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Informationen zum Dokument  BGE 111 V 357  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. (Kognition; vgl. BGE 103 V 149 Erw. 1)  ...
2. Wenn eine Kasse ärztliche Behandlung gewährt, so sol ...
3. Streitig ist, ob der Kassenverband berechtigt war, die Zulassu ...
4. Der Kantonalverband Thurgauischer Krankenkassen hat am 16. Okt ...
5. a) Nach dem KUVG hat der Arzt keinen Anspruch auf Befreiung vo ...
6. a) Die Beschwerdegegnerin macht sodann geltend, das Karenzjahr ...
7. Aus dem Gesagten folgt, dass der Kassenverband mit der Verweig ...
8. (Kostenpunkt.) ...
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65. Urteil vom 5. Juli 1985 i.S. Kantonalverband Thurgauischer Krankenkassen gegen Bachmann und Schiedsgericht des Kantons Thurgau gemäss Art. 25 KUVG
 
 
Regeste
 
Art. 16 Abs. 1 KUVG.  
- Nach dem Gesetz besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Befreiung vom Karenzjahr. Sehen die Vertragsparteien die Möglichkeit eines Erlasses vor, so sind ihrer Gestaltungsfreiheit durch das Willkürverbot Schranken gesetzt (Erw. 5).  
- Es ist einem Kassenverband unbenommen, eine grosszügige Erlasspraxis aufzugeben und künftig strengere Massstäbe anzulegen; einer Vorankündigung bedarf es hiefür nicht. Kein Vertrauensschutz für einen Nichtvertragsarzt, der in der Annahme, es werde weiterhin eine grosszügige Erlasspraxis gehandhabt, finanzielle Dispositionen getroffen hatte, die er in Kenntnis einer Praxisänderung möglicherweise unterlassen hätte (Erw. 6).  
 
Sachverhalt
 
BGE 111 V, 357 (358)A.- Frau Dr. med. Elsbeth Bachmann ist Spezialärztin für Innere Medizin FMH und Mitglied der Ärztegesellschaft des Kantons Thurgau. Sie beabsichtigte, auf den 1. November 1984 in Frauenfeld eine Praxis zu eröffnen. Im Juni 1984 ersuchte sie den Kantonalverband Thurgauischer Krankenkassen (Kassenverband) um Erlass des Karenzjahres gemäss Art. 16 Abs. 1 KUVG. Mit Schreiben vom 9. Juli 1984 teilte ihr der Kassenverband mit, er habe vor knapp einem Jahr beschlossen, dass das Karenzjahr nur noch erlassen werde, wenn für die neue Praxis ein eindeutiger Bedarf nachgewiesen werden könne. Da sich zurzeit auf dem BGE 111 V, 357 (359)Platze nicht weniger als 24 freipraktizierende Ärzte - davon 6 Internisten - betätigten, könne dem Erlassbegehren nicht entsprochen werden.
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B.- Hiegegen rief Frau Dr. Bachmann die Paritätische Vertrauenskommission (PVK) des Thurgauischen Kantonalen Ärztevereins und des Kantonalverbandes Thurgauischer Krankenkassen an. Mit Entscheid vom 28. August 1984 erachtete die PVK die Einhaltung einer Wartezeit als Rechtens, reduzierte sie aber auf ein halbes Jahr mit der Begründung, dass Frau Dr. Bachmann seinerzeit während sechs Monaten am Kantonsspital Frauenfeld gearbeitet habe.
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Am 4. September 1984 erhob Frau Dr. Bachmann Klage beim Schiedsgericht (Art. 25 KUVG) des Kantons Thurgau und machte im wesentlichen geltend, als Mitglied der Ärztegesellschaft des Kantons Thurgau stehe sie automatisch im Genusse der Rechte und Pflichten des Kollektiv-Vertrages zwischen der Ärztegesellschaft des Kantons Thurgau und dem Kantonalverband Thurgauischer Krankenkassen vom 16. Oktober 1980 (Ärztevertrag), womit es ihrerseits keines Vertragsbeitritts mehr bedürfe. Sodann sei das Karenzjahr gemäss Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KUVG unter Berücksichtigung der Handels- und Gewerbefreiheit als polizeilich begründete Vorkehr zum Schutze der Öffentlichkeit vor Ärzten ohne ausreichende Berufspraxis zu verstehen. Da die fachliche Kompetenz und Erfahrung im vorliegenden Fall ausser Frage stünden, dürfe für die Zulassung zur Kassenpraxis keine Wartezeit auferlegt werden. Auch bestehe auf dem Platze Frauenfeld ein Bedürfnis nach einer weiteren Ärztin.
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In Gutheissung der Klage erkannte das Schiedsgericht mit Entscheid vom 23. November 1984, dass Frau Dr. Bachmann die Wartezeit gemäss Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KUVG nicht zu bestehen habe. Nach den Bestimmungen des Ärztevertrages schliesse die Zugehörigkeit zur Ärztegesellschaft nicht von selbst die Unterstellung unter diesen Vertrag mit ein. Was das Karenzjahr gemäss Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KUVG angehe, so hätten bei den Gesetzesberatungen zwei Motive eine Rolle gespielt. Den Krankenkassen sei es darum gegangen, auf die Tarifanwendung Einfluss nehmen zu können, was aber nur in Verträgen mit Ärzten möglich sei. Um die Ärzte zu solchen Vereinbarungen bewegen zu können, habe man die Vertragsärzte gesetzlich dadurch bessergestellt, dass für neuzuziehende Berufskollegen eine Wartezeit eingeführt worden sei. Ferner habe der Gesetzgeber mit der Wartezeit auch bezweckt, BGE 111 V, 357 (360)dass nur ausreichend ausgebildete und erfahrene Ärzte zur Kassenpraxis zugelassen würden. Für das heutige Verständnis der Karenzjahrregelung sei aber zu bedenken, dass zur Zeit des Inkrafttretens des KUVG die Wartezeit den Arzt nicht stark getroffen habe, weil die Krankenversicherung damals noch nicht sehr verbreitet gewesen sei. Heute sei dagegen praktisch die ganze Bevölkerung krankenversichert, so dass der eine Praxis eröffnende Arzt während des Karenzjahres sozusagen keine Patienten und damit keine wirtschaftliche Existenzgrundlage haben werde. Eine so einschneidende Einschränkung der freien ärztlichen Berufsausübung habe der historische Gesetzgeber nicht gewollt. Der Kassenverband habe sodann den Erlass des Karenzjahres von der Bedarfsfrage abhängig gemacht. Damit gehe es ihm mit der Auferlegung der Wartezeit nicht mehr um den Schutz der Vertragsärzte, sondern um die Bekämpfung der Kostenexplosion im Gesundheitswesen, womit aber das Karenzjahr in unzulässiger Weise eingesetzt würde. Denn das vom Kassenverband angewendete Kriterium käme der Einführung einer Bedürfnisklausel gleich, die jedoch mit dem Gedanken der Handels- und Gewerbefreiheit nicht vereinbar sei. In zeitgemässer und verfassungskonformer Auslegung der Wartezeitregelung gemäss Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KUVG könne ein Erlass nur verweigert werden, wenn es dem Gesuchsteller noch an der nötigen beruflichen Erfahrung fehle. Indem der Kassenverband und die PVK für die Befreiung vom Karenzjahr darauf abgestellt hätten, ob im Raume Frauenfeld ein Bedürfnis nach neuen Ärzten bestehe oder nicht, hätten sie fehlerhaftes Ermessen walten lassen.
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C.- Der Kassenverband führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, der Entscheid des Schiedsgerichts des Kantons Thurgau vom 23. November sei aufzuheben und es sei Frau Dr. Bachmann ein Karenzjahr aufzuerlegen bzw. sei sie erst ein Jahr nach Praxiseröffnung als Kassenärztin zuzulassen.
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Frau Dr. Bachmann lässt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliesst auf Gutheissung, gegebenenfalls unter Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu ergänzenden Abklärungen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
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BGE 111 V, 357 (361)2. Wenn eine Kasse ärztliche Behandlung gewährt, so soll jedem erkrankten Mitglied die Wahl unter den an seinem Aufenthaltsort oder in dessen Umgebung praktizierenden Ärzten freistehen (Art. 15 Abs. 1 KUVG). Die Kassen sind befugt, aufgrund der Tarife mit Ärzten oder Vereinigungen von Ärzten Verträge abzuschliessen und ausschliesslich diesen Ärzten die Behandlung der Mitglieder anzuvertrauen. Die Ärzte, die seit mindestens einem Jahr regelmässig im Tätigkeitsgebiet der Kasse praktizieren, können einem solchen Vertrage beitreten (Art. 16 Abs. 1 KUVG).
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3. Streitig ist, ob der Kassenverband berechtigt war, die Zulassung der Beschwerdegegnerin zur Kassenpraxis von der Einhaltung des Karenzjahres gemäss Art. 16 Abs. 1 KUVG abhängig zu machen, oder ob er den Erlass dieser Wartezeit bewilligen muss. Die Vorinstanz und die Beschwerdegegnerin vertreten die Auffassung, die Kassen hätten nicht uneingeschränkt das Recht, auf der Einhaltung des Karenzjahres zu bestehen. Da ein Karenzjahr den Arzt heute faktisch der wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraube und sich der historische Gesetzgeber einer so einschneidenden Konsequenz dieser Wartezeit nicht bewusst gewesen sei, bedürfe Art. 16 Abs. 1 KUVG in diesem Punkte richterlicher Korrektur. Bei der Handhabung des Karenzjahres sei heute darauf abzustellen, ob der sich um die Kassenpraxis bewerbende Arzt genügend ausgebildet sei. Als wirtschaftspolizeiliche Massnahme stehe das Karenzjahr so im Einklang mit der Handels- und Gewerbefreiheit. Die Beschwerdegegnerin macht überdies geltend, dass Art. 16 Abs. 1 KUVG blosse Kompetenznorm sei und die Ausgestaltung des Karenzjahres ungeregelt lasse. Letzteres sei Sache der Vertragsparteien; die Bestimmung wolle lediglich verhindern, dass im Tätigkeitsgebiet der Kassen praktizierende Ärzte länger als ein Jahr von der Kassenpraxis ausgeschlossen würden.
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Dieser Betrachtungsweise kann aus den nachfolgenden Gründen nicht beigepflichtet werden.
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a) Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar bzw. sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich der Auslegung nach dem Zweck, nach dem Sinn und nach den dem Text zugrundeliegenden Wertungen. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten ist die verfassungskonforme zu wählen. Auch wenn das Eidg. Versicherungsgericht die Verfassungsmässigkeit von BGE 111 V, 357 (362)Bundesgesetzen nicht überprüfen darf (Art. 113 Abs. 3 und 114bis Abs. 3 BV), so gilt dennoch die Vermutung, dass der Gesetzgeber keine im Widerspruch zur Bundesverfassung stehenden Gesetzesbestimmungen erlässt, es sei denn, das Gegenteil gehe klar aus dem Wortlaut oder aus dem Sinn des Gesetzes hervor (BGE 110 V 122, 109 V 33, 108 V 240 Erw. 4b, 107 V 215 Erw. 2b).
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aa) Der Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 KUVG ist eindeutig. Die Krankenkassen sind befugt, mit Ärzten Verträge einzugehen und ausschliesslich diesen Ärzten die Behandlung ihrer Mitglieder anzuvertrauen. Die mit den Kassen vertraglich nicht verbundenen Ärzte haben jedoch das Recht, einem solchen Vertrag beizutreten. Der Anspruch besteht aber nur unter der Voraussetzung, dass die Bewerber seit mindestens einem Jahr regelmässig im Tätigkeitsgebiet der Kasse praktiziert haben. Aus dem gesetzlichen Wortlaut ergibt sich auch nicht andeutungsweise, dass das Karenzjahr nur in bestimmten - vertraglich begrenzten und geregelten - Fällen und nicht generell zu bestehen wäre.
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bb) Auch die Systematik und die Rechtsprinzipien, auf welchen Art. 16 Abs. 1 KUVG gründet, sprechen dafür, dass die Kassen von Gesetzes wegen uneingeschränkt auf der Einhaltung des Karenzjahres bestehen dürfen.
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In der Frage des Arztrechts standen sich bei der Schaffung des Gesetzes zwei Forderungen gegenüber. Die Krankenkassen verlangten im Interesse gesunder Finanzen, wie bis anhin mittels Verträgen frei darüber bestimmen zu können, welche Ärzte zur Kassenpraxis zugelassen werden sollten (Kassenarztsystem), und wünschten überdies, Einfluss auf die Anwendung der Tarife nehmen zu können (Sten.Bull. 1910 N 421). Die Ärzte forderten dagegen die grundsätzlich freie Arztwahl, womit sie hauptsächlich verhindern wollten, dass die Kassen die Behandlung einigen wenigen Ärzten übertragen und damit ein Behandlungsmonopol einzelner Ärzte begründen könnten (SCHÄREN, Die Stellung des Arztes in der sozialen Krankenversicherung, Diss. Zürich 1973, S. 196). Der Gesetzgeber bekannte sich schliesslich grundsätzlich zum Prinzip der freien Arztwahl (Art. 15 Abs. 1 KUVG), räumte jedoch den Krankenkassen mit Art. 16 Abs. 1 KUVG das Recht ein, mittels Verträgen mit Ärzten das Kassenarztsystem einzuführen. Das beinhaltet auch die freie Wahl der Gegenpartei. Einschränkungen dieses Wahlrechts sind nur aufgrund ausdrücklicher und klarer gesetzlicher Bestimmung möglich und zulässig. Der Gesetzgeber hat in Art. 16 Abs. 1 KUVG diese Freiheit der Kassen BGE 111 V, 357 (363)durch das Beitrittsrecht der Nichtvertragsärzte eingeschränkt (nach SCHÄREN, a.a.O., S. 199, und GUYER, Die Honorarforderung der Ärzte gegenüber den Krankenkassen, Diss. Bern 1948, S. 102 im Sinne eines öffentlich-rechtlichen Kontrahierungszwangs). Nach dem unmissverständlichen Wortlaut dieser Bestimmung besteht aber ein Rechtsanspruch auf Beitritt zum Vertrag nur für Ärzte mit mindestens einjähriger regelmässiger Praxis im Tätigkeitsgebiet der Kasse. Eine weitergehende Einschränkung müssen sich die Kassen mangels gesetzlicher Grundlage nicht gefallen lassen.
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Auch der mit dem Beitrittsrecht verfolgte Zweck, nämlich die Monopolstellung der Vertragsärzte in der sozialen Krankenversicherung zu verhindern, bedingt keine Einschränkung der Kassenrechte beim Karenzjahr.
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cc) Der Antrag auf Einführung einer Karenzzeit wurde bei den gesetzgeberischen Arbeiten von Kassenseite mit der Begründung eingebracht, "dass ein in einer Gegend sich niederlassender Arzt von der Kasse nicht sofort zugelassen werden müsse. Der betreffende Arzt solle eine gewisse Beobachtungszeit durchmachen" (Antrag Scherrer in der nationalrätlichen Kommissionssitzung vom 11. Oktober 1910). Auch in den parlamentarischen Beratungen wurde dieser Zweck genannt. Es solle den Krankenkassen die Möglichkeit gegeben werden, "dass sie sich die Ärzte zuerst in jeder Beziehung besehen können, bevor sie genötigt werden, mit denselben Verträge einzugehen" (Sten.Bull. 1910 N 419; siehe ferner Sten.Bull. 1911 S 40). In den Materialien findet sich nirgends ein Hinweis darauf, dass die Kassen in gewissen Fällen von diesem Prüfungsrecht nicht Gebrauch machen dürften und mithin nur eine bestimmte Kategorie von Nichtvertragsärzten die Karenzzeit zu bestehen hätte. Vielmehr sollten Nichtvertragsärzte generell erst dann einen Anspruch auf Beitritt zu einem Vertrag erheben können, wenn sie die Wartezeit erfüllt haben.
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dd) Aus dem Gesagten erhellt, dass die Vorinstanz zu Unrecht angenommen hat, das Karenzjahr ziele von den historischen Motiven her auf einen befristeten Schutz der Vertragsärzte vor Neuzuzügern ab. Mag das unter Umständen eine Folge der Wartezeit sein und von seiten der Ärzte allenfalls auch so gedeutet werden, entstehungsgeschichtlicher Zweck war dies (trotz Sten.Bull. 1910 N 414) nicht. Die Wartezeit ist zum Schutze der Kassen eingeführt worden. Die Beschwerdegegnerin kann in Anbetracht des klaren Wortlauts von Art. 16 Abs. 1 KUVG nicht daraus ableiten, dass BGE 111 V, 357 (364)den der Wartezeit ursprünglich zugrundeliegenden Motiven heute nur geringe Bedeutung und Aktualität beizumessen sein dürfte (BGE 108 Ia 37).
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b) Die Auslegung von Art. 16 Abs. 1 KUVG ergibt somit, dass die Krankenkassen von Gesetzes wegen in jedem Fall auf der Einhaltung der einjährigen Wartezeit bestehen können. Auch in der Literatur ist keine gegenteilige Auffassung geäussert worden (MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Band II, S. 356; GREBER, Droit suisse de la sécurité sociale, 1982, S. 396; BONER/HOLZHERR, Die Krankenversicherung, 1969, S. 79; HÜNERWADEL, Die Krankenversicherung, 1938, S. 86; EGLI, Die rechtliche Stellung des Arztes in der Krankenversicherung, 1938, S. 65 ff.; SCHWEIZER, Die kantonalen Schiedsgerichte für Streitigkeiten zwischen Ärzten oder Apothekern und Krankenkassen, Diss. Zürich 1957, S. 40; PELET, Les relations juridiques entre médecins et caisses d'assurance-maladie, Diss. Lausanne 1925, S. 53; GUYER, a.a.O., S. 102 ff.; SCHÄREN, a.a.O., S. 203/214 ff.; BERTSCHINGER, Das direkte Forderungsrecht des Arztes gegen die anerkannten Krankenkassen, Diss. Zürich 1965, S. 28 ff.).
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Da die Auslegung ein klares Ergebnis zeitigt und mithin kollidierende Auslegungsgesichtspunkte fehlen, bleibt für die von der Vorinstanz bezüglich der Handels- und Gewerbefreiheit vorgenommene verfassungskonforme Auslegung kein Raum (BGE 108 V 240 Erw. 4b, BGE 107 V 215 Erw. 2b). Der klare Sinn einer Gesetzesnorm darf nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung beiseite geschoben werden (BGE 109 Ia 302).
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c) Was die von der Vorinstanz in Anspruch genommene objektiv-zeitgemässe Interpretation von Art. 16 Abs. 1 KUVG angeht, so darf einer Gesetzesnorm in Anwendung dieser Methode grundsätzlich ein Sinn gegeben werden, der für den historischen Gesetzgeber infolge eines Wandels der tatsächlichen Verhältnisse nicht voraussehbar war und in der bisherigen Praxis auch nicht zum Ausdruck gekommen ist. Doch kann auf einen solchen Sinn nur abgestellt werden, wenn er mit dem Wortlaut des Gesetzes noch vereinbar ist (BGE 107 Ia 237 Erw. 4a), was im vorliegenden Fall aber gerade nicht zutrifft. Abzulehnen ist ferner die von der Beschwerdegegnerin geforderte richterliche Normenkorrektur, weil das Karenzjahr heute die vom historischen Gesetzgeber nicht vorausgesehene und angestrebte Folge habe, dass der Arzt bis zum Ablauf der Wartezeit wirtschaftlich praktisch nicht existieren könne. Eine richterliche Normberichtigung könnte erst erwogen BGE 111 V, 357 (365)werden, wenn die Anwendung des Karenzjahres aufgrund veränderter Verhältnisse in Wertungen schlechthin nicht mehr zu billigen und missbräuchlich wäre (MEIER-HAYOZ, N. 296 und 302 zu Art. 1 ZGB). Davon kann - insbesondere im Lichte der Erwägung 3a/bb - hier nicht die Rede sein, zumal schon bei den Gesetzgebungsarbeiten darauf hingewiesen wurde, dass der Ausschluss von der Kassenpraxis in ländlichen Regionen mitunter auch die wirtschaftliche Existenz des Arztes tangieren könnte (Sten.Bull. 1910 N 425, 1909 S 272 und 274, 1910 S 91).
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d) Im übrigen ist das vorinstanzliche Auslegungsergebnis, wonach der Zweck des Karenzjahres heute im Schutze des Publikums vor ungenügend ausgebildeten und erprobten Ärzten bestehen soll und die Anwendung der Wartezeit deshalb auf solche Sachverhalte einzuschränken sei, auch sachlich nicht haltbar. Zum Schutze der Öffentlichkeit vor unzureichend ausgebildeten Ärzten wurde gestützt auf Art. 33 Abs. 2 BV ein eidgenössischer Fähigkeitsausweis (Arztdiplom) geschaffen und damit die Ausbildungsfrage in polizeilicher Hinsicht grundsätzlich abschliessend geregelt. Entsprechend erachtet das KUVG das eidgenössische Diplom für die Belange der sozialen Krankenversicherung als ausreichend (Art. 21 Abs. 1 KUVG). Die Auffassung der Vorinstanz ist auch deswegen wenig verständlich, weil beim System der freien Arztwahl (Art. 15 Abs. 1 KUVG) von Gesetzes wegen kein über das eidgenössische Diplom hinausgehender Ausweis beruflicher Befähigung gefordert wird. Das gleiche gilt sinngemäss hinsichtlich des Schutzes vor ungenügender Berufserprobung.
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Entgegen der Auffassung der Vorinstanz finden sich auch in den Materialien keine Anhaltspunkte dafür, dass Sinn und Zweck des Karenzjahres darin liege, unerfahrene Ärzte vorübergehend von der Kassenpraxis fernzuhalten (ähnlich SCHÄREN, a.a.O., S. 215 N. 83, und GUYER, a.a.O., S. 102). Die von der Vorinstanz erwähnten wichtigen Gründe betrafen nicht die fachliche Qualifikation des Arztes. Die Räte gingen bei der Schaffung des Gesetzes davon aus, dass sich die Kassen den Beitritt neuzuziehender Ärzte nach Ablauf der Wartezeit nicht vorbehaltlos gefallen lassen müssten, sondern das Recht haben sollten, die Aufnahme zu verweigern, wenn wichtige Gründe dafür sprächen (Sten.Bull. 1910 N 414, 419 und 421, 1911 S 39/40). Gemeint waren im wesentlichen in der Person des Arztes liegende Gründe wie beispielsweise ein anfechtbarer Lebenswandel oder eine nicht zu rechtfertigende Ausbeutung der Patienten (Sten.Bull. 1910 N 425, 1911 S 40). Es handelt BGE 111 V, 357 (366)sich also um Gründe, wie sie schliesslich durch den heutigen Art. 24 KUVG miterfasst wurden (Sten.Bull. 1911 S 40).
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4. Der Kantonalverband Thurgauischer Krankenkassen hat am 16. Oktober 1980 mit der Ärztegesellschaft des Kantons Thurgau einen Vertrag geschlossen und damit vom Recht gemäss Art. 16 Abs. 1 KUVG Gebrauch gemacht. Diesem Vertrag kann die Beschwerdegegnerin nach dem Gesagten grundsätzlich erst nach mindestens einjähriger regelmässiger Praxis im Kanton Thurgau beitreten. Entgegen ihrer Auffassung ist Art. 16 Abs. 1 KUVG nach dem Gesagten nicht dahin zu verstehen, dass er bloss zur Einführung einer Wartezeit berechtige und dass diese nicht länger als ein Jahr sein dürfe. Die Pflicht zur Einhaltung des Karenzjahres besteht von Gesetzes wegen, wenn ein Vertrag geschlossen worden ist, und bedarf daher keiner besonderen vertraglichen Verankerung. Im übrigen hat die Vorinstanz zutreffend erkannt und begründet, dass nach den Bestimmungen des Ärztevertrages die Zugehörigkeit zur Ärztegesellschaft nicht von selbst die Unterstellung unter diesen Vertrag miteinschliesse. Die Einwendungen in der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vermögen daran nichts zu ändern.
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5. a) Nach dem KUVG hat der Arzt keinen Anspruch auf Befreiung vom Karenzjahr. Doch kann es ihm laut dem Ärztevertrag erlassen werden, wofür im vorliegenden Fall gemäss Art. 2 Abs. 2 beide Vertragspartner einverstanden sein müssen (für die vertraglich nicht geregelte Erlassfrage siehe SCHÄREN, a.a.O., S. 202 mit Hinweisen). Eine Pflicht eines Vertragspartners, unter bestimmten Bedingungen einem Erlass stattzugeben, ist vertraglich nicht statuiert und ebensowenig die von der Beschwerdegegnerin behauptete Pflicht, der Kassenverband habe beim Entscheid über die Verweigerung eines Erlasses mit der Ärztegesellschaft zusammenzuarbeiten. Der Kassenverband kann somit grundsätzlich nicht zum Erlass des Karenzjahres verhalten werden, und es steht ihm frei, zu bestimmen, nach welchen Kriterien und unter welchen Voraussetzungen er eine Befreiung vom Karenzjahr gewähren will. Die einzige Schranke liegt im Willkürverbot.
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b) Der Kassenverband hat im vorliegenden Fall einen Erlass verweigert, weil er für den Platz Frauenfeld keinen eindeutigen Bedarf nach weiteren frei praktizierenden Ärzten der allgemeinen oder inneren Medizin sah. Er macht damit den Erlass sinngemäss davon abhängig, dass die in Frage stehende Region ärztlich unzureichend versorgt ist. Es ist nicht ersichtlich, was an diesem BGE 111 V, 357 (367)Kriterium willkürlich sein könnte. Vielmehr ist in den parlamentarischen Beratungen darauf hingewiesen worden, dass die Kassen im Falle einer Unterversorgung gar genötigt sein können, auf das Karenzjahr zu verzichten (Sten.Bull. 1910 N 414 und 421; EGLI, a.a.O., S 67 f.). Es kann offensichtlich nicht von einer medizinischen Unterversorgung auf dem Platze Frauenfeld gesprochen werden. Die gegenteilige Feststellung der Vorinstanz ist unhaltbar und bindet daher das Eidg. Versicherungsgericht nicht (Art. 105 Abs. 2 OG).
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c) Es ist auch zulässig, dass die Kassen den Erlass des Karenzjahres unter dem Blickwinkel der Kosteneindämmung beurteilen, da zumindest das Risiko besteht, dass mit zunehmender Ärztedichte der Umsatz medizinischer Dienstleistungen steigt (SCHMID, Der Einfluss zunehmender Ärztedichte auf die Kosten der Krankenversicherung, in: Schweizerische Krankenkassenzeitung 1984, S. 53). Das Karenzjahr hatte von jeher dem finanziellen Schutz der Krankenkassen zu dienen, und darin liegt auch heute noch eines seiner wesentlichen Ziele.
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d) Der Kassenverband erlässt das Karenzjahr praxisgemäss ferner, wenn der Arzt während mindestens eines Jahres als Ober- oder Assistenzarzt an einem Spital im Kanton Thurgau tätig war. Dieses Kriterium ist vertretbar. Es vermag Härten, wie sie mit der gesetzlichen Regelung des Karenzjahres verbunden sein können, wesentlich zu mildern. Auch ist nicht zu beanstanden, dass der Verband der Beschwerdegegnerin die halbjährige Ausbildungszeit am Kantonsspital Frauenfeld nicht anrechnete, da diese Tätigkeit noch vor dem Abschluss des Medizinstudiums lag. Dabei kann offen bleiben, ob die einjährige Praxistätigkeit nach dem Gesetz nicht unmittelbar vor dem Vertragsbeitritt liegen muss, wie das frühere Verwaltungspraxis war (VEB 22/1952 Nr. 115; vgl. SCHÄREN, a.a.O., S. 202; BONER/HOLZHERR, a.a.O., S. 79; EGLI, a.a.O., S. 67; Juristische Kartothek des Konkordats der Schweizerischen Krankenkassen, VIII/b1). An das Zugeständnis des Kassenverbandes im Verfahren der Paritätischen Vertrauenskommission, die halbjährige Ausbildungszeit am Kantonsspital Frauenfeld als Praxiszeit anzurechnen, war der Verband zufolge Erhebung des Klageverfahrens durch die Beschwerdegegnerin nicht mehr gebunden (BGE 110 V 350).
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6. a) Die Beschwerdegegnerin macht sodann geltend, das Karenzjahr sei im Kanton Thurgau in den letzten Jahren nicht mehr auferlegt worden; der Kassenverband wende dieses Institut BGE 111 V, 357 (368)bei ihr neu an. Sie sei von dieser unzulässigen Praxisänderung völlig überrascht worden und habe erhebliche finanzielle Investitionen getätigt. Sie müsse in ihrem Vertrauen in den Weiterbestand der alten Praxis des Verbandes geschützt werden.
28
Der Kassenverband hatte laut seinem Schreiben vom 9. Juli 1984 ein knappes Jahr zuvor seine Erlasspraxis verschärft. Dazu war er berechtigt, weil ihm nicht verwehrt werden kann, auf seine Rechte aus Art. 16 Abs. 1 KUVG zurückzukommen und von diesen inskünftig vermehrt Gebrauch zu machen. Die Wahrnehmung gesetzlich zustehender und bisher nicht voll ausgeschöpfter Rechte unterscheidet sich wesentlich von einer Praxisänderung, mit welcher einer Norm infolge besserer Erkenntnis oder veränderter Verhältnisse eine neue Auslegung gegeben wird und die nur aufgrund ernsthafter, sachlicher Gründe zulässig ist (BGE 108 Ia 125 Erw. 2b mit Hinweisen). Der Kassenverband war diesen Einschränkungen nicht unterworfen und auch nicht gehalten, die Änderung voranzukündigen. Die Beschwerdegegnerin behauptet sodann nicht, dass ihr vor oder nach der Einführung der neuen Praxis vom Kassenverband der Erlass des Karenzjahres zugesichert worden wäre. Über die gesetzliche Auflage des Karenzjahres konnte die Beschwerdegegnerin nicht im Zweifel sein. Sie ging deshalb ein Risiko ein, als sie vor einer abschliessenden Klärung der Erlassfrage Dispositionen traf, die sie möglicherweise unterlassen hätte, wenn sie von der Absolvierung der Wartezeit ausgegangen wäre. Daraus erwachsene Verluste hat sie selber zu vertreten. Die blosse Erwartung, der Kassenverband werde wie bis anhin eine grosszügige Erlasspraxis handhaben und sie ohne weiteres zur Kassenpraxis zulassen, stellt ein Vertrauen dar, das keinen Rechtsschutz geniesst (vgl. BGE 103 Ia 460).
29
b) Das Recht des Kassenverbandes, in der Erlassfrage strenger zu sein, bringt es notwendigerweise mit sich, dass die Neuzuzüger im Vergleich zu den dem Ärztevertrag bereits beigetretenen Ärzten schlechtergestellt werden. Darin liegt jedoch keine rechtswidrige Ungleichbehandlung. Soweit die Beschwerdegegnerin eine Ungleichbehandlung gegenüber diesen Berufskollegen geltend macht, erweist sich ihre Rüge als unbegründet. Dass nach der Einführung der neuen Praxis wirklich gleichartige Fälle vom Kassenverband in klarer Weise ungleich behandelt worden wären, ist weder belegt noch auch nur glaubhaft dargetan. Mangels hinreichender Verdachtsmomente ist deshalb von ergänzenden Abklärungen - wie sie das BSV beantragt - abzusehen.
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BGE 111 V, 357 (369)7. Aus dem Gesagten folgt, dass der Kassenverband mit der Verweigerung des Erlasses des Karenzjahres gemäss Art. 16 Abs. 1 KUVG rechtmässig gehandelt hat, womit der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben ist. Der Entscheid der Paritätischen Vertrauenskommission vom 28. August 1984 bedarf keiner formellen Aufhebung, da er mit der Anrufung des Schiedsgerichts hinfällig geworden ist (BGE 110 V 350).
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Schiedsgerichts des Kantons Thurgau vom 23. November 1984 aufgehoben und es wird festgestellt, dass der der Beschwerdegegnerin verweigerte Erlass des Karenzjahres gemäss Art. 16 Abs. 1 Satz 2 KUVG rechtmässig war.
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