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17. Urteil vom 2. Mai 1986 i.S. S. gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 104, 105, 132 OG: Überprüfungsbefugnis des Eidg. Versicherungsgerichts im Beschwerdeverfahren betreffend Rückforderung von Versicherungsleistungen und betreffend Erlass der Rückerstattung (Erw. 1b). |
- Sowohl der bevormundete Versicherte als auch sein Vormund sind meldepflichtig, wenn das Mündel eine Erwerbstätigkeit aufnimmt (Erw. 2a). |
- Der Vormund ist nicht rückerstattungspflichtig (Erw. 2b). |
- Bei der Prüfung der Meldepflichtverletzung hat sich der Versicherte das Verhalten seines Vormunds anrechnen zu lassen (Erw. 3b). |
Art. 47 Abs. 1 AHVG: Erlass der Rückerstattung. |
- Eine leichte Meldepflichtverletzung schliesst die Annahme des guten Glaubens nicht aus (Erw. 2c). |
- Der Versicherte hat sich den guten oder bösen Glauben des Vormunds anrechnen zu lassen; hingegen ist die Frage der grossen Härte einzig in der Person und nach den Verhältnissen des Versicherten zu prüfen (Erw. 3c). | |
Sachverhalt | |
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B.- Gegen diese an ihn gerichtete Rückforderungsverfügung wandte Amtsvormund X mit Eingabe vom 22. Juli 1983 an die Ausgleichskasse ein, es sei seinem "Schutzbefohlenen die Rückerstattungspflicht des zu Unrecht bezogenen Betrages zu erlassen" bzw. es sei "auf die Rückforderung des zu Unrecht bezogenen Betrages von Fr. 9'732.-- zu verzichten". Ferner reichte der "Schweizerische Beobachter" (nachfolgend: der Beobachter) namens des Karl S. am 18. August 1983 der Ausgleichskasse ein Wiedererwägungsgesuch ein, das ebenfalls den Antrag enthielt, es sei auf die Rückforderung des Betrages von Fr. 9'732.-- zu verzichten; verneinendenfalls sei die Eingabe an die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich zur Behandlung als Beschwerde weiterzuleiten.
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Die Ausgleichskasse lehnte am 17. Oktober 1983 verfügungsweise "das Erlassgesuch" ab und verpflichtete Amtsvormund X, "den Betrag von Fr. 9'732.-- zurückzuerstatten". Beschwerdeweise beantragte der Amtsvormund am 25. Oktober 1983 die Aufhebung auch dieser Kassenverfügung, ebenso am 7. November 1983 der durch den Beobachter vertretene Karl S.
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C.- Karl S., vertreten durch Amtsvormund X, lässt durch den Beobachter Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen:
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"1. Das angefochtene Urteil sei aufzuheben.
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2. Die Rückforderung von IV-Renten, die in der Zeit vom 1. Oktober 1981 bis 30. Juni 1983 zugunsten von Karl S. an dessen Vormund bezahlt wurden, sei aufzuheben."
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Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) beantragen die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Streitgegenstand im System der nachträglichen Verwaltungsrechtspflege ist das Rechtsverhältnis, welches - im Rahmen des durch die Verfügung bestimmten Anfechtungsgegenstandes - den aufgrund der Beschwerdebegehren effektiv angefochtenen Verfügungsgegenstand bildet. Nach dieser Begriffsumschreibung sind Anfechtungsgegenstand und Streitgegenstand identisch, wenn die Verwaltungsverfügung insgesamt angefochten wird. Bezieht sich demgegenüber die Beschwerde nur auf einen Teil des durch die Verfügung bestimmten Rechtsverhältnisses, gehören die nicht beanstandeten Teilaspekte des verfügungsweise festgelegten Rechtsverhältnisses zwar wohl zum Anfechtungs-, nicht aber zum Streitgegenstand.
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In der Verwaltungsverfügung festgelegte - somit Teil des Anfechtungsgegenstandes bildende -, aber aufgrund der Beschwerdebegehren nicht mehr streitige - somit nicht zum Streitgegenstand zählende - Fragen prüft der Richter nur, wenn die nicht ![]() | 11 |
Objekt des vorinstanzlichen Entscheides und damit Anfechtungsgegenstand sind einerseits die bestätigten Rückforderungsverfügungen vom 20. Juli sowie 17. Oktober 1983 und anderseits die Abweisung der beschwerdeweise wiederholten Erlassgesuche. Da mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die vollumfängliche Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides beantragt wird, gehören vorliegend sowohl die Rückerstattungspflicht als auch der Erlass zum Streitgegenstand. Daher sind beide Punkte einer Beurteilung in diesem Prozess zugänglich.
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b) Die Kognition des Eidg. Versicherungsgerichts ist unterschiedlich, je nachdem ob es um Versicherungsleistungen oder anderes geht. Unter Versicherungsleistungen im Sinne des Art. 132 OG sind Leistungen zu verstehen, über deren Rechtmässigkeit bei Eintritt des Versicherungsfalles befunden wird (BGE 106 V 98 Erw. 3, BGE 98 V 131). Darunter fällt nach ständiger Rechtsprechung auch die Rückforderung von Versicherungsleistungen (z.B. Invalidenrenten), nicht jedoch der Erlass einer solchen Rückerstattungsschuld (BGE 110 V 27 Erw. 3, BGE 98 V 275 Erw. 2; vgl. auch BGE 102 V 245; ZAK 1983 S. 507 Erw. 1). Sind im gleichen Verfahren beide Punkte zu prüfen, so gilt grundsätzlich für die Rückerstattungspflicht die erweiterte Kognition nach Art. 132 OG, wogegen für die Erlassfrage Art. 104 lit. a und Art. 105 Abs. 2 OG zu beachten sind (BGE 98 V 276 Erw. 3). Hinsichtlich des Erlasses kann demnach mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens gerügt werden (Art. 104 lit. a OG); die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig oder unvollständig ist oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen erfolgte (Art. 104 lit. b in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 OG). Im Beschwerdeverfahren um die Rückforderung von Versicherungsleistungen erstreckt sich dagegen die Überprüfungsbefugnis des Eidg. Versicherungsgerichts auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann insbesondere über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).
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2. a) Eine rückwirkende Aufhebung oder Berichtigung einer Invalidenrente (ex tunc) und damit verbunden die Rückerstattung ![]() | 14 |
Für den Tatbestand der Meldepflichtverletzung ist ein schuldhaftes Fehlverhalten erforderlich, wobei nach ständiger Rechtsprechung bereits eine leichte Fahrlässigkeit genügt (BGE 110 V 180 Erw. 3c mit Hinweisen).
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Da der Tatbestand der Meldepflichtverletzung den Vorwurf eines fehlerhaften Verhaltens umschliesst, ist erforderlich, dass der Meldepflichtige urteilsfähig ist, wie dies auch für die zivilrechtliche Haftung aus unerlaubter Handlung gilt (Art. 19 Abs. 3 ZGB). Die Urteilsfähigkeit ist im Sozialversicherungsrecht in bezug auf die in Frage stehende konkrete Handlung und unter Würdigung der bei ihrer Vornahme herrschenden objektiven und subjektiven Verhältnisse zu prüfen (BGE 108 V 126 Erw. 4). Fehlt die Urteilsfähigkeit, kann der Versicherte für sein Verhalten nicht verantwortlich gemacht werden, so dass sich in einem solchen Fall die Annahme einer schuldhaften Meldepflichtverletzung verbietet.
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b) Von der eben dargelegten Meldepflicht ist die Rückerstattungspflicht zu unterscheiden. Denn nicht jeder im Sinne von Art. 77 Abs. 1 IVV Meldepflichtige ist auch der Rückerstattungspflicht unterworfen. Die Frage, wer im Falle einer Meldepflichtverletzung die unrechtmässig ausgerichteten Leistungen zurückzuerstatten hat, stellt sich namentlich im Falle eines bevormundeten Versicherten.
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Aus den Akten geht hervor, dass der Beschwerdeführer in psychischer Hinsicht schwer beeinträchtigt und deswegen nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten selber zu besorgen. Nebst seinem Vormund müssen sich auch andere Amtsstellen seit Jahren immer wieder mit ihm befassen, weil er durch seine Lebensweise sich und andere in Gefahr bringt. Das ständige Eingehen untragbarer finanzieller Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Miete von Lagerräumlichkeiten, welche er für die Aufbewahrung seines Sammelgutes benützt, zeigt deutlich, dass ihm die im alltäglichen Geschäftsleben erforderliche vernünftige Einsicht abgeht. Daher kann er mangels Urteilsfähigkeit nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass er die Aufnahme seiner Erwerbstätigkeit Mitte Juni 1981 in einem Hotel nicht meldete.
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Was die Wahrnehmung der Meldepflicht durch den Amtsvormund anbelangt, so ist dessen Versicherung glaubwürdig, dass er von der am 15. Juni 1981 durch den Beschwerdeführer aufgenommenen Erwerbstätigkeit nichts gewusst habe. Diese Unkenntnis wird durch den am 26. Oktober 1981, somit in einem Zeitpunkt verfassten Rechenschaftsbericht des Vormundes bestätigt, als sich die Frage einer möglichen Rückerstattungspflicht noch gar nicht gestellt hatte. Indessen wäre es dem Amtsvormund bei gezielter Befragung sicherlich möglich gewesen, die Erwerbstätigkeit seines Mündels in Erfahrung zu bringen. Denn aus den eingereichten Unterlagen geht hervor, dass der Beschwerdeführer die Auskunft über seine persönlichen Verhältnisse nicht schlechtweg verweigerte, ![]() | 23 |
c) Was den Erlass dieser Rückerstattungsschuld anbelangt, so kann der gute Glaube des Beschwerdeführers zufolge der auch in diesem Zusammenhang massgeblichen fehlenden Urteilsfähigkeit nicht verneint werden. Aber auch der Amtsvormund kann sich auf den guten Glauben berufen, weil seine Pflichtwidrigkeit, wie dargelegt, nur eine leichte Fahrlässigkeit darstellt. Somit bleibt die Frage zu prüfen, ob die Rückzahlung der Betreffnisse von Fr. 9'732.-- eine grosse Härte im Sinne der Rechtsprechung (BGE 108 V 58) darstellt, wobei diese Frage sich in bezug auf den Beschwerdeführer selber stellt und nach dessen Verhältnissen (nicht denen des Vormundes) zu beantworten ist. Darüber geben die Akten keinen hinreichenden Aufschluss, weshalb die Sache zur Prüfung dieser Erlassvoraussetzung an die Verwaltung zurückzuweisen ist.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid der AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich vom 5. Dezember 1984 sowie die Kassenverfügungen vom 20. Juli und 17. Oktober 1983 aufgehoben werden und die Sache an die Ausgleichskasse des Kantons Zürich zurückgewiesen wird, damit diese, nach Prüfung der Erlassvoraussetzung der grossen Härte, über das Erlassgesuch des Beschwerdeführers neu verfüge.
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