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29. Urteil vom 30. August 1983 i.S. Mathys gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 98 Abs. 3 KUVG: Kürzung der Versicherungsleistungen wegen Nichttragens der Sicherheitsgurten. |
- Aufgrund der wissenschaftlich gesicherten Erfahrungen mit Sicherheitsgurten ist der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Nichttragen der Gurten und den erlittenen Verletzungen im Regelfall als gegeben zu betrachten. | |
Sachverhalt | |
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Mit Verfügung vom 6. Dezember 1978 kürzte die SUVA ihre Leistungen um 10%. Dazu führte sie aus, beim Tragen der Sicherheitsgurten wären die Verletzungen aus ärztlicher Sicht zumindest weniger schwer ausgefallen; deshalb treffe den Versicherten ein grobes Verschulden an den Unfallfolgen.
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B.- Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 20. Dezember 1979 ab.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt der Versicherte beantragen, es seien Verfügung und vorinstanzlicher Entscheid aufzuheben und die Versicherungsleistungen in voller Höhe zu erbringen. Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
1. Gemäss Art. 98 Abs. 3 KUVG werden die Versicherungsleistungen nach Massgabe des Verschuldens gekürzt, wenn der Versicherte den Unfall grobfahrlässig herbeigeführt hat. Nach ständiger Rechtsprechung handelt grobfahrlässig, wer jene elementaren Vorsichtsgebote unbeachtet lässt, die jeder verständige ![]() | 5 |
Wie das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil Ticozzi vom 8. März 1978 (BGE BGE 104 V 36 = Pra 67 Nr. 252) entschieden und seither mehrmals bestätigt hat (nicht veröffentlichte Urteile Stöckli vom 26. Mai 1983, Vannay vom 14. August 1981 und Keiser vom 29. Oktober 1980 sowie die in BGE 107 V 241 nicht veröffentlichte Erw. 4 des Urteils H. vom 12. November 1981), stellt das Nichttragen der Sicherheitsgurten grundsätzlich eine grobe Fahrlässigkeit dar, welche eine Kürzung der Versicherungsleistungen rechtfertigt, wenn zwischen einem solchen Verschulden und dem Unfallereignis oder seinen Folgen ein adäquater Kausalzusammenhang besteht.
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Dagegen wendet der Beschwerdeführer ein, volle Schutzwirkung könnten Sicherheitsgurten vor allem innerorts entfalten; mit zunehmender Geschwindigkeit lasse sie jedoch rasch nach. Im vorliegenden Fall müsse von einer hohen Kollisionsgeschwindigkeit ausgegangen werden. Die beim Unfall erlittenen Verletzungen seien weitgehend gurtunabhängig und hätten auch beim Tragen der Gurten auftreten können. Dies gelte insbesondere für die Gehirnerschütterung, da die Gefahr von Kopfverletzungen trotz Benützens der Gurten bei weitem noch nicht gebannt sei. Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Nichttragen und den Verletzungen müsse darum verneint werden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die angegurtete Beifahrerin praktisch gleich schwere Verletzungen erlitten habe, obwohl die verletzungshemmende Wirkung bei Passagiergurten im allgemeinen viel höher sei als bei Fahrergurten.
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3. a) Nach der Rechtsprechung hat ein Ereignis dann als adäquate Ursache eines Erfolges zu gelten, wenn es nach dem ![]() | 9 |
b) Wie das Eidg. Versicherungsgericht im (oben erwähnten) Urteil Ticozzi ausgeführt hat, verhindern Sicherheitsgurten, dass angegurtete Personen bei einer starken Negativbeschleunigung vom Sitz gehoben und mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und das Armaturenbrett geschleudert werden. Somit vermögen sie die Gefahr von Verletzungen, die im Vergleich zur Kollisionswucht unverhältnismässig schwer sein können, erheblich zu verringern, wenn sich der Unfall bei mässiger Geschwindigkeit ereignet, und grössere Sicherheit zu garantieren, wenn der Zusammenstoss bei hoher Geschwindigkeit erfolgt; in solchen Fällen können namentlich die gewöhnlich sehr schweren Folgen eines möglichen Hinausschleuderns aus dem Fahrzeug verhütet werden (BGE 104 V 40).
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Zwar haben Untersuchungen ergeben, dass die Schutzwirkung von Sicherheitsgurten bei mittleren und niedrigeren Geschwindigkeiten grösser ist als bei höheren Geschwindigkeiten (Unfalluntersuchung Sicherheitsgurten, EJPD Mai 1977, S. 19 und 71; F. WALZ, Unfalluntersuchung Autoinsassen, EJPD März 1982, S. VII f.; BBl 1979 I 240). Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, die Schutzwirkung entfalte sich vorwiegend innerorts und gehe ausserorts allgemein so stark zurück, dass ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Nichttragen der Gurten und den Unfallfolgen in der Regel verneint werden müsse. So finden sich denn auch in den erwähnten Unfalluntersuchungen über Autoinsassen und über Sicherheitsgurten keine Hinweise dafür, dass die Schutzwirkung von Sicherheitsgurten bei Ausserortsunfällen grundsätzlich anders beurteilt und insofern generell zwischen Innerorts- und Ausserortsunfällen unterschieden werden muss. Es wäre darum verfehlt zu glauben, angesichts der ![]() | 11 |
Wie durch zahlreiche in- und ausländische Studien und Statistiken überzeugend nachgewiesen ist, werden Autoinsassen durch richtig angelegte Sicherheitsgurten wirksam geschützt, sei es dass Verletzungen überhaupt vermieden werden, sei es dass die Verletzungen weniger schwer ausfallen als beim Nichttragen der Gurten (Unfalluntersuchung Autoinsassen S. VII und 53; Unfalluntersuchung Sicherheitsgurten S. 1, 98 und 153; BBl 1979 I 239 f., Entscheid der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 13. Dezember 1979, EuGRZ 1980 S. 170). Und zwar gilt dies praktisch für alle Unfallsituationen, insbesondere aber für Frontalkollisionen, welche den höchsten Traumatisierungsgrad aufweisen, sowie für Seitenkollisionen und Überschläge (Unfalluntersuchung Autoinsassen S. VII und 41 ff.; Unfalluntersuchung Sicherheitsgurten S. 67, 77 f., 83 ff. und 155 f.; BBl 1979 I 239 ff.). Aufgrund der wissenschaftlich gesicherten Erfahrungen mit Sicherheitsgurten kann daher im Regelfall auch ohne aufwendige unfalltechnische und -medizinische Untersuchungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass Sicherheitsgurten wirksam gewesen wären und dass Verletzungen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht oder nicht im selben Ausmass entstanden wären. In diesem Sinne ist der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Nichttragen der Gurten und den erlittenen Unfallfolgen als gegeben zu betrachten, soweit aufgrund der besonderen Unfallverumständungen nicht das Gegenteil angenommen werden muss.
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c) Im vorliegenden Fall spricht nichts gegen die vorinstanzliche Feststellung, die Verletzungen des Beschwerdeführers wären beim Tragen der Sicherheitsgurten kleiner ausgefallen.
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Was der Beschwerdeführer hinsichtlich der Geschwindigkeit seines Autos im Kollisionszeitpunkt vorbringt, ist unbehelflich, da es darauf nach dem Gesagten nicht ankommt.
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Am adäquaten Kausalzusammenhang vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die angegurtete Mitfahrerin ebenfalls Verletzungen davontrug und daran, was die Dauer von Spitalaufenthalt und voller Arbeitsunfähigkeit anbelangt, fast gleich lang ![]() | 15 |
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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