BGE 115 V 1 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
1. Auszug aus dem Urteil vom 23. Februar 1989 i.S. X AG gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern und Versicherungsgericht des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 5 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 1 AHVG, Art. 6 ff. AHVV: Beitragsrechtliche Qualifikation von "Schmiergeldern". | |
Aus den Erwägungen: | |
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Nach der Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob im Einzelfall selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt, nicht aufgrund der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien. Entscheidend sind vielmehr die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die zivilrechtlichen Verhältnisse vermögen dabei allenfalls gewisse Anhaltspunkte für die AHV-rechtliche Qualifikation zu bieten, ohne jedoch ausschlaggebend zu sein. Als unselbständig erwerbstätig ist im allgemeinen zu betrachten, wer von einem Arbeitgeber in betriebswirtschaftlicher bzw. arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt.
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Aus diesen Grundsätzen allein lassen sich indessen noch keine einheitlichen, schematisch anwendbaren Lösungen ableiten. Die Vielfalt der im wirtschaftlichen Leben anzutreffenden Sachverhalte zwingt dazu, die beitragsrechtliche Stellung eines Erwerbstätigen jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Weil dabei vielfach Merkmale beider Erwerbsarten zutage treten, muss sich der Entscheid oft danach richten, welche dieser Merkmale im konkreten Fall überwiegen (BGE 110 V 78 Erw. 4a mit Hinweisen).
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c) Bereits im vorinstanzlichen Verfahren wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass die fraglichen Entschädigungen nicht als Aufwand verbucht werden konnten und von der Steuerverwaltung dementsprechend als Gewinn behandelt wurden. Daraus kann sie indessen bezüglich der beitragsrechtlichen Qualifikation dieser Gelder nichts zu ihren Gunsten ableiten. Bezüglich solcher im täglichen Geschäftsleben unter verschiedensten Bezeichnungen geläufigen Zahlungen entwickelten sich zwar im Fiskalrecht zahlreiche Grundsätze über deren steuerrechtliche Erfassung (vgl. STAMPFLI, Die Leistung geheimer Kommissionen und ihre steuerrechtliche Behandlung, Diss. Bern 1986, S. 152 ff. und 161 ff.; HERITIER, Les Pots-de-vin, Diss. Genf 1981, S. 126 ff.). Bei der beitragsrechtlichen Beurteilung sind die für die Steuerbehörden ausschlaggebenden Gesichtspunkte jedoch nicht in gleichem Mass von Bedeutung, weshalb sich die Ergebnisse in diesen beiden Bereichen nicht zwangsläufig zu decken brauchen (vgl. BGE 110 V 371).
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Die Frage, ob es sich bei den sog. Schmiergeldern um Einkommen aus selbständiger oder aus unselbständiger Erwerbstätigkeit handelt, lässt sich denn aus beitragsrechtlicher Sicht auch nicht zum vornherein in generell gültiger Weise beantworten. Sie ist vielmehr in jedem einzelnen Fall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zu prüfen. Dabei gilt es zu beachten, dass sich die Bezüger solcher Gelder kaum je als Selbständigerwerbende bei der Ausgleichskasse melden werden, weshalb solche Erwerbseinkommen wie im vorliegenden Fall praktisch nur aufgrund von Arbeitgeberkontrollen entdeckt werden können. Um der damit verbundenen Gefahr einer Verwirkung erheblicher Beitragsforderungen gebührend Rechnung zu tragen, ist aus Praktikabilitätsgründen in der Annahme selbständiger Erwerbstätigkeit Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sich ein Betrieb deshalb seiner Abrechnungspflicht nicht lediglich mit dem Hinweis auf die angeblich selbständige Erwerbstätigkeit der Zahlungsempfänger entziehen können, ohne deren Identität preiszugeben.
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d) Nach den Angaben der Beschwerdeführerin handelte es sich bei den Provisionsbezügern durchwegs um Angestellte ihrer Kundenfirmen, welche die jeweiligen Arbeitgeberbetriebe zur Erteilung von Grossaufträgen an sie veranlassten oder gar selbst die Kompetenz zu solchen Auftragsvergebungen innehatten. Bei dieser Sachlage kann nicht von einem von den Zahlungsempfängern zu tragenden Unternehmerrisiko gesprochen werden, welches die Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit rechtfertigen liesse. Die Gefahr von Sanktionen infolge Verletzungen der zivilrechtlichen Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber oder gar der Verwirklichung eines Straftatbestandes kann entgegen den Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht als solches betrachtet werden, da es sich dabei nicht um ein geschäftliches Risiko handelt. Dass die Vorinstanz unter diesen Umständen und in Würdigung der der Beschwerdeführerin vorzuhaltenden Auskunftspflichtverletzung auf das Vorliegen einer unselbständigen Erwerbstätigkeit für die X AG schloss, lässt sich nicht beanstanden. Daran vermögen auch die notariell beglaubigten Bestätigungen von zwei Zahlungsempfängern, wonach zwischen diesen und der Beschwerdeführerin keine gegenseitigen wirtschaftlichen Verpflichtungen bestanden, nichts zu ändern. Wie das kantonale Gericht zu Recht erkannte, können diese Urkunden lediglich die Behauptungen dieser Personen, nicht jedoch deren inhaltliche Richtigkeit bestätigen.
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