BGE 109 V 70 | |||
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15. Urteil vom 19. Mai 1983 i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zürich gegen Hediger und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 24 Abs. 1 AHVV. |
- Auch bei der sog. bloss "provisorischen" Verfügung ist der Beitragspflichtige auf die Beschwerdeführung angewiesen, wenn er den Eintritt der Rechtskraft verhindern will. |
Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG. Zusprechung einer Parteientschädigung bei Gegenstandslosigkeit der Beschwerde, wenn es die prozessuale Situation rechtfertigt. | |
Sachverhalt | |
A.- Josef Hediger ist der Ausgleichskasse des Kantons Zürich als Selbständigerwerbender angeschlossen. Mit Verfügung vom 31. März 1982 setzte die Ausgleichskasse seine persönlichen Sozialversicherungsbeiträge für die Jahre 1982 und 1983, ausgehend von einem beitragspflichtigen jährlichen Einkommen von Fr. ..., auf je Fr. ... fest. Weil eine Wehrsteuermeldung für die 21. Wehrsteuerperiode (Berechnungsjahre 1979/1980) nicht vorlag, berechnete die Ausgleichskasse die Beiträge provisorisch aufgrund der Wehrsteuermeldung für die 20. Periode (Berechnungsjahre 1977/1978).
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B.- Gegen diese Verfügung liess Josef Hediger Beschwerde erheben mit dem Antrag, das massgebende jährliche Einkommen sei auf bloss Fr. ... festzulegen. Während dieses Beschwerdeverfahrens entsprach die Ausgleichskasse dem Begehren des Versicherten vollumfänglich und ersetzte die angefochtene Verfügung durch Verfügungen vom 25. Juni 1982. Darauf schrieb die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich das Verfahren am 7. Juli 1982 als gegenstandslos ab unter Zusprechung einer Parteientschädigung von Fr. 150.-- an den durch eine Treuhand- und Revisionsgesellschaft vertretenen Josef Hediger.
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C.- Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei Ziffer 2 des Dispositivs der vorinstanzlichen Abschreibungsverfügung aufzuheben, womit Josef Hediger eine Parteientschädigung von Fr. 150.-- zugesprochen wurde. Während Josef Hediger die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen lässt, schliesst das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf deren Gutheissung.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
1. Gemäss Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG hat der im kantonalen AHV-Prozess obsiegende Beschwerdeführer Anspruch auf Ersatz der Kosten der Prozessführung und Vertretung nach gerichtlicher Festsetzung. Nach der Rechtsprechung ist die Entschädigungspflicht gemäss Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG nicht nur auf die anwaltsmässige Vertretung beschränkt (ZAK 1980 S. 123 f. Erw. 4). Das Eidg. Versicherungsgericht hat weiter Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG in dem Sinne ausgelegt, dass die Beschwerdeinstanz auch bei Gegenstandslosigkeit der Beschwerde eine Parteientschädigung zuzusprechen hat, wenn die prozessuale Situation dies rechtfertigt (BGE 106 V 124 und 107 V 127).
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a) Die Ausgleichskasse macht in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde im wesentlichen geltend, der Beschwerdegegner habe nach den Umständen - insbesondere auch im Hinblick auf das analoge Verfahren aus der vorangegangenen Beitragsperiode - gewusst, dass es sich bei der Verfügung vom 31. März 1982 nur um eine "provisorische" gehandelt habe und dass er sich zunächst an die Verwaltung selber hätte wenden sollen; damit hätte sich die Beschwerdeführung erübrigt. Die durch die Beschwerdeführung verursachten Kosten seien daher nicht "notwendig" gewesen und demzufolge von der Ausgleichskasse auch nicht zu ersetzen. Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG dürfe nicht so verstanden werden, dass dann, wenn die Ausgleichskasse im Vernehmlassungsverfahren eine angefochtene Beitragsverfügung durch eine neue "provisorische" Verfügung in Wiedererwägung ziehe, ein absoluter Rechtsanspruch auf Parteientschädigung bestehe. Dies würde dem seit 1980 eingeführten EDV-Verfahren der Ausgleichskasse nicht Rechnung tragen, wonach gemäss Computerprogramm mangels einer rechtzeitigen Steuermeldung der massgebenden Wehrsteuerperiode das beitragspflichtige Erwerbseinkommen der vorangehenden Beitragsperiode übernommen und gestützt darauf der Beitrag für die laufende Periode provisorisch festgesetzt werde. Der Beitragspflichtige, der sich mit der provisorischen Festsetzung nicht einverstanden erklären könne, nehme denn auch in der Regel mit der Taxationsabteilung der Ausgleichskasse Verbindung auf und verlange eine provisorische Anpassung; in den wenigsten Fällen werde das gleiche Ergebnis auf dem Beschwerdeweg angestrebt. Hätte sich der Beschwerdegegner sofort nach Erlass der Beitragsverfügung vom 31. März 1982 mit der Ausgleichskasse in Verbindung gesetzt, so hätte er dadurch "das (Verwaltungs-)Verfahren ebenfalls zu dem für ihn günstigen Ende geführt". Somit habe auch unter diesem Gesichtspunkt keine Notwendigkeit für eine Verbeiständung und die dadurch verursachten Kosten bestanden. Schliesslich sei denn auch im vorangegangenen analogen Verfahren keine Parteientschädigung zugesprochen worden.
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Das BSV argumentiert in seiner Stellungnahme zur Hauptsache ebenfalls dahingehend, dass in einem solchen Fall einer bloss "provisorischen" Beitragsverfügung deren Rücknahme - d.h. die Aufhebung dieser Verfügung pendente lite - "im Rahmen der Beitragsfestsetzung mangels Steuermeldung nicht die übliche Bedeutung des Obsiegens (im Sinne eines Abstandes mit materieller Rechtskraft)" zukomme, weshalb eine Parteientschädigung im Normalfall nicht angebracht sei. Dass die Verfügung vom 31. März 1982 den Vermerk der bloss provisorischen Beitragsfestsetzung gemäss Wegleitung über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen, gültig ab 1. Januar 1980, Rz. 136a Abs. 2, nicht enthalten habe, sei vorliegendenfalls unerheblich, weil der Beschwerdegegner rechtskundig vertreten gewesen sei und weil der gleiche Vertreter aufgrund früherer Erfahrungen, wie dies aus den Vorakten ersichtlich sei, um die Vorläufigkeit der fraglichen Verfügung gewusst habe.
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b) Ausgleichskasse und BSV scheinen aufgrund ihrer Ausführungen die rechtliche Natur der in Frage stehenden sogenannten "provisorischen" Verfügung zu verkennen, die gemäss Verwaltungspraxis in analoger Anwendung von Art. 24 Abs. 1 AHVV, jedoch unter Verzicht auf die darin erwähnte Voraussetzung des Beitragsverlustes erlassen wird, wenn die Steuermeldung noch nicht eingetroffen ist und der Beitragspflichtige die von der Ausgleichskasse vorläufig bestimmten Zahlungen auf Rechnung der noch nicht endgültig festgesetzten Beitragsschuld nicht oder nicht rechtzeitig leistet (vgl. ZAK 1978 S. 308). Ihre rechtliche Qualifikation kann nämlich nicht anders sein als diejenige der "normalen" Verfügung im ausserordentlichen Beitragsfestsetzungsverfahren gemäss Art. 24 AHVV. Hiezu hat das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil Hug vom 24. August 1981 (ZAK 1982 S. 187) folgendes ausgeführt:
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"Anderseits hat der Beitragspflichtige nach dem oben Gesagten das
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Recht, beschwerdeweise während der Rechtsmittelfrist alle ihm
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gutscheinenden Einwände gegen die Beitragsverfügung zu erheben. Die
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Rekursbehörde hat dann die gegen die Beitragsverfügung vorgetragenen Rügen
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zu beurteilen. Nach unbenütztem Ablauf der Beschwerdefrist erwächst die
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Beitragsverfügung in Rechtskraft, und es könnte - abgesehen vom Vorbehalt
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des Art. 25 Abs. 5 AHVV - nur noch darauf zurückgekommen werden bei
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Entdeckung neuer Tatsachen oder Beweismittel bzw. wegen zweifelloser
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Demzufolge ist auch ein von der sogenannten bloss "provisorischen" Beitragsverfügung Betroffener auf die Beschwerdeführung angewiesen, wenn er den Eintritt der Rechtskraft und der daraus resultierenden Folgen verhindern will.
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Gegebenenfalls ändert an diesem Beschwerderecht bzw. an der allfälligen Notwendigkeit der Beschwerdeführung auch der Umstand nichts, dass die sogenannte "provisorische" Verfügung einstweilen wiederum nur durch eine - verbesserte - neue "provisorische" Verfügung ersetzt werden kann, bis dann eventuell diese Verfügung ebenfalls noch aufgrund der inzwischen eingegangenen Steuermeldung zu korrigieren ist (in analoger Anwendung von Art. 25 Abs. 5 AHVV und gemäss Rz. 136c der erwähnten Wegleitung). Und dass diese endgültige Festlegung der geschuldeten Beiträge doch noch zu Ungunsten des im Beschwerdeverfahren betreffend die "provisorische" Verfügung obsiegenden Beschwerdeführers ausgehen könnte, bildet entgegen der Auffassung des BSV keinen Grund dafür, dem im eben genannten Beschwerdeverfahren obsiegenden Beschwerdeführer keine Parteientschädigung zuzusprechen.
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c) Der Ausgleichskasse scheint aufgrund ihrer Ausführungen ein Verfahrensgang vorzuschweben, bei welchem der gesetzlichen Beschwerdeführung noch ein Einspracheverfahren vorausgehen würde, auf das der Beitragspflichtige nur auf eigenes Prozessrisiko hin verzichten könnte. Für ein solches Verfahren, das im Hinblick auf den auf Computer umgestellten Geschäftsablauf der Ausgleichskasse durchaus praktisch sein könnte, fehlt indessen die gesetzliche Grundlage.
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d) Der Ausgleichskasse kann darin nicht beigepflichtet werden, Sachverhalt und Rechtslage seien so einfach gewesen, dass sich der Beizug eines Sachverständigen nicht gerechtfertigt habe, und ebensowenig gerechtfertigt ist die Rüge, die zugesprochene Parteientschädigung von Fr. 150.-- sei unverhältnismässig hoch. Schliesslich kann die Ausgleichskasse aus dem Umstand, dass im früheren Verfahren aus aktenmässig nicht bekannten Gründen keine Parteientschädigung zugesprochen wurde, ebenfalls nichts zu ihren Gunsten ableiten.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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