BGE 109 V 75 | |||
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16. Urteil vom 26. Mai 1983 i.S. Alberts gegen Schweizerische Ausgleichskasse und Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen | |
Regeste |
Art. 29 Abs. 1, 31 Abs. 3 lit. a und Abs. 4 AHVG. |
- Die über 62jährige Frau, deren Ehemann stirbt und welche die Voraussetzungen zum Bezug einer Witwenrente erfüllt, hat auch dann Anspruch auf eine gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. a AHVG zu berechnende ordentliche einfache Altersrente, wenn sie persönlich nicht während mindestens eines vollen Jahres Beiträge im Sinne von Art. 29 Abs. 1 AHVG geleistet hat (Erw. 2b). |
Art. 23 Abs. 2 AHVG (alt Art. 41 AHVG). Die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten muss bei der Scheidung, die nach ausländischem Recht ausgesprochen worden ist, nicht im Scheidungsurteil oder in einer vom Scheidungsrichter genehmigten Scheidungskonvention festgesetzt sein; es genügt vielmehr, dass die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten auf einem nach dem betreffenden ausländischen Recht gültigen und vollstreckbaren Rechtstitel beruht (Änderung der Rechtsprechung; Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
A.- Die am 25. Mai 1912 geborene deutsche Staatsangehörige Herta Alberts-Geithe hatte sich am 16. März 1935 mit dem deutschen Staatsangehörigen Heinrich Alberts verheiratet. Dieser entrichtete in den Jahren 1952 bis 1973 Beiträge an die schweizerische Sozialversicherung. Am 23. Oktober 1974 wurde die Ehe durch das Landgericht Oldenburg geschieden. Über die Frage der Unterhaltspflicht spricht sich das Scheidungsurteil nicht aus, doch hatte sich Heinrich Alberts gemäss undatiertem, noch vor der Urteilsverkündung abgeschlossenem Vergleich zur Leistung eines Unterhaltsbeitrages von DM 200.-- monatlich an seine Ehefrau verpflichtet. Diese Vereinbarung hat er regelmässig eingehalten. Nachdem Heinrich Alberts am 12. August 1979 verstorben war, meldete sich Herta Alberts im November 1979 zum Bezug einer Witwenrente der AHV an. Die Schweizerische Ausgleichskasse wies dieses Begehren mit Verfügung vom 10. Januar 1980 ab, da Heinrich Alberts bei der Scheidung nicht gerichtlich zur Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen an seine geschiedene Frau verpflichtet worden sei.
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B.- Beschwerdeweise liess Herta Alberts ihr Begehren um Zusprechung einer Witwenrente erneuern. Zur Begründung wurde im wesentlichen vorgebracht, Art. 23 Abs. 2 AHVG setze nicht das Vorliegen eines gerichtlichen Titels über die Unterhaltspflicht voraus. Nach dem bis 1977 geltenden deutschen Recht sei eine Scheidungsübereinkunft ohne gerichtliche Genehmigung üblich gewesen, und vorliegend hätte die Unterhaltsvereinbarung vom Richter gar nicht genehmigt werden können, da Heinrich Alberts auf den Beizug eines Anwalts verzichtet habe. Der damals abgeschlossene Vergleich sei einer gerichtlich genehmigten Scheidungskonvention gleichzusetzen. - Die Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen wies die Beschwerde unter Hinweis auf die ständige Praxis des Eidg. Versicherungsgerichts ab (Entscheid vom 4. Februar 1981).
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C.- Herta Alberts lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihr eine Witwenrente auszurichten.
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Die Schweizerische Ausgleichskasse beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt in seiner Stellungnahme aus, dass der Versicherten aus Altersgründen gegebenenfalls eine einfache Altersrente, nicht aber eine Witwenrente ausgerichtet werden könnte, und schliesst unter diesem Titel auf Abweisung der A.
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Im zweiten Schriftenwechsel lässt Herta Alberts die Zusprechung einer einfachen Altersrente, eventualiter einer Witwenrente beantragen. Die Schweizerische Ausgleichskasse hält an ihrem Antrag auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde fest.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Grundsätzlich kann der Sozialversicherungsrichter nur solche Rechtsverhältnisse überprüfen, zu denen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich, d.h. in Form einer Verfügung Stellung genommen hat. Ausnahmsweise darf das verwaltungsgerichtliche Verfahren indessen aus prozessökonomischen Gründen auf eine weitere spruchreife Streitfrage ausgedehnt werden, wenn diese mit dem bisherigen Streitgegenstand derart eng zusammenhängt, dass von einer Tatbestandsgesamtheit gesprochen werden kann, und wenn sich die Verwaltung zu dieser Streitfrage mindestens in Form einer Prozesserklärung geäussert hat (BGE 106 V 25 Erw. 3a, BGE 104 V 180 mit Hinweisen).
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Im vorliegenden Fall besteht zwischen dem Inhalt der angefochtenen Verfügung und dem erwähnten Antrag in der Ergänzung zur A ein enger Sachzusammenhang: Bei der Beurteilung des Anspruchs auf eine einfache Altersrente der geschiedenen Frau stellen sich Rechtsfragen, welche mit denjenigen einer Witwenrente der geschiedenen Frau sachlich eng zusammenhängen. Es ist denn auch vorwiegend eine Frage des von Amtes wegen anzuwendenden Rechts, ob die Rentenleistung unter dem Titel einer einfachen Altersrente oder einer Witwenrente zu gewähren sei (BGE 96 V 71). Vorliegend haben die Parteien auch zur Frage des Anspruchs auf eine einfache Altersrente ausdrücklich und mit bestimmten Anträgen Stellung genommen. Der Ausdehnung des Verfahrens auf diesen ausserhalb der Kassenverfügung liegenden Streitpunkt steht daher nichts entgegen.
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a) Der Ehemann der Beschwerdeführerin ist am 12. August 1979 und somit nach deren vollendetem 62. Altersjahr verstorben. Die Beschwerdeführerin hat daher unter anderem aus Altersgründen keine Witwenrente der AHV beziehen können. Das BSV hält in seiner Stellungnahme zur A dafür, dass die Voraussetzungen von Art. 31 Abs. 3 lit. a AHVG jedoch auch dann als erfüllt gelten könnten, wenn der Tod des geschiedenen Mannes erst nach der Vollendung des 62. Altersjahres der Frau eintritt und diese lediglich aus Altersgründen keine Witwenrente hat beanspruchen können. Dem pflichtet das Eidg. Versicherungsgericht bei. Es erscheint daher als gerechtfertigt, die "geschiedene Witwe" in dieser Hinsicht der "Witwe" gleichzustellen und die Erfordernisse von Art. 31 Abs. 3 lit. a AHVG auch dann als erfüllt zu betrachten, wenn der Tod des Ehemannes erst nach der Vollendung des 62. Altersjahres der Frau eingetreten ist.
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b) Des weitern stellt sich die Frage, ob die Berechnung der einfachen Altersrente auch dann nach Art. 31 Abs. 3 lit. a AHVG erfolgen kann, wenn die Rentenansprecherin - wie im vorliegenden Fall - persönlich die einjährige Mindestbeitragsdauer gemäss Art. 29 Abs. 1 AHVG nicht erfüllt hat. Das ist zu bejahen. Nach den zutreffenden Ausführungen des BSV muss weder die geschiedene Frau, die bis zur Vollendung des 62. Altersjahres eine Witwenrente bezogen hat, noch die Ehefrau, die das 62. Altersjahr erfüllt hat und deren Ehemann stirbt, persönlich Beiträge an die AHV geleistet haben, um eine auf der Grundlage der Ehepaar-Altersrente berechnete einfache Altersrente beanspruchen zu können. Es besteht kein Anlass, bei einer über 62jährigen Frau, deren geschiedener Mann stirbt und welche die übrigen Voraussetzungen zum Bezug einer Witwenrente erfüllt, eine hievon abweichende Rentenberechnung vorzunehmen. Demnach könnte der Beschwerdeführerin eine gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. a AHVG zu berechnende einfache Altersrente zustehen, sofern sie die für den Anspruch auf eine Witwenrente erforderlichen Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 2 AHVG erfüllt. Zu prüfen ist daher, ob die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen gegeben sind.
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3. a) Gemäss Art. 23 Abs. 2 AHVG ist die geschiedene Frau nach dem Tode ihres geschiedenen Ehemannes der Witwe gleichgestellt, sofern der Mann ihr gegenüber zu Unterhaltsbeiträgen "verpflichtet war" und die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat. Nach Art. 41 AHVG (in der seit 1. Januar 1964 bis Ende 1972, d.h. bis zur 8. AHV-Revision gültig gewesenen Fassung) wurde die gemäss Art. 23 Abs. 2 AHVG einer geschiedenen Frau zukommende Witwenrente gekürzt, soweit sie den der Frau "gerichtlich zugesprochen gewesenen" Unterhaltsbeitrag überschritt. Dazu hat das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt erkannt, dass die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten im Hinblick auf den zitierten Art. 41 AHVG im Scheidungsurteil oder in einer vom Scheidungsrichter genehmigten Scheidungskonvention festgelegt sein müsse (EVGE 1969 S. 81, 1959 S. 195 mit Hinweisen). Dabei hat das Gericht festgestellt, dass sich diese Regelung an die schweizerische zivilrechtliche Ordnung halte, wonach der geschiedene Mann der geschiedenen Frau bloss Unterhaltsbeiträge entrichten müsse, sofern und soweit eine entsprechende Pflicht im Scheidungsurteil oder in einer vom Scheidungsrichter genehmigten - und damit Bestandteil des Urteils gewordenen - Scheidungskonvention der Parteien festgesetzt worden sei (EVGE 1969 S. 82, 1959 S. 195 mit Hinweisen). Art. 23 Abs. 2 AHVG wurde deshalb als Ausnahmevorschrift zugunsten jener Frauen betrachtet, die gegenüber ihrem verstorbenen, geschiedenen Ehemann einen vollstreckbaren oder doch vom Richter grundsätzlich anerkannten Anspruch auf Unterhaltsbeiträge hatten.
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b) Anlässlich der 8. AHV-Revision vertrat der Bundesrat in seiner Botschaft vom 11. Oktober 1971 die Auffassung, dass es nicht als wünschenswert erscheine, durch eine Teilrevision der AHV den Revisionsbestrebungen im Familienrecht vorzugreifen (BBl 1971 II 1089 und 1096 f.). Der Gesetzesentwurf beschränkte sich daher auf eine Korrektur, die sich im Rahmen des Versorgerprinzips hielt. Es sollte bei der Witwenrente der geschiedenen Frau der Mindestbetrag der ordentlichen Vollrente von der Kürzung ausgenommen werden. Der Entwurf sah dafür in Art. 41 folgende Ergänzung vor (letzter Satz): "Die Kürzung unterbleibt, soweit der Unterhaltsbeitrag den Mindestbetrag der ordentlichen Vollrente nicht übersteigt" (BBl 1971 II 1176). Im Parlament dagegen wurde auf Antrag der Kommission des Nationalrates die Bestimmung über die Kürzung der der geschiedenen Frau zukommenden Witwenrente auf die ihr zustehenden Unterhaltsbeiträge mit Wirkung ab 1. Januar 1973 diskussionslos gestrichen (Amtl. Bull. der Bundesversammlung 1972, NR S. 397, SR S 301).
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c) Mit der vollständigen Aufhebung des damaligen Art. 41 AHVG fiel die Kürzung der Witwenrente auf den Betrag des gerichtlich zugesprochen gewesenen Unterhaltsbeitrages weg. Es erscheint deshalb heute nicht mehr als gerechtfertigt, am Erfordernis der gerichtlichen Verpflichtung zu Unterhaltsbeiträgen auch in jenen Fällen festzuhalten, in denen nach ausländischem Recht zwar nicht gerichtlich festgesetzte, aber gleichwohl vollstreckbare Ansprüche auf Unterhaltsleistungen vorliegen. Die in Art. 23 Abs. 2 AHVG genannte Verpflichtung des Ehemannes zu Unterhaltsbeiträgen gegenüber der geschiedenen Ehefrau muss demnach bei Scheidungen, die nach ausländischem Recht ausgesprochen worden sind, nicht mehr im Scheidungsurteil oder in einer vom Scheidungsrichter genehmigten Scheidungskonvention festgesetzt sein. Es genügt vielmehr, dass die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten auf einem nach ausländischem Recht gültigen und vollstreckbaren Rechtstitel beruht. Dabei sind die in diesem Zusammenhang sich stellenden Fragen des ausländischen Rechts, soweit möglich, von Amtes wegen abzuklären (BGE 108 V 124 Erw. 3a, BGE 81 I 376 mit Hinweisen; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung I S. 550 f.). Die in BGE 105 V 49 ohne nähere Begründung erfolgte Bestätigung der noch unter dem altrechtlichen Art. 41 AHVG entwickelten Rechtsprechung kann somit nicht aufrechterhalten werden.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid der Eidgenössischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen vom 4. Februar 1981 sowie die angefochtene Kassenverfügung vom 10. Januar 1980 aufgehoben und es wird die Sache an die Schweizerische Ausgleichskasse zurückgewiesen, damit sie über die der Beschwerdeführerin zustehende Altersrente im Sinne von Erwägung 4 neu verfüge.
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