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50. Urteil vom 23. Dezember 1987 i.S. Schweizerische Grütli gegen Di G. und Versicherungsgericht des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 1 Abs. 2 Satz 2, Art. 12bis Abs. 3 KUVG: Krankengeldversicherung. |
Eine revisionsweise Kürzung oder Aufhebung laufender Krankengelder erheblichen Umfangs kann dem betroffenen Versicherten nur zugemutet werden, wenn besondere Rechtfertigungsgründe vorliegen. | |
Sachverhalt | |
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Am 17. Dezember 1985 schrieb die Kasse Antonio Di G., die Statuten würden auf den 1. Januar 1986 dahin revidiert, dass beim Krankengeld kein Anspruch auf eine zweite Bezugsberechtigungsperiode mehr bestehe. Er erhalte somit nur noch bis 31. Dezember 1985 Krankengeld. Da Antonio Di G. damit nicht einverstanden war, erliess die Kasse am 11. April 1986 eine entsprechende Verfügung.
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B.- Hiegegen erhob Antonio Di G. Beschwerde mit dem Antrag, die Kasse sei zu verpflichten, ihm ab 1. Januar 1986 für die Dauer der noch nicht erfüllten zweiten Bezugsberechtigungsperiode das versicherte Krankengeld auszurichten. Das Versicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 1. Juli 1986 gut.
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C.- Die Kasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und die Kassenverfügung vom 11. April 1986 zu bestätigen. Auf die Begründung wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen einzugehen sein.
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Antonio Di G. schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
1. a) Nach der Rechtsprechung können die Krankenkassen die Beiträge und die über die gesetzlichen Minima hinausgehenden ![]() | 6 |
b) Nach Art. 48 Abs. 8 in Verbindung mit Art. 44 Abs. 1 des Leistungsreglements der Schweizerischen Grütli in der bis 31. Dezember 1985 geltenden Fassung wurden die Leistungen aus der Krankengeldversicherung 720 Tage im Laufe von 900 aufeinanderfolgenden Tagen erbracht (erste Bezugsberechtigungsperiode). Im Anschluss an diese Leistungen wurde nach einer Einstellungszeit von 180 Tagen während weiteren 360 Tagen innerhalb von 540 aufeinanderfolgenden Tagen noch das halbe versicherte Krankengeld ausgerichtet (zweite Bezugsberechtigungsperiode). Danach war die Krankengeldversicherung erschöpft. Am 16. November 1985 beschloss die Zentraldelegiertenversammlung, die zweite Bezugsberechtigungsperiode auf den 1. Januar 1986 aufzuheben.
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2. a) Der Beschwerdegegner hat eingewendet, der Entzug des Krankengeldes in der zweiten Bezugsberechtigungsperiode stelle in seinem Fall einen mit dem Vertrauensprinzip unvereinbaren Eingriff in ein bestehendes Versicherungsverhältnis dar. Dem kann nach der dargelegten Rechtsprechung nicht beigepflichtet werden, soweit der Einwand dahin zu verstehen ist, dass eine einmal abgeschlossene Versicherung in ihrem Bestand gegenüber späteren Verminderungen des Leistungskatalogs generell geschützt sei. Die anerkannten Krankenkassen decken ihre Ausgaben durch die laufenden Einnahmen (Umlage- oder Ausgabendeckungsverfahren); sie haben von Gesetzes wegen für einen gesunden Finanzhaushalt zu sorgen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, sind sie darauf ![]() | 8 |
b) Die Satzungen der Grütli enthielten keine Zusage, dass die Leistungsdauer in der aufgeschobenen Krankengeldversicherung künftig nicht herabgesetzt würde. In ihrem Schreiben vom 6. Mai 1985 hatte die Kasse sodann nicht die Ausrichtung bestimmter Leistungen konkret und definitiv zugesichert, sondern lediglich festgestellt, dass die zweite Bezugsberechtigungsperiode am 2. Oktober 1985 zu laufen beginne. Diese Zusage stand unter dem zwar nicht ausdrücklich erwähnten, aber sinngemässen und selbstverständlichen Vorbehalt, dass dannzumal alle materiellen Leistungsvoraussetzungen - einschliesslich der erforderlichen statutarischen oder reglementarischen Grundlagen - erfüllt sein würden. Dass beim Abschluss der Versicherung die reglementarische Leistungsdauer zwei Bezugsberechtigungsperioden umfasste, begründet sodann für sich allein keine Zusicherung eines unabänderlichen Versicherungsschutzes und ebensowenig ein wohlerworbenes Recht des Inhalts, dass das Mitglied nach einer revisionsweisen Herabsetzung der Deckung in künftigen Schadenfällen Leistungen weiterhin nach den altrechtlichen Leistungsnormen beanspruchen könne (BGE 113 V 212).
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3. a) Dagegen wirft der Beschwerdegegner zu Recht die Frage auf, ob die Krankenkassen ohne Verletzung des Vertrauensprinzips durch Revision der Kassenbestimmungen auch laufende Versicherungsansprüche von Mitgliedern herabsetzen oder aufheben können. Im Urteil St. vom 30. Oktober 1984 (RKUV 1985 Nr. K 627 S. 131 Erw. 2a und S. 133 Erw. 3a; bestätigt im bereits zitierten BGE 113 V 212) hat das Eidg. Versicherungsgericht die Zulässigkeit einer solchen Massnahme bejaht, indem es erkannte, dass der Weiterbestand altrechtlicher Ansprüche unter der Herrschaft einer neuen statutarischen Ordnung grundsätzlich ausgeschlossen sei, wobei es keinen Unterschied mache, ob es um (im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts) aktuelle ![]() | 10 |
b) Daran ist im Grundsatz festzuhalten. Zur Erhaltung einer gesunden Finanzlage der Kasse kann unter Umständen auch eine Schmälerung laufender Ansprüche geboten sein und muss daher zugelassen werden. Indes ist zu beachten, dass die Kassen bei einer Anpassung von Beiträgen oder Leistungen praxisgemäss verpflichtet sind, zwischen den Anforderungen einer gesunden Kassenführung einerseits und der Sorge um die Respektierung der Rechte eines jeden Versicherten einen billigen Ausgleich zu suchen und zu wahren (BGE 100 V 69, 96 V 98; RSKV 1980 Nr. 428 S. 249). Eine Kürzung oder Aufhebung laufender Ansprüche bedeutenden Umfangs ist den Betroffenen nach diesen Grundsätzen nur mit grosser Zurückhaltung zuzumuten. Eine Aufhebung oder Herabsetzung laufender Versicherungsansprüche bedeutenden Umfangs durch Statutenrevision stellt eine schwere Beeinträchtigung des von der Kasse begründeten Vertrauens auf Versicherungsschutz und unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit einen ebenso einschneidenden Eingriff in die Rechte der betroffenen Mitglieder dar. Eine revisionsweise Schmälerung laufender Ansprüche bedarf deshalb besonderer Rechtfertigungsgründe.
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c) Solche Rechtfertigungsgründe fehlen im vorliegenden Fall. Insbesondere deutet nichts darauf hin, dass das finanzielle Gleichgewicht im Bereiche der Krankengeldversicherung gefährdet wäre oder das mit der beschlossenen Reglementsänderung angestrebte Ziel sonstwie vereitelt würde, wenn die laufenden Ansprüche nach der Revision noch gemäss altem Leistungsrecht erfüllt würden. Wohl mag die Kostenbremse dadurch etwas langsamer zum Greifen kommen, was aber einen so einschneidenden Eingriff in die Rechte der Versicherten wie hier nicht zu rechtfertigen vermag. Ebensowenig kann der Tatsache entscheidendes Gewicht zukommen, dass der Beschwerdegegner für die Zeit ab 1. Januar 1986 bis zur Erschöpfung des Anspruchs Beiträge entrichtet, die für eine einmalige Bezugsberechtigungsperiode berechnet sind. Die Einhaltung des Gegenseitigkeitsprinzips hat hier gegenüber dem Verhältnismässigkeitsprinzip und dem Vertrauensgrundsatz zurückzutreten, dessen Rechtsfolge gerade darin besteht, dass dem Rechtsuchenden eine vom an sich massgebenden Recht abweichende Behandlung zukommen soll (BGE 112 V 119 Erw. 3a).
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d) Die Kasse beruft sich für ihren Standpunkt auf das in RKUV 1985 Nr. K 627 S. 129 publizierte und bereits oben zitierte ![]() | 13 |
e) Aus dem Gesagten folgt, dass der Beschwerdegegner ab 1. Januar 1986 die versicherungsmässigen Voraussetzungen für eine zweite Bezugsberechtigungsperiode gemäss dem bis 31. Dezember 1985 gültig gewesenen reglementarischen Recht erfüllt.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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