BGE 105 V 156 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
38. Urteil vom 16. August 1979 i.S. F. gegen Ausgleichskasse für das schweizerische Bankgewerbe und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | |
Regeste |
Art. 29 Abs. 1 IVG. |
- Zeitlich massgebender Sachverhalt: Ausnahmsweise Berücksichtigung von Tatsachen, die erst nach dem Zeitpunkt des Verfügungserlasses eingetreten sind (Erw. 2d). | |
Sachverhalt | |
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Anfangs Dezember 1976 meldete sich Hugo F. bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Am 17. Mai 1977 teilte die Bank der Invalidenversicherungs-Kommission des Kantons Basel-Landschaft mit, der Versicherte habe bis zum 12. Mai 1977 ein volles Arbeitspensum bewältigt; seither befinde er sich in ärztlicher Behandlung. Die Ärzte der Psychiatrischen Universitätspoliklinik Basel führten in ihrem Bericht vom 11. Juli 1977 aus, der wegen einer schweren Psychoneurose bereits in früheren Jahren psychiatrisch behandelte Versicherte habe sich beruflich lange Zeit einigermassen behaupten können; nach dem Tode seiner Frau im Jahre 1972 habe sich der Zustand rasch verschlechtert; seit dem 14. September 1976 stehe er wegen seines Leidens wiederum in Behandlung; bezogen auf den Zeitpunkt der Berichterstattung liege eine mindestens 75%ige Arbeitsunfähigkeit vor. In einem späteren Bericht (vom 10. Oktober 1977) ergänzten die genannten Ärzte, "seit September 1976 bis zum Erstellen unseres Gutachtens im Mai 1977" habe die Arbeitsfähigkeit sicher unter 50% gelegen; in seiner Anstellung sei "er nur dank dem Entgegenkommen des Arbeitgebers so lange behalten" worden. Am 15. November 1977 verfügte die Ausgleichskasse für das schweizerische Bankgewerbe entsprechend einem Beschluss der Invalidenversicherungs-Kommission, der Rentenentscheid werde bis zum Mai 1978 ausgestellt, weil das Erfordernis einer durchschnittlich mindestens hälftigen Arbeitsunfähigkeit während 360 Tagen nicht erfüllt sei; zugleich wies sie den Versicherten an, sich im Mai 1978 erneut anzumelden, falls er bis dahin immer noch mindestens hälftig arbeitsunfähig sei.
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B.- Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft mit Entscheid vom 15. März 1978 ab. Wohl habe die Psychiatrische Universitätspoliklinik ab September 1976 einen Invaliditätsgrad von 50% angegeben, doch sei nicht der Gesundheitsschaden an sich, sondern seine wirtschaftliche Auswirkung massgebend. Da der Versicherte laut den Angaben der Bank X. bis zum 12. Mai 1977 voll gearbeitet habe und im Verdienst kein Soziallohn enthalten gewesen sei, könne die Kassenverfügung nicht beanstandet werden.
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Die Ausgleichskasse schliesst sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt deren Gutheissung, da nach Ablauf der am 14. September 1976 eröffneten Wartezeit von 360 Tagen "nicht nur eine durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit von 2/3, sondern auch eine entsprechende Erwerbsunfähigkeit" bestanden habe.
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D.- Am 1. September 1978 hat der Anwalt des Beschwerdeführers dem Gericht mitgeteilt, die Eidgenössische Ausgleichskasse (Kassenstelle Nationalbank) habe - gestützt auf einen Invaliditätsgrad von mehr als zwei Dritteln - am 28. August 1978 die Ausrichtung einer ganzen einfachen Invalidenrente nebst Kinderrenten ab 1. Mai 1978 verfügt.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Um den Invaliditätsgrad bemessen zu können, ist die Verwaltung (und im Beschwerdefall der Richter) auf Unterlagen angewiesen, die der Arzt und gegebenenfalls auch andere Fachleute zur Verfügung zu stellen haben. Aufgabe des Arztes ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten der Versicherte arbeitsunfähig ist. Im weitern sind die ärztlichen Auskünfte eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der Frage, welche Arbeitsleistungen dem Versicherten noch zugemutet werden können.
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a) Verwaltung und Vorinstanz gingen offenbar davon aus, die 360tägige Wartezeit sei nicht eröffnet gewesen, solange der Beschwerdeführer noch bei der Bank X. gearbeitet habe. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird jedoch zutreffend ausgeführt, bei der Wartezeit sei nur die Arbeitsunfähigkeit von Bedeutung. Darunter ist - jedenfalls im Rahmen des Art. 29 Abs. 1 IVG - die durch den Gesundheitsschaden bedingte Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zu verstehen, während die finanziellen Konsequenzen einer solchen Einbusse für deren Beurteilung während der Wartezeit grundsätzlich unerheblich sind (BGE 97 V 231).
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Wie aus dem Bericht der Psychiatrischen Universitätspoliklinik vom 10. Oktober 1977 ersichtlich ist, stand der Beschwerdeführer seit dem 14. September 1976 wieder in psychiatrischer Behandlung; nach Auffassung der Ärzte lag die Arbeitsunfähigkeit seither "bis zum Erstellen unseres Gutachtens im Mai 1977" (gemeint ist wohl der im Mai 1977 von der Invalidenversicherungs-Kommission angeforderte und schliesslich am 11. Juli 1977 erstattete Bericht) bei 50%. Von da an, d.h. ab etwa Mitte Mai 1977 betrug die Arbeitsunfähigkeit 75% (Arztbericht vom 11. Juli 1977 in Verbindung mit demjenigen vom 10. Oktober 1977). Dass die Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers wegen seines Leidens schon zur Zeit der Anstellung bei der Bank X. erheblich vermindert war, ergibt sich auch aus dem mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ins Recht gelegten Schreiben der Bank X. vom 28. Juni 1977, das im übrigen bereits im Regionalstellenbericht vom 28. Oktober 1977 auszugsweise erwähnt worden war. Die Bank X. hielt fest, soziale Erwägungen (vorgerücktes Alter, Familienpflichten) hätten sie davon abgehalten, dem Beschwerdeführer in einem viel früheren Zeitpunkt zu kündigen; schliesslich sei aber eine Entlassung nicht mehr zu umgehen gewesen; im Sinne eines Entgegenkommens habe sie dabei eine ungewöhnlich lange Kündigungsfrist von fast acht Monaten beachtet. Angesichts dieser klaren Ausführungen kann dem von der Bank X. offenbar rein routinemässig ausgefüllten Fragebogen vom 17. Mai 1977, in welchem ein Soziallohnanteil im Verdienst sinngemäss verneint worden war, kein entscheidendes Gewicht zukommen. Nach dem Gesagten ist davon auszugehen, dass ab 14. September 1976 eine im Sinne der Rechtsprechung (BGE 104 V 143 Erw. 2a) deutliche Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers bestand und dass demzufolge die Wartezeit in diesem Zeitpunkt eröffnet war.
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b) Wie bereits erwähnt, war der Beschwerdeführer ab Mitte September 1976 bis etwa Mitte Mai 1977 hälftig und danach zu 75% arbeitsunfähig. Bei Ablauf der 360tägigen Wartezeit im September 1977 ergab sich somit eine durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit von rund 58%. Da zudem die Erwerbsunfähigkeit in diesem Zeitpunkt eindeutig über 50% lag - der Beschwerdeführer ist seit der Entlassung bei der Bank X. ohne Arbeit und kann laut Regionalstellenbericht vom 28. Oktober 1977 in der offenen Wirtschaft nicht mehr vermittelt werden, weshalb sich ein eigentlicher Einkommensvergleich erübrigt -, hat er ab 1. September 1977 Anspruch auf eine halbe einfache Invalidenrente nebst Kinderrenten.
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c) Der Beschwerdeführer wendet nun allerdings ein, unabhängig davon, dass die Arbeitsunfähigkeit während der Wartezeit zwar 50%, nicht aber 66 2/3% erreicht habe, stehe ihm eine ganze Invalidenrente zu, weil die Erwerbsunfähigkeit bei Ablauf der 360 Tage zwei Drittel überstiegen habe. Diese Auffassung geht indessen fehl. Nach dem System des Invalidenversicherungsgesetzes kann eine Erwerbsunfähigkeit von mindestens 66 2/3% nur dann sofort - und unabhängig von Dauer und Ausmass der vorherigen Arbeitsunfähigkeit - zur Zusprechung einer ganzen Rente führen, wenn die Variante I des Art. 29 Abs. 1 IVG zur Anwendung gelangt. In allen Fällen der Variante II ist demgegenüber die Rente sowohl vom Ausmass der nach Ablauf der Wartezeit weiterhin bestehenden Erwerbsunfähigkeit als auch von einem entsprechend hohen Grad der durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeit während der vorangegangenen 360 Tage abhängig. Eine ganze Rente kann darum nur zugesprochen werden, wenn die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit während der Wartezeit und die nachfolgende Erwerbsunfähigkeit mindestens 66 2/3% beträgt. Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage stellt sich im übrigen in entsprechender Abwandlung auch bei einer halben Rente im Sinne eines Härtefalles, wenn Variante II anwendbar ist. Das Eidg. Versicherungsgericht hat hier entschieden, dass nicht eine mindestens hälftige Arbeitsunfähigkeit während 360 Tagen vorliegen muss; vielmehr genügt es, wenn der Versicherte während der Wartezeit durchschnittlich mindestens zu einem Drittel arbeitsunfähig war und weiterhin mindestens im gleichen Umfang erwerbsunfähig ist (BGE 104 V 143 Erw. 1, BGE 99 V 97; nicht veröffentlichtes Urteil vom 13. Mai 1970 i.S. Yenny).
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d) Im vorliegenden Fall kann somit eine ganze Rente erst in Betracht kommen, nachdem die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers während 360 Tagen mindestens 66 2/3% betrug und weiterhin Erwerbsunfähigkeit von mindestens 66 2/3% gegeben war. Bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Kassenverfügung (15. November 1977) traf dies allein schon deshalb nicht zu, weil die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit bis dahin erst rund 62,5% (6 Monate zu 50%, 6 Monate zu 75%) betrug. Sofern aber angenommen werden kann, der Beschwerdeführer sei auch nach dem Verfügungszeitpunkt im gleichen Umfang wie vorher arbeitsunfähig gewesen, muss davon ausgegangen werden, dass die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit während der vorangegangenen 360 Tage kurze Zeit nach Erlass der Verfügung, nämlich Mitte Januar 1978, die Grenze von zwei Dritteln überstieg (bis Mitte Mai 1977 4 Monate zu 50%, danach 8 Monate zu 75%).
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Nach der Rechtsprechung beurteilt der Richter grundsätzlich nur die bis zum Zeitpunkt des Verfügungserlasses eingetretenen Verhältnisse. Im vorliegenden Fall rechtfertigt es sich aber, ausnahmsweise auch die Zeit nach dem 15. November 1977 mit zu berücksichtigen: Aus der nachträglichen Eingabe vom 1. September 1978 geht hervor, dass die Eidgenössische Ausgleichskasse dem Beschwerdeführer am 28. August 1978 mit Wirkung ab 1. Mai 1978 eine ganze einfache Invalidenrente samt Kinderrenten zusprach. Bei der Festsetzung des Invaliditätsgrades auf über zwei Drittel konnte sich die Invalidenversicherungs-Kommission des Kantons Basel-Landschaft auf einen neuen Arztbericht stützen, den die Psychiatrische Universitätspoliklinik am 28. Juni 1978 erstattet hatte. Darin wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei wegen seiner schweren Psychoneurose nach wie vor zu 75% arbeitsunfähig und könne wohl nicht mehr ins Berufsleben eingegliedert werden. Somit ergibt sich, dass die Verhältnisse für die Zeit nach der streitigen Kassenverfügung bis zum Beginn der am 28. August 1978 zugesprochenen Rente hinreichend genau abgeklärt sind und dass deshalb bereits im vorliegenden Verfahren über den Rentenanspruch in der fraglichen Periode geurteilt werden kann. Eine Rückweisung der Sache an die Verwaltung, damit sie diesen prüfe und hierüber verfüge, widerspräche unter den gegebenen Umständen prozessökonomischen Gesichtspunkten.
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Da der Beschwerdeführer nach Ansicht der Ärzte auch nach dem 15. November 1977 zu 75% arbeitsunfähig war, ergibt sich, dass die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit während 360 Tagen im Januar 1978 die Grenze von zwei Dritteln überschritt. Von diesem Zeitpunkt an lag unbestrittenermassen auch die Erwerbsunfähigkeit über 66 2/3%. Gemäss Art. 29 Abs. 1 IVG steht dem Beschwerdeführer daher ab 1. Januar 1978 eine ganze Rente zu.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 15. März 1978 und die Verfügung der Ausgleichskasse für das schweizerische Bankgewerbe vom 15. November 1977 aufgehoben und die Ausgleichskasse verpflichtet, dem Beschwerdeführer ab 1. September 1977 eine halbe und ab 1. Januar 1978 eine ganze einfache Invalidenrente nebst Kinderrenten auszurichten.
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