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5. Auszug aus dem Urteil vom 25. Februar 1985 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Meier und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 4 Abs. 1 und Art. 29 Abs. 1 IVG, Art. 29 IVV. |
Art. 29 IVV ist gesetzmässig (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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B.- Auf Beschwerde hin hob die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. April 1984 die Verfügung vom 12. Juli 1983 auf und verpflichtete die Ausgleichskasse, dem Versicherten in Anwendung der Variante 1 des Art. 29 Abs. 1 IVG ab 1. Februar 1983 eine ganze Invalidenrente auszurichten.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Kassenverfügung wiederherzustellen; im weitern seien die Akten an die Verwaltung zurückzuweisen, damit diese prüfe, ob der Rentenanspruch inzwischen entstanden sei.
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Der Versicherte hat sich nicht vernehmen lassen.
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Aus den Erwägungen: | |
2. a) Die Invalidität umfasst nach Art. 4 Abs. 1 IVG einerseits Gesundheitsschäden, die eine "voraussichtlich bleibende" ![]() | 5 |
b) Bleibende Erwerbsunfähigkeit (Variante 1) ist dann anzunehmen, wenn ein weitgehend stabilisierter, im wesentlichen irreversibler Gesundheitsschaden vorliegt, welcher die Erwerbsfähigkeit des Versicherten voraussichtlich dauernd in rentenbegründendem Masse beeinträchtigen wird. Als relativ stabilisiert kann ein ausgesprochen labil gewesenes Leiden nur dann betrachtet werden, wenn sich sein Charakter deutlich in der Weise geändert hat, dass vorausgesehen werden kann, in absehbarer Zeit werde keine praktisch erhebliche Wandlung mehr erfolgen (BGE 99 V 98; ZAK 1979 S. 358 Erw. 1 mit Hinweisen).
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c) Gemäss Art. 29 IVV liegt bleibende Erwerbsunfähigkeit vor, wenn aller Wahrscheinlichkeit nach feststeht, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten künftig weder verbessern noch verschlechtern wird.
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3. Im vorliegenden Fall ist unbestritten und steht aufgrund der medizinischen Akten fest, dass das Krebsleiden des Beschwerdegegners die von Verordnung und Praxis verlangte Stabilität nicht hat. Nach Auffassung der Vorinstanz erweist sich indessen die gestützt auf die Rechtsprechung (vgl. Erw. 2b hievor) erfolgte Umschreibung des Begriffs "bleibende Erwerbsunfähigkeit" in Art. 29 IVV als gesetzwidrig: Das Gesetz setze die Stabilisierung des Gesundheitszustandes des Versicherten nicht voraus. Bereits Art. 4 Abs. 1 IVG stelle in seiner Definition des Invaliditätsbegriffs lediglich das Erfordernis voraussichtlich bleibender Erwerbsunfähigkeit auf, und Art. 29 Abs. 1 IVG spreche vom Versicherten, welcher bleibend erwerbsunfähig geworden ist, womit für die Anwendung der Variante 1 eindeutig die Irreversibilität des ungünstigen Krankheitsverlaufs als einzige Voraussetzung statuiert sei. Dass bleibende Erwerbsunfähigkeit nur dann angenommen werden dürfe, wenn sich der Gesundheitszustand weder verbessern ![]() | 8 |
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden.
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a) Art. 29 Abs. 1 IVG dient - wie Art. 12 Abs. 1 IVG - der Abgrenzung der Invalidenversicherung von der sozialen Krankenversicherung. Der Gesetzgeber wollte mit der Invalidenversicherung "grundsätzlich nur das Risiko der dauernden Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit decken" und dadurch eine Abgrenzung gegenüber der Krankenversicherung erreichen, indem vorausgesetzt wurde, dass "die Invalidität voraussichtlich bleibenden oder längere Zeit dauernden Charakter" habe (vgl. die bundesrätliche Botschaft vom 24. Oktober 1958 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung, BBl 1958 II 1161). Dementsprechend wurde die Entstehung des Rentenanspruchs auf zwei verschiedene Arten geregelt. Einerseits soll der Versicherte sofort in den Genuss der Rente gelangen, wenn seine Erwerbsunfähigkeit Dauercharakter angenommen hat und weder Heil- noch Eingliederungsmassnahmen eine Besserung erwarten lassen. Anderseits soll ein Rentenanspruch auch bei einem seit mindestens einem Jahr ohne Unterbruch dauernden Leiden möglich sein, selbst wenn ein Ende des Leidens abzusehen ist. Damit wurde ein weitgehender Anschluss an die Leistungen der Krankengeldversicherung bezweckt (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 1199).
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b) Diesem Zweck entsprechend ging das Eidg. Versicherungsgericht in EVGE 1962 S. 248 bei der Unterscheidung der beiden Varianten des Art. 29 Abs. 1 IVG zunächst (vgl. die ausführliche Zusammenfassung der Rechtsprechung in BGE 97 V 245 Erw. 2) davon aus, eine voraussichtlich bleibende Erwerbsunfähigkeit liege vor, wenn wegen der Stabilität des Zustandes zu erwarten sei, dass sie während der nach der Lebenserwartung normalen Aktivitätsperiode des Versicherten bestehe und auch durch Eingliederungsmassnahmen nicht mehr verbessert werden könne; bei labilem pathologischem Geschehen, wie es bei akuten Krankheiten zutreffe, könne in der Regel nicht von einer voraussichtlich bleibenden Erwerbsunfähigkeit im Sinne der Variante 1 gesprochen werden (vgl. EVGE 1962 S. 351, 355, 359, 1963 S. 284, 293, 301; ZAK 1963 S. 391, 1964 S. 429). Diese Umschreibung wurde später durch das Merkmal der Irreversibilität ergänzt (EVGE 1964 S. 110 Erw. 1) und somit ein weitgehend stabilisierter (und daher nicht unabwendbar letaler), im wesentlichen irreversibler Gesundheitsschaden vorausgesetzt (EVGE 1964 S. 174 Erw. 1). In EVGE 1965 S. 133 Erw. 2 ![]() | 11 |
Anlässlich der Revision des Art. 29 Abs. 1 IVG vom 5. Oktober 1967 hielt der Gesetzgeber am bisherigen Begriff der bleibenden Erwerbsunfähigkeit durch Übernahme der Lösung der Expertenkommission fest (vgl. die bundesrätliche Botschaft vom 27. Februar 1967 zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend Änderung des IVG, BBl 1967 I 681). Insbesondere widersetzte sich die Expertenkommission einem Vorschlag, "der eine Änderung des Begriffes der bleibenden Invalidität in dem Sinne bezweckte, als darunter auch unheilbare, nicht stabilisierte Krankheiten (wie beispielsweise Krebs) zu subsumieren wären" (Bericht der Eidgenössischen Expertenkommission für die Revision der Invalidenversicherung vom 1. Juli 1966, S. 76 f.).
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Das Eidg. Versicherungsgericht bestätigte in der Folge seine bisherige Rechtsprechung mehrmals und hielt fest, dass das Kriterium der Stabilität, allenfalls ergänzt durch dasjenige der Irreversibilität, für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der 1. von dem der 2. Variante des Art. 29 Abs. 1 IVG vorbehaltlos massgebend sei; bei Fehlen dieser vorausgesetzten Merkmale sei der Beginn eines allfälligen Rentenanspruchs stets nach Massgabe der Variante 2 zu prüfen (BGE 97 V 245 Erw. 2 mit Hinweisen, BGE 99 V 100; ZAK 1971 S. 467 Erw. 2, 1977 S. 119, 1979 S. 358 Erw. 1; vgl. auch BGE 96 V 44).
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c) Das Eidg. Versicherungsgericht hat keine Veranlassung, seine seit Bestehen der Invalidenversicherung während mehr als 20 Jahren gehandhabte, dem Zweck des Art. 29 Abs. 1 IVG entsprechende Praxis zu ändern. Es hat die Anwendung der Variante 1 auf fortschreitende Krebsleiden stets abgelehnt (EVGE 1965 S. 136, 1962 S. 248 und 356; ZAK 1971 S. 388, 1965 S. 462; nicht ![]() | 14 |
d) Die Betrachtungsweise der Vorinstanz verunmöglicht letztlich eine praktikable und rechtsgleiche Abgrenzung der Anwendungsfälle der Varianten 1 und 2 (ZAK 1971 S. 468). Sie hätte - wie die Ausgleichskasse zutreffend ausführt - auch zur Folge, dass der an einem unheilbaren, voraussichtlich in absehbarer Zeit zum Tode führenden Leiden erkrankte Versicherte in der Invalidenversicherung bessergestellt würde als der Versicherte mit einer langdauernden, voraussichtlich heilbaren Krankheit oder mit langwierigen Unfallfolgen. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Zweck des Art. 29 Abs. 1 IVG.
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5. Aus dem Gesagten folgt, dass die Vorinstanz zu Unrecht den Rentenanspruch des Beschwerdegegners nach der Variante 1 beurteilt hat und mithin ihr Entscheid aufzuheben ist. Die Akten sind der Ausgleichskasse des Kantons Zürich zuzustellen, damit sie ![]() | 17 |
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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