BGE 106 V 112 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
26. Urteil vom 9. Juni 1980 i.S. A. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Thurgau | |
Regeste |
Art. 67 Abs. 3 KUVG. | |
Sachverhalt | |
A.- Ahmet A. verbrachte am 26. April 1978 von 17 Uhr an den ganzen Abend im Restaurant Löwen in B. und nahm dort eine grössere Menge alkoholischer Getränke zu sich. Um etwa 02.30 Uhr begann er plötzlich zu randalieren und gegen die Anwesenden tätlich zu werden. Der Wirt erlitt dabei leichtere Verletzungen. Auf dessen Geheiss und auf entsprechenden Hinweis der telephonisch verständigten Polizei, man werde wohl selber für Ordnung sorgen können, schafften einige Wirtshausgäste den betrunkenen Ahmet A. ins Freie und brachten ihn auf die Wiese am gegenüberliegenden Strassenrand. Die Gäste kehrten ins Lokal zurück. Nach einigen Minuten erhob sich Ahmet A., rannte zum naheliegenden Postwohnblock und schlug dort mit den Händen und möglicherweise mit einem Fusstritt die Glastüre ein. Nach seinen Angaben zog er sich dabei hauptsächlich Schnittverletzungen am linken Handgelenk zu. Dann kehrte er zum Restaurant Löwen zurück und zerbrach dort mit dem linken Vorderarm und der Ellbogenpartie eine Fensterscheibe. Ob er sich dabei weitere Schnittverletzungen zuzog, weiss Ahmet A. nicht.
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B.- Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Thurgau am 22. März 1979 ab. Es erachtete den Tatbestand der Vergehenshandlung im Sinne von Art. 67 Abs. 3 KUVG als erfüllt und erkannte im weiteren, dass das Einschlagen des Türglases und der Fensterscheibe ein Wagnis bilde.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Ahmet A. beantragen, es sei die SUVA in Aufhebung der Verfügung vom 21. Juli 1978 und des Urteils des Versicherungsgerichts des Kantons Thurgau vom 22. März 1979 zu verpflichten, für den streitigen Unfall die gesetzlichen Leistungen zu erbringen, allenfalls gekürzt gemäss Art. 98 Abs. 3 KUVG. Die Begründung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nachstehenden Erwägungen.
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Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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2. a) Gemäss Art. 145 Abs. 1 StGB wird, auf Antrag, mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer eine fremde Sache beschädigt, zerstört oder unbrauchbar macht. Der Beschwerdeführer hatte am fraglichen Abend die Glastüre des Postwohnblocks eingeschlagen. Damit erfüllte er den objektiven Tatbestand der Sachbeschädigung. Unerheblich ist, dass kein Strafantrag gestellt wurde. Es fragt sich hingegen, ob Schuldausschliessungs- oder Rechtfertigungsgründe vorlagen.
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In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird erwogen, dass der Beschwerdeführer in Anbetracht der Tatumstände vollständig unzurechnungsfähig gewesen sein müsse. Verantwortlich hiefür wird vor allem die Alkoholisierung gemacht. In der Tat ist anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Verlaufe des Abends vom 26. April 1978 erhebliche Mengen alkoholischer Getränke zu sich genommen hatte und daher um 02.30 Uhr betrunken war. Indes ist die Fähigkeit, das Unrecht einer strafbaren Handlung einzusehen und einsichtsgemäss zu handeln, auch bei stark Berauschten nur ganz selten vollständig aufgehoben. Das gilt insbesondere bei Delikten, die einfache Tathandlungen erfordern und einen so offensichtlichen Unrechtsgehalt zeigen (wie vorliegend das Einschlagen der Glastüre), dass ihn auch ein getrübtes Bewusstsein noch wahrnehmen kann. Der Beschwerdeführer hatte sich bis etwa 02.30 Uhr unauffällig verhalten. Unvermittelt begann er alsdann zu randalieren, war anschliessend aber vorerst wieder ruhig. Daraus ist zu schliessen, dass er in diesem Zeitpunkt noch ansprechbar war und seine Aggressionen zu beherrschen vermochte. Im weiteren ergibt sich aus den Akten, dass er sich an die späteren Ereignisse ziemlich gut erinnern konnte. Dass er trotz der Alkoholisierung, der Affekte und der Schmerzen in gewissem Umfang noch zielgerichtet denken und handeln konnte, geht aus seinem Verhalten nach dem Einschlagen der Glastüre beim Postwohnblock hervor, als er auf der Suche nach Hilfe für seine Verletzungen zum Restaurant zurückkehrte und wegen der verschlossenen Türe das Fenster einschlug. Angesichts dieser Tatumstände kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine vollständige Unzurechnungsfähigkeit angenommen werden. Gegen diese Feststellung nicht aufzukommen vermag die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretene Auffassung, die völlig unverständliche Handlungsweise des Beschwerdeführers lasse sich einzig durch vollständige Unzurechnungsfähigkeit plausibel erklären, es sei denn, er habe sich in einem Putativnotstand befunden. Abgesehen davon, dass bisweilen auch voll zurechnungsfähige Personen ganz unvernünftige Einzelhandlungen begehen, erscheint das Verhalten des Beschwerdeführers am fraglichen Abend nicht derart uneinfühlbar und abwegig, dass es als gewichtiges Indiz für vollständige Unzurechnungsfähigkeit gewertet werden müsste.
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Als Motive für das Zerschlagen der Postblocktüre kommen aufgrund der Akten aufgestauter Arger wegen familiären und finanziellen Problemen sowie Wut über die Behandlungsweise durch die Wirtsleute und Wirtshausgäste in Frage. Ein Gast erwähnte, dass der Beschwerdeführer wegen der Serviertochter möglicherweise eifersüchtig gewesen sei. Er selber nennt Verlassenheit und Angstgefühle. Welcher dieser Affekte im Vordergrund stand, kann offen bleiben. Massgeblich ist, dass in keinem Fall, auch unter Berücksichtigung der Alkoholisierung, rechtsgenüglich auf einen die Zurechnungsfähigkeit vollständig aufhebenden psychischen Ausnahmezustand geschlossen werden kann. Ebenso wenig liegen hinreichende Anhaltspunkte für einen pathologischen Alkoholrausch vor.
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In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird für den Fall, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Tat nicht vollständig unzurechnungsfähig gewesen sei, hinsichtlich der Beschädigung der Glastüre Putativnotstand geltend gemacht. Notstandshandlung im Sinne von Art. 34 StGB ist der sonst strafbare Eingriff in fremde Rechtsgüter, um eigene oder fremde Rechtsgüter aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu erretten. Die irrtümliche Annahme einer unmittelbaren Gefahr führt zum Putativnotstand. Diesfalls wird der Täter nach dem von ihm vorgestellten günstigeren Sachverhalt beurteilt (Art. 19 Abs. 1 StGB).
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Die Vorinstanz hat in ihrem Entscheid zutreffend begründet, dass der Beschwerdeführer nach Massgabe der Akten die Glastüre am Postwohnblock nicht zufolge einer objektiv vorhandenen Gefahr für seine Person eingeschlagen hatte. Notstand lag somit nicht vor. Zum Putativnotstand wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausgeführt, was sich am fraglichen Abend wirklich abgespielt habe und was der subjektive Grund des Beschwerdeführers für sein Verhalten gewesen sei, lasse sich heute nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren. Man könne nur noch Annahmen treffen. Denkbar sei beispielsweise ohne weiteres, dass der Beschwerdeführer befürchtet habe, die Gäste kämen zurück, um ihn noch einmal zu schlagen. Derartige Erklärungsversuche vermögen jedoch angesichts der Aussagen des Beschwerdeführers nicht zu überzeugen. So gab der Beschwerdeführer am 28. Juni 1976 zu Protokoll, dass er nicht verfolgt worden sei. Er habe sich allein und verlassen gefühlt und Angst verspürt. Dass er sich bedroht wähnte, wird nicht behauptet. Es lässt sich daher nicht sagen, dass die Beschädigung an der Türe des Postwohnblocks aus der irrtümlichen Annahme einer unmittelbaren Gefahr heraus erfolgte. Putativnotstand lag somit aufgrund der Akten nicht vor.
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b) Durch das Einschlagen des Fensters beim Restaurant Löwen hatte der Beschwerdeführer ein weiteres Mal den objektiven Tatbestand der Sachbeschädigung gemäss Art. 145 Abs. 1 StGB erfüllt. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird diesbezüglich argumentiert, der Beschwerdeführer habe sich in einer tatsächlichen Notstandslage befunden, da er verletzt gewesen sei und auch ärztliche Hilfe gesucht habe. Es kann offen bleiben, ob diese Würdigung des Sachverhalts zutrifft. Denn selbst wenn es sich bei dieser Sachbeschädigung um eine Nottat gehandelt haben sollte, könnte der Richter den Beschwerdeführer nicht von Strafe freisprechen. Die dem Beschwerdeführer drohende Gefahr im Gefolge seiner Verletzungen ist nach Massgabe der vorstehenden Erwägungen fraglos selbstverschuldet, was nach Art. 34 Ziff. 1 Abs. 2 StGB in Verbindung mit Art. 66 StGB lediglich zu einer Strafmilderung nach freiem Ermessen führt.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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