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46. Urteil vom 18. Oktober 1985 i.S. Schweizerische Grütli gegen Sandi und Versicherungsgericht des Kantons Aargau | |
Regeste |
Art. 12bis KUVG: Krankengeld während Umschulung durch die Invalidenversicherung. |
- Schadenminderungspflicht im Bereiche der Krankengeldversicherung durch Berufswechsel (Erw. 2a). Der Anspruch auf Umschulung durch die Invalidenversicherung schliesst einen gleichzeitigen Anspruch auf Krankengeld einer Krankenkasse nicht aus; kollidiert der Anspruch auf Umschulung mit einer Schadenminderungspflicht gegenüber der Krankenkasse, so geht der Anspruch auf Eingliederung vor (Erw. 2c). Verzögert ein Versicherter den Beginn oder die Durchführung der beruflichen Umschulung, hat die Krankenkasse für die Dauer der dadurch verlängerten Arbeitsunfähigkeitsperiode kein Krankengeld zu leisten (Erw. 3b). |
- Der Unterbruch in der Anspruchsberechtigung auf Krankengeld durch Auslandaufenthalt darf nicht zu einem vorzeitigen Neubeginn der Bezugs- und Entschädigungsperiode gemäss Art. 12bis Abs. 3 KUVG oder sonstwie zu einer Mehrbelastung der Krankenkasse führen (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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Die Krankenkasse richtete Carlo Sandi für die Zeit vom 21. Juli 1980 bis 25. Januar 1981 188 Krankengelder im Betrage von insgesamt Fr. 15'040.-- aus. Vom 25. Januar bis 15. August 1981 hielt sich der Versicherte in den USA auf, um Englisch zu lernen. Am 22. Dezember 1981 beschloss die Invalidenversicherungs-Kommission des Kantons Aargau die Übernahme der Kosten für eine Umschulung des Versicherten auf einen kaufmännischen Beruf. Carlo Sandi besuchte in der Folge ab Dezember 1981 bis Mitte April 1982 einen Französischsprachkurs und ab dann bis Oktober 1983 die L.-Schule. Vom 17. Oktober 1983 bis zum 17. Oktober 1984 absolvierte er ein Praktikum bei einer Bank.
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Mit Verfügung vom 22. Januar 1982 sprach die Ausgleichskasse Coiffeure Carlo Sandi eine ganze Invalidenrente mit Wirkung ab 1. Juni 1981 zu. Während der Umschulung wurden ihm anstelle der Rente Taggelder der Invalidenversicherung ausgerichtet. Ferner erhielt er ab 11. August 1982 von einer Lebensversicherungsgesellschaft eine monatliche Rente von Fr. 1000.--.
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Im Frühjahr und Sommer 1982 ersuchte Carlo Sandi die Krankenkasse um Weitergewährung des Krankengeldes ab 26. Januar 1981. Daraufhin verlangte die Kasse mit Schreiben vom 13. April und 10. August 1982 vom Versicherten ein ärztliches Zeugnis, welches über Dauer und Grad der Arbeitsunfähigkeit vollständig Auskunft gebe. Sie hörte danach von Carlo Sandi erst am 27. Dezember 1983 wieder, als dieser durch seinen Anwalt eine Krankengeldforderung von Fr. 40'098.45 erheben liess.
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Das Versicherungsgericht gelangte zum Schluss, dass Carlo Sandi entgegen der Auffassung der Kasse für die Zeit vom 26. Januar 1981 bis zum Abschluss der Umschulung als vollständig arbeitsunfähig zu gelten habe, weshalb für diese Periode grundsätzlich ein Krankengeldanspruch bestehe. Es errechnete für die Zeit bis und mit 31. August 1984 unter Berücksichtigung der Überversicherung einen Anspruch im Betrage von Fr. 39'052.85 und sprach Carlo Sandi dieses Betreffnis im Urteilsdispositiv zu (Entscheid vom 20. Dezember 1984). Auf die Einzelheiten der Berechnung wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen einzugehen sein.
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C.- Die Krankenkasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, es sei festzustellen, dass Carlo Sandi nach dem 25. Januar 1981 keinen Krankengeldanspruch mehr besessen habe. Eventuell sei ein Anspruch nur bis zum Beginn der Umschulung (25. April 1982) einzuräumen. Allenfalls sei die Berechnung im kantonalen Entscheid zu korrigieren.
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Carlo Sandi lässt beantragen, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei in dem Sinne teilweise gutzuheissen, dass das kantonale Urteil aufgehoben und die Sache an die Kasse zurückgewiesen werde, damit diese die Krankengeldansprüche Carlo Sandis für die Zeit bis zum Abschluss der Umschulung in einer beschwerdefähigen Verfügung neu festsetze.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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b) Die Krankenkasse vertritt in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Auffassung, der Beschwerdegegner hätte spätestens ab 16. August 1981 in einem neuen Berufszweig wieder voll erwerbstätig sein können, weil ja nur im Coiffeurberuf Arbeitsunfähigkeit bestanden habe; eine Übergangszeit von einem Jahr sei ![]() | 12 |
Es fragt sich daher lediglich, ob der Beschwerdegegner bis zum Beginn der Umschulung (Sprachkurse ab Dezember 1981) zumutbarerweise wenigstens zeitweilig hätte erwerbstätig sein können. Das ist zu verneinen. Denn er war ab August 1980 noch für eine gewisse Zeit für jegliche Berufstätigkeit arbeitsunfähig und hätte sich alsdann wegen der Möglichkeit kurzfristiger Massnahmen der Invalidenversicherung und wegen der bevorstehenden Abreise ins Ausland höchstens für kurzzeitige Arbeitseinsätze verpflichten können. Er dürfte deshalb bis zu seiner Abreise praktisch nicht vermittelbar gewesen sein. Das gilt auch für die Zeit von Mitte August 1981 bis Dezember 1981, da im Hinblick auf die jederzeit möglichen Abklärungs- und Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung eine nennenswerte Erwerbstätigkeit praktisch nicht zu realisieren gewesen sein dürfte. Wenn diese Massnahmen sowohl vor als auch nach dem Auslandaufenthalt über Gebühr lange auf sich warten liessen, so kann die dadurch verursachte Verzögerung nicht dem Beschwerdegegner angelastet werden. Inwiefern er eine Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit zu vertreten hat, wird in Erwägung 3b hienach darzulegen sein.
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c) Die Krankenkasse macht ferner geltend, zumindest für die Zeit ab Beginn der Umschulung könne sie nicht zu Krankengeldleistungen verpflichtet werden; ab diesem Zeitpunkt habe der Beschwerdegegner den Status eines Schülers und Lehrlings, was begrifflich das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit ausschliesse. Der Kasse entgeht indessen, dass der Beschwerdegegner durch die aus gesundheitlichen Gründen notwendig gewordene Umschulung eine krankheitsbedingte Erwerbseinbusse erleidet und er die Krankengeldversicherung gerade zur Deckung solcher Verluste abgeschlossen hatte, wofür auch die entsprechenden Prämien entrichtet wurden. Eine Verweigerung des Krankengeldes während der Umschulung würde deshalb den Grundsatz der Gegenseitigkeit verletzen und dem Versicherungsprinzip zuwiderlaufen. Dass ein Versicherter für die Dauer der beruflichen Eingliederung in Ausbildung steht, berührt den Krankengeldanspruch nicht, da es sich hiebei eben um einen krankheitsbedingten und nicht freiwilligen Verzicht ![]() | 14 |
Der Bezug von Taggeldern der Invalidenversicherung schliesst den Anspruch auf Taggelder einer Krankenkasse - unter Vorbehalt des Überentschädigungsverbots (Art. 26 Abs. 1 KUVG) - nicht aus, wenn die - eine berufliche Umschulung notwendig machende - Gesundheitsstörung eine Arbeitsunfähigkeit verursacht und die Krankenkasse mit der Krankengeldversicherung die Deckung des dadurch entstandenen Erwerbsausfalls übernommen hat. Die Kasse kann das Krankengeld auch nicht mit der Begründung verweigern, der Beschwerdegegner vermöchte ohne berufliche Umschulung ein Erwerbseinkommen zu erzielen, welches einen Krankengeldanspruch ausschliessen würde. Kollidiert das Recht eines Versicherten auf berufliche Umschulung durch die Invalidenversicherung mit der Pflicht zur Schadenminderung gegenüber der Krankenkasse im Krankengeldbereich, so hat der Anspruch auf Umschulung in dem Sinne Vorrang, dass der gegenüber der Krankenkasse bestehende Krankengeldanspruch deswegen grundsätzlich keine Schmälerung erfahren darf.
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a) Praxisgemäss sind die Krankenkassen von Gesetzes wegen nicht verpflichtet, einem arbeitsunfähigen Mitglied für die Dauer eines Auslandaufenthaltes die versicherten Krankengelder auszurichten. Allerdings können die Kassen in den Statuten bestimmen, dass auch in diesem Falle Leistungen zu erbringen sind (BGE 111 V 33). Nach Art. 31 Abs. 4 der Statuten der Krankenkasse Grütli gelangen Krankengeldleistungen bei Auslandaufenthalt nur für die Dauer einer Hospitalisation zur Ausrichtung. Der Beschwerdegegner erfüllt diese Voraussetzung nicht, weshalb ihm für die Zeit vom 26. Januar bis 15. August 1981 kein Taggeldanspruch zusteht.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 20. Dezember 1984 aufgehoben und die Sache an die Schweizerische Grütli zurückgewiesen wird, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre. Im übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.
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