![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
23. Auszug aus dem Urteil vom 22. August 1991 i.S. M. gegen Ausgleichskasse Schweizer Wirteverband und Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel | |
Regeste |
Art. 28 Abs. 2 und Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 27 f. IVV; Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BV, Art. 163 ZGB: Anwendbare Methode der Invaliditätsbemessung. Massgebende Grundsätze bei der Beantwortung der Frage, ob ein Versicherter als ganztägig oder zeitweilig Erwerbstätiger oder als Nichterwerbstätiger einzustufen ist: |
- für die Mitberücksichtigung des eherechtlichen Anspruches der Ehefrau auf Änderung der bisherigen Aufgabenverteilung. | |
![]() | |
3. b) Ob ein Versicherter als ganztägig oder zeitweilig Erwerbstätiger oder als Nichterwerbstätiger einzustufen sei - was je zur Anwendung einer andern Methode der Invaliditätsbemessung ![]() | 1 |
Ob die Beschwerdeführerin als ganztägig oder zeitweilig Erwerbstätige zu betrachten ist, beurteilt sich praxisgemäss nicht danach, ob sie vor ihrer Heirat erwerbstätig war oder nicht. Diese Tatsache kann allenfalls ein Indiz darstellen. Entscheidend ist vielmehr jene Tätigkeit, welche die Versicherte ausüben würde, wenn sie nicht invalid geworden wäre. Es ist demnach zu prüfen, ob die Versicherte ohne Invalidität mit Rücksicht auf die gesamten Umstände (dazu gehören die persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnisse) vorwiegend erwerbstätig oder im Haushalt beschäftigt wäre (BGE 98 V 263 Erw. 1 und 268 Erw. 1c; ZAK 1975 S. 206 Erw. 1b; vgl. auch unveröffentlichte Erw. 3a des in BGE 115 V 62 auszugsweise publizierten Urteils S. vom 15. Februar 1989). Für die Beurteilung und Festlegung des von Versicherten im Gesundheitsfall mutmasslich ausgeübten Aufgabenbereiches sind ausser der finanziellen Notwendigkeit, eine Erwerbstätigkeit wiederaufzunehmen oder auszudehnen, auch allfällige Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern, das Alter, die beruflichen Fähigkeiten und die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und Begabungen zu berücksichtigen. Dabei sind die konkrete Situation und die Vorbringen der Versicherten nach Massgabe der allgemeinen Lebenserfahrung zu würdigen (ZAK 1985 S. 468 Erw. 1). Denn Tatfragen, über die sich gemäss der Natur der Dinge nur Hypothesen aufstellen lassen, beurteilen sich nach Erfahrungssätzen (GULDENER, Beweiswürdigung und Beweislast nach schweizerischem Zivilprozessrecht, S. 13). Es gibt Tatsachen, mit deren Vorhandensein nach den Erfahrungen des Lebens so sehr zu rechnen ist, dass ihr Vorhandensein so lange vorausgesetzt werden darf, als nicht Umstände nachgewiesen sind, welche es unwahrscheinlich machen, dass sie sich verwirklicht haben. Es sind dies die Tatsachen, für ![]() | 2 |
3 | |
a) Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BV statuiert die (formelle) Gleichberechtigung von Mann und Frau. Darüber hinaus ist der Gesetzgeber gemäss Satz 2 dieser Verfassungsbestimmung beauftragt, für die Gleichstellung der Geschlechter zu sorgen, insbesondere in Familie, Ausbildung und Arbeit. Nach diesem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot ist nicht nur die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter gewährleistet, sondern es soll auch ihre faktische (materielle) Gleichstellung durch Chancengleichheit in den verschiedensten Lebensbereichen verwirklicht werden. Das Gleichbehandlungsgebot von Art. 4 Abs. 2 zweiter Satz BV ist auf die Schaffung gleicher Entfaltungsmöglichkeiten in der gesellschaftlichen Wirklichkeit gerichtet, damit Frauen und Männer ihre gleichen Rechte auch tatsächlich ausüben können (vgl. Botschaft des Bundesrates über die Volksinitiative "Gleiche Rechte für Mann und Frau" vom 14. November 1979, BBl 1980 I 120 und 142; Bericht des Bundesrates über das Rechtssetzungsprogramm "Gleiche Rechte für Mann und Frau" vom 26. Februar 1986, BBl 1986 I 1149 ff.; MÜLLER, Die Grundrechte der Schweizerischen Bundesverfassung, 2. Aufl., 1991, S. 227 und S. 231, Anm. 95; HANGARTNER, Grundzüge des Schweizerischen Staatsrechts, 1982, Bd. II, S. 189 f.; MÜLLER, Quotenregelungen - Rechtsetzung im Spannungsfeld von Gleichheit und Verhältnismässigkeit, ZBl 1990, S. 37 ff.). Diesem verfassungsrechtlichen, in erster Linie an den Gesetzgeber gerichteten Ziel der faktischen oder materiellen Gleichstellung von Mann und Frau ist bei der Anwendung des geltenden Rechts durch verfassungskonforme Auslegung Rechnung zu tragen.
| 4 |
b) Das auf den 1. Januar 1988 in Kraft getretene neue Eherecht hat die Gleichberechtigung der Ehegatten verwirklicht und auf jede gesetzlich bestimmte Aufgabenteilung verzichtet. Die Ehegatten sorgen "gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften" für den ![]() | 5 |
Ob eine solche Änderung der bisherigen Aufgabenteilung von einer Ehefrau im Gesundheitsfall vollzogen worden wäre, ist somit auch unter eherechtlichen Gesichtspunkten aufgrund einer Gesamtwürdigung der persönlichen, beruflichen, sozialen und ökonomischen Umstände des konkreten Falles zu beurteilen, wobei ![]() | 6 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |