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51. Urteil vom 28. Oktober 1988 i.S. Krankenkasse SBB gegen S. und Versicherungsgericht des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 1 Abs. 2 Satz 2, Art. 5 Abs. 1 und 3 KUVG, Art. 4 BV: Anspruch auf Höherversicherung. |
- Sehen die Statuten keinen Anspruch auf Höherversicherung vor, kann ein solches Recht weder aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip noch aus dem Grundsatz der Gegenseitigkeit abgeleitet werden (Erw. 4a und d). |
- Zur Freiheit der Kasse, den Massstab für das ihr tragbar erscheinende Morbiditätsrisiko bestimmen zu können (Erw. 4b). |
- Ansprüche auf Höherversicherung unter dem Titel rechtsgleicher Behandlung (Erw. 4c). | |
Sachverhalt | |
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Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Bern in dem Sinne gut, dass es die Akten an die Kasse zurückwies, damit diese in medizinischer Hinsicht abkläre, ob der Versicherte ein so hohes Krankheitsrisiko aufweise, dass sich eine Ablehnung der Höherversicherung rechtfertige. Dabei sei ebenfalls zu prüfen, ob nach Massgabe des Verhältnismässigkeitsprinzips nicht auch die Gewährung der Höherversicherung unter Anbringung eines Versicherungsvorbehaltes genügen könnte (Entscheid vom 16. Juni 1987). Nach Eingang der Berichte der Privatklinik W. vom 14. September 1987 und des behandelnden Psychiaters Dr. med. H. vom 29. Juli 1987 wies die Kasse das Gesuch um Höherversicherung mit Verfügung vom 6. Oktober 1987 erneut vollumfänglich ab.
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B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Bern mit der Begründung gut, dass bei Gerhard S. das Risiko erneuter psychotischer Episoden "äusserst gering" sei und deshalb nicht von einem erhöhten Versicherungsrisiko gesprochen werden könne. Unter diesen Umständen rechtfertige sich auch kein Versicherungsvorbehalt (Entscheid vom 14. Dezember 1987).
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C.- Die Krankenkasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid vom 14. Dezember 1987 sei aufzuheben.
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Der Versicherte und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
1. a) Nach Art. 5 Abs. 1 KUVG hat jeder Schweizerbürger das Recht, in eine Kasse einzutreten, wenn er deren statutarische Aufnahmebedingungen erfüllt. Die Aufnahme darf gemäss Art. 5 Abs. 3 ![]() | 6 |
b) Die Krankenkassen sind gesetzlich verpflichtet, die Mitglieder für die im KUVG festgelegten Mindestleistungen (Art. 12-12quater und Art. 14 KUVG) zu versichern. Sehen indes die Kassenstatuten höhere Mindestleistungen als die gesetzlichen vor, so kann der Aufnahmebewerber beanspruchen, für die statutarischen Mindestleistungen sowohl der Krankenpflege- als auch der Krankengeldversicherung versichert zu werden, wenn die Kasse beide Versicherungsarten führt (Art. 1 Abs. 2 Vo III).
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b) Aufgrund der mit Art. 1 Abs. 2 Satz 2 KUVG gewährleisteten Autonomie sind die Krankenkassen in der statutarischen oder reglementarischen Ausgestaltung der Zusatzversicherungen zur Grundversicherung grundsätzlich frei. Diese Gestaltungsfreiheit ist indessen nicht unbeschränkt. Die Kassen haben sowohl bei der Reglementierung dieser sozialversicherungsrechtlichen Zusatzversicherungen als auch bei der Rechtsanwendung im Einzelfall die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu beachten, wie sie sich aus dem ![]() | 9 |
c) Die Kassen sind gestützt auf Art. 1 Abs. 2 Satz 2 KUVG namentlich auch befugt, den Zugang zu den Zusatzversicherungen an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen (BONER/HOLZHERR, a.a.O., S. 72). Insbesondere können sie die Aufnahme vom Gesundheitszustand des Bewerbers abhängig machen (RSKV 1984 Nr. 590 S. 194 Erw. 3b, 1982 Nr. 484 S. 89; GREBER, a.a.O., S. 388, PFLUGER, a.a.O., II c4; BONER/HOLZHERR, a.a.O., S. 72).
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b) Die Krankenkasse SBB hat die Verweigerung der Höherversicherung damit begründet, dass sie den Übertritt in eine höhere Versicherungsklasse praxisgemäss nur bei gutem Gesundheitszustand des Gesuchstellers bewillige. Weil beim Beschwerdegegner ein langfristiges Risiko für Rückfälle nicht ausgeschlossen sei, habe sie eine Höherversicherung ablehnen müssen. Ebensowenig habe sie diese in Verbindung mit einem Versicherungsvorbehalt gewähren können, weil keine zeitlich beschränkte bzw. eingrenzbare Rückfallgefahr vorliege. Die Kasse bringt damit zum Ausdruck, dass sie Antragsteller mit beeinträchtigter Gesundheit praxisgemäss von der Versicherung ausschliesst oder eine solche nur unter Anbringung eines Vorbehaltes gestattet, soweit bei den Bewerbern die versicherungstechnische Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Versicherungsfalles auf lange Zeit hinaus gesehen höher ist als bei Bewerbern ohne die fraglichen gesundheitlichen Störungen. Erhöhte Risiken in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn der Gesuchsteller im Zeitpunkt des Höherversicherungsantrags an einer ![]() | 12 |
c) Die Vorinstanz hat im vorliegenden Fall das Bestehen eines erhöhten Risikos verneint, weil aufgrund des chefärztlichen Berichts der Privatklinik W. vom 14. September 1987 und des Attests Dr. H. vom 29. Juli 1987 eine gute Prognose gestellt werden könne bzw. die Wahrscheinlichkeit erneuter psychotischer Episoden unter ambulanter psychiatrischer Behandlung und Betreuung als gering zu betrachten sei, was der Krankheitsverlauf seit 1982 denn auch gezeigt habe. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Im vorliegenden Zusammenhang ist nicht entscheidend, ob die Ärzte die Entwicklung der Krankheit des Beschwerdegegners prognostisch als günstig oder ungünstig beurteilen. Massgebend ist vielmehr, ob die fragliche Erkrankung in dem Sinne ein besonderes Risiko darstellt, als sie die Möglichkeit des Eintritts eines Versicherungsfalles erhöht, was hier klar bejaht werden muss. Der Beschwerdegegner hat bis Oktober 1984 insgesamt sechs psychotische Episoden mit Wahnproduktionen und Sinnestäuschungen durchgemacht und musste deswegen im April 1982 und Oktober 1984 nach Suizidversuchen psychiatrisch hospitalisiert werden. Im Bericht der Privatklinik W. wird dazu ausgeführt, dass in Zukunft ähnliche psychotische Dekompensationen nicht auszuschliessen seien. Damit ist unmissverständlich ausgesprochen, dass die Gefahr erneuter psychotischer Episoden und daher auch das Risiko einer weiteren psychiatrischen Hospitalisation real bestehen. Dass im gleichen Bericht bescheinigt wird, die Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens sinke, wenn der Beschwerdegegner im Rahmen einer ambulanten psychiatrischen Therapie lerne, krankheitsfördernde Stresssituationen zu meiden und Frühsymptome zu erkennen, spricht entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners nicht für ein vermindertes Risiko, sondern deutet vielmehr auf eine erhöhte Gefährdung hin. Zwar haben seine Gesundung und seine Einsicht in krankmachende Lebensumstände laut Dr. H. in den letzten Jahren sehr erfreuliche Fortschritte gemacht, so dass wohl angenommen werden darf, dass sich die Rückfallgefahr seit der Hospitalisation im Jahre 1984 tatsächlich vermindert hat. Dennoch bleibt eine Gefährdung für psychotische Dekompensationen bestehen, die sichtlich grösser ist als diejenige von Versicherten ![]() | 13 |
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b) Soweit die Vorinstanz die Verweigerung des Übertritts in eine höhere Versicherungsklasse als unangemessen betrachtet, übersieht sie ebenfalls, dass der Beschwerdegegner keinen Höherversicherungsanspruch besitzt und dass die Kasse einen solchen auch nicht in der Form einräumt, dass in den Statuten normiert wird, unter welchen Risikobedingungen der Übertritt in eine höhere Versicherungsklasse zugestanden oder abgelehnt wird. Fehlt eine solche statutarische oder reglementarische Grundlage, kann ![]() | 15 |
c) Die Kasse ist im Rahmen der hievor dargelegten Befugnisse einzig verpflichtet, alle Gesuchsteller nach den gleichen Massstäben und Kriterien zu beurteilen (BGE 98 V 132 Erw. 3a; RSKV 1980 Nr. 403 S. 62, 1982 Nr. 507 S. 216), was sich als Ausfluss des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots gemäss Art. 4 Abs. 1 BV qualifiziert. Wenn die hier im Streite stehende Kasse Zusatzversicherungen anbietet, so darf ohne weiteres angenommen werden, dass sie allen Bewerbern die gewünschte Versicherung gewährt, wenn sie kein erhöhtes Morbiditätsrisiko aufweisen und keine anderweitigen Hinderungsgründe vorliegen. Die Kasse gestattet ferner praxisgemäss eine Höherversicherung unter Vorbehalt, wenn das festgestellte erhöhte Risiko eines Gesuchstellers vorübergehender Natur ist und im Laufe der Vorbehaltsdauer von fünf Jahren entfällt. Der Beschwerdegegner hätte deshalb allenfalls unter dem Titel der Gleichbehandlung Anspruch auf eine Höherversicherung, wenn er diese Voraussetzungen erfüllen würde, was indes nicht der Fall ist. Ein erhöhtes Risiko ist beim Beschwerdegegner ausgewiesen. Sodann lässt sich ein Ende des erhöhten Risikos psychotischer Dekompensationen zeitlich nicht festlegen; denn trotz guter ärztlicher Prognose zum weiteren Krankheitsverlauf kann nicht mit hinreichender Gewissheit gesagt werden, dass die genannte Gefährdung bis zum Ablauf der maximal möglichen Vorbehaltsdauer weggefallen sein wird. Wenn die Kasse nicht bereit ist, dieses Restrisiko zu tragen, so kann sie dazu nach dem oben Gesagten nicht verhalten werden.
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Im übrigen enthalten die Akten keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Kasse in andern vergleichbaren Fällen eine Höherversicherung zugestanden hätte. Der Beschwerdegegner wendet hiezu ein, bei einer körperlichen Erkrankung von gleicher Prognose wie bei der hier streitigen psychischen Gesundheitsstörung hätte sich die Kasse ohne Zweifel mit einem Versicherungsvorbehalt ![]() | 17 |
d) Der Beschwerdegegner beruft sich ferner vergeblich auf das Prinzip der Gegenseitigkeit (Art. 3 Abs. 3 KUVG). Dieses ist grundsätzlich erst mit vollzogener Aufnahme in die Kasse oder im Falle eines Gesuchs um Höherversicherung während laufender Mitgliedschaft mit erfolgter Zulassung zum Übertritt in die höhere Versicherungsklasse anwendbar. Daher kann auch aus dem Gegenseitigkeitsprinzip kein Anspruch auf Gewährung einer Höherversicherung abgeleitet werden (BGE 98 V 132 Erw. 3a Abschnitt 1 in fine erweist sich insofern als missverständlich). Aus dem Gesagten folgt, dass die Verweigerung der Höherversicherung rechtmässig ist.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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