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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
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42. Auszug aus dem Urteil vom 12. November 1987 i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zürich gegen D. und Kons. und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 52 AHVG: Haftung der Organe. Die Organe einer juristischen Person können belangt werden, bevor diese zu existieren aufgehört hat (Erw. 3c). | |
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3. c) Die Ausgleichskasse geht anscheinend davon aus, dass die Organe einer juristischen Person erst dann für Schadenersatz belangt werden können, wenn diese zufolge Konkurses aufgehört hat, rechtlich zu existieren. Diese Auffassung führt dazu, dass die Ausgleichskasse die Nichtbezahlung der paritätischen Beiträge z.B. seitens der juristischen Person während Jahren akzeptiert und zuwartet, bis über die juristische Person der Konkurs eröffnet wird. Dann begnügen sich die Ausgleichskassen häufig damit, die in den letzten Jahren des Bestehens der zahlungsunfähig gewordenen Firma immer höher gewordenen Beitragsforderungen anzumelden und erst nach Abschluss des Konkursverfahrens die Organe der konkursiten Arbeitgeberin zu belangen. Dadurch werden einerseits die Beitragsausstände und damit das Ausmass des Schadens ![]() | 1 |
Hier besteht ein wesentlicher Unterschied namentlich zur aktienrechtlichen Verantwortlichkeit, auf welche in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde hingewiesen wird. Solange die Aktiengesellschaft nicht im Konkurs ist, steht den Gesellschaftsgläubigern grundsätzlich kein Klagerecht aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit zu (Art. 758 OR; BGE 82 II 48; GUHL/MERZ/KUMMER, Obligationenrecht, 7. Aufl., S. 693). Das ist sachgerecht, weil ein gewöhnlicher Gesellschaftsgläubiger die Aktiengesellschaft in Konkurs und zur Auflösung bringen kann und darüber hinaus erst noch über die fünfjährige Verwirkungsfrist von Art. 760 OR zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber den Gesellschaftsorganen verfügt. Im AHV-Recht aber, wo die Ausgleichskasse den Konkurs der juristischen Person und damit die Aufhebung ihrer rechtlichen Existenz nicht bewirken kann und zudem die relativ kurze einjährige Verwirkungsfrist des Art. 82 Abs. 1 AHVV zur Geltendmachung ihrer Forderung zu wahren hat, ist es unerlässlich, dass die Organe schon dann belangt werden dürfen und sollen, wenn der zahlungsunfähige Arbeitgeber rechtlich noch existiert.
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Nach der Rechtsprechung gilt der Eintritt des Schadens dann als erfolgt, sobald anzunehmen ist, dass die geschuldeten Beiträge aus ![]() | 3 |
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Für die Verjährung einer Schadenersatzforderung, die aus einer strafbaren Handlung hergeleitet wird, für welche das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht, gilt diese Frist (Art. 82 Abs. 2 AHVV). Diese Vorschrift beruht auf der Überlegung, dass es unlogisch wäre, wenn die geschädigte Ausgleichskasse ihre Rechte gegenüber dem haftpflichtigen Schädiger verlieren würde, solange dieser mit einer Strafverfolgung rechnen muss, die regelmässig für ihn mit schwerwiegenden Folgen verbunden ist (BGE 111 V 175).
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In BGE 112 V 163 hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die ratio legis von Art. 82 Abs. 2 AHVV die gleiche sei wie von Art. 60 Abs. 2 OR, wonach im Zivilrecht für die Schadenersatzklage aus einer strafbaren Handlung, für welche das Strafrecht eine längere Verjährung vorsieht, ebenfalls diese längere Frist gilt. Im Zusammenhang mit Art. 60 Abs. 2 OR hat das Bundesgericht erkannt, dass beim Fehlen eines Strafurteils der Zivilrichter vorfrageweise selber zu prüfen hat, ob eine strafbare Handlung gegeben ist (BGE 112 II 188). Wenn aber den Art. 82 Abs. 2 AHVV und 60 Abs. 2 OR der gleiche gesetzliche Sinn zugrunde liegt, dann müssen auch die AHV-Behörden beim Fehlen eines Strafurteils bei der Anwendung von Art. 82 Abs. 2 AHVV selber vorfrageweise prüfen, ob die Schadenersatzforderung sich aus einer strafbaren Handlung ![]() | 6 |
In die gleiche Richtung deutete schon das in EVGE 1957 S. 195 ff. publizierte Urteil, wo im Zusammenhang mit Art. 16 Abs. 1 Satz 3 AHVG betreffend die Verwirkung einer aus einer strafbaren Handlung hergeleiteten Beitragsnachforderung erklärt wird, dass die AHV-Behörden zwar an ein ergangenes Strafurteil gebunden seien; fehle aber ein solches, so könnten sie vorfrageweise selber darüber befinden, ob sich die Nachforderung aus einer strafbaren Handlung ergebe und der Täter dafür strafbar wäre.
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Bei selbständiger Beurteilung des Straftatbestandes durch die AHV-Behörden darf aber eine strafbare Handlung nur bejaht werden, wenn sie bewiesen ist. Dabei müssen an den Beweis die gleichen Anforderungen gestellt werden wie in einem Strafverfahren. Der im Sozialversicherungsrecht sonst übliche Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Die Kassenleiter sind verpflichtet, strafbare Handlungen im Sinne von Art. 87 ff. AHVG der zuständigen kantonalen Instanz anzuzeigen (Art. 201 AHVV). Unterbleibt eine solche Anzeige, so bestehen erhebliche Zweifel am Vorliegen einer strafbaren Handlung, es sei denn, die Unterlassung der Anzeige qualifiziere sich klar als pflichtwidrig. Auf jeden Fall hat die Kasse, die sich auf die strafrechtliche Verjährungsfrist beruft, Aktenmaterial zu produzieren, welches das strafbare Verhalten hinreichend ausweist (vgl. EVGE 1957 S. 51 und 198).
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b) Nach Art. 87 Abs. 3 (in Verbindung mit Abs. 6) AHVG wird, sofern nicht ein mit einer höheren Strafe bedrohtes Verbrechen oder Vergehen des Strafgesetzbuches vorliegt, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bis zu 20'000 Franken bestraft, wer als Arbeitgeber einem Arbeitnehmer Beiträge vom Lohn abzieht, sie jedoch dem vorgesehenen Zweck entfremdet. Diese Strafandrohung bezieht sich ausdrücklich nur auf die Zweckentfremdung von Arbeitnehmerbeiträgen, was von der Ausgleichskasse nicht bestritten wird, und nicht auch auf die Nichtbezahlung von Arbeitgeberbeiträgen.
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c) Nach Art. 18 Abs. 1 StGB, der auch auf die in Art. 87 AHVG genannten Delikte anwendbar ist (Art. 333 Abs. 3 StGB), ist nur strafbar, wer ein Vergehen vorsätzlich, d.h. mit Wissen und Willen verübt, es sei denn, das Gesetz bestimme ausdrücklich etwas anderes. Die fahrlässige Erfüllung der in Art. 87 Abs. 2 und 3 AHVG umschriebenen Straftatbestände ist nicht mit Strafe bedroht. Somit ist nur die vorsätzliche Verübung dieser Delikte strafbar. Die Akten, welche von der Ausgleichskasse, die gegen die Beschwerdegegner keine Strafanzeige erstattet hat, beigebracht werden, erlauben es nicht, den Beschwerdegegnern eine vorsätzliche Zweckentfremdung von Arbeitnehmerbeiträgen oder eine vorsätzliche Beitragshinterziehung nachzuweisen. Dazu wäre die Durchführung eines Verfahrens notwendig, in welchem die Stellung der Organe, die Korrespondenz und der Abrechnungsverkehr zwischen der Firma und der Ausgleichskasse in den fraglichen Jahren im einzelnen abzuklären wären. Das kann aber nicht die Aufgabe des Sozialversicherungsrichters im Rahmen einer vorfrageweisen Prüfung einer strafrechtlich relevanten Verantwortlichkeit sein. Demzufolge ist Art. 82 Abs. 2 AHVV im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Somit hat es bei der einjährigen Verwirkungsfrist des Art. 82 Abs. 1 AHVV sein Bewenden.
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