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45. Urteil vom 31. Oktober 1989 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen H. und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden | |
Regeste |
Art. 20 Abs. 2 AHVG. |
Verwaltungskosten und Betreibungsspesen) mit der Witwenrente der geschiedenen Frau, soweit deren Existenzminimum nicht berührt wird. | |
Sachverhalt | |
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Mit Verfügung vom 11. August 1988 sprach die Ausgleichskasse Margrit H. in Anwendung der Rentenskala 44 eine Witwenrente von monatlich Fr. 1'200.-- zu. Der Rentenbestimmung hatte sie ein durchschnittliches Einkommen beider Ehegatten von Fr. 67'500.-- aus 27 Jahren zugrundegelegt. In der gleichen Verfügung teilte die Ausgleichskasse Margrit H. mit, dass die noch ausstehenden Beiträge des verstorbenen Mannes bis zur Tilgung der Schuld mit der Witwenrente verrechnet würden.
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B.- Margrit H. beschwerte sich gegen diese Verfügung beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses verneinte die Zulässigkeit der Verrechnung der Beitragsforderung mit der Witwenrente, hiess die Beschwerde am 4. November 1988 gut und ![]() | 3 |
C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es seien der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur Festsetzung des verrechenbaren Rentenbetrages unter Berücksichtigung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
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Margrit H. hat sich zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht vernehmen lassen.
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Die Ausgleichskasse beantragt die Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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In die Verrechnungsforderung können praxisgemäss auch die Betreibungsspesen und die übrigen Verwaltungskosten mit einbezogen werden (EVGE 1956 S. 190 Erw. 1, 1953 S. 288 Erw. 2; ZAK 1971 S. 508).
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b) Durch Art. 20 Abs. 2 AHVG wird für die Verrechnung eine eigene Ordnung geschaffen, welche auf die Besonderheiten der Sozialgesetzgebung im AHV-Bereich zugeschnitten ist (BGE 104 V 7 Erw. 3b). Dabei geht die Verrechenbarkeit von Beiträgen mit ![]() | 10 |
Die Verrechenbarkeit von Renten mit nicht bezahlten geschuldeten Beiträgen liegt häufig im Interesse der anspruchsberechtigten Personen, namentlich auch der Hinterlassenen selber. Unterbliebe nämlich die Verrechnung (insbesondere von rentenbildenden Beiträgen), so müsste die Ausgleichskasse das für die Rentenbestimmung massgebende Durchschnittseinkommen nachträglich neu berechnen, unter Umständen mit der Wirkung, dass bereits laufende Renten rückwirkend dauernd gekürzt werden müssten. Gerade dies soll aber mit der Verrechnung vermieden werden (vgl. EVGE 1956 S. 191 Erw. 1).
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c) Nach der Rechtsprechung darf die Verrechnung geschuldeter persönlicher Beiträge - ob diese rentenbildend sind oder nicht - mit der Rente nur insoweit erfolgen, als der Verrechnungsabzug an den monatlichen Renten das betreibungsrechtliche Existenzminimum nicht beeinträchtigt.
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Wenn die Einkünfte des Versicherten das Existenzminimum nicht übersteigen, ist eine Verrechnung ausgeschlossen. Sind hingegen die Einkünfte des Beitragspflichtigen höher als sein Existenzminimum, so darf in der Weise verrechnet werden, dass das Existenzminimum nicht berührt wird. Ist die Verrechnung des vollen Betrages auf einmal nicht möglich, so sind entsprechende Teilbeträge monatlich zur Verrechnung zu bringen (BGE 111 V 103 Erw. 3b).
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a) Die Vorinstanz verneint die Zulässigkeit der Verrechnung in diesem Fall, weil "sie zu den zivilrechtlichen Wirkungen der Ehescheidung in unauflösbarem Widerspruch steht und fundamentalen Gerechtigkeitsvorstellungen zuwiderläuft". Insbesondere bemerkt die Vorinstanz: In der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts zur Verrechnungsfrage sei nirgends von einer geschiedenen Witwe die Rede. Diese Rechtsprechung könne auf den vorliegenden Fall höchstens analog angewendet werden. Wollte man argumentieren, die Gleichstellung der geschiedenen Frau mit der Witwe in Art. 23 Abs. 2 AHVG unter den kumulativen Voraussetzungen der mindestens 10jährigen Ehedauer und der Unterhaltspflicht des Mannes sei auch auf die Verrechnung geschuldeter Beiträge zu beziehen, so widerspräche dies den grundlegenden Wertungen des Zivilrechts, weil die Scheidung die Ehe als gesetzliches Verhältnis beendige und die Ehefrau dadurch jegliche Möglichkeit der Einflussnahme auf die Bezahlung der Beiträge durch den geschiedenen Mann verliere. Zudem würde die Verrechnung der geschuldeten persönlichen Beiträge des geschiedenen Mannes mit der Witwenrente zu dem stossenden Ergebnis führen, dass der erfolglos betriebene und gepfändete Ehemann die Rente seiner Frau beeinflussen würde. Damit wären auch Manipulationen möglich, indem der geschiedene Mann dafür sorgen könnte, dass er AHV-Beiträge schuldig bleibe und so den Rentenanspruch seiner Frau verkürze. Die Zulassung der Verrechnung würde den Grundsatz der Auflösung der gegenseitigen finanziellen Auseinandersetzung durchbrechen und Wirkungen weit über die Eheauflösung ![]() | 16 |
b) Der vorinstanzlichen Auffassung kann aus folgenden Gründen nicht beigepflichtet werden:
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aa) Bereits in Erw. 2 ist mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung dargelegt worden, dass Art. 20 Abs. 2 AHVG für die Verrechnung eine eigene Ordnung schafft, welche auf die Besonderheiten der Sozialgesetzgebung im AHV-Bereich zugeschnitten ist. Die zivilrechtliche Betrachtungsweise bezüglich der Wirkungen der Ehescheidung ist daher nicht massgebend. Wesentlich ist aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht die Überlegung, dass sich die in Frage stehende Verrechnung aus der AHV-rechtlichen Gleichstellung der geschiedenen Frau mit der Witwe (vgl. Art. 23 Abs. 2 AHVG) ergibt. Es wäre - wie das Bundesamt mit Recht bemerkt - stossend, diese Gleichstellung nicht auch im Bereich des Art. 20 Abs. 2 AHVG gelten zu lassen, da schon die Gewährung der Witwenrente an die geschiedene Frau Folgen zeitigt, welche über die zivilrechtlichen Wirkungen der Ehe hinausgehen (vgl. BGE 110 V 244 Erw. 1b und BGE 100 V 89 Erw. 1 und 2).
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Die vom Verwaltungsgericht befürchteten Manipulationsmöglichkeiten des geschiedenen Mannes im Hinblick auf eine Minderung des allfälligen Witwenrentenanspruchs seiner geschiedenen Frau sind im übrigen nicht derart gravierend, dass sie die Anwendung der AHV-rechtlichen Grundsätze verbieten würden.
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bb) Zu prüfen ist demnach, ob die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen der Konnexität (vgl. oben Erw. 2) erfüllt sind. Der enge rechtliche und versicherungstechnische Zusammenhang zwischen Beitragsschuld und Rentenanspruch wird durch die Ehescheidung deswegen nicht unterbrochen, weil die für die Berechnung der Witwenrente anwendbaren AHV-rechtlichen Bemessungsgrundlagen auch für den Witwenrentenanspruch geschiedener Frauen gelten. Insbesondere wird die Witwenrente - wie gesagt - vorab aufgrund des durchschnittlichen Erwerbseinkommens ![]() | 20 |
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