Prozessführung veranlasst sehen durfte, so dürfen auch der obsiegenden Partei Gerichtskosten auferlegt werden.  
 
Sachverhalt
 
BGE 105 V, 86 (87)A.- Seit Juli 1976 entrichtete Hans Loretz der Allgemeinen Krankenkasse Zürich die Prämien für sich und seine Familienangehörigen mit Verspätung, wobei er durch die Kasse mehrmals hatte gemahnt werden müssen. Am 8. Juli 1977 mahnte ihn die Kasse für die Prämien der Monate April bis Juni 1977. Der Mahnung waren ein bereits ausgefüllter Einzahlungsschein für den Betrag von Fr. 255.-- und ein weiterer Einzahlungsschein für die Prämien des 3. Quartals, ausgestellt auf den Betrag von Fr. 207.90, beigelegt. Am 29. Juli 1977 bezahlte Hans Loretz die Prämien für das 2. Quartal, während er jene für das 3. Quartal, die ebenfalls fällig waren, schuldig blieb.
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In der zweiten Hälfte des Monats September 1977 verlangte der Versicherte bei der Kasse einen Krankenschein, der ihm jedoch verweigert wurde mit dem Hinweis, er habe seit Juli 1977 keine Beiträge mehr entrichtet. In der Folge teilte er am 28. September 1977 der Kasse mit, dass er mit sofortiger Wirkung aus ihr austrete.
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Am 19. Oktober 1977 erhob die Kasse von Hans Loretz verfügungsweise die Prämien für die Monate Juli bis Oktober 1977 in der Höhe von Fr. 280.40 (inkl. Spesen von Fr. 3.20). Die Verfügung trug den Vermerk: "Austritt per 31. Oktober 1977!!"
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B.- Hans Loretz beschwerte sich gegen diese Verfügung beim Versicherungsgericht des Kantons Zürich, indem er beantragte, die Kassenverfügung sei ungültig zu erklären.
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Die Vorinstanz hat die Beschwerde am 17. Januar 1978 abgewiesen.
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C.- Gegen diesen Entscheid führt Hans Loretz Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er erneuert seinen Antrag auf Ungültigerklärung der Kassenverfügung mit der Begründung, die Kasse hätte nicht ohne vorgängige Aufforderung zur Bezahlung der ausstehenden Prämien die Leistungen verweigern dürfen.
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Die Kasse trägt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Sie ist der Auffassung, sie sei dadurch, dass sie dem Beschwerdeführer am 8. Juli 1977 auch einen Einzahlungsschein für die Prämien der Monate Juli bis September 1977 gesandt habe, ihrer statutarischen Pflicht zur Zahlungsaufforderung nachgekommen.
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Das Bundesamt für Sozialversicherung stellt den Antrag, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei, soweit mit ihr die Prämienzahlungspflicht beanstandet werde, abzuweisen.
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BGE 105 V, 86 (88)Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1. Gemäss Art. 69 Ziff. 1 der Kassen-Statuten haben die Mitglieder "in gesunden und kranken Tagen vierteljährlich, jedoch mindestens monatlich zum voraus, Prämien für die einzelnen Versicherungsabteilungen zu entrichten". Ferner bestimmt Art. 19 der Statuten, dass ein Mitglied unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist je auf Ende eines Monats schriftlich seinen Austritt aus der Kasse erklären kann, wobei es bis und mit dem Monat des Austritts die Beiträge bezahlen muss. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, ob der Beschwerdeführer überhaupt berechtigt war, seinen sofortigen Austritt aus der Kasse zu erklären mit der Wirkung, dass er nicht mehr prämienpflichtig war. Er begründet seinen Schritt unter Berufung auf Art. 71 der Kassen-Statuten damit, dass die Kasse ihm Leistungen verweigert habe, ohne ihn vorher zur Zahlung der rückständigen Prämien aufgefordert zu haben.
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2. Weder die Kassen-Statuten noch das KUVG mit seinen Vollzugserlassen äussern sich dazu, ob ein Mitglied unter gewissen Voraussetzungen berechtigt ist, mit sofortiger Wirkung, d.h. ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist, aus der Kasse auszutreten. Es rechtfertigt sich deshalb, diese Frage anhand der im Zivilrecht geltenden Grundsätze zu beantworten, soweit diese sich mit dem Sozialversicherungsrecht vereinbaren lassen (vgl. das unveröffentlichte Urteil vom 3. Juni 1977 i.S. Augsburger). Sowohl für die Vereine als auch für die Genossenschaften hat die Rechtsprechung anerkannt, dass der sofortige Austritt möglich ist, wenn wichtige Gründe gegeben sind, d.h. wenn die Umstände das weitere Verbleiben im betreffenden Rechtsverhältnis unzumutbar machen (BGE 89 II 153 und BGE 71 II 197; TUOR/SCHNYDER, Das Schweizerische ZGB, 9. Aufl., S. 121). In analoger Weise muss dem Mitglied einer Krankenkasse das Recht zustehen, aus wichtigen Gründen mit sofortiger Wirkung aus der Kasse auszutreten. Als wichtiger Grund gilt eine Tatsache, die es als unzumutbar erscheinen lässt, dass das Mitglied noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist der Krankenkasse angehört. Ob eine solche Tatsache vorliegt, muss im konkreten Fall unter Würdigung aller Umstände nach vernünftigem Ermessen beurteilt werden.
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Hans Loretz erklärte am 28. September 1977 den sofortigen Austritt aus der Kasse, weil ihm diese durch Verweigerung BGE 105 V, 86 (89)eines Krankenscheins Versicherungsleistungen verweigert habe. Gemäss Art. 71 Ziff. 1 der Statuten kann die Kasse Leistungen erst verweigern, wenn das Mitglied mit mindestens zwei Monatsbeiträgen im Rückstand und einer Zahlungsaufforderung nicht innert Monatsfrist nachgekommen ist. Als der Beschwerdeführer in der zweiten Hälfte des Monats September 1977 den Krankenschein verlangte, schuldete er der Kasse noch die Beiträge für die Monate Juli bis September 1977. Für diese Rückstände hatte er bis zu jenem Zeitpunkt von der Kasse noch keine Zahlungsaufforderung erhalten. Denn die am 8. Juli 1977 erfolgte Zustellung eines Einzahlungsscheines für die Monatsprämien Juli bis September 1977 kann - entgegen der Auffassung der Kasse - schon deshalb nicht als Zahlungsaufforderung im Sinne von Art. 71 Ziff. 1 betrachtet werden, weil der Prämienschuldner erst zur Bezahlung aufgefordert werden kann, nachdem er mit zwei Monatsbeiträgen in Rückstand geraten ist. Fehlte es aber an der statutarisch vorgeschriebenen Zahlungsaufforderung nach Ablauf der Monate Juli und August, für welche damals die Prämien noch nicht bezahlt waren, so hätte die Kasse Ende September 1977 ihre Leistungen nicht verweigern dürfen.
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Wenn die Kasse dennoch durch Verweigerung des Krankenscheins den Anspruch des Hans Loretz auf Versicherungsleistungen verneinen wollte, so hätte sich dieser durch eine Beschwerde im Sinne von Art. 89 der Kassen-Statuten bzw. Art. 30 KUVG dagegen zur Wehr setzen können. Daher bildete das Verhalten der Kasse keinen wichtigen Grund, welcher Hans Loretz berechtigt hätte, ohne Einhaltung der statutarischen Kündigungsfrist sofort aus der Kasse auszutreten. Demzufolge blieb er noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31. Oktober 1977 Kassenmitglied. Das hat zur Folge, dass er bis zu diesem Zeitpunkt prämienpflichtig war. Somit hat es bei der Kassenverfügung vom 19. Oktober 1977 sein Bewenden.
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BGE 105 V, 86 (90)Die Kasse war nicht berechtigt, dem Beschwerdeführer ohne vorgängige Zahlungsaufforderung in der zweiten Hälfte September 1977 Leistungen zu verweigern. Durch ihr rechtswidriges Verhalten gab sie ihm Anlass, seinen sofortigen Austritt aus der Kasse zu erklären und die im Oktober 1977 erfolgte verfügungsweise Prämiennachforderung beschwerdeweise anzufechten. Hans Loretz konnte sich also in guten Treuen zur Prozessführung veranlasst sehen, weshalb die Kosten des Verfahrens vor dem Eidg. Versicherungsgericht auf beide Parteien verhältnismässig zu verlegen sind.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. Die Gerichtskosten von Fr. ... werden je zur Hälfte dem Beschwerdeführer und der Allgemeinen Krankenkasse auferlegt.
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