BGE 105 V 139 | |||
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34. Urteil vom 17. September 1979 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen A. und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 12 Abs. 1 IVG. | |
Sachverhalt | |
A.- Die 1945 geborene A. leidet seit Geburt an einer Fussdeformität links (Hohlballenfuss) bei Status nach Meningozele und Spina bifida. Die Invalidenversicherung übernahm gestützt auf Art. 13 IVG die am 8. Juli 1965 in der Klinik X. durchgeführte Double-Arthrodese, womit die Hohlfuss-Komponente der Deformität korrigiert werden konnte. Die behandelnden Ärzte äusserten damals die Ansicht, möglicherweise werde sich später eine operative Korrektur des verbleibenden Ballenfusses aufdrängen.
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Nachdem A. ihr Studium im Seminar beendet hatte und in der Folge als Kindergärtnerin tätig war, meldete sie sich im April 1977 wegen zunehmender Schmerzen im linken Fuss erneut bei der Invalidenversicherung an und beantragte die Übernahme einer weiteren Operation. Im Bericht vom 5. Dezember 1977 teilte Prof. G., Chefarzt der Klinik X., der Invalidenversicherungs-Kommission mit, obwohl vermehrte Schmerzen aufgetreten seien, arbeite A. als Kindergärtnerin noch voll; es sei jedoch mit zunehmender Verschlechterung der Gehfähigkeit und zudem mit infizierten Druckgeschwüren zu rechnen; der Arzt empfahl operative Behandlung durch eine Metatarsalosteotomie 2-5, "wodurch der Ballenfuss und auch die Hohlfuss-Komponente korrigiert werden und die subluxierten Zehen sich wieder strecken lassen".
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Nach Rückfrage beim Bundesamt für Sozialversicherung beschloss die Invalidenversicherungs-Kommission, das Begehren um medizinische Massnahmen abzulehnen; es gehe um die Behandlung des Leidens an sich, und damit seien die Voraussetzungen des Art. 12 IVG nicht erfüllt. Dies wurde der Versicherten mit Verfügung der Ausgleichskasse vom 17. Februar 1978 eröffnet.
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B.- Gegen diese Verfügung beschwerte sich Prof. G. für die Versicherte bei der AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich und machte geltend, beim Zustand seiner Patientin handle es sich "zweifellos um einen nunmehr abgeschlossenen Defektzustand nach kongenitaler Missbildung, der sich operativ definitiv beheben" lasse. Die Vorinstanz folgte dieser Auffassung und verpflichtete die Ausgleichskasse in Gutheissung der Beschwerde, für die anbegehrte Operation Kostengutsprache zu leisten (Entscheid vom 19. Mai 1978).
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C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt das Bundesamt für Sozialversicherung den Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und die Kassenverfügung vom 17. Februar 1978 wiederherzustellen. Das Amt vertritt den Standpunkt, die Versicherte sei im Zeitpunkt der angefochtenen Kassenverfügung nicht invalid gewesen. Ob sie von einer Invalidität unmittelbar bedroht gewesen sei, brauche nicht entschieden zu werden, weil medizinische Massnahmen nach Art. 12 IVG ohnehin nicht gewährt werden könnten, werde doch ein labiles pathologisches Geschehen angegangen, wie sich aus dem Bericht des Prof. G. vom 5. Dezember 1977 ergebe.
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Die Versicherte lässt durch Prof. G. beantragen, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen. In einem zweiten Schriftenwechsel halten die Parteien an ihren Standpunkten fest. Auf die Begründungen wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
1. a) Medizinische Massnahmen dürfen - wie alle Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung - im vorneherein nur unter der Voraussetzung gewährt werden, dass der Leistungsansprecher invalid oder von einer Invalidität unmittelbar bedroht ist (Art. 8 Abs. 1 IVG). Unmittelbarkeit liegt nach der Rechtsprechung nur vor, wenn eine Invalidität in absehbarer Zeit einzutreten droht; sie ist dagegen nicht gegeben, wenn der Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit zwar als gewiss erscheint, der Zeitpunkt ihres Eintritts aber ungewiss ist (BGE 96 V 76).
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b) Im vorliegenden Fall war die Beschwerdegegnerin im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Kassenverfügung, auf den es nach ständiger Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts für die richterliche Beurteilung eines Falles ankommt (BGE 104 V 61, BGE 103 V 53, BGE 99 V 102 und BGE 96 V 144), in ihrem Beruf als Kindergärtnerin voll arbeitsfähig, wie aus dem Bericht des Prof. G. vom 5. Dezember 1977 und aus der Beschwerde an die Vorinstanz vom 9. März 1978 hervorgeht. Wer aber nicht mindestens teilweise arbeitsunfähig ist, kann auch nicht erwerbsunfähig und mithin nicht invalid im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG sein.
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Das Bundesamt für Sozialversicherung bestreitet daher zu Recht, dass im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung vom 17. Februar 1978 eine Invalidität im Rechtssinne vorgelegen hatte.
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c) Die Beschwerdegegnerin lässt indessen geltend machen, sie sei unmittelbar von einer Invalidität bedroht gewesen. Ohne Operation hätte sie wegen der drohenden Gefahr einer Perforation der Haut und der Metatarsalköpfchen und damit der Gefahr des Auftretens einer Infektion mit chronischer Osteomyelitis als voll arbeitsunfähig erklärt werden müssen. Wegen der Schmerzen wäre es ihr auf die Dauer nicht zumutbar gewesen, Arbeiten zu verrichten, bei denen sie stehen und gehen müsse, wie dies bei ihrem Beruf der Fall sei.
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Damit ist jedoch noch nicht erstellt, dass auch die Erwerbsfähigkeit der Versicherten, d.h. die Fähigkeit, auf dem gesamten, für sie in Betracht fallenden Arbeitsmarkt zumutbare, wirtschaftlich verwertbare Arbeit zu leisten, eingeschränkt sein würde. Ebensowenig lässt sich beurteilen, ob eine allfällig zu erwartende Invalidität unmittelbar bevorstand. Diese Fragen können indessen offen bleiben, wie sich aus den nachstehenden Erwägungen ergibt.
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b) Das Bundesamt für Sozialversicherung vertritt die Auffassung, mit der streitigen Mittelfussosteotomie sei labiles pathologisches Geschehen angegangen worden. Im Bericht vom 5. Dezember 1977 habe Prof. G. ausdrücklich festgehalten, dass mit einer zunehmenden Verschlechterung der Gehfähigkeit und zusätzlich mit infizierten Druckgeschwüren zu rechnen sei. Der labile Charakter des Leidens ergebe sich auch aus der Vernehmlassung des Prof. G., wonach die Versicherte wegen der drohenden Gefahr einer Perforation der Haut und der Metatarsalköpfchen und damit der Gefahr des Auftretens einer Infektion mit chronischer Osteomyelitis als voll arbeitsunfähig hätte erklärt werden müssen, wenn die Operation inzwischen nicht vorgenommen worden wäre.
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Diese Angaben des Prof. G. beziehen sich jedoch nur auf die sekundären - labilen - Folgeerscheinungen der Fussskelettanomalie. Nach der mit dem Urteil Denzler vom 2. April 1968 (ZAK 1968 S. 464) geänderten Rechtsprechung kann indessen ein Eingriff, welcher einen stabilen oder relativ stabilisierten Skelettzustand korrigiert, eine medizinische Eingliederungsmassnahme sein, selbst wenn die sekundären Erscheinungen bisher labil waren. Vorausgesetzt wird dabei, dass nicht bloss eine Einzelerscheinung angegangen wird, sondern dass der Skelettzustand mit dem Eingriff dauerhaft saniert wird und die sekundären labilen Erscheinungen dadurch dauernd behoben werden (vgl. auch EVGE 1968 S. 114, 1969 S. 100, ZAK 1970 S. 115).
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Es genügt daher nicht, die Folgeerscheinungen als labil zu erkennen. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob das deformierte Fussskelett der Versicherten medizinischen Eingliederungsmassnahmen zugänglich war oder nicht.
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Nicht als medizinische Massnahmen gelten nach der Praxis die operative Korrektur von fehlgestellten Fussknochen bzw. von Fehlfunktionen des Bewegungsapparates, beispielsweise bei Hohl-Spreizfuss (Urteil i.S. Frey vom 23. Juli 1976), bei Hammerzehen (Urteile i.S. Messerli vom 19. August 1974 und Kohli vom 17. Dezember 1974) und bei Hallux valgus (Urteil i.S. Kessler vom 13. Oktober 1976), weil der Fehlstellung eine funktionelle Störung des Bandapparates, der Sehnen und Muskeln zugrunde lag.
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b) Prof. G. bezeichnet die Fussdeformität der Versicherten als angeboren und bringt sie in Zusammenhang mit der Spina bifida und der Meningozele, was für das Vorliegen eines knöchernen Defektes im Sinne der Rechtsprechung sprechen würde. Anderseits erklärt dieser Arzt in der Replik vom 27. Oktober 1978, dass sich die Operation nicht auf einen Eingriff im knöchernen Bereich beschränkte, sondern dass gleichzeitig eine Sehnenverpflanzung vorgenommen wurde mit dem Zweck, das Muskelgleichgewicht wiederherzustellen. Dies könnte darauf schliessen lassen, dass die Knochenfehlstellung durch eine Störung der Sehnenfunktionen bedingt war. Allerdings fügte Prof. G. bei, mit der Sehnenverpflanzung und dem wiederhergestellten Muskelgleichgewicht habe "die Korrektur der Deformität definitiv werden" sollen. Danach könnte die Sehnenverpflanzung auch als eine bloss die im Vordergrund stehende Osteotomie begleitende und konsolidierende Massnahme betrachtet werden.
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Die Frage, ob die bei der Versicherten durchgeführte Operation einen knöchernen Defekt im Sinne der in Erw. 3a dargelegten Praxis korrigierte, kann aus nachstehenden Gründen indessen offen bleiben.
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Aus den Akten geht hervor, dass die Versicherte am 8. Juli 1965 erstmals am linken Fuss operiert worden war, womit die Hohlfusskomponente "ideal korrigiert" werden konnte (Bericht der Klinik X. vom 25. Oktober 1965). Im Jahre 1977 diagnostizierte Prof. G. wiederum eine "deutliche Hohlfussstellung"; er legte im Bericht vom 5. Dezember 1977 dar, dass mit der vorgesehenen basalen Metatarsalosteotomie sowohl der Ballenfuss als auch die Hohlfuss-Komponente korrigiert würden. Aus diesen Angaben muss geschlossen werden, dass sich die den Hohlfuss verursachende Knochendeformität in der Zwischenzeit verschlechtert hatte, mithin labil war.
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Hinsichtlich des Ballenfusses, der bei der streitigen Operation offenbar im Vordergrund stand, hatte die Klinik X. zwar bereits im Jahre 1965 auf die Möglichkeit einer späteren Operationsnotwendigkeit hingewiesen (Bericht vom 25. Oktober 1965). A. war jedoch in der Folge in der Lage, ihre Ausbildung am Seminar abzuschliessen und während Jahren in ihrem Beruf als Kindergärtnerin tätig zu sein, bei dem sie viel stehen und gehen musste; in ihrer Anmeldung zum Leistungsbezug vom April 1977 gab sie an, zunächst schmerzfrei gewesen zu sein. Wenn sich somit erst ca. 10 Jahre nach der ersten Operation wieder Fussbeschwerden einstellten, muss dies darauf zurückzuführen sein, dass sich deren Ursache, nämlich die Knochendeformität, verschlimmert hatte.
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Die in den Akten liegenden ärztlichen Meinungsäusserungen des Prof. G. erhärten diese Annahme. In der Beschwerde an die Vorinstanz legte er dar, der Ballenhohlfuss sei früher "in leichterer Form" vorhanden gewesen, wirke sich nun aber in letzter Zeit in dem Sinne negativ aus, dass die Mittelfussköpfchen sich steil obenwärts richteten und zu Druckerscheinungen im Schuh führten. Und in der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legt Prof. G. unter Hinweis auf einen früheren Bericht dar, dass der ursprünglich leichte Hohlballenfuss sich "erheblich verstärkte und zu dem Zustand führte, der die Operation notwendig machte", und dass sich "die Vorfuss-Stellung in den letzten Jahren erst erheblich verschlechtert hat".
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Aus dem Gesagten folgt, dass die basale Metatarsalosteotomie 2-5, um deren Übernahme als medizinische Eingliederungsmassnahme ersucht wird, in labiles Geschehen eingriff. Zu Unrecht stützt sich die Vorinstanz auf die Behauptung des Prof. G. in der Beschwerde vom 9. März 1978, beim Zustand der Versicherten "handle es sich zweifellos um einen nunmehr abgeschlossenen Defektzustand nach kongenitaler Missbildung". Damit räumt der Arzt - in Übereinstimmung mit seinen übrigen Angaben - selber ein, dass die Skelettanomalie zumindest bis anhin labil im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 12 Abs. 1 IVG gewesen war. Mithin hat die Beschwerdegegnerin keinen Anspruch auf medizinische Massnahmen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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