BGE 113 V 261 | |||
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43. Urteil vom 19. November 1987 i.S. Schweizerische Ausgleichskasse gegen M. und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | |
Regeste |
Art. 8 lit. a Abs. 1 und lit. f des schweizerisch-jugoslawischen Abkommens vom 8. Juni 1962 über Sozialversicherung. | |
Sachverhalt | |
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Beim Sturz von einem Baugerüst zog sich Ivica M. am 17. September 1985 linksseitig eine komplizierte Knieverletzung zu, die trotz verschiedener operativer und rehabilitativer Massnahmen, für welche die SUVA aufkam, eine bleibende Behinderung zurückliess, was zur Gewährung einer Invalidenrente und einer Integritätsentschädigung führte. Die Rehabilitationsklinik Bellikon, wo sich Ivica M. bis zum 6. Juni 1986 aufgehalten hatte, schlug aufgrund einer Berufserprobung die Umschulung des "sehr gut motivierten Patienten" im Sinne einer praktischen internen Anlehre "z.B. an einem Montageband oder eine anspruchslose Überwachungsfunktion an einem Bearbeitungszentrum" vor (Schlussbericht vom 18. Juni 1986).
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Darauf meldete sich Ivica M. am 20. Juni 1986 zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die Invalidenversicherungs-Kommission gelangte jedoch zur Auffassung, dass er, da erstmals am 1. Juni 1985 in die Schweiz eingereist und seit dem Unfall vom 17. September 1985 arbeitsunfähig, die gemäss dem schweizerisch-jugoslawischen Abkommen über Sozialversicherung für den Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen bzw. Rente erforderliche Mindestbeitragsdauer von einem Jahr nicht erfülle. Dementsprechend verfügte die Schweizerische Ausgleichskasse am 1. August 1986 die Abweisung des Leistungsbegehrens.
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B.- Gegen diese Verfügung beschwerte sich Ivica M. beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit dem Antrag, es sei der IV-Regionalstelle der Auftrag zur Abklärung der beruflichen Eingliederungsmassnahmen zu erteilen.
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Das kantonale Versicherungsgericht bejahte, dass Ivica M. die versicherungsmässigen Leistungsvoraussetzungen erfülle; es hob die Kassenverfügung auf und wies die Sache zur Prüfung der materiellen Leistungsvoraussetzungen an die Verwaltung zurück (Entscheid vom 12. März 1987).
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C.- Die Schweizerische Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Sie vertritt die Auffassung, im Hinblick auf die Gewährung beruflicher Eingliederungsmassnahmen sei die Invalidität am 7. Juni 1986 eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt habe Ivica M. aber die Voraussetzung des zivilrechtlichen Wohnsitzes in der Schweiz nicht erfüllt.
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Ivica M. trägt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.
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Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) verzichtet auf einen Antrag zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
1. a) Nach Art. 8 lit. a Abs. 1 des schweizerisch-jugoslawischen Abkommens vom 8. Juni 1962 über Sozialversicherung steht jugoslawischen Staatsangehörigen ein Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen nur zu, solange sie in der Schweiz Wohnsitz haben und wenn sie unmittelbar vor Eintritt der Invalidität während mindestens eines vollen Jahres Beiträge an die schweizerische Versicherung entrichtet haben. Art. 8 des Abkommens ist durch das Zusatzabkommen vom 9. Juli 1982 mit einer lit. f ergänzt worden, die folgenden Wortlaut hat:
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"Staatsangehörige der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien ohne Wohnsitz in der Schweiz, die ihre Erwerbstätigkeit in diesem Land infolge Unfall oder Krankheit aufgeben müssen und die bis zum Eintritt des Versicherungsfalles da bleiben, gelten für die Gewährung von Leistungen der Invalidenversicherung als nach der schweizerischen Gesetzgebung versichert. Sie haben weiterhin Beiträge an die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung zu entrichten, als hätten sie Wohnsitz in der Schweiz."
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b) Im Lichte dieser Vertragsbestimmungen ist zunächst zu prüfen, wann im vorliegenden Fall die Invalidität bzw. der Versicherungsfall eingetreten ist. Das bestimmt sich nach innerstaatlichem, schweizerischem Recht. Gemäss Art. 4 Abs. 2 IVG gilt die Invalidität bzw. der Versicherungsfall als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat. Massgebend ist somit der Zeitpunkt, in welchem die Invalidität nach ihrer aktuellen Art und Schwere Eingliederungsmassnahmen erfordert und ermöglicht. Hinsichtlich beruflicher Eingliederungsmassnahmen für Volljährige tritt der Versicherungsfall ein, wenn der Gesundheitsschaden sich dermassen schwerwiegend auf die Erwerbsfähigkeit auswirkt, dass der betroffenen Person die Ausübung ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann, die in Frage stehende Eingliederungsmassnahme als notwendig erscheint und die erforderlichen Krankenpflege- und Rehabilitationsmassnahmen abgeschlossen sind (ZAK 1983 S. 249; vgl. BGE 112 V 278).
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Der Unfall, den der Beschwerdegegner am 17. September 1985 erlitten hat, bewirkte während mehrerer Monate vollständige Arbeitsunfähigkeit und erforderte eine längere medizinische Behandlung. Nach dem Aufenthalt in Bellikon vom 7. April bis 6. Juni 1986 war sein Gesundheitszustand wieder soweit hergestellt und waren die Verhältnisse in beruflicher Hinsicht soweit abgeklärt, dass konkret an eine berufliche Wiedereingliederung mit Hilfe der Regionalstelle gedacht werden konnte. Somit ist davon auszugehen, dass der Versicherungsfall für berufliche Massnahmen im Sinne von Art. 15 ff. IVG nicht vor anfangs Juni 1986 eingetreten ist.
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2. Der Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen ist aber nur gegeben, wenn der Beschwerdegegner die in Art. 8 lit. a Abs. 1 oder lit. f des Abkommens aufgestellten Erfordernisse erfüllen würde.
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a) Der Beschwerdegegner hat seine Erwerbstätigkeit in der Schweiz am 1. Juni 1985 aufgenommen. Er befindet sich seither in der Schweiz, an deren Sozialversicherungen er Beiträge leistet. Bei Eintritt der Invalidität anfangs Juni 1986 erfüllte er somit jedenfalls das Erfordernis mindestens einjähriger Beitragszahlung (Art. 8 lit. a des Abkommens), was übrigens von keiner Seite bestritten und insbesondere auch von der beschwerdeführenden Ausgleichskasse heute anerkannt wird (vorinstanzliche Beschwerdevernehmlassung in Verbindung mit der Eingabe der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen an die Vorinstanz vom 30. September 1986).
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b) Es stellt sich alsdann die Frage, ob der Beschwerdegegner bei Eintritt der Invalidität im Sinne von Art. 8 lit. a des Abkommens in der Schweiz Wohnsitz hatte.
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Der Beschwerdegegner hielt sich vom 1. Juni 1985 hinweg zunächst mit einer bis 15. Dezember 1985 befristeten Saison-Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz auf, die dann durch eine weitere, zunächst bis 15. Juni 1986 gültige, nicht näher bekannte Aufenthaltsbewilligung abgelöst wurde, und gelangte schliesslich mit Wirkung ab 8. Dezember 1986 in den Besitz der Aufenthaltsbewilligung B.
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Der Wohnsitz einer Person befindet sich gemäss Art. 23 Abs. 1 ZGB grundsätzlich an dem Ort, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Diese Absicht kann für die Belange der Sozialversicherung bei Ausländern oder Staatenlosen so lange nicht beachtlich sein, als öffentlichrechtliche Hindernisse die Verwirklichung dieser Absicht langfristig verbieten, was beispielsweise in der Regel bei ausländischen Arbeitnehmern der Fall ist, die aufgrund einer Saisonbewilligung in der Schweiz erwerbstätig sind (BGE 105 V 136 und BGE 99 V 209). Indessen kann bei Saisonarbeitern Wohnsitz in der Schweiz angenommen werden, wenn sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens in der Schweiz aufhalten und im Zeitpunkt des potentiellen Versicherungsfalles die Voraussetzungen für die Umwandlung der Saisonbewilligung in eine ganzjährige Aufenthaltsbewilligung bereits erfüllen oder doch zu erfüllen im Begriffe sind (unveröffentlichtes Urteil J. vom 29. April 1982).
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Ob der Beschwerdegegner im Lichte dieser Rechtsprechung bei Eintritt der Invalidität in der Schweiz bereits Wohnsitz hatte oder ob er einen solchen allenfalls zu einem spätern Zeitpunkt begründete und ob in diesem zweiten Fall die nachträgliche Erfüllung der Wohnsitzklausel als Teilvoraussetzung für den Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen genügt, kann dahingestellt bleiben, weil der Leistungsanspruch aufgrund von Art. 8 lit. f des Abkommens (in der Fassung des Zusatzabkommens) bejaht werden muss, wie im Folgenden darzutun sein wird.
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b) Zur Begründung ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde macht die Ausgleichskasse geltend: Der Beschwerdegegner könne wohl als bei Eintritt der Invalidität aufgrund von Art. 8 lit. f des Abkommens versichert betrachtet werden, doch erfülle er die in Art. 8 lit. a Abs. 1 geforderte Voraussetzung des zivilrechtlichen Wohnsitzes nicht. Sie hält also das Wohnsitzerfordernis auch im Rahmen der lit. f für massgeblich, welche Auffassung vom BSV anscheinend geteilt wird.
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Dieser Standpunkt widerspricht dem Wortlaut von Art. 8 lit. f des Abkommens. Die Bestimmung ist ihrem Wortlaut nach gerade auf jene jugoslawischen Staatsangehörigen zugeschnitten, die "ohne Wohnsitz in der Schweiz" sind. Der Vertragstext enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass Art. 8 lit. f nur auf solche jugoslawische Staatsangehörige anwendbar wäre, die früher einmal Wohnsitz in der Schweiz gehabt und diesen nachträglich aufgegeben haben. Die in dieser Bestimmung getroffene Ordnung gilt vielmehr für alle jugoslawischen Staatsangehörigen ohne Wohnsitz in der Schweiz, und zwar generell "für die Gewährung von Leistungen der Invalidenversicherung", somit auch für die Zusprechung von Eingliederungsmassnahmen gemäss den Art. 8 und 12 ff. IVG.
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Die Auffassung der Ausgleichskasse ist aber auch aus folgendem Grund nicht stichhaltig: Wäre das Wohnsitzerfordernis der lit. a auch im Rahmen der lit. f des Art. 8 massgeblich, so würde dies bedeuten, dass lit. f ein der lit. a untergeordneter Hilfstatbestand wäre. Das trifft nicht zu, denn die lit. a-e des Art. 8 regeln unterschiedliche, unabhängig voneinander bestehende Sachverhalte, welche mit dem Zusatzabkommen um einen weitern Tatbestand betreffend die Erfüllung der versicherungsmässigen Voraussetzungen gemäss lit. f ergänzt worden sind.
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Die Meinung der Ausgleichskasse widerspricht schliesslich auch dem Ziel und dem Zweck der lit. f, wozu der Bundesrat in seiner Botschaft vom 3. November 1982 ausgeführt hat (BBl 1982 III 1057):
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"Bei den Voraussetzungen für den Erwerb von Ansprüchen auf IV-Leistungen wird durch das Zusatzabkommen (Art. 4) eine bisher zu stossenden Härtefällen führende Regelung korrigiert. Nach dem Abkommen von 1962 kann nämlich ein Jugoslawe, der in der Schweiz keinen Wohnsitz hat und seine Erwerbstätigkeit in unserem Land infolge Krankheit oder Unfall unterbrechen muss, weder Eingliederungsmassnahmen der IV beanspruchen noch einen Rentenanspruch erwerben, selbst dann nicht, wenn er bis zum Eintritt der Invalidität im Sinne des schweizerischen Rechts (im allgemeinen 360 Tage nach dem Unfall bzw. dem Ausbruch der Krankheit) in der Schweiz verbleibt; weil er in der Schweiz nicht Wohnsitz hat und hier auch keine Erwerbstätigkeit ausübt, ist er nämlich nicht versichert und erfüllt somit die nach dem IVG für den Leistungsanspruch vorausgesetzte Versicherungsklausel nicht.
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Das Problem, dass in solchen Fällen trotz manchmal langer Versicherungsdauer in der Schweiz der Leistungsanspruch verlorengehen kann, wurde in den Abkommen mit anderen Staaten bereits einer Lösung zugeführt. Nunmehr wurde auch das Abkommen mit Jugoslawien diesbezüglich an die betreffenden Regelungen mit den andern Ländern angepasst. Nach Artikel 4 des Zusatzabkommens gelten jugoslawische Staatsangehörige, die bis zum Eintritt des Versicherungsfalles in der Schweiz verbleiben, als versichert im Sinne des IVG, so dass sie bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen in den Genuss von IV-Leistungen gelangen können. In der betreffenden Zeit müssen sie übrigens weiterhin Beiträge an die schweizerische AHV/IV entrichten, womit ihnen die gleiche Verpflichtung wie Personen mit Wohnsitz in der Schweiz auferlegt, aber auch die Möglichkeit gegeben wird, mit diesen Beiträgen nötigenfalls das für den Erwerb des Anspruchs auf IV-Leistungen erforderliche eine Beitragsjahr noch aufzufüllen."
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Diese Ausführungen des Bundesrates machen deutlich, dass im Rahmen der lit. f zwar auch das Erfordernis der mindestens einjährigen Beitragsdauer gelten, anderseits aber auf das Wohnsitzerfordernis verzichtet werden soll. Nur so lässt sich die mit dem Zusatzabkommen angestrebte Besserstellung der jugoslawischen Staatsangehörigen erreichen, die oft wegen ihres fremdenpolizeilichen Status vorläufig oder während ihres gesamten Aufenthalts in der Schweiz hier keinen Wohnsitz begründen können. Dieser Zweck würde vereitelt, wenn man im Sinne der Ausgleichskasse auch im Rahmen der lit. f bei Eintritt der Invalidität Wohnsitz in der Schweiz verlangen würde.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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