![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
41. Urteil vom 13. Juli 1990 i.S. H. gegen Bundesamt für Militärversicherung und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 15 Abs. 2 MVG, Art. 46 Abs. 1 AHVG, Art. 48 Abs. 1 IVG: Nachzahlung von Leistungen. |
- Der Anmeldung zum Leistungsbezug ist formell eine grundsätzlich unbefristete Wirkung zuzuerkennen (Änderung der Rechtsprechung; Erw. 3d). | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
Der Versicherte meldete sich in den folgenden Jahren bei der Militärversicherung nicht mehr, und auch diese liess den Fall auf sich beruhen. Erst in einem Schreiben vom 20. September 1976 an den Chefarzt des Militärspitals in Novaggio ersuchte der Vater des Versicherten um ein Aufgebot seines Sohnes zu einer gründlichen Untersuchung, da dieser als Folge des Unfalles vom 14. April 1965 als Dauerschaden an einer partiellen Lähmung der rechten Hand leide und in letzter Zeit gelegentlich über Hals- und Rückenwirbelschmerzen klage. Nach entsprechenden Abklärungen wurde im Bericht des Militärspitals vom 24. November 1976 folgende Diagnose gestellt: Status nach schwerem Trauma der oberen Halswirbelsäule mit Fraktur des Bogens C 2 rechts sowie Fehlhaltung der Halswirbelsäule mit Kyphosierung im obersten Segment; Status nach Operation einer Halsrippe rechts; Restparese des rechten Nervus ulnaris (Plexus) und rezidivierende Lumbalgie bei grossem Knorpelknötchen im Bereiche von L 5. In einer kreisärztlichen Aktennotiz der Militärversicherung vom 1. Dezember 1976 wurde festgehalten, dass die Restparese der rechten oberen Extremität klinisch nicht relevant und die rezidivierende Lumbalgie dienstfremd sei.
| 2 |
Am 19./25. März 1985 meldete sich Roger H. wegen Nackenschmerzen erneut bei der Militärversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abschluss einer chiropraktischen Behandlung im Mai 1985 erfolgte am 16. Januar 1986 eine Neuanmeldung. Gemäss Bericht des Dr. M., Spezialarzt für innere Medizin, vom 14. Januar 1986 trat seit Weihnachten 1985 plötzlich ein vermehrter Kraftverlust am rechten Daumen auf, weshalb das Vorliegen eines Sehnenrisses oder einer neurogenen Parese zu prüfen sei. Prof. L., Neurologische Universitätsklinik B., stellte im Bericht vom 30. Januar 1986 fest, dass seit mehr als zwanzig Jahren eine unvollständige ![]() | 3 |
Im Vorschlag vom 17. April 1986 kam das Bundesamt für Militärversicherung (BAMV) zum Schluss, dass die plötzliche Verminderung der Kraft im rechten Daumen in keinem Zusammenhang mit Einwirkungen während des Militärdienstes im Jahre 1965 stehe. Auf Einspruch des Rechtsvertreters des Versicherten hin erliess das BAMV am 6. Oktober 1987 eine Verfügung, in welcher es den Anspruch auf eine Invalidenrente verneinte. Hingegen anerkannte es für die partielle, untere Armplexusparese "beim heutigen Zustand" die volle Bundeshaftung, unter Vorbehalt der Überprüfung bei einer Verschlimmerung. Für diese Beeinträchtigung sprach es dem Versicherten eine Integritätsrente von 5% ab 1. Januar 1981 zu, wobei die bis Dezember 1986 verfallenen Renten ausbezahlt und diejenigen ab 1. Januar 1987 im Betrag von Fr. 20'621.95 ausgekauft wurden.
| 4 |
B.- Beschwerdeweise liess Roger H. beantragen, die Integritätsrente sei ab dem Jahre 1976 auszurichten und die Auszahlung der laufenden Jahresrente sei über den 1. Januar 1987 hinaus bis zum rechtskräftigen Urteil auszuzahlen; der Auskauf der verbleibenden Ansprüche sei auf diesen Zeitpunkt neu zu berechnen.
| 5 |
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 13. Februar 1990 teilweise gut, indem es feststellte, dass die Auskaufssumme der Integritätsrente Fr. 21'286.80 betrage. Im übrigen wies es die Beschwerde ab.
| 6 |
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt der Versicherte beantragen, die Militärversicherung habe die Integritätsrente von 5% ab 1. Dezember 1976 auszurichten und für die Zeit bis 31. Dezember 1980 nachzuzahlen.
| 7 |
Das BAMV schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
| 8 |
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
9 | |
![]() | 10 |
b) Gemäss unbestrittener Feststellung des Kreisarztes Dr. G. im Bericht vom 27. Oktober 1986 ist der Zustand der rechten Hand des Beschwerdeführers seit der Spitalentlassung am 24. November 1976 stationär und als Endzustand zu betrachten. Damit waren die Anspruchsvoraussetzungen einer Integritätsrente von 5% nach Art. 23 Abs. 1 MVG bereits am 1. Dezember 1976 erfüllt und nicht erst am 1. Januar 1981, dem Zeitpunkt, ab welchem Verwaltung und Vorinstanz dem Beschwerdeführer eine Rente zugesprochen haben.
| 11 |
12 | |
Die letztgenannte Bestimmung ist mit dem Bundesgesetz vom 19. Dezember 1963 eingefügt worden. Damit sollte vermieden werden, dass weiterhin rückwirkend Leistungen der Militärversicherung ohne zeitliche Begrenzung beansprucht werden konnten, was z.B. in der Alters- und Hinterlassenenversicherung und in der Invalidenversicherung schon damals ausgeschlossen war ![]() | 13 |
b) Entgegen der vom BAMV in der angefochtenen Verfügung vom 6. Oktober 1987 vertretenen Auffassung ist Art. 15 Abs. 2 MVG auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Denn der Beschwerdeführer hat seinen Rentenanspruch nicht erst am 16. Januar 1986 und mithin nicht verspätet geltend gemacht. Die Nachzahlung der Rente ab 1. Januar 1981 kann daher nicht auf Art. 15 Abs. 2 MVG gestützt werden.
| 14 |
3. a) Es steht aktenmässig fest und ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer bereits mit Schreiben vom 10. März 1968 von den USA aus ein Gesuch um Zusprechung einer Rente gestellt hat mit der Begründung, gemäss neuestem ärztlichem Befund aller Wahrscheinlichkeit nach einen Dauerschaden erlitten zu haben. Dieses Leistungsgesuch stellt eine rechtsgenügliche Anmeldung dar (vgl. BGE 111 V 264 Erw. 3b). Die Militärversicherung wäre verpflichtet gewesen, die erforderlichen medizinischen Abklärungen an die Hand zu nehmen und das Rentengesuch zu behandeln. Indessen bestand die einzige Reaktion der Militärversicherung darin, dass sie mit Schreiben vom 16. Mai 1968 in Aussicht stellte, die für die Prüfung des Rentenanspruchs notwendigen Abklärungen nach Rückkehr des Beschwerdeführers in die Schweiz zu ![]() | 15 |
b) Die Vorinstanz prüfte den Rentenbeginn im Hinblick auf die Frage, wie lange die erste (genügend substantiierte) Anmeldung vom 10. März 1968 wirksam war. Gemäss vorinstanzlichem Entscheid ergibt sich aus den Akten, dass nach der Untersuchung im Militärspital Novaggio im November 1976 bis am 19. März 1985 weder eine neue Anmeldung erfolgt sei noch irgendwelche sonstige Korrespondenz von Bedeutung vorliege. In rechtlicher Hinsicht führte die Vorinstanz aus, "praxisgemäss (seien) die Wirkungen der früheren Anmeldung fünf Jahre nach der letzten möglicherweise relevanten Handlung verwirkt. Letzte aktenkundige Aktivität (sei) die bereits erwähnte Untersuchung im November 1976; die seinerzeitigen Ansprüche (seien) somit spätestens seit November 1981 verwirkt."
| 16 |
c) Gemäss dem von der Vorinstanz zitierten BGE 100 V 118 Erw. 1c "wirkt" eine Anmeldung nur während fünf Jahren bzw. ist eine "5jährige Verwirkungsfrist seit der früheren Anmeldung massgebend". Aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen zunehmender Abklärungsschwierigkeiten nach längerem Zeitablauf erachtete es das Eidg. Versicherungsgericht als gerechtfertigt, die Wirkungsdauer einer Anmeldung auf fünf Jahre zu beschränken. Diese Erwägung wurde in Form eines summarischen Verweises in BGE 101 V 112 Erw. a in fine bestätigt - entgegen der Auffassung der Vorinstanz aber nicht in ZAK 1988 S. 183 Erw. 3b (in welchem Urteil lediglich die Rechtsprechung wiedergegeben wird, wonach der Versicherte mit der Anmeldung grundsätzlich alle seine in diesem Zeitpunkt bestehenden Rechte wahrt). Dies bedeutet, dass eine weiter als fünf Jahre zurückliegende Anmeldung unbeachtlich bleiben müsste; ein Versicherter würde damit sein Recht auf ![]() | 17 |
Die Anwendung dieser Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall würde zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen. Innerhalb von fünf Jahren vor dem 1. Januar 1981 - dem Zeitpunkt, ab welchem dem Beschwerdeführer eine Integritätsrente zugesprochen wurde - ist nämlich keine Handlung aktenkundig, welche als Anmeldung zum Leistungsbezug zu betrachten wäre.
| 18 |
d) Es erscheint indessen als ungerecht und stossend, dass ein Rechtsanspruch nach rechtzeitiger und rechtsgenüglicher Anmeldung formell wegen Verzögerungen, welche die Verwaltung zu verantworten hat, verwirken soll. Auch das Argument der Rechtssicherheit und die erwähnten, mit längerem Zeitablauf zunehmenden Schwierigkeiten der Sachverhaltsabklärung vermögen als Begründung für die dargelegte Rechtsprechung nicht zu überzeugen. Denn es ist Sache der Verwaltung, im Rahmen der Untersuchungsmaxime (BGE 115 V 142 Erw. 8a) für eine speditive Behandlung der ihr unterbreiteten Leistungsgesuche zu sorgen. Versäumnisse der Verwaltung dürfen grundsätzlich nicht zur Verwirkung von Versicherungsansprüchen führen.
| 19 |
Aus den dargelegten Gründen kann an der bisherigen Rechtsprechung nicht festgehalten werden (BGE 108 V 17 Erw. 3b). Vielmehr ist der Anmeldung zum Leistungsbezug formell eine grundsätzlich unbefristete Wirkung zuzuerkennen. Dabei kann indes nicht ausgeschlossen werden, dass sich bei verspäteter Abklärung rechtserhebliche Tatsachen allenfalls nicht mehr zuverlässig ermitteln lassen, was sich für jene Partei nachteilig auswirken kann, welche aus dem unbewiesenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte (BGE 115 V 113 Erw. 3d/bb).
| 20 |
21 | |
a) Das Eidg. Versicherungsgericht hat in EVGE 1955 S. 88 erklärt, es würde den Grundsätzen der Billigkeit und Rechtssicherheit ![]() | 22 |
b) Im vorliegenden Fall fehlen Anhaltspunkte für die Annahme, der Beschwerdeführer habe zu irgendeinem Zeitpunkt auf die Zusprechung einer Rente der Militärversicherung im Sinne der Rechtsprechung verzichtet. Der Beschwerdeführer hat somit Anspruch auf eine Integritätsrente von 5% auch für die Zeit vom 1. Dezember 1976 bis 31. Dezember 1980.
| 23 |
24 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |