BGE 117 V 170 | |||
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20. Auszug aus dem Urteil vom 6. Mai 1991 i.S. M. gegen Basler Versicherungs-Gesellschaft und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | |
Regeste |
Art. 23 Abs. 4 und Abs. 8 UVV, Art. 4 Abs. 1 BV: Taggeld bei Saisonbeschäftigung. |
Tritt der Rückfall in der "toten Saison" ein, bemisst sich das Taggeld deshalb nicht nach Abs. 8, sondern analog nach Abs. 4 Satz 2 von Art. 23 UVV. | |
Auszug aus den Erwägungen: | |
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a) Nach Art. 15 UVG werden Taggelder und Renten nach dem versicherten Verdienst bemessen (Abs. 1). Als versicherter Verdienst für die Bemessung der Taggelder gilt der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn, für die Bemessung der Renten der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn (Abs. 2). Der Bundesrat setzt den Höchstbetrag des versicherten Verdienstes fest und erlässt Bestimmungen über den versicherten Verdienst in Sonderfällen, namentlich unter anderem bei Versicherten, die unregelmässig beschäftigt sind (Abs. 3 Satz 1 und 3 lit. d).
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b) Laut den allgemeinen Bestimmungen des Art. 22 UVV zum versicherten Verdienst bei Geldleistungen gilt als Grundlage für die Bemessung der Taggelder der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn, einschliesslich noch nicht bezahlter Lohnbestandteile, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Er wird auf ein volles Jahr umgerechnet und durch 365 geteilt (Abs. 3). Der Bundesrat hat in Ausführung von Art. 15 Abs. 3 Satz 3 UVG in Art. 23 UVV den "massgebenden Lohn für das Taggeld in Sonderfällen" geregelt. Als solche besonderen Tatbestände hat er u.a. die Saisonbeschäftigung und die Rückfälle wie folgt normiert:
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Für einen Versicherten, der während einer Saisonbeschäftigung einen
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Unfall erleidet, gilt Artikel 22 Absatz 3. Ereignet sich der Unfall in der
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Zeit, in der er nicht erwerbstätig ist, so wird der im vorangegangenen Jahr
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tatsächlich erzielte Lohn durch 365 geteilt (Abs. 4).
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Bei Rückfällen ist der unmittelbar zuvor bezogene Lohn, mindestens aber
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ein Tagesverdienst von 10 Prozent des Höchstbetrages des versicherten
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Tagesverdienstes massgebend, ausgenommen bei Rentnern der
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Sozialversicherung (Abs. 8).
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c) Unter der Herrschaft des bis Ende 1983 in Kraft gewesenen KUVG (Art. 74) richtete die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) einem Saisonnier, der in der erwerbslosen Zeit im Heimatland verunfallte, ein nach Familienlasten abgestuftes, anhand der konkreten Methode auf der Annahme eines mittleren Lohnausfalles pauschaliertes Taggeld aus (BGE 105 V 313 Erw. 3; in Nr. 5 der Rechtsprechungsbeilage zum Jahresbericht der SUVA 1981 auszugsweise veröffentlichtes Urteil C. vom 6. Oktober 1981; MAURER, Recht und Praxis der schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, S. 204 mit Hinweis). Im Vorentwurf zur UVV vom 20. März 1980 sah das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) in Art. 22 Abs. 5 (Vorläufer des heutigen Art. 23 Abs. 4 UVV) nur Sondervorschriften für während der Saisonbeschäftigung verunfallte Versicherte vor. Nachdem sich die SUVA hiegegen unter Hinweis auf die bisherige Praxis zur Wehr gesetzt hatte, traf die Kommission den Grundsatzentscheid, dem Versicherten, der in der "toten Saison" einen Unfall erleidet, ein reduziertes Taggeld zu gewähren (Protokoll der Kommission zur Vorbereitung der Verordnung über die obligatorische Unfallversicherung [nachstehend: Kommissionsprotokoll], Sitzung vom 9./10. Juni 1980, S. 17). Bei der zweiten Lesung vom 29./30. April und 5. Mai 1981 erläuterte das Bundesamt die vorgesehene Regelung dahingehend, dass bei einem Unfall in der "toten Saison" der im vorangegangenen Jahr tatsächlich erzielte Lohn massgebend sei; dieser werde nicht, wie beim Unfall in der aktiven Zeit, auf ein Jahr umgerechnet, sondern unmittelbar durch 365 Tage geteilt, woraus ein Taggeld resultiere, das geringer sei als bei Unfall in der Saison (Kommissionsprotokoll S. 36 f.). Diese Vorstellungen fanden in der Folge Eingang in - mit dem geltenden Abs. 4 von Art. 23 UVV übereinstimmenden - Art. 23 Abs. 5 des Verordnungsentwurfs vom 15. Juli 1981.
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Wie beim Grundfall, so gewährte die SUVA unter altem Recht auch dem Saisonnier, der in erwerbsloser Zeit einen Rückfall erlitt, ein pauschaliertes Taggeld (BGE 105 V 314 Erw. 3b). Art. 22 Abs. 9 des Vorentwurfes vom 20. März 1980 bestimmte, dass bei Rückfällen der unmittelbar zuvor bezogene Lohn massgebend sei. An der Sitzung vom 9./10. Juni 1980 schlug die SUVA als zusätzliche Bemessungsgrundlage einen Mindesttagesverdienst von 25 Franken vor. Diese Ergänzung begründete die Anstalt mit der besonderen Problematik jener Versicherten, "die vor Eintritt eines Rückfalles keinen Lohn beziehen" (Kommissionsprotokoll S. 18). Aufgrund des Vernehmlassungsverfahrens beantragte das BSV im Februar 1982 eine Änderung in dem Sinne, als der (Mindest-) Tagesverdienst 10% des Höchstbetrages des versicherten Tagesverdienstes betrage, was der heutigen Fassung von Art. 23 Abs. 8 UVV entspricht.
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b) Der Wortlaut von Art. 23 Abs. 8 UVV ist klar und bedarf keiner weiteren Auslegung. Massgebend für die Bemessung des Taggeldes in der erwerbslosen Zeit ist der zeitlich unmittelbar vor dem Rückfall bezogene Lohn ("reçu juste avant celle-ci"; "ottenuto immediatamente prima di questa"). Wohl drückt diese Bestimmung aus, dass im Gegensatz zur Grundregel (letzter vor dem Unfall bezogener Lohn) bei der Taggeldberechnung nicht auf den vor dem allenfalls weit zurückliegenden Unfall, sondern auf den vor dem Rückfall bezogenen Lohn abzustellen ist. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass der letzte Verdienst als Bemessungsgrundlage beizuziehen wäre. Wäre dies nämlich die Absicht des Verordnungsgebers gewesen, so hätte sich die Schaffung eines Mindesttaggeldes erübrigt. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass er in diesem Fall ausdrücklich den letzten vor dem Rückfall erzielten Verdienst als massgebend erklärt hätte, wie er dies - in Anlehnung an Art. 15 Abs. 2 UVG - auch in Art. 22 Abs. 3 UVV getan hat. Ob indessen die Wendung "unmittelbar zuvor" der Auslegung im Sinne einer gewissen zeitlichen Ausdehnung zugänglich ist, wie der Beschwerdeführer meint, kann im Hinblick auf die nachfolgenden Erwägungen offengelassen werden.
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a) Nach der Rechtsprechung verstösst eine vom Bundesrat getroffene Regelung dann gegen Art. 4 Abs. 1 BV, wenn sie sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt, wenn sie sinn- oder zwecklos ist oder wenn sie rechtliche Unterscheidungen trifft, für die sich ein vernünftiger Grund nicht finden lässt. Gleiches gilt, wenn die Verordnung es unterlässt, Unterscheidungen zu treffen, die richtigerweise hätten berücksichtigt werden sollen (BGE 114 V 184 Erw. 2b, 303 Erw. 4a, BGE 112 V 178 Erw. 4c, BGE 111 V 284 Erw. 5a, 395 Erw. 4a, BGE 110 V 256 Erw. 4a und 328 Erw. 2d, je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 116 V 58 Erw. 3b und 193 Erw. 3, BGE 114 Ib 19 Erw. 2). Die Rechtsgleichheit ist insbesondere verletzt, wenn Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich oder Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird (BGE 116 Ia 83 Erw. 6b, BGE 114 Ia 2 Erw. 3, 224 Erw. 2b, 424 Erw. 4a, BGE 112 Ia 258 Erw. 4b, BGE 110 Ia 13 Erw. 2b, BGE 101 Ia 200 Erw. 6 mit Hinweisen; HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 58; IMBODEN/RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 69 B I). Bei der Prüfung der Frage, ob für eine rechtliche Unterscheidung ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, kann jedoch das Eidg. Versicherungsgericht sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen (vgl. BGE 116 V 58 Erw. 3b mit Hinweisen; IMBODEN/RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., Nr. 73 B VI).
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b) Gemäss Satz 2 von Art. 23 Abs. 4 UVV bestimmt sich das Taggeld bei Unfällen in der erwerbslosen Zeit nach dem im vorangegangenen Jahr tatsächlich erzielten (und anschliessend durch 365 geteilten) Verdienst. Demgegenüber beträgt das Taggeld beim Rückfall in der "toten Saison" 10% des Höchstbetrages des versicherten Tagesverdienstes. Dies hat zur Folge, dass ein Saisonnier - bei im übrigen gleichen Verhältnissen - massiv unterschiedliche Taggelder erhält, je nachdem ob er in der erwerbslosen Zeit einen Unfall oder einen Rückfall erleidet. So hätte beispielsweise ein Versicherter, der während neun Monaten im Jahr tätig ist und in dieser Periode einen Lohn von Fr. 36'000.-- verdient, bei einem Unfall in der "toten Saison" Anspruch auf ein Taggeld von Fr. 79.-- (Anhang 2 zur UVV), während er bei einem Rückfall in der gleichen Zeit bloss ein Taggeld erhält, für dessen Berechnung ein Tagesverdienst von 10% des Höchstbetrages des versicherten Tagesverdienstes von derzeit Fr. 267.-- (vgl. Art. 22 Abs. 1 UVV in der ab 1. Januar 1991 geltenden Fassung) massgebend ist. Zwar hat die Versicherteneigenschaft bei Art. 23 Abs. 4 UVV ihre Grundlage im vorangehenden Arbeitsverhältnis (Art. 3 Abs. 2 UVG) bzw. in der diesem folgenden Abredeversicherung (Art. 3 Abs. 3 UVG, Art. 8 UVV), während sie bei Abs. 8 dieser Bestimmung an den primären Unfall anknüpft. Dieser Umstand stellt jedoch ebensowenig wie die "medizinisch-technische Unterscheidung" des Rückfalls vom Unfall einen sachlichen Grund dar, der eine solch stossende Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermöchte. Schliesslich ist in diesem Zusammenhang auf die allgemeine Bestimmung des Art. 11 UVV zu verweisen. Danach werden die Versicherungsleistungen auch für Rückfälle und Spätfolgen gewährt, für Bezüger von Invalidenrenten jedoch nur unter den Voraussetzungen von Art. 21 des Gesetzes. Dieser Verweis einer im Zweiten Titel "Gegenstand der Versicherung" befindlichen Vorschrift auf eine Bestimmung im Dritten Teil des Gesetzes über die "Versicherungsleistungen" belegt, dass das unfallversicherungsrechtliche Leistungsgefüge - unter Vorbehalt von Ausnahmen - auf dem Grundsatz der Gleichstellung von Unfall und Rückfall basiert. Diesbezüglich ist den Materialien zu entnehmen, dass die SUVA in der UVV-Kommission den Vorschlag zum heutigen Art. 11 UVV (Rückfälle und Spätfolgen) einbrachte, weil das Gesetz zwar von Rückfällen und Spätfolgen spreche, aber nur im Zusammenhang mit Fällen, in denen bereits eine Rente ausgerichtet werde (Art. 21 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 UVG). Es müsse jedoch ganz allgemein festgehalten werden, dass Rückfälle und Spätfolgen unabhängig von einer Rentenberechtigung zur Ausrichtung der gesetzlich vorgesehenen Versicherungsleistungen führen sollen (Kommissionsprotokoll, Sitzung vom 9./10. Juni 1980, S. 8).
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c) Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass es der Bundesrat ohne triftige Gründe unterlassen hat, in Art. 23 Abs. 8 UVV in analoger Weise wie in Abs. 4 zwischen Versicherten zu unterscheiden, deren Rückfall während der Saisonbeschäftigung eintritt, und denjenigen, die vom Rückfall in der erwerbslosen Zeit betroffen werden. Er konnte nicht, ohne die Rechtsgleichheit zu verletzen, den ausserhalb der Saison verunfallten Versicherten eine taggeldmässige Sonderbehandlung zugestehen, diese aber den unter den gleichen Umständen "nur" einen Rückfall erleidenden Saisonbeschäftigten vorenthalten. Somit ist Taggeld des Saisonniers, der in der "toten Saison" einen Rückfall erleidet, analog Art. 23 Abs. 4 Satz 2 UVV zu bemessen.
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