BGE 115 V 416 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
58. Auszug aus dem Urteil vom 21. Dezember 1989 i.S. C. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 103 lit. a OG, Art. 20 Abs. 2 UVG. Wird die Invalidenrente der Unfallversicherung als Komplementärrente gewährt hat der Versicherte ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung eines höheren Invaliditätsgrades, auch wenn sich ein solcher nicht auf die Höhe der Rente auswirkt (Erw. 3). | |
Aus den Erwägungen: | |
3. a) Die Vorinstanz ist auf den Antrag des Beschwerdeführers auf Erhöhung des Invaliditätsgrades von 75% auf 100% nicht eingetreten. Sie hielt fest, grundsätzlich sei nur das Dispositiv, nicht aber die Begründung eines Entscheides anfechtbar. Zum Dispositiv einer Rentenverfügung gehörten nur Rentenhöhe und Rentenbeginn, während der Invaliditätsgrad zur Begründung zähle. Dieser sei nur insoweit anfechtbar, als sich die allfällige Änderung auch auf die Höhe der Rente auswirken kann. Im vorliegenden Fall werde die Rente der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) als Komplementärrente ausgerichtet. Selbst wenn der Beschwerdeführer mit seinem Begehren um Erhöhung seines Jahresverdienstes auf Fr. 41'194.-- durchdringe, ergebe eine Berechnung der ihm auf dieser Basis zustehenden Komplementärrente gemäss Art. 20 Abs. 2 UVG, dass diese tiefer ausfalle als eine reine SUVA-Rente auf der gleichen Basis und bei einer Erwerbsunfähigkeit von 75%. Ein höherer Invaliditätsgrad würde sich somit unabhängig von seinem Ausmass überhaupt nicht auf die Höhe der Rente auswirken. Der Beschwerdeführer könne damit im massgebenden Zeitpunkt des Verfügungserlasses (Juli 1986) kein Interesse an einer Änderung des Invaliditätsgrades nachweisen. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass ein solches Interesse zu einem späteren Zeitpunkt zu bejahen wäre. Sollte ein Revisionsverfahren ergeben, dass ein über 75% liegender Invaliditätsgrad dem Versicherten einen höheren Rentenanspruch verschaffen könne, wäre die Frage nach dem Ausmass seiner Erwerbsunfähigkeit gemäss den zur Zeit der Revision vorliegenden Verhältnissen neu zu beurteilen und in einem Beschwerdeverfahren auch richterlich überprüfbar.
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b) Der Auffassung des kantonalen Versicherungsgerichts kann in dieser Form nicht beigepflichtet werden.
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aa) Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung zu Art. 103 lit. a OG das Rechtsschutzinteresse verneint wird, wenn sich die Beschwerde nur gegen die Begründung der angefochtenen Verfügung richtet, ohne dass eine Änderung des Dispositivs verlangt wird (BGE 113 V 159, BGE 110 V 52 Erw. 3c, BGE 109 V 60 Erw. 1, BGE 106 V 92 Erw. 1; ZAK 1988 S. 42 Erw. 1b; RKUV 1987 Nr. K 727 S. 170 Erw. 1a; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 154; GRISEL, Traité de droit administratif, S. 882, Ziff. II). Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verfügungsbestandteil zum Dispositiv oder zur Begründung (Motive) gehört, kann nicht ohne weiteres auf die textliche Gestaltung der Verfügung abgestellt werden. Vielmehr drängt sich entsprechend dem Verfügungsbegriff in Art. 5 VwVG die Prüfung auf, ob die fragliche Textstelle im Einzelfall zum Gegenstand hat: a) die Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten oder Pflichten; b) die Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten oder Pflichten; c) die Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung von Rechten oder Pflichten, oder das Nichteintreten auf solche Begehren. Trifft dies zu, so ist der Dispositivcharakter zu bejahen (ZAK 1988 S. 42 Erw. 1b; ARV 1977 Nr. 13 S. 47).
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Bei einer Verfügung über Versicherungsleistungen bildet grundsätzlich einzig die Leistung Gegenstand des Dispositivs. Die Beantwortung der Frage, welcher Invaliditätsgrad der Rentenzusprechung zugrunde gelegt wurde, dient demgegenüber in der Regel lediglich der Begründung der Leistungsverfügung. Sie könnte nur dann zum Dispositiv gehören, wenn und insoweit sie Gegenstand einer Feststellungsverfügung ist. Da in jedem Fall nur das Dispositiv anfechtbar ist, muss bei Anfechtung der Motive einer Leistungsverfügung im Einzelfall geprüft werden, ob damit nicht sinngemäss die Abänderung des Dispositivs beantragt wird. Sodann ist zu untersuchen, ob der Beschwerdeführer allenfalls ein schutzwürdiges Interesse an der sofortigen Feststellung hinsichtlich des angefochtenen Verfügungsbestandteils hat (BGE 106 V 92 Erw. 1 mit Hinweis; vgl. auch BGE 114 V 202 Erw. 2c).
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bb) SUVA und Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) weisen mit Recht darauf hin, dass die Rechtsprechung gemäss BGE 106 V 92, die den Bereich der Invalidenversicherung betrifft, nicht generell - entgegen dem Wortlaut der dortigen Erwägung 1 - auf die Komplementärrente der Unfallversicherung übertragen werden kann.
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Die Höhe der Komplementärrente hängt von der Höhe der Rente der Invalidenversicherung bzw. der AHV ab. Die Komplementärrente entspricht der Differenz zwischen 90% des versicherten Verdienstes und der Rente der Invalidenversicherung oder der AHV, höchstens aber dem für Voll- oder Teilinvalidität vorgesehenen Betrag. Sie wird beim erstmaligen Zusammentreffen der Renten festgesetzt und lediglich späteren Änderungen der für Familienangehörige bestimmten Teile der Rente der Invalidenversicherung oder der AHV angepasst (Art. 20 Abs. 2 UVG). Eine Änderung der Rente der AHV oder Invalidenversicherung kann somit zur Anpassung der Komplementärrente führen, ohne dass die Revisionsvoraussetzungen erfüllt wären. In solchen Fällen ist die Höhe des Invaliditätsgrades dann wesentlich, wenn Rente der AHV/IV und SUVA-Rente zusammen weniger als 90% des versicherten Verdienstes ausmachen.
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Im übrigen ist die Festlegung der Höhe der Komplementärrente Resultat eines rechnerischen Vorganges, der verschiedene Elemente, u.a. auch den Invaliditätsgrad vereinigt. Es kann, wie die Vorinstanz einräumt, nicht generell - ohne verifizierende Berechnung - gesagt werden, dass sich eine Erhöhung des Invaliditätsgrades überhaupt nicht auf die Höhe der Komplementärrente auswirken würde.
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cc) Aus diesen Darlegungen folgt, dass in der Unfallversicherung - jedenfalls bei der Komplementärrente - der Versicherte ein Rechtsschutzinteresse (vgl. dazu BGE 114 V 203 Erw. 2c) an der Feststellung des Invaliditätsgrades hat, weshalb die Vorinstanz zu Unrecht diesbezüglich auf die Beschwerde nicht eingetreten ist.
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a) Gemäss Art. 15 Abs. 1 UVG werden die Renten nach dem versicherten Verdienst bemessen. Laut Abs. 2 dieser Bestimmung in Verbindung mit Art. 22 Abs. 2 UVV gilt als versicherter Verdienst für die Bemessung der Renten der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene, nach der Bundesgesetzgebung über die AHV massgebende Lohn.
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Nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 AHVG werden vom Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit, dem massgebenden Lohn, Beiträge erhoben. Als massgebender Lohn gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt jedes Entgelt für in unselbständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begrifflich sämtliche Bezüge des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis fortbesteht oder gelöst worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden oder freiwillig erfolgen. Als beitragspflichtiges Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit gilt somit nicht nur unmittelbares Entgelt für geleistete Arbeit, sondern grundsätzlich jede Entschädigung oder Zuwendung, die sonstwie aus dem Arbeitsverhältnis bezogen wird, soweit sie nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift von der Beitragspflicht ausgenommen ist (BGE 111 V 78 Erw. 2a, BGE 110 V 231 Erw. 2a mit Hinweisen).
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Laut Art. 5 Abs. 2 Satz 2 AHVG in Verbindung mit Art. 7 lit. e AHVV gehören zu dem für die Berechnung der Beiträge massgebenden Lohn u.a. Trinkgelder, soweit sie einen wesentlichen Teil des Lohnes darstellen. Gemäss Art. 15 Abs. 3 AHVV werden die Trinkgelder der Arbeitnehmer im Transportgewerbe so weit zum massgebenden Lohn gezählt, als darauf in der obligatorischen Unfallversicherung Prämien erhoben werden.
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b) Das Erwerbseinkommen des Beschwerdeführers als Taxifahrer setzte sich aus einem Monatsfixum von Fr. 2'050.-- und einer Umsatzbeteiligung von 13,04% (ca. Fr. 800.-- monatlich) zusammen; auf diesen Lohnbestandteilen wurden AHV/IV/EO-Beiträge und Prämien der SUVA erhoben. Des weiteren will der Beschwerdeführer über das im Fahrpreis inbegriffene Trinkgeld hinaus Extratrinkgelder (overtips) von mindestens Fr. 450.-- im Monat erzielt haben; darüber wurde indessen weder mit der AHV/IV/EO abgerechnet, noch wurden darauf Prämien der SUVA erhoben. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, dass diese Extratrinkgelder bei der Festlegung des Jahresverdienstes mit einzubeziehen seien.
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c) Bei den 13,04% Umsatzprovision, welche den Taxifahrern ausbezahlt wird, handelt es sich um das im Fahrpreis inbegriffene Trinkgeld. Diese Beträge sind ein wesentlicher Teil des Arbeitsentgeltes, weshalb darauf auch Sozialversicherungsbeiträge abzurechnen sind. Bevor die Trinkgelder generell im Fahrpreis eingeschlossen waren, erwies sich eine Abrechnung über AHV-Beiträge und Versicherungsprämien mangels Kontrollmöglichkeiten als schwierig. Einem Schreiben der SUVA an die Taxiunternehmung O. vom 29. Juli 1977 ist zu entnehmen, dass in der Stadt T. ein zwischen der SUVA, den Taxiunternehmen und den Arbeitnehmerverbänden ausgehandeltes Abkommen bestand, wonach 8% der Fahrgeldeinnahmen pauschal als Trinkgelder angenommen und darauf Prämien an die Unfallversicherung entrichtet wurden.
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Wie die Gewerkschaft VHTL auf Anfrage der Vorinstanz ausführte, ist die Erzielung der vom Beschwerdeführer behaupteten zusätzlichen Trinkgelder trotz der gesamtschweizerisch geltenden Regelung "Trinkgeld inbegriffen" als allgemein üblich zu betrachten. Deren Höhe wird von der Gewerkschaft auf 10 bis 15%, in der Nacht bis 20% des gesamten Umsatzes beziffert. Bei einem Umsatz von rund Fr. 6'100.-- im Monat (ausgerechnet aus dem Umsatzanteil von 13,04% = Fr. 800.--) erscheint es möglich, dass der Beschwerdeführer Extratrinkgelder von monatlich Fr. 450.-- eingenommen hat, zumal er als Chauffeur ausserordentlich beliebt war und als sehr guter Taxifahrer galt. Ob er diese Zusatzeinkünfte tatsächlich erzielt hat, kann indessen offenbleiben. Denn sie können nicht als massgebender Lohn qualifiziert werden und gehören damit auch nicht zum versicherten Verdienst gemäss Art. 15 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 22 Abs. 2 UVV.
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d) Damit bestimmte Einkünfte als massgebender Lohn erfasst werden können, ist erforderlich, dass sie hinsichtlich Höhe und Regelmässigkeit überprüfbar sind. Derartige Kontrollmöglichkeiten sind bei freiwilligen Zuwendungen, wie sie vom Beschwerdeführer in Form von Extratrinkgeldern geltend gemacht werden, nicht gegeben. Aus diesem Grund wurden denn auch vor Einführung der heutigen Trinkgeldregelung im Taxigewerbe Abkommen zwischen SUVA, Arbeitgebern und Arbeitnehmern abgeschlossen, in welchen ein Pauschalansatz für Trinkgelder festgelegt wurde, auf dem Unfallversicherungsprämien zu entrichten waren. Für die in Frage stehenden Extratrinkgelder trafen die beteiligten Parteien jedoch keine solchen Pauschalabkommen. Wie das kantonale Gericht zutreffend festgehalten hat, gilt es auch zu beachten, dass es im Sozialversicherungsrecht - mit Ausnahme der freiwilligen Versicherung für Selbständigerwerbende gemäss UVG (vgl. Art. 4 und 5 UVG in Verbindung mit Art. 138 UVV) - nicht im Belieben des Versicherten steht, welche Einkommenshöhe er versichern lassen will. Betrachtet ein Arbeitnehmer Extratrinkgelder als wesentlichen Bestandteil seines Lohnes, erscheint es zwar nicht ausgeschlossen, dass er diesen Einkommensteil versichern lassen kann (vgl. in diesem Sinn Rz. 2025 der Wegleitung des BSV über den massgebenden Lohn, gültig ab 1. Januar 1987). Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine solche Ausnahmeregelung für Extratrinkgelder von Taxifahrern in Frage käme, braucht aber im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden. Denn eine entsprechende Vereinbarung müsste vor Eintritt des Versicherungsfalles abgeschlossen worden sein, was hier unbestrittenermassen nicht zutrifft.
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