BGE 114 V 345 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
63. Auszug aus dem Urteil vom 29. September 1988 i.S. Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Zürich, gegen N. und Kantonale Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung, Zürich | |
Regeste |
Art. 10 Abs. 2, Art. 16 Abs. 1 lit. e, Art. 17 Abs. 3 und Art. 24 AVIG: Lohnmässige Zumutbarkeit einer Teilzeitbeschäftigung. |
- Für die Beurteilung, ob einem teilweise Arbeitslosen eine Teilzeitbeschäftigung lohnmässig zumutbar ist, muss der durch diese Beschäftigung während einer Kontrollperiode erzielbare Bruttolohn mit der Arbeitslosenentschädigung verglichen werden, die der Versicherte im gleichen Zeitraum ohne den Bruttolohn beanspruchen könnte. |
- Abgrenzung des Zwischenverdienstes zu der die Arbeitslosigkeit beendigenden Teilzeitbeschäftigung. | |
Aus den Erwägungen: | |
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Nach Art. 17 Abs. 1 AVIG muss der Versicherte, unterstützt durch das Arbeitsamt, alles Zumutbare unternehmen, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder zu verkürzen. Insbesondere ist es seine Sache, Arbeit zu suchen, wenn nötig ausserhalb seines bisherigen Berufs. Art. 17 Abs. 3 AVIG schreibt ferner vor, dass der Arbeitslose eine vermittelte zumutbare Arbeit annehmen muss.
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Gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG ist der Versicherte in der Anspruchsberechtigung einzustellen, wenn er die Kontrollvorschriften oder die Weisungen des Arbeitsamtes nicht befolgt, namentlich eine ihm zugewiesene zumutbare Arbeit nicht annimmt. Unzumutbare Arbeit darf der Arbeitslose ohne versicherungsrechtlich nachteilige Folgen zurückweisen. Eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass eine Arbeit als zumutbar gilt, besteht nach Art. 16 Abs. 1 lit. e AVIG darin, dass sie dem Arbeitslosen einen Lohn einbringt, der nicht geringer ist als die ihm zustehende Arbeitslosenentschädigung.
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Das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA) ist der Auffassung, es wäre der Beschwerdegegnerin zuzumuten gewesen, die Stellen als Raumpflegerin im Advokaturbüro N. und bei B. anzunehmen, weil die an diesen Arbeitsplätzen erzielbaren Löhne zusammen mit der ihr für die noch arbeitslose Zeit zustehende Arbeitslosenentschädigung einen höheren Betrag ergeben hätten als die Entschädigung, auf die sie ohne diese Stellen Anspruch hätte.
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b) In Art. 16 Abs. 1 lit. e AVIG finden sich lediglich die Begriffe Lohn und Arbeitslosenentschädigung. Lohn ist das dem Versicherten für seine Arbeitsleistung zustehende Entgelt. Das Gesetz enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass mit dem Begriff "Lohn" im Falle einer Teilzeitbeschäftigung auch die für den verbleibenden Arbeitsausfall ausgerichtete Arbeitslosenentschädigung zu verstehen wäre. Begrifflich steht der Lohnanspruch vielmehr im Gegensatz zum Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, da diese stets einen Lohnausfall voraussetzt (Art. 11 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 lit. b AVIG).
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Die in Erwägung 1 zitierten Vorschriften von Art. 17 Abs. 1 und 3 AVIG betreffend die Pflicht des Arbeitslosen, zumutbare Arbeit anzunehmen, beruhen auf der auch im Bereich der Arbeitslosenversicherung geltenden Schadenminderungspflicht des Versicherten (vgl. ARV 1980 Nr. 44 S. 109). Art. 16 Abs. 1 AVIG umschreibt die Bedingungen, die eine Arbeit erfüllen muss, damit der Versicherte verpflichtet ist, sie zur Vermeidung oder Verkürzung von Arbeitslosigkeit anzunehmen. Insbesondere muss sie dem Arbeitslosen ein Einkommen sichern, das mindestens die Höhe der Arbeitslosenentschädigung erreicht, auf die er Anspruch hätte (Art. 16 Abs. 1 lit. e). Aus finanzieller Sicht ist somit massgebend, ob die Arbeit zu einem höheren Einkommensverlust führen würde als die Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung. Die lohnmässige Zumutbarkeit bestimmt sich daher durch Vergleich des angebotenen Bruttolohns mit der Brutto-Arbeitslosenentschädigung, die ohne diesen Bruttolohn zur Auszahlung gelangen müsste (unveröffentlichtes Urteil B. vom 11. April 1988, vgl. ARV 1981 Nr. 3 S. 25; GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, S. 238, N. 43 zu Art. 16). Kommt es aber nach dem Sinn und Zweck von Art. 16 Abs. 1 lit. e AVIG allein auf die Höhe des vom Versicherten bei Annahme einer angebotenen Arbeit erzielbaren Bruttolohnes an, so darf bei der Bestimmung des Vergleichslohnes für eine angebotene bzw. zugewiesene Teilzeitbeschäftigung die Entschädigung des verbleibenden Verdienstausfalles durch Arbeitslosentaggeld nicht mit berücksichtigt werden.
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c) Würde zum Lohn für die angebotene Teilzeitarbeit die Arbeitslosenentschädigung für die verbleibende Arbeitslosigkeit hinzugerechnet und beides zusammen mit der ohne die angebotene Teilzeitbeschäftigung zu erwartenden Arbeitslosenentschädigung verglichen, so führte dies zu einer erheblichen Verschlechterung der Vermittelbarkeit des Arbeitslosen.
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Das ist gerade im vorliegenden Fall der teilweise arbeitslosen Beschwerdegegnerin, die eine zweite Halbtagsbeschäftigung von 20 Wochenstunden suchte, augenfällig. Hätte die Beschwerdegegnerin die beiden angebotenen Arbeitsstellen mit einer Beschäftigung von zusammen bloss sieben Wochenstunden angenommen, so hätte sie zur Erreichung eines Lohnes mindestens in der Höhe der Arbeitslosenentschädigung zusätzlich ein oder mehrere Arbeitsverhältnisse finden müssen, wobei sich diese in zeitlicher Hinsicht erst noch mit den bereits bestehenden Arbeitsverhältnissen hätten vereinbaren lassen müssen. Teilzeitbeschäftigungen von weniger als 50%, bei denen bei der Arbeitszeitgestaltung auf bestehende Arbeitsverhältnisse oder andere Verpflichtungen des Arbeitnehmers Rücksicht genommen werden muss, sind erfahrungsgemäss nur schwer erhältlich. Die Vermittlungsfähigkeit teilarbeitsloser Versicherter würde in Frage gestellt, wenn sie gezwungen wären, eine Teilzeitbeschäftigung ohne Rücksicht auf den gewünschten Beschäftigungsumfang bzw. den daraus resultierenden Lohn anzunehmen. Die Vermittlungsfähigkeit ist aber eine wesentliche Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG). Der in Art. 17 AVIG statuierte Grundsatz der Schadenminderungspflicht darf nicht dazu führen, durch überspannte Anforderungen an die Zumutbarkeit einer Arbeit nach Art. 16 AVIG die Vermittlungsfähigkeit gemäss Art. 15 AVIG und damit die Anspruchsberechtigung des Versicherten überhaupt in Frage zu stellen.
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d) Die Betrachtungsweise des KIGA würde zudem eine klare Abgrenzung der zumutbaren (Teilzeit-)Arbeit von der auf Erzielung eines Zwischenverdienstes im Sinne von Art. 24 AVIG gerichteten Tätigkeit verunmöglichen. Dem Zwischenverdienst kommt definitionsgemäss nur Übergangscharakter zu. Der Versicherte hat trotz Erzielung von Zwischenverdienst Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (Art. 24 Abs. 2 AVIG) und bleibt zur Befolgung der Kontrollvorschriften sowie der Weisungen des Arbeitsamtes verpflichtet (Art. 22 Abs. 2 AVIV). Schliesst aber die auf Erzielung von Zwischenverdienst gerichtete Tätigkeit den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung nicht aus, so fällt diese Tätigkeit nicht unter den Begriff der zumutbaren Arbeit im Sinne von Art. 16 AVIG, zu deren Annahme der Versicherte verpflichtet ist. Denn die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit führt zwingend zur Beendigung der Arbeitslosigkeit (GERHARDS, a.a.O., S. 228, N. 3 zu Art. 16 AVIG). Als auf Erzielung eines Zwischenverdienstes gerichtete Tätigkeiten kommen deshalb nur Gelegenheits- oder Aushilfsarbeiten in Betracht, bei denen der Versicherte über den einzelnen, relativ kurzfristigen Arbeitseinsatz hinaus keine vertraglichen Verpflichtungen eingeht (REHBINDER, Berner Kommentar zu Art. 319 OR, N. 28, und STAEHELIN, Zürcher Kommentar zu Art. 319 OR, N. 73) und daher der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht.
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Würde eine Teilzeitarbeit von geringerem als dem gewünschten Umfang unter Berücksichtigung der auf den verbleibenden Arbeitsausfall entfallenden Arbeitslosenentschädigung aus lohnmässiger Sicht als zumutbar qualifiziert, so wäre der Versicherte zur Annahme dieser Teilzeitarbeit verpflichtet, obschon seine Arbeitslosigkeit dadurch nicht beendet würde. Systemwidrig würde damit zwischen der zumutbaren Teilzeitarbeit mit Beendigung der Arbeitslosigkeit einerseits und der auf einen Zwischenverdienst gerichteten Tätigkeit anderseits ein gesetzesfremdes Institut im Sinne einer - zumutbaren - Teilzeitbeschäftigung ohne Beendigung der Arbeitslosigkeit geschaffen.
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3. Nach dem Gesagten kann der vom KIGA vertretenen Auslegung von Art. 16 Abs. 1 lit. e AVIG nicht gefolgt werden. Vielmehr ist für die Beurteilung der Zumutbarkeit von - die Arbeitslosigkeit beendigenden - Teilzeitbeschäftigungen allein auf den hierfür angebotenen Bruttolohn abzustellen. Massgebend ist der während einer Kontrollperiode erzielbare Lohn. Diesem ist die auf den gleichen Zeitraum entfallende Brutto-Arbeitslosenentschädigung gegenüberzustellen. Ist der Lohn geringer als die Arbeitslosenentschädigung, so muss die Zumutbarkeit der Teilzeitbeschäftigung verneint werden mit der Wirkung, dass der Versicherte nicht verpflichtet werden kann, ein solches Arbeitsverhältnis einzugehen.
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