BGE 117 V 271 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
36. Auszug aus dem Urteil vom 26. November 1991 i.S. S. gegen Caisse interprofessionnelle vaudoise d'assurance-vieillesse et survivants (CIVAS) und Kantonale Rekurskommission für die AHV und IV, Appenzell | |
Regeste |
Art. 21 Abs. 1 IVG, Art. 2 Abs. 2 HVI, Ziff. 13.02* HVI-Anhang. |
Was als beachtlich zu gelten hat, bestimmt sich aufgrund des konkreten Aufgabenbereichs unter Berücksichtigung der durch das Hilfsmittel möglichen Verbesserung der Leistungsfähigkeit. | |
Aus den Erwägungen: | |
2. b) Zu prüfen ist, ob das streitige Hilfsmittel - ein Levo-Rollstuhl - gestützt auf Ziff. 13.02* HVI-Anhang abgegeben werden kann. Gemäss dieser Bestimmung übernimmt die Invalidenversicherung der Behinderung individuell angepasste Sitz-, Liege- und Stehvorrichtungen, soweit sie für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder die Tätigkeit im Aufgabenbereich, für die Schulung, die Ausbildung oder die funktionelle Angewöhnung notwendig sind (Art. 2 Abs. 2 HVI).
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aa) Dass die Beschwerdeführerin den Levo-Rollstuhl nicht zur Schulung, zur Ausbildung oder zur funktionellen Angewöhnung benötigt, steht fest und bedarf keiner weiteren Ausführungen.
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Unbestritten ist auch, dass der Levo-Rollstuhl nicht der Ausübung einer Erwerbstätigkeit dient. Eine solche ist nach der Verwaltungspraxis nur anzunehmen, wenn der Versicherte ohne Anrechnung von Soziallohn und Renten aus seiner Tätigkeit ein jährliches Einkommen erzielt, das dem Mindestbeitrag für Nichterwerbstätige gemäss Art. 10 Abs. 1 AHVG entspricht oder höher ist (Rz. 1006 der Wegleitung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung [WHMI]). Die Beschwerdeführerin arbeitet zwar im Betrieb des Ehemannes mit, jedoch nurmehr in sehr begrenztem Umfang und ohne hiefür einen Lohn zu beziehen. Zudem führt der Levo-Rollstuhl in diesem Bereich unbestrittenermassen zu keiner wesentlichen Verbesserung der Arbeitsfähigkeit. Fraglich bleibt daher lediglich, ob er für die Tätigkeit der Beschwerdeführerin im Aufgabenbereich notwendig ist.
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bb) Verwaltung und Vorinstanz haben den Leistungsanspruch mit der Begründung verneint, eine Tätigkeit im Aufgabenbereich im Sinne von Art. 21 Abs. 1 IVG und Art. 2 Abs. 2 HVI sei nur anzunehmen bei Versicherten, die den Haushalt im wesentlichen selbständig besorgten. Diese Voraussetzung sei bei der Beschwerdeführerin nicht gegeben, da sie grösstenteils auf die Hilfe der Familienangehörigen oder fremder Personen angewiesen sei, woran auch der streitige Rollstuhl nichts ändere. Nach den Angaben des behandelnden Arztes, Dr. med. S., lasse sich die praktisch vollständige Arbeitsunfähigkeit als Hausfrau mit dem Rollstuhl auf 75 bis 80% reduzieren, wogegen die Arbeitsunfähigkeit im Bürobereich unverändert bei 80% liege. Die von der Invalidenversicherung anlässlich der Abklärung an Ort und Stelle vom 3. Mai 1988 festgestellte Arbeitsfähigkeit im Haushalt von 10% könne demnach auf höchstens 25% gesteigert werden, was zur Folge hätte, dass - bei einer Gewichtung von 50% Haushalt- und 50% Büroarbeiten - eine Verminderung der Invalidität von 80 auf 72,5%, somit eine Verbesserung von nicht einmal 10% eintreten würde.
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Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass der Anspruch auf Hilfsmittel gemäss Art. 21 Abs. 1 IVG und Art. 2 Abs. 2 HVI keine Verbesserung des Invaliditätsgrades voraussetzt und auch der Bezug einer ganzen Invalidenrente den Anspruch auf Hilfsmittel nicht ausschliesst (BGE 115 V 200 Erw. 5c, 108 V 213 Erw. 1d). Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz auch insofern, als sie den Anspruch verneint, weil die Versicherte den Haushalt nicht überwiegend selbständig besorge. Sie stützt sich dabei auf die Verwaltungspraxis, wonach eine Tätigkeit im Aufgabenbereich nur angenommen werden kann, wenn die Versicherte den Haushalt im wesentlichen selbständig besorgt, wogegen die Selbstsorge ohne Führung eines eigenen Haushaltes oder gelegentliche Verrichtungen oder Handreichungen im Haushalt nicht als Tätigkeit im Aufgabenbereich betrachtet werden können (Rz. 1007 der genannten Wegleitung). Mit dieser Praxis wird der Hilfsmittelanspruch praktisch auf Versicherte beschränkt, die im Haushalt noch mindestens zu 50% arbeitsfähig sind. Damit werden an den Anspruch auf Hilfsmittel im Aufgabenbereich höhere Anforderungen gestellt als bei erwerbstätigen Versicherten, wo die Erzielung eines jährlichen Erwerbseinkommens entsprechend dem Mindestbeitrag nach Art. 10 Abs. 1 AHVG genügt. Dies bedeutet aber eine Schlechterstellung der im gesetzlich anerkannten Aufgabenbereich tätigen Versicherten gegenüber den Erwerbstätigen, die weder vor Art. 21 Abs. 1 IVG noch vor Art. 4 Abs. 2 BV standhält (vgl. BGE BGE 116 V 322). Im nicht veröffentlichten Urteil M. vom 21. September 1990 hat das Eidg. Versicherungsgericht zu Rz. 13.07.1* (betreffend Treppenlifte) in der bis Ende 1988 gültig gewesenen Fassung der Wegleitung festgestellt, dass im Rahmen des gesetzlichen Eingliederungsziels nicht erforderlich ist, dass die Versicherte den Haushalt überwiegend selbständig führt; vielmehr genügt eine bloss beachtliche Tätigkeit im Aufgabenbereich. Diese Feststellung fand zwar im Wortlaut der bis zu diesem Zeitpunkt gültig gewesenen Ziff. 13.07* HVI-Anhang (wonach die Invalidenversicherung periodische Beiträge an Hebebühnen, Treppenlifts und Rampen ausrichtete, sofern damit eine beachtliche Tätigkeit im Aufgabenbereich ermöglicht wurde) eine besondere Stütze. Im Hinblick auf die Gleichstellung der im Aufgabenbereich tätigen mit den erwerbstätigen Versicherten, bei denen ein Mindesteinkommen für den Anspruch auf die im Anhang zur HVI mit * bezeichneten Hilfsmittel genügt, hat dies indessen auch für andere Hilfsmittel im Aufgabenbereich zu gelten. Der Anspruch auf solche Hilfsmittel setzt mithin voraus, dass der Versicherte in beachtlichem Umfang im Aufgabenbereich tätig ist. Was noch als beachtlich zu gelten hat, bestimmt sich dabei aufgrund des konkreten Aufgabenbereichs unter Berücksichtigung der durch das Hilfsmittel möglichen Verbesserung des Leistungsvermögens.
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cc) Aus dem Bericht des kantonalen IV-Sekretariates vom 14. Juli 1988 über die Abklärung an Ort und Stelle vom 3. Mai 1988 geht hervor, dass die Beschwerdeführerin bei der Haushaltführung erheblich beeinträchtigt ist, zahlreiche Arbeiten nicht mehr ausführen kann und in verschiedenen Belangen auf die Mithilfe der Familienangehörigen angewiesen ist. Anderseits ist es ihr möglich, einfachere Mahlzeiten zuzubereiten, das Geschirr abzuwaschen (bzw. den Geschirrspülautomaten zu bedienen), leichtere Reinigungsarbeiten (Abstauben im Sitzen) und das Bügeln von kleineren Sachen sowie gelegentlich Näh-, Strick- und Flickarbeiten vorzunehmen. Die entsprechende Arbeitsfähigkeit wird von der Verwaltung auf 10% geschätzt. Der Levo-Rollstuhl erleichtert der Beschwerdeführerin die Tätigkeit im Haushalt dadurch, dass sie nicht nur in bestimmtem Umfang die Sitzhöhe ändern, sondern - ohne den Fahrstuhl zu verlassen - auch aufstehen kann. Die Verwaltung erachtet die hieraus sich ergebende Verbesserung der Leistungsfähigkeit als gering. Die Beschwerdeführerin weist demgegenüber glaubhaft darauf hin, dass sie dank der Aufrichtehilfe und der Höhenverstellbarkeit des Rollstuhls viele Arbeiten sitzend, halb oder ganz stehend verrichten kann, die ihr ohne das Hilfsmittel nicht mehr möglich wären. Im Abklärungsbericht des IV-Sekretariates wird darauf hingewiesen, dass der Rollstuhl der Versicherten den Zugang zu den Kästen, Tablaren und Regalen der Küche und den Schränken in den Zimmern ermöglicht, so dass sie u.a. selbständig Geschirr und Wäsche hervornehmen und wieder versorgen kann. Diese Verrichtungen bilden eine unerlässliche Voraussetzung für die Ausübung verschiedener Haushalttätigkeiten und sind daher für die Leistungsfähigkeit der Versicherten im Haushalt von erheblicher Bedeutung. Der behandelnde Arzt, welcher die Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin im Haushalt ohne Hilfsmittel auf nahezu 100% schätzt, erachtet eine Steigerung der Leistungsfähigkeit um 10 bis 15% als möglich. Wird aufgrund der Abklärungsergebnisse der Invalidenversicherung davon ausgegangen, dass ohne Hilfsmittel eine Arbeitsfähigkeit im Haushalt von 10% besteht, so resultiert eine Leistungsfähigkeit von gegen 25%, was für eine Versicherte, die ohne das Hilfsmittel praktisch keine Haushaltarbeiten mehr ausführen könnte, als beachtlich zu gelten hat. Im übrigen ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin die verbleibende Leistungsfähigkeit im Haushalt nur mit einem Hilfsmittel der beantragten Art zu verwerten vermag, weshalb dieses als notwendig und geeignet zur Erreichung des angestrebten Eingliederungszwecks zu betrachten ist.
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