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37. Urteil vom 6. Juli 1989 i.S. Waadt-Versicherungen gegen S. und Versicherungsgericht des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 20 Abs. 2 und 3 UVG, Art. 31 und 32 UVV: Berechnung der Komplementärrenten für Invalide (in casu: Bezüger einer Ehepaar-Altersrente der AHV). |
- Soweit die Art. 31 und 32 UVV diesen Grundsatz für Komplementärrenten an teilerwerbstätige Altersrentner, die schon vor einem UVG-versicherten und zu einer Invalidität führenden Unfall Bezüger einer Ehepaar-Rente der AHV waren, gestützt auf die Delegationsnorm des Art. 20 Abs. 3 UVG uneingeschränkt und ohne abweichende Regelung übernehmen, erweisen sie sich als gesetz- und verfassungsmässig; Bemerkungen de lege ferenda (Erw. 3b). |
Art. 40 UVG und Art. 74 Abs. 3 KUVG, Art. 51 Abs. 4 UVV: Überversicherungsregeln. |
- Die allgemeine Überversicherungsregel des Art. 40 UVG und die entsprechenden gemäss altrechtlicher Rechtsprechung (insbesondere zu Art. 74 Abs. 3 KUVG) entwickelten Grundsätze sind nicht anwendbar, wenn eine andere Koordinationsregel des Gesetzes - wie sie namentlich in Art. 20 Abs. 2 bzw. 31 Abs. 4 UVG enthalten ist - eingreift; insoweit findet auch die Ausführungsbestimmung von Art. 51 Abs. 4 UVV (sog. Härtefallklausel) keine Anwendung (Erw. 1c und 3c). |
- Frage offengelassen, ob der in Art. 74 Abs. 3 KUVG enthaltene Grundsatz einer Identität des Schadenereignisses auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 40 UVG weiterhin gilt (Erw. 3a in fine). | |
Sachverhalt | |
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Die Waadt-Versicherungen sprachen Otto S. u.a. Taggelder sowie eine Integritätsentschädigung von Fr. 5'220.-- zu. Dagegen verneinten sie den Anspruch auf eine Invalidenrente der obligatorischen Unfallversicherung, weil die dem Versicherten seit 1982 zustehende Ehepaar-Altersrente der AHV von jährlich ![]() | 2 |
Eine hiegegen erhobene Einsprache wurde mit Entscheid vom 13. Februar 1987 abgewiesen.
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B.- Otto S. beschwerte sich gegen diesen Entscheid, indem er sein Begehren um Zusprechung einer Invalidenrente der obligatorischen Unfallversicherung erneuerte.
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Das Versicherungsgericht des Kantons Bern stellte fest, bei der Berechnung von Komplementärrenten für teilerwerbstätige Altersrentner dürften entsprechend dem Begriff der Überentschädigung nur Leistungen aufgrund eines und desselben Ereignisses bzw. mit gleicher wirtschaftlicher Funktion miteinander verglichen werden. Eine entsprechende Regelung habe auch schon vor dem Inkrafttreten des UVG bestanden (Art. 39bis IVV und Art. 66quater AHVV). Es fehlten Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Komplementärrenten im UVG von der früheren Regelung habe abweichen wollen. In analoger Anwendung von Art. 32 Abs. 1 UVV sei lediglich der dem prozentualen Anteil der vor dem Unfall ausgeübten Erwerbstätigkeit am gesamten Aufgabenbereich entsprechende Teil der AHV-Rente bei der Berechnung der Komplementärrente zu berücksichtigen. Von diesem Anteil der AHV-Ehepaar-Rente seien ferner in analoger Anwendung von Art. 31 Satz 2 UVV nur zwei Drittel in die Berechnung der Komplementärrente mit einzubeziehen. Das Versicherungsgericht hiess deshalb die Beschwerde dahingehend gut, dass es die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache "an die Beschwerdegegnerin" zurückwies "zum weiteren Vorgehen im Sinne der Motive und zum Erlass einer neuen Verfügung" (Entscheid vom 20. Oktober 1987).
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C.- Die Waadt-Versicherungen lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihre Verfügung vom 1. Dezember 1986 bzw. der Einspracheentscheid vom 13. Februar 1987 wiederherzustellen.
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Otto S. lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und die Ausrichtung einer "100%igen Invalidenrente" beantragen. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) hält eine analoge Anwendung der Härtefallklausel nach Art. 51 Abs. 4 ![]() | 7 |
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Art. 31:
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"Bei der Berechnung der Komplementärrenten für Invalide werden auch die Zusatz- und Kinderrenten der AHV/IV voll berücksichtigt. Wird als Folge eines Unfalles eine Ehepaarrente der AHV/IV ausgerichtet, so wird diese vorbehältlich Artikel 32 Absätze 1 und 2 dem verunfallten Ehegatten zu zwei Dritteln angerechnet."
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Art. 32:
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"1 Vor dem Unfall gewährte IV-Renten werden bei der Berechnung der Komplementärrenten nur so weit berücksichtigt, als sie wegen des Unfalles erhöht werden. In den Fällen von Artikel 24 Absatz 4 wird die IV-Rente voll angerechnet.
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2 Hat ein Ehegatte aus einem Unfall bereits Anspruch auf eine Rente und wurde bei deren Berechnung eine AHV/IV-Rente schon berücksichtigt, so wird dem anderen Ehegatten, der durch Unfall invalid wird, die Ehepaarrente nur zu einem Drittel angerechnet.
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3 Wird eine Witwe, die eine AHV-Rente bezieht, wegen eines Unfalles invalid, so wird ihr die AHV-Rente nur zu zwei Dritteln angerechnet.
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4 Hat der Rentenberechtigte vor Eintritt der Invalidität neben der unselbständigen noch eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt, so wird für die Festsetzung der Grenze von 90 Prozent nach Artikel 20 Absatz 2 des Gesetzes neben dem versicherten Verdienst auch das ![]() | 15 |
5 Teuerungszulagen werden bei der Bemessung der Komplementärrenten nicht berücksichtigt."
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Von diesen Vorschriften hat das Eidg. Versicherungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung Art. 32 Abs. 4 UVV als gesetzeskonform erklärt (BGE 112 V 39).
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b) Stirbt der Versicherte an den Folgen eines Unfalls, so haben der überlebende Ehegatte und die Kinder Anspruch auf Hinterlassenenrenten (Art. 28 UVG). Diese betragen u.a. für Witwen und Witwer 40% sowie für mehrere Hinterlassene zusammen höchstens 70% des versicherten Verdienstes (Art. 31 Abs. 1 UVG). Stehen den Hinterlassenen auch Renten der AHV oder der IV zu, so wird ihnen gemeinsam eine Komplementärrente gewährt; diese entspricht "der Differenz zwischen 90 Prozent des versicherten Verdienstes und den Renten der AHV oder der IV", höchstens aber dem in Absatz 1 vorgesehenen Betrag (Art. 31 Abs. 4 UVG). Gemäss Abs. 5 desselben Artikels erlässt der Bundesrat nähere Vorschriften, namentlich über die Berechnung der Komplementärrenten sowie der Renten für Vollwaisen, wenn beide Elternteile versichert waren. Der Bundesrat hat von dieser an ihn delegierten Befugnis Gebrauch gemacht und in Art. 43 UVV zur Komplementärrente an Hinterlassene u.a. folgendes bestimmt:
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"1 Bei der Berechnung der Komplementärrenten für Hinterlassene werden die AHV/IV-Renten. einschliesslich der Kinderrenten, voll berücksichtigt. Bei der Berechnung der Komplementärrenten an Vollwaisen wird die Summe der versicherten Verdienste beider Elternteile bis zum Höchstbetrag des versicherten Verdienstes berücksichtigt."
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Diese Bestimmung ist vom Eidg. Versicherungsgericht in BGE 115 V 272 Erw. 2b als gesetzmässig bezeichnet worden.
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c) Art. 40 UVG schreibt unter dem Titel "Zusammentreffen mit anderen Sozialversicherungsleistungen" folgendes vor:
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"Wenn keine Koordinationsregel dieses Gesetzes eingreift, so werden Geldleistungen, ausgenommen Hilflosenentschädigungen, so weit gekürzt, als sie mit den anderen Sozialversicherungsleistungen zusammentreffen und den mutmasslich entgangenen Verdienst übersteigen. Art. 34 Abs. 2 BVG bleibt vorbehalten."
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Diese Vorschrift stellt eine Generalklausel zur Vermeidung von Überentschädigungen dar (MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 536 f.). Sie gilt nur subsidiär, d.h. wenn keine andere Koordinationsnorm anwendbar ist. Da die Art. 20 Abs. 2 ![]() | 23 |
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Auch was der Beschwerdegegner zur Begründung seines Standpunktes sonst noch vorbringt, ist unbegründet. Insbesondere geht der von ihm unter Hinweis auf die vorinstanzlichen Ausführungen erhobene Einwand fehl, es dürften nur Leistungen aus einem und demselben Unfallereignis in die Überversicherungsberechnung mit einbezogen werden. Denn dieser in Art. 74 Abs. 3 KUVG enthaltene Grundsatz ist vorliegend - anders als in dem vom Beschwerdegegner zitierten BGE 112 V 126 - ebensowenig anwendbar wie die allgemeine Überversicherungsregel des Art. 40 UVG (vgl. Erw. 1c hievor). Ob mithin eine Identität des Schadenereignisses unter dem Gesichtspunkt des Art. 40 UVG auch weiterhin gegeben sein müsse. wie der Beschwerdegegner in seiner Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Gegensatz zu MAURER, a.a.O., S. 539 (N. 1401), behauptet, kann deshalb offenbleiben.
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b) Nun hat der Gesetzgeber zu den in Art. 20 Abs. 2 (und 31 Abs. 4) UVG statuierten Grundsätzen über die Berechnung der Komplementärrenten an Invalide (bzw. Hinterlassene) die Möglichkeit von Abweichungen vorgesehen (BBl 1976 III 172; vgl. dazu MAURER, a.a.O., S. 375 f., N. 941a, und S. 436 f.). In diesem Sinne ermächtigte er den Bundesrat in Art. 20 Abs. 3 (und 31 Abs. 5) UVG zum Erlass näherer Vorschriften, von welchen Kompetenzen dieser namentlich in Art. 31 f. (sowie 43) UVV Gebrauch gemacht hat (vgl. Erw. 1a und b hievor). Es stellt sich vorliegend die Frage, ob die in Art. 31 und 32 UVV aufgestellte Ordnung, die den vom Gesetz vorgegebenen Grundsatz bezüglich der vollen Anrechenbarkeit von AHV-Renten für teilerwerbstätige Altersrentner mit dem schon vor einem UVG-versicherten Unfall bestehenden Anspruch auf eine Ehepaar-Altersrente der AHV uneingeschränkt und ohne abweichende Regelung übernimmt, gesetz- und verfassungsmässig ist.
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bb) Die Delegationsbestimmung des Art. 20 Abs. 3 UVG ermächtigt den Bundesrat - wie bereits dargelegt - zum Erlass näherer Vorschriften, namentlich über die Berechnung der Komplementärrenten in "Sonderfällen". Diese Delegationsnorm enthält abgesehen davon, dass es sich hinsichtlich der Komplementärrenten um "Sonderfälle" handeln muss (vgl. dazu die beispielhafte Aufzählung in BBl 1976 III 191), keine Richtlinien über die Art und Weise, wie von der Ermächtigung Gebrauch zu machen sei. Mit einer solchen Delegation wurde dem Bundesrat ein sehr weiter Spielraum des Ermessens (BGE 112 V 42 Erw. 3b in fine) für die Regelung auf Verordnungsstufe und insbesondere die Kompetenz eingeräumt, die Sonderfälle, bei denen die Berechnung der Komplementärrenten in einer vom gesetzlichen Grundsatz abweichenden Weise zu erfolgen hat, unter Beachtung der durch das Willkürverbot gesetzten Grenzen grundsätzlich abschliessend zu umschreiben. In diesem Rahmen war der Bundesrat aufgrund der an ihn delegierten Befugnis frei, auch solche Fälle in der Verordnung zu regeln, bei denen man mit vertretbaren Argumenten geteilter Meinung darüber sein kann, ob sie zu den Sonderfällen gehören sollen, und umgekehrt für andere Fälle keine besonderen Vorschriften zu erlassen, welche an sich auch als regelungswürdig bezeichnet werden könnten. In diesem Sinne wäre es nach den zutreffenden Darlegungen der Beschwerdeführerin wohl an sich möglich gewesen, etwa für (teil-)erwerbstätige Altersrentner spezielle Regeln aufzustellen oder namentlich - wie u.a. das BSV ausführt - eine sog. Härtefallklausel (dazu auch nachstehende Erw. 3c) vorzusehen, was denn auch in der Kommission zur Vorbereitung der UVV erwogen, aber schliesslich abgelehnt wurde (vgl. insbesondere Protokolle vom 13./14. August und 18. Dezember 1980). Zu solchen - de lege ferenda allenfalls berechtigten - Überlegungen hat sich das Eidg. Versicherungsgericht indessen nicht zu äussern, weil es die Zweckmässigkeit der gestützt auf Art. 20 Abs. 3 UVG vorgenommenen Regelung nicht zu prüfen und sein Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates zu setzen hat. Auch hat das Gericht infolge der verfassungsrechtlichen Beschränkung seiner Überprufungsbefugnis (Art. 113 Abs. 3/Art. 114bis Abs. 3 BV) zur Frage, ob die erwähnte gesetzliche Delegation den rechtsstaatlichen Anforderungen an eine Delegationsnorm zu genügen vermag, ebensowenig Stellung zu nehmen wie zur Angemessenheit des mit der ![]() | 29 |
cc) Auch den vom kantonalen Richter vorgetragenen Ausführungen über eine analoge Anwendung von Art. 32 Abs. 1 und 31 Satz 2 UVV auf Fälle wie den vorliegenden vermag das Eidg. Versicherungsgericht nicht beizupflichten. Wie das BSV in seiner Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Recht bemerkt, mag die laut der gesetzlichen Grundregel des Art. 20 Abs. 2 UVG vorzunehmende Berechnung der Komplementärrenten wohl bisweilen als unbefriedigend erscheinen. Indessen kann es nicht Sache des Richters sein, den im Gesetz verankerten Grundsatz der vollen Anrechenbarkeit von AHV/IV-Renten durch die abweichende Normierung einer Vielzahl von Sonderfällen ![]() | 30 |
c) Dem vom BSV - wie vom Beschwerdegegner - angebrachten Vorschlag, die Härtefallklausel nach Art. 51 Abs. 4 UVV auf den vorliegenden Fall analog anzuwenden, kann nicht gefolgt werden. Wie das Eidg. Versicherungsgericht bereits im unveröffentlichten Urteil N. vom 30. Juni 1989 dargelegt hat, fällt eine Anwendung von Art. 51 Abs. 4 UVV als Ausführungsbestimmung zu Art. 40 UVG dann ausser Betracht, wenn die zuletzt genannte Vorschrift - wie hier - nicht anwendbar ist (vgl. Erw. 1c und 3a hievor in fine). Eine Berücksichtigung der in Art. 51 Abs. 4 UVV enthaltenen Ausnahmeregelung hat ferner auch deshalb zu entfallen, weil die mögliche Einführung einer Härtefallklausel im Rahmen der Berechnung von Komplementärrenten für Invalide anlässlich der Vorarbeiten zur UVV ausdrücklich geprüft, aber schliesslich verworfen wurde (dazu vorstehende Erw. 3b/bb). Die vom Beschwerdegegner für notwendig gehaltene Rückweisung der Sache zur "diesbezüglichen Abklärung (durch) die Verwaltung" erübrigt sich daher.
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