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30. Auszug aus dem Urteil vom 17. August 1981 i.S. Horat gegen Eidgenössische Ausgleichskasse und Rekurskommission Uri für die AHV/IV/EO | |
Regeste |
Art. 43bis Abs. 1 AHVG, 42 Abs. 2 IVG und 36 Abs. 1 IVV. |
- Die Hilfe ist erheblich, wenn sie bei einer Teilfunktion einer einzelnen Lebensverrichtung erforderlich ist. Die in Rz 298.3 der Wegleitung über Invalidität und Hilflosigkeit genannten Beispiele für die Erheblichkeit in Teilfunktionen sind alternativ zu verstehen; die Beispiele sind nicht abschliessend umschrieben (Erw. 1d). |
- Aufgabe der mit der Abklärung der Hilflosigkeit betrauten Personen (Arzt bzw. Fürsorgestelle): Diese haben anzugeben, worin die notwendigerweise zu leistende Hilfe besteht. Die Beurteilung der Rechtsfrage der Erheblichkeit ist Sache der Verwaltung bzw. des Richters (Erw. 2b). | |
Sachverhalt | |
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B.- Alois Horat liess Beschwerde erheben mit dem Antrag, es sei ihm eine Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit schweren Grades auszurichten. Er machte geltend, dass er bei allen alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig auf die Hilfe seiner Ehefrau angewiesen sei und von ihr gepflegt werden müsse.
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C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt der Versicherte den Antrag auf Ausrichtung einer Hilflosenentschädigung erneuern. Auf die Begründung wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
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Die Eidgenössische Ausgleichskasse vertritt die Auffassung, dass es sich vorliegend um einen Grenzfall handle, und enthält sich eines Antrags. Das Bundesamt für Sozialversicherung schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Gemäss Art. 42 Abs. 2 IVG gilt als hilflos, wer wegen der Invalidität für die alltäglichen Lebensverrichtungen (dazu nachstehend Erw. 1c) dauernd der Hilfe Dritter oder der persönlichen Überwachung bedarf.
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Nach Art. 36 Abs. 1 IVV gilt die Hilflosigkeit als schwer, "wenn der Versicherte vollständig hilflos ist. Dies ist der Fall, wenn er in allen alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist und überdies der dauernden Pflege oder der persönlichen Überwachung bedarf".
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b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat sich in mehreren neueren Urteilen mit der Auslegung des Art. 36 Abs. 1 IVV befasst. In BGE 104 V 127 hat es festgehalten, dass der Versicherte im Sinne der ![]() | 9 |
c) Nach der Rechtsprechung zu der bis Ende 1976 geltenden Regelung, welche zwar drei Grade der Hilflosigkeit festlegte, sie aber begrifflich nicht umschrieb (Art. 39 Abs. 2 IVV in der Fassung vom 11. Oktober 1972), galt die Hilflosigkeit dann als schwer, wenn der Versicherte mindestens zu 2/3 hilflos war (BGE 104 V 128 Erw. 1 mit Hinweis). Wohl verwies Art. 42 Abs. 2 IVG schon damals auf die alltäglichen Lebensverrichtungen; angesichts der groben Festlegung der Hilflosigkeitsgrade in alt Art. 39 Abs. 2 IVV sowie im Hinblick darauf, dass nicht bei allen Lebensverrichtungen eine ins Gewicht fallende Hilflosigkeit gegeben sein musste, ![]() | 10 |
"Dazu zählt aber auch das normalmenschliche, der Gemeinschaft angepasste und an diese gewöhnte Verhalten, wie es der Alltag mit sich bringt. Wer zu solchem Verhalten nicht oder nicht mehr fähig ist, muss grundsätzlich ebenfalls als hilflos betrachtet werden. Nach der Verwaltungspraxis ist in diesem Zusammenhang ferner die Herstellung des Kontaktes zur Umwelt zu berücksichtigen. Es ist jedoch zu beachten, dass die notwendige Hilfe bei der Herstellung dieses Kontaktes in der Regel nur als zusätzliches Element, neben anderen nötigen Hilfeleistungen, einen Anspruch auf die Entschädigung zu begründen vermag; unter ganz besonderen Voraussetzungen liessen sich allerdings Fälle denken, bei denen diese Art von Hilfe, für sich allein genommen, bereits leistungsbegründend sein könnte" (ZAK 1970 S. 37 f., 41 f. und 73, 1969 S. 617 und 747; vgl. auch BGE 104 V 128, BGE 98 V 24; EVGE 1969 S. 217; ZAK 1971 S. 37). In BGE 105 V 54 wurden neu auch das Aufstehen, Absitzen und Abliegen sowie die Fortbewegung aufgeführt, während in BGE 106 V 157 das normalmenschliche, der Gemeinschaft angepasste Verhalten weggelassen und nur die Kontaktaufnahme zur Umwelt erwähnt worden ist.
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Da es nach der seit 1977 geltenden Regelung bei der Bemessung der schweren Hilflosigkeit darauf ankommt, ob der Versicherte in allen alltäglichen Lebensverrichtungen hilfsbedürftig ist, und da deren Gesamtzahl auch für die mittelschwere Hilflosigkeit von Bedeutung sein kann (Art. 36 Abs. 2 lit. a IVV), fragt sich, welche Lebensverrichtungen im einzelnen massgebend sind. Das Gesamtgericht, dem diese Rechtsfrage vorgelegt wurde, hat entschieden, dass von der Aufzählung in BGE 106 V 157 auszugehen ist. Hinsichtlich der dort zuletzt als selbständige Lebensverrichtung erwähnten Kontaktaufnahme zur Umwelt sowie des mit dieser zusammenhängenden, ebenfalls im Jahre 1969 in den Katalog aufgenommenen normalmenschlichen Verhaltens hat das Gesamtgericht erkannt, dass beide Funktionen unter dem Begriff "zwischenmenschliche Beziehungen (im Sinne des Kontaktes mit der ![]() | 12 |
1. Ankleiden, Auskleiden;
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2. Aufstehen, Absitzen, Abliegen;
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3. Essen;
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4. Körperpflege;
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5. Verrichten der Notdurft;
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6. Fortbewegung (im oder ausser Haus), Kontaktaufnahme.
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d) Nach den Ausführungen in Erw. 1b hievor genügt es, dass der Versicherte in den einzelnen Lebensverrichtungen "in erheblicher Weise" Dritthilfe benötigt. Wo eine einzelne Lebensverrichtung mehrere Teilfunktionen umfasst, ist nicht verlangt, dass der Versicherte bei der Mehrzahl derselben fremder Hilfe bedarf. Vielmehr ist gemäss Beschluss des Gesamtgerichts bloss erforderlich, dass der Versicherte bei einer dieser einzelnen Teilfunktionen regelmässig in erheblicher Weise auf direkte oder indirekte Dritthilfe angewiesen ist. Die in Rz 298.3 der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherung über Invalidität und Hilflosigkeit (gültig ab 1. Januar 1979) aufgeführten, im übrigen als nicht abschliessend zu betrachtenden Beispiele für die Erheblichkeit der Hilfe in Teilfunktionen sind deshalb alternativ zu verstehen. In diesem Sinne ist die Hilfe beispielsweise bereits erheblich:
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- bei der Körperpflege, wenn der Versicherte sich nicht selber waschen oder kämmen oder rasieren oder nicht selber baden bzw. duschen kann;
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- bei Fortbewegung und Kontaktaufnahme, wenn der Versicherte im oder ausser Hause sich nicht selber fortbewegen kann oder wenn er bei der Kontaktaufnahme Dritthilfe benötigt.
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a) ...
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b) ... Dem Beschwerdeführer muss beim An- und Ausziehen der Oberkörperbekleidung (Hemden, Trainer, Jacken) geholfen werden; da es hierbei um unentbehrliche Kleidungsstücke geht, ist die Hilfe erheblich (vgl. Rz 298.3 der bundesamtlichen Wegleitung über Invalidität und Hilflosigkeit). Dies wird denn auch im vorinstanzlichen Entscheid nicht in Frage gestellt, ebensowenig wie die Erheblichkeit der Hilfe beim Aufstehen, Absitzen und Abliegen.
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Hinsichtlich des Essens wurde im Schreiben des Paraplegikerzentrums ausgeführt, dass man "die vollständige Abhängigkeit von Drittpersonen in allen Punkten, ausser beim Essen bestätigen" könne. Nach dem in Erw. 1b Gesagten bedarf es aber in den einzelnen Lebensverrichtungen "erheblicher", nicht "vollständiger" Hilflosigkeit. Das Paraplegikerzentrum schränkte denn auch seine Aussage insofern ein, als es hinzufügte, dass zum Essen "aber auch eine entsprechende Vorbereitung und Bereitstellung (gehört), in welcher der Patient wieder bereits behindert ist". Wenn die Tochter des Beschwerdeführers in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erwähnt, ihr Vater könne die Nahrung wohl selber zu sich nehmen, doch müsse sie auf den Teller geschöpft und zerschnitten werden, so ist dies durchaus glaubhaft und wird durch das Paraplegikerzentrum bestätigt. Da somit davon ausgegangen werden muss, dass der Beschwerdeführer die Nahrung nicht selber zerkleinern kann, ist die Hilfe auch beim Essen als erheblich zu betrachten. Zu ergänzen ist, dass Dr. med. B. sich im Schreiben vom 14. Mai 1979 ausdrücklich den Feststellungen des Paraplegikerzentrums anschloss und mithin von der im Zusatzbericht vom ![]() | 26 |
Im Gegensatz zur Vorinstanz muss die Erheblichkeit der Hilfe vorliegend auch bei der Körperpflege bejaht werden. Es kommt dabei nicht auf eine gesamthafte Betrachtung aller zur Körperpflege gehörenden Teilfunktionen an. Vielmehr ist hier entscheidend, dass als Folge der Inkontinenz eine tägliche Reinigung des Körpers notwendig und dass der Beschwerdeführer dabei auf Dritthilfe angewiesen ist. Ferner ist die Hilfe auch beim Verrichten der Notdurft erheblich, was denn auch nirgends in Zweifel gezogen wird.
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Bei der sechsten Lebensverrichtung (Fortbewegung im oder ausser Haus, Kontaktaufnahme) ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer wegen der degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule und der dadurch bedingten Schmerzen und Kraftverminderung sich mit dem Rollstuhl nur mühsam vorwärts- und rückwärtsbewegen kann, wobei schon kleine Schwellen und andere Hindernisse Dritthilfe notwendig machen. Da der Beschwerdeführer sich somit nicht selbständig von einem Raum in den andern begeben kann, ist die Hilfe auch hier erheblich. Im Rahmen dieser Lebensverrichtung müsste die Erheblichkeit im übrigen auch schon deshalb bejaht werden, weil ein selbständiges Fortbewegen ausser Haus wohl ausgeschlossen ist. Bei diesem Ergebnis kann offenbleiben, ob der Beschwerdeführer bei der Teilfunktion "Kontaktaufnahme" hilfsbedürftig ist.
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Es steht damit fest, dass der Beschwerdeführer in allen alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist.
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c) Zu prüfen bleibt, ob der Beschwerdeführer auch der dauernden Pflege oder der dauernden persönlichen Überwachung bedarf.
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d) Zusammenfassend ergibt sich, dass der Beschwerdeführer in schwerem Grade hilflos ist, weshalb ihm eine Hilflosenentschädigung der AHV zusteht.
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Der Beschwerdeführer verunfallte am 5. Juli 1977 und ist seither schwer hilflos. Die am genannten Tage eröffnete 360tägige Wartezeit endigte demnach Ende Juni 1978. Da somit in diesem Monat sämtliche Voraussetzungen erfüllt waren, ist die Hilflosenentschädigung dem Beschwerdeführer gemäss Art. 43bis Abs. 2 AHVG ab 1. Juni 1978 auszurichten (vgl. Anhang II der Wegleitung über Invalidität und Hilflosigkeit). Es ist Sache der Ausgleichskasse, darüber noch eine Verfügung zu erlassen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid der Rekurskommission Uri für die AHV-IV-EO vom 5. Januar 1979 und die Verfügung der Eidgenössischen Ausgleichskasse vom 19. Oktober 1978 aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer ab 1. Juni 1978 Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der AHV hat.
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