BGE 109 V 197 | |||
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37. Auszug aus dem Urteil vom 14. April 1983 i.S. Winthrop AG gegen Bundesamt für Sozialversicherung und Eidgenössisches Departement des Innern | |
Regeste |
Art. 129 Abs. 1 lit. b OG: Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Spezialitätenliste ist kein Tarif im Sinne dieser Bestimmung; gegen die Ablehnung der Preiserhöhung für ein in der Spezialitätenliste aufgenommenes Arzneimittel ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (Erw. 2). |
- Ein Preiserhöhungsbegehren kann grundsätzlich erst nach Ablauf von zwei Jahren seit der Aufnahme des Arzneimittels in der Spezialitätenliste bzw. seit der letzten Preisfestsetzung eingereicht werden (Bestätigung der Verwaltungspraxis; Erw. 4a, 5b und c). |
- Wird ein Begehren vor Ablauf dieser Frist gestellt oder geht die verlangte Erhöhung über generell vorgesehene Ansätze hinaus, ist glaubhaft zu machen, dass die Sachlage im konkreten Einzelfall eine ausserordentliche Änderung erfahren hat (Erw. 4b, 5b und d). | |
Sachverhalt | |
A.- Die Firma Winthrop AG vertreibt seit 1971 in der Schweiz das durch die Laboratoires Winthrop in Dijon hergestellte, in Frankreich jedoch nicht im Handel befindliche Analgetikum FORTALGESIC Supp. Aufgrund eines Gesuchs der Firma vom 22. Dezember 1977 wurde das Präparat mit Wirkung ab 15. September 1978 zum verlangten Preis von Fr. 7.70 (Packung zu 10 Supp.) in die Spezialitätenliste aufgenommen.
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Bereits am 23. August 1979 beantragte die Firma für die Zeit ab 15. März 1980 eine Erhöhung des Preises auf Fr. 8.50, wobei sie im wesentlichen vorbrachte, dass der Verkaufspreis seit 1971 trotz beträchtlich gestiegener Herstellungs- und Importkosten nie erhöht worden sei und dass das Präparat auch beim neuen Preis immer noch billiger sei als z.B. in Deutschland und England. Mit Verfügung vom 20. Dezember 1979 lehnte das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) das Gesuch ab. Zur Begründung führte es aus, die allgemeine Kosten- und Umsatzentwicklung im Heilmittelbereich gestatte bei den nach 1974 in die Spezialitätenliste aufgenommenen Präparaten vorderhand keine Preiserhöhung; Gründe für eine Ausnahme von dieser Regel seien vorliegend nicht gegeben; die Verhältnisse vor der Aufnahme in die Spezialitätenliste könnten dabei nicht berücksichtigt werden; im übrigen werde auf Preiserhöhungsbegehren frühestens nach zwei Jahren, d.h. hier im Herbst 1980 eingetreten.
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B.- Gegen diese Verfügung erhob die Firma Beschwerde mit dem Antrag, der Preis sei mit Wirkung ab 15. März 1980 auf Fr. 8.50 zu erhöhen. Dazu machte sie geltend, das BSV stelle zu Unrecht gesamtwirtschaftliche Überlegungen an; sodann sei seine Praxis unhaltbar, wonach ein Begehren um Preiserhöhung erst zwei Jahre nach der Aufnahme in die Spezialitätenliste bzw. seit der letzten Preiserhöhung eingereicht werden könne; FORTALGESIC Supp. sei auch bei einem Preis von Fr. 8.50 wirtschaftlich.
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Im Laufe des Beschwerdeverfahrens erklärte sich das BSV dazu bereit, den Preis im Sinne einer Ausnahme im Einzelfall ab 15. September 1980 auf Fr. 8.-- zu erhöhen. Die Firma hielt jedoch an ihrem Antrag fest.
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Mit Entscheid vom 13. November 1980 hiess das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) die Beschwerde teilweise gut und setzte den Preis auf Fr. 8.-- fest.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Firma, es sei das ursprünglich gestellte Begehren um Preiserhöhung auf Fr. 8.50 vollumfänglich gutzuheissen. Das EDI beantragt die Überweisung der Akten an den Bundesrat zwecks Meinungsaustausches über die Zuständigkeit; eventualiter sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen.
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Aus den Erwägungen: | |
2. a) In seiner Vernehmlassung macht das EDI geltend, bei seinem Entscheid, der bloss die Frage einer Preiserhöhung für ein bereits in der Spezialitätenliste befindliches Arzneimittel betreffe, handle es sich um eine Verfügung über einen Tarif im Sinne von Art. 129 Abs. 1 lit. b OG. Demzufolge stehe nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht, sondern gemäss Art. 72 lit. a VwVG die Beschwerde an den Bundesrat offen.
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b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 99 lit. b OG, der im hier interessierenden Zusammenhang mit Art. 129 Abs. 1 lit. b OG übereinstimmt, stellt ein Tarif in der Regel ein System oder Gefüge von Entgeltleistungen dar, deren Abstufung nicht notwendigerweise nach dem "Wert" der entgegenstehenden Dienstleistung, sondern nach andern - sozialen, politischen, technischen - Gesichtspunkten erfolgen kann, die dem einzelnen Bürger unter Umständen schwer zugänglich sind und wo der verfügenden Behörde regelmässig ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht (BGE 103 Ib 318, vgl. auch BGE 100 Ib 330). Tarifcharakter wurde beispielsweise angenommen bei Prämien- und Beitragstarifen der Sozialversicherung (BGE 97 V 69 Erw. bb), bei einem Mensatarif (BGE 100 Ib 330), bei Krankenkassen-Taxordnungen gemäss Art. 22 und 22bis KUVG (BGE 100 V 3, RSKV 1979 Nr. 375 S. 168), beim Gebührenreglement zum Giftgesetz (BGE 101 Ib 72), bei Regalgebühren für Fernsehempfangskonzessionen (BGE 101 Ib 464), beim Flugpreistarif (BGE 102 Ib 305 Erw. 3), bei Preiszuschlägen auf Speiseölen und Speisefetten (BGE 104 Ib 416 Erw. 1b) sowie bei Tarifverträgen zwischen Krankenkassen und Apothekern usw. nach Art. 22quater Abs. 5 KUVG (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 7. Januar 1976). Allerdings sind nach Art. 99 lit. b und 129 Abs. 1 lit. b OG Verwaltungsgerichtsbeschwerden nur unzulässig gegen Verfügungen, welche den Erlass oder die Genehmigung eines Tarifs als Ganzes zum Gegenstand haben (BGE BGE 104 Ib 416 Erw. 1b mit Hinweis) oder wenn unmittelbar einzelne Tarifbestimmungen angefochten werden (BGE 101 Ib 72 mit Hinweis). Entscheidend dafür ist, dass die Gesichtspunkte, welche der Strukturierung eines Tarifs zugrunde liegen, als schwer oder nicht justiziabel betrachtet werden (BGE 103 Ib 318 f., BGE 102 Ib 305 Erw. 3). Hingegen steht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen gegen Verfügungen, welche in Anwendung eines Tarifs im Einzelfall ergangen sind; dabei kann das Gericht aber nicht den Tarif als Ganzes mit all seinen Positionen und ihrem gegenseitigen Verhältnis überprüfen, sondern nur die konkret angewandte Tarifposition (BGE 104 Ib 416 Erw. 1b mit Hinweis).
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c) Die angefochtene Verfügung müsste als Verfügung über einen Tarif im Sinne von Art. 129 Abs. 1 lit. b OG betrachtet werden, wenn die Spezialitätenliste ihrerseits einen (Preis-)Tarif enthielte und wenn vorliegend eine Einzelposition dieses Tarifs geregelt worden wäre. Einer solchen Annahme steht aber entgegen, dass die Spezialitätenliste nicht dazu bestimmt ist, Preise im Arzneimittelbereich verbindlich festzusetzen. Für die Aufnahme eines Medikaments in die Spezialitätenliste und für ein Verbleiben darin sind verschiedene Kriterien massgebend, so das medizinische Bedürfnis, die Zweckmässigkeit und Zuverlässigkeit in bezug auf Wirkung und Zusammensetzung sowie die Wirtschaftlichkeit (Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 lit. a Vo VIII über die Krankenversicherung vom 30. Oktober 1968). Dabei bildet die Frage des Preises bloss einen Teilaspekt der Wirtschaftlichkeit eines Medikaments und dient im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung als Teilkriterium dafür, ob die Aufnahme in die Spezialitätenliste erfolgen kann (vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. c und Abs. 3 Vo VIII, Art. 6 Abs. 1 und 2 Vf 10 des EDI über die Krankenversicherung betreffend die Aufnahme von Arzneimitteln in die Spezialitätenliste vom 19. November 1968). Mit andern Worten geht es nicht um die amtliche Festsetzung eines bestimmten (Höchst-)Preises, sondern darum, ob der vom Gesuchsteller vorgesehene Preis einer Aufnahme in die Spezialitätenliste entgegensteht oder nicht. Dies ergibt sich deutlich aus BGE 102 V 79 Erw. 2 in fine, wo das Vorliegen einer blossen Preiskontrolle verneint wurde mit dem Hinweis, dass es "über Sinn und Zweck des Erfordernisses der Wirtschaftlichkeit" hinausginge, wenn "die Aufnahme eines Arzneimittels in die Spezialitätenliste davon abhängig zu machen wäre, dass der Preis des Präparates ausschliesslich nach Massgabe der Gestehungskosten zuzüglich einer angemessenen Gewinnmarge festgesetzt" werden müsste (vgl. auch BGE 108 V 141 Erw. 7a). Dass der Preis keine Tarifposition im Sinne von Art. 129 Abs. 1 lit. b OG, sondern einen blossen Teilaspekt der Wirtschaftlichkeit darstellt, folgt auch deutlich aus der Umschreibung der Wirtschaftlichkeit in Art. 6 Abs. 1 und 2 Vf 10 und der Rechtsprechung dazu (BGE 108 V 141 Erw. 7a).
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d) Das EDI hält in seiner Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde dafür, es gehe im vorliegenden Fall nicht um die Preisgestaltung unter dem Blickwinkel der Wirtschaftlichkeit, sondern allein um eine Preiserhöhung, d.h. um die Neufestsetzung des Preises. Bei der Spezialitätenliste handle es sich in gleicher Weise wie bei der Arzneimittelliste und der Analysenliste (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a und c Vo VIII) um Tarife, wofür Art. 22quater Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 6 KUVG die gemeinsame gesetzliche Grundlage bilde. Dabei beruft sich das EDI auf eine - allerdings nicht näher spezifizierte - Sichtung der Gesetzesmaterialien zu Art. 22quater Abs. 1 KUVG sowie darauf, dass auch bei BONER/HOLZHERR (Die Krankenversicherung, 1969, S. 85 f.) hinsichtlich aller drei Listen von Tarifen gesprochen werde.
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Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Der Tarifbegriff in der Marginalie zu Art. 22quater KUVG muss sich nicht notwendigerweise mit demjenigen in Art. 129 Abs. 1 lit. b OG decken. Daher kann offenbleiben, ob zu den in Art. 22quater Abs. 1 KUVG erwähnten "Tarifen" auch die Spezialitätenliste gehört oder ob die genannte Bestimmung neben der Analysenliste mit Tarif lediglich noch die Arzneimittelliste mit Tarif erfasst. Für die zweite Lösung sprechen die Ausführungen in der bundesrätlichen Botschaft vom 5. Juni 1961. Danach war mit der Krankenversicherungsnovelle vorgesehen, einerseits bei der Auswahl der Arzneimittel am bisherigen Listensystem (Arzneimittelliste mit Tarif, Spezialitätenliste) festzuhalten und anderseits in Art. 22quater Abs. 1 KUVG (im damaligen Entwurf: Art. 22bis Abs. 1) die Arzneimittelliste und die Analysenliste ( jeweils mit Tarif) zu regeln (BBl 1961 I 1426, 1469, 1486 und 1493).
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Selbst wenn der Spezialitätenliste ein tarifähnlicher Charakter beizumessen wäre, könnte dies nicht zu einem andern Ergebnis führen. Ein Verfahren um Aufnahme eines Arzneimittels in die Spezialitätenliste bzw. um Streichung daraus betrifft regelmässig eine oder mehrere Voraussetzungen nach Art. 4 Abs. 1 Vo VIII und Art. 4 ff. Vf 10 (medizinisches Bedürfnis, Zweckmässigkeit und Zuverlässigkeit, Wirtschaftlichkeit). Geht es um die Frage der Preisgestaltung, so haben die Verwaltung bzw. bei einer Beschwerde die Rechtspflegeinstanzen in jedem Fall das gesetzliche Gebot wirtschaftlicher Behandlung (Art. 23 KUVG) zu beachten, das auch im Bereich der Spezialitätenliste Anwendung findet (BGE 108 V 147). Ein Streit um die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels hat daher ex lege als justiziabel zu gelten. Dies trifft auch dann zu, wenn - wie hier - bloss eine Verfügung über eine Preiserhöhung angefochten wird; auch in diesem Fall gilt - wie das EDI in seinem Entscheid an sich zu Recht ausführt - das Erfordernis der Wirtschaftlichkeit des Arzneimittels (vgl. Erw. 3 hernach). Eine Preiserhöhung erfolgt denn auch nicht ausschliesslich nach starren schematischen Gesichtspunkten, sondern hat gegebenenfalls die besonders gelagerten Umstände eines einzelnen Arzneimittels zu berücksichtigen (vgl. Erw. 5 hernach).
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Würde im Sinne der Vernehmlassung des EDI entschieden, hätte dies eine Gabelung des letztinstanzlichen Rechtsweges zur Folge: für Preiserhöhungsfälle einschliesslich der damit verbundenen Wirtschaftlichkeitsprüfung wäre der Bundesrat zuständig, während in allen andern Fällen (Prüfung der Aufnahme bzw. Streichung von Arzneimitteln nach allen Gesichtspunkten samt Wirtschaftlichkeit) die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht offenstünde. Eine solche Lösung wäre unpraktikabel und sachlich nicht begründet. Denn die Frage der Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels lässt sich auch bei reinen Preiserhöhungsverfahren zuweilen nicht ohne Berücksichtigung fachwissenschaftlicher Stellungnahmen zu Wirksamkeit und Tagesdosis im Vergleich zu andern Arzneimitteln (vgl. Art. 6 Abs. 2 lit. a und b Vf 10) beantworten (nicht veröffentlichte Erw. 4 des Urteils Unipharma S.A. vom 4. Februar 1983, BGE 109 V 191). Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist ohne Weiterungen einzutreten.
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e) Da nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen streitig ist, hat das Eidg. Versicherungsgericht den vorinstanzlichen Entscheid nur hinsichtlich der Rüge der Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, nicht aber auf Angemessenheit zu prüfen; an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts ist das Gericht nicht gebunden (Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 1 OG; BGE 108 V 132 Erw. 1).
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4. a) Die Vorinstanz hat die Verfügung des BSV vom 20. Dezember 1979 zum einen mit dem Hinweis auf die sogenannte "2-Jahres-Frist" (auch "Stillhaltefrist" bzw. "Präklusivfrist" genannt) in Ziff. 5.3 der bundesamtlichen "Weisungen betreffend Einreichung von Aufnahmegesuchen in die Spezialitätenliste" (gültig ab 15. November 1979) bestätigt. Danach können Begehren um Preiserhöhung erst nach Ablauf von zwei Jahren seit der Aufnahme des Arzneimittels in die Spezialitätenliste oder seit der letzten Preiserhöhung eingereicht werden; vor Ablauf dieser Frist werde auf solche Gesuche nicht eingetreten. Unter Berücksichtigung der Verfahrensdauer nach Einreichung eines Begehrens bedeutet dies, dass eine Preiserhöhung grundsätzlich erst nach Ablauf von rund zweieinhalb Jahren in Kraft treten kann. Die Vorinstanz betrachtet die 2-Jahres-Frist grundsätzlich als zulässig mit der Ergänzung, es solle dort, "wo es die besonderen Umstände, wie krasse Verletzung des Rechtsgleichheits- oder Verhältnismässigkeitsprinzips und dergleichen, verlangen, auf die spezielle Situation eines Einzelfalles eingetreten werden". Ferner fügt die Vorinstanz bei: "Die Stillhaltefrist schliesst aber richtigerweise aus, dass Präparate zu einem niedrigen Preis in die Spezialitätenliste aufgenommen und kurz darauf erhöht werden; dies käme einer Umgehung der Wirtschaftlichkeitsklausel gleich. Den Herstellern darf im übrigen zugemutet werden, den Preis so festzusetzen, dass er bei normalen Verhältnissen während mindestens zweier Jahre stabil gehalten werden kann."
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b) Sodann unterscheidet die Vorinstanz hinsichtlich der materiellen Preiserhöhung zwei Varianten:
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aa) Sie anerkennt sinngemäss das vom BSV im Einvernehmen mit der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (bzw. deren Ausschuss für Preisfragen) ausgearbeitete und den interessierten Firmen zugestellte Modell betreffend "Preiserhöhungsgesuche für Präparate der Spezialitätenliste per 15. September 1980" (allgemeine Orientierung vom Mai 1980). Darin werden zum Ausgleich der inflationsbedingten Kostensteigerungen die maximal zulässigen Preiserhöhungen in bestimmten Prozentsätzen festgelegt, und zwar abhängig vom Jahr der Aufnahme des Präparates in die Spezialitätenliste bzw. vom Jahr der letzten Preiserhöhung. Für 1978 beträgt der erwähnte Ansatz 4%. In diesem Umfange bewilligte die Vorinstanz für das streitige, auf den 15. September 1978 in die Spezialitätenliste aufgenommene Präparat FORTALGESIC Supp. schon vor Ablauf der erwähnten rund zweieinhalb Jahre im Sinne der vom BSV vorgeschlagenen "ganz ausnahmsweisen Erledigung eines Einzelfalles im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens" (Vernehmlassung vom 29. April 1980 an die Vorinstanz) eine Preisanpassung, was aber nur zu einer Erhöhung auf Fr. 8.-- und nicht - wie verlangt - auf Fr. 8.50 führte.
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bb) Ferner weist die Vorinstanz darauf hin, dass keine konkreten fallspezifischen Gesichtspunkte für die verlangte (vollumfängliche) Preiserhöhung vorgebracht worden seien. Eine Berufung auf die sogenannte 25%-Klausel, wonach ein ausländisches Präparat in der Schweiz höchstens 25% teurer sein darf als im Ursprungsland (BGE 108 V 144 Erw. 8, insbesondere 147 Erw. 8b), falle ausser Betracht, weil FORTALGESIC Supp. im Herstellerland Frankreich gar nicht im Handel sei.
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b) Bezüglich der 2-Jahres-Praxis beruft sich die Beschwerdeführerin auf das Gutachten von RHINOW (Preisaufsicht des Bundes bei Arzneimitteln, Wirtschaft und Recht [WuR] 33/1981 S. 1 ff.) und macht geltend, diese Frist sei unter den als abschliessend zu bezeichnenden Kriterien der Wirtschaftlichkeit gemäss Vo VIII und Vf 10 nicht enthalten und entbehre daher der Rechtsgrundlage (a.a.O. S. 47). Auch seien die Überlegungen der Vorinstanz zur Verteidigung dieser Stillhaltefrist nicht stichhaltig. Eine Preiserhöhung schon kurze Zeit nach der Aufnahme des Präparates in die Spezialitätenliste könne nicht zur Umgehung der Wirtschaftlichkeitsklausel führen, weil es die Verwaltung kraft eben dieser Klausel ja in der Hand habe, eine unwirtschaftliche Preiserhöhung zu verhindern. Anderseits dürfe auch nicht argumentiert werden, den Herstellern sei es zuzumuten, den Preis so festzusetzen, dass er während zweier Jahre stabil gehalten werden könne, weil die rigorose Handhabung der Wirtschaftlichkeitsprüfung den Einbau einer solchen "Reserve" in die Preise ausschliesse. Tatsächlich würde die Zulassung eines solchen "Polsters" den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verletzen, wogegen eine Preiserhöhung innert einer starren Frist von zwei Jahren nicht versagt werden dürfe, wenn das Präparat wirtschaftlich bleibe.
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Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, dass für die 2-Jahres-Klausel in Gesetz, Vo VIII und Vf 10 keine ausdrückliche Grundlage besteht und dass auch die von der Vorinstanz dafür vorgebrachte materielle Begründung nicht stichhaltig ist. Wesentlich ist jedoch ein anderer Gesichtspunkt, nämlich dass die Verwaltung vor missbräuchlicher Inanspruchnahme durch wiederholte, jeweils mit grossen Umtrieben verbundene Begehren um Neuüberprüfung der Wirtschaftlichkeit bei Preiserhöhungen geschützt werden soll. Insofern stellt sich hier das gleiche Problem wie bei der Revision einer laufenden Invalidenrente der Invalidenversicherung oder einer Hilflosenentschädigung nach Art. 41 IVG. Für diese Fälle sieht allerdings Art. 87 Abs. 3 IVV eine ausdrückliche Eintretensvoraussetzung vor ("Im Revisionsgesuch ist glaubhaft zu machen, dass sich der Grad der Invalidität oder der Hilflosigkeit des Versicherten in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat"), während es sich bei der streitigen 2-Jahres-Klausel um eine blosse Verwaltungspraxis zu Art. 5 Abs. 1 Vo VIII handelt. Jedoch ist zu beachten, dass der Verwaltung bei der Aufnahme von Arzneimitteln in die Spezialitätenliste ein erheblicher Ermessensspielraum zusteht. Dessen Grenzen versucht die Vorinstanz mit dem Hinweis abzustecken, "Grundschema und Frist" dieser Klausel könnten "nicht ausschliessliche Geltung beanspruchen"; vielmehr solle, "wo es die besonderen Umstände, wie krasse Verletzung des Rechtsgleichheits- oder Verhältnismässigkeitsprinzips und dergleichen, verlangen, auf die spezielle Situation eines Einzelfalles eingetreten werden". Diesen Überlegungen ist grundsätzlich beizupflichten. Hingegen drängt sich - in Anlehnung an Art. 87 Abs. 3 IVV - eine generellere Formel auf: In Preiserhöhungsbegehren, die vor Ablauf der 2-Jahres-Frist gestellt werden bzw. über die generellen Erhöhungen gemäss jeweiligem Schema des BSV hinausgehen, ist glaubhaft zu machen, dass die Sachlage im konkreten Einzelfall eine ausserordentliche Veränderung erfahren hat.
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c) Des weitern ist zu prüfen, ab welchem Zeitpunkt die 2-Jahres-Frist zu berechnen ist. BSV und Vorinstanz halten - gemäss Ziff. 5.3 der bundesamtlichen Weisungen - grundsätzlich das Datum der Eintragung in die Spezialitätenliste (hier: 15. September 1978) für massgebend. Die Beschwerdeführerin vertritt demgegenüber den Standpunkt, es sei vom Einführungsjahr des Präparates in der Schweiz (1971) und vom seither unverändert gebliebenen Preis von Fr. 7.70 auszugehen, was nach dem bundesamtlichen Preiserhöhungsmodell vom Mai 1980 (vgl. Erw. 4b/aa hievor) einen Preisaufschlag von 20% (Ansatz für 1971 in die Spezialitätenliste aufgenommene Arzneimittel) ermöglichen würde, während aber effektiv nur ein solcher von 10,3% verlangt werde (von Fr. 7.70 auf Fr. 8.50).
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Es liegt in der Natur der Sache, dass das Jahr der Aufnahme des Präparates in die Spezialitätenliste bzw. dasjenige der letzten Preiserhöhung entscheidend sein muss. Wenn in jenem Zeitpunkt der unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit als Voraussetzung für die Aufnahme in die Spezialitätenliste bzw. für das Verbleiben darin zulässige Preis festgesetzt worden ist, so darf davon ausgegangen werden, dass er auch für die Hersteller- oder Vertriebsfirma annehmbar ist. Eine Preisanpassung über einen allfälligen generellen Zuschlag gemäss Preiserhöhungsmodell hinaus käme darum nur in Betracht bei einer zusätzlichen ausserordentlichen Änderung der Verhältnisse im konkreten Fall.
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d) Den im Preiserhöhungsmodell vom Mai 1980 vorgesehenen generellen Zuschlag von 4% hat die Vorinstanz der Beschwerdeführerin mit dem Preis von Fr. 8.-- bereits zugestanden. Ausserordentliche Veränderungen seit September 1978, welche bei FORTALGESIC Supp. eine zusätzliche Preiserhöhung unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit rechtfertigen würden, vermag die Beschwerdeführerin nicht geltend zu machen. Der Hinweis auf höhere Preise in Deutschland und England ändert daran nichts. Die dort möglichen Preise sind für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit in der Schweiz ohne Bedeutung (BGE 108 V 149 f.).
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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