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38. Auszug aus dem Urteil vom 28. August 1987 i.S. B. gegen Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern und Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit gegen B. und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern | |
Regeste |
Art. 42 Abs. 1 und 43 Abs. 1 lit. b AVIG, Art. 67 und 46 Abs. 1 AVIV: Schlechtwetterentschädigung: anrechenbarer Arbeitsausfall. |
- Kriterien für die Bestimmung der ortsüblichen Arbeitszeit gemäss Art. 46 Abs. 1 AVIV (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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B.- Gotthard B. reichte hiegegen Beschwerde ein mit dem Antrag, die Arbeitslosenkasse sei zu verpflichten, für den Monat Januar 1986 die Differenz zwischen dem verlangten Betrag und der ausgerichteten Vergütung nachzuzahlen. Seine Begründung ging unter anderem dahin, dass der Gesamtarbeitsvertrag für das schweizerische Dachdeckergewerbe nicht als allgemeinverbindlich erklärt worden sei, weshalb die darin festgelegte wöchentliche Arbeitszeit von 44 Stunden für ihn nicht massgeblich sei. Die reguläre wöchentliche Arbeitszeit gemäss den Anstellungsverträgen mit seinen Mitarbeitern belaufe sich auf 47,5 Stunden; da er in Littau allein ein Dachdeckergeschäft betreibe, müsse die Arbeitszeit seines Unternehmens als ortsüblich im Sinne des Gesetzes qualifiziert werden.
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Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern gelangte zur Auffassung, dass sich aufgrund der von der Verwaltung eingeholten Erkundigungen "eine regionale ortsübliche Arbeitszeit" gar nicht ermitteln lasse, "geschweige denn eine ortsübliche Arbeitszeit, die gerade einer 44-Stunden-Woche entsprochen hätte". Anderseits entbehre es jeder sachlichen Rechtfertigung, wenn der Firmeninhaber die Ortsüblichkeit einzig aus den Verhältnissen in der Standortgemeinde des Betriebes abgeleitet haben möchte. Eine ortsübliche Arbeitszeit lasse sich mithin aufgrund der vorliegenden Akten nicht rechtsgenüglich nachweisen, weshalb die Beschwerde schon deswegen teilweise begründet sei und die angefochtene Verfügung daher aufgehoben werden müsse; die Sache sei "folgerichtig an die Kasse zurückzuweisen", damit sie den für die Schlechtwetterentschädigung massgeblichen Arbeitsausfall neu ermittle, und zwar im Sinne der einschlägigen Rechtspraxis des Eidg. Versicherungsgerichts, nach welcher bei der Bestimmung des anrechenbaren Arbeitsausfalls von der normalerweise tatsächlich erbrachten vertraglichen Arbeitszeit auszugehen sei (Entscheid vom 14. November 1986).
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Das BIGA führt seinerseits Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt die Aufhebung des kantonalen Entscheides. Gotthard B. verlangt die Abweisung dieser Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Aus den Erwägungen: | |
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b) Als voller Arbeitstag gilt der fünfte Teil der normalen wöchentlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers (Art. 67 AVIV). Diese Bestimmung verweist auf den die Kurzarbeit betreffenden Art. 46 AVIV. Als normale Arbeitszeit gilt nach dessen Absatz 1 die vertragliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers, jedoch höchstens die ortsübliche Arbeitszeit im betreffenden Wirtschaftszweig. Art. 46 AVIV hat seine formelle gesetzliche Grundlage in Art. 32 Abs. 1 lit. b AVIG. Danach ist (im Bereiche der Kurzarbeitsentschädigung) der Arbeitsausfall anrechenbar, wenn er je Abrechnungsperiode mindestens 10% der Arbeitsstunden ausmacht, die von den Arbeitnehmern des Betriebes normalerweise insgesamt geleistet werden. Schliesslich bestimmt Art. 66 Abs. 2 AVIV, dass der Arbeitsausfall erst anrechenbar ist, wenn die verkürzte Arbeitszeit mit der Überzeit, die noch nicht ausgeglichen ist, die normale Arbeitszeit nicht erreicht.
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3. Die Vorinstanz hat zur Begründung ihres Entscheides ausgeführt, die dem Art. 46 AVIV übergeordnete gesetzliche Regelung der Schlechtwetterentschädigung erkläre einen wetterbedingten Arbeitsausfall als grundsätzlich anspruchsbegründend, wenn ![]() | 8 |
a) Mit dem BIGA ist zunächst festzustellen, dass BGE 111 V 257 für die hier zu beantwortende Rechtsfrage nichts hergibt. Dort war zu entscheiden, ob unter den von den Arbeitnehmern eines Betriebes normalerweise geleisteten Arbeitsstunden gemäss Art. 32 Abs. 1 lit. b AVIG die vertraglich vereinbarte Normalarbeitszeit oder, wie das Eidg. Versicherungsgericht schliesslich erkannte, die im vertraglichen Rahmen tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu verstehen ist. Entsprechend waren von der Gesamtheit der Stunden, welche die normale vertragliche Arbeitszeit darstellte, die bezahlten oder nichtbezahlten Absenzen abzuziehen und die so erhaltene Zahl mit den kurzarbeitsbedingten Ausfallstunden zu vergleichen (BGE 111 V 260 Erw. 3). Im vorliegenden Fall geht es dagegen um das Verhältnis zwischen der vertraglichen Arbeitszeit und der ortsüblichen Arbeitszeit. Das stand in BGE 111 V 257 nicht zur Diskussion, insbesondere nicht Bedeutung und Gesetzmässigkeit der in Art. 46 Abs. 1 AVIV vorgesehenen Begrenzung durch die ortsübliche Arbeitszeit. Sodann ist mit der vorinstanzlichen Feststellung, dass Art. 43 AVIG den effektiv erlittenen Arbeitsausfall entschädigen wolle, nichts gewonnen. Denn sie sagt nichts über die hier zu entscheidende Frage aus, ob und an welcher Bezugsgrösse sich der effektive Arbeitsausfall misst. Hiezu gibt diese Gesetzesbestimmung, die lediglich die Voraussetzungen der Anrechenbarkeit umschreibt, weder Antwort noch Anhaltspunkt.
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b) Entscheidend ist demgegenüber, dass gemäss Art. 32 Abs. 1 lit. b AVIG bei der Kurzarbeitsentschädigung von der normalen Arbeitszeit des Versicherten auszugehen ist, um festzustellen, ob und in welchem Umfange ein anrechenbarer Arbeitsausfall vor ![]() | 10 |
4. a) Die massgebende vertragliche Arbeitszeit im Sinne von Art. 46 Abs. 1 AVIV ergibt sich aus den jeweiligen Einzelarbeitsverträgen oder wird durch Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer einem solchen unterstellt sind. Im vorliegenden Fall sind die Einzelarbeitsverträge der Firma B. massgebend, da keine verpflichtende Bindung an einen Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag besteht. Nach diesen Einzelarbeitsverträgen belief sich die normale wöchentliche Arbeitszeit in den Monaten Januar und Februar 1986 auf 47,5 Stunden. Die Verwaltung hat diesen Ansatz nicht als ![]() | 11 |
b) Die hier zu definierende Ortsüblichkeit steht den im Zivilrecht verwendeten Begriffen der Übung und des Ortsgebrauchs nahe und ist wie diese eine Erscheinung der Verkehrssitte. Als solche ist die Sitte zu betrachten, die von einer mehr oder minder grossen Menschenzahl im Geschäftsverkehr beobachtet wird; es ist die den Verkehr beherrschende tatsächliche Übung. Übung und Ortsgebrauch sind mithin das Verhalten, welches sich nach dem richtet, was allgemein in derartigen Verhältnissen zu geschehen pflegt (LIVER, N. 67 zu Art. 5 ZGB). Diese Merkmale sind in gleicher Weise auch dem Begriff der Ortsüblichkeit gemäss Art. 46 Abs. 1 AVIV eigen. Beizufügen ist, dass der Verwaltung bei der Festlegung der ortsüblichen Arbeitszeit im Einzelfall ein grosser Ermessens- und Beurteilungsspielraum zuzugestehen ist (vgl. BGE 111 V 277 Erw. 1d in fine).
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c) Entgegen der von Gotthard B. vertretenen Auffassung vermag die normale vertragliche Arbeitszeit eines Betriebs aufgrund der blossen Tatsache, dass neben diesem in einer Gemeinde oder Region kein weiteres Unternehmen des gleichen Wirtschaftszweiges besteht, nach Massgabe der hievor getroffenen Begriffsbestimmung grundsätzlich noch keine ortsübliche Arbeitszeit im Sinne von Art. 46 Abs. 1 AVIV zu begründen. Ebensowenig muss sich die ortsübliche Arbeitszeit des Art. 46 Abs. 1 AVIV mit den Höchstarbeitszeiten gemäss dem Bundesgesetz vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz; SR 822.11) decken. Wäre dies so, hätte es des Verweises des Verordnungsgebers auf die Ortsüblichkeit nicht bedurft, was belegt, dass Art. 46 Abs. 1 AVIV eine Limite anspricht, die sich zwar im Rahmen, aber vielfach unterhalb der Arbeitnehmerschutzansätze hält.
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Die Verwaltung hat sich demgegenüber bei der Bestimmung der ortsüblichen Arbeitszeit massgeblich von der im Gesamtarbeitsvertrag für das schweizerische Dachdeckergewerbe festgelegten Wochenarbeitszeit von 44 Stunden leiten lassen. Tatsächlich können sich aus Gesamtarbeitsverträgen (auch wenn die Arbeitsvertragsparteien diesem nicht unterstellt sind) zur hier streitigen Frage gültige Aussagen ergeben. Auch die in nicht allgemein verbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen verankerten wöchentlichen Normalarbeitszeiten geben bestehende Gepflogenheiten der Branche wieder. Das lässt Rückschlüsse für die ortsübliche ![]() | 14 |
Weitere Anhaltspunkte für die ortsübliche Arbeitszeit gemäss Art. 46 Abs. 1 AVIV ergeben sich sodann aus den üblichen Arbeitszeiten in vergleichbaren Betrieben des betreffenden Wirtschaftsraumes. Diesbezügliche Abklärungen sind vorzunehmen, wenn ein Gesamtarbeitsvertrag fehlt oder dieser keine oder ungenügende Rückschlüsse auf die ortsübliche Arbeitszeit zulässt. Die Arbeitslosenkasse hat im vorliegenden Fall neben dem Beizug des Gesamtarbeitsvertrages bei zehn Dachdeckerunternehmen in der Agglomeration Luzern eine Erhebung über die wöchentliche Normalarbeitszeit durchgeführt und diese schliesslich mit 44 Wochenstunden festgelegt. Sie hat damit sowohl das ihr Mögliche und Zumutbare getan als auch auf eine wöchentliche Normalarbeitszeit erkannt, die als hinreichend gesichert erscheint und daher nicht zu beanstanden ist. Demzufolge durfte sie aus der Sicht von Art. 46 Abs. 1 AVIV auf der Grundlage von 44 Wochenstunden abrechnen.
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