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38. Auszug aus dem Urteil vom 6. Dezember 1991 i.S. W. gegen Ausgleichskasse des Schreiner-, Möbel- und Holzgewerbes und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern | |
Regeste |
Art. 4 BV, Art. 69 Abs. 2 Satz 2 IVV, Art. 12 lit. c VwVG, Art. 49 BZP in Verbindung mit Art. 19 VwVG: Grundsätze über die Beweisaufnahme, insbesondere bei der Einholung von Auskünften durch die Invalidenversicherungs-Kommission. | |
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4. a) Das sozialversicherungsrechtliche Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren ist vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht. Danach haben Verwaltung und Sozialversicherungsrichter von sich aus für die richtige und vollständige Abklärung des Sachverhaltes zu sorgen. Dieser Grundsatz gilt ![]() | 1 |
Der Untersuchungsgrundsatz als an Verwaltungsbehörden und Sozialversicherungsrichter gerichteter Verfahrensgrundsatz wird ergänzt durch die im Anspruch auf rechtliches Gehör enthaltenen Parteirechte auf Teilnahme am Verfahren und auf Einflussnahme auf den Prozess der Entscheidfindung. Der aus Art. 4 Abs. 1 BV fliessende Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst auch das Recht, an der Erhebung wesentlicher Beweise mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 115 Ia 11 Erw. 2b und 96 Erw. 1b, BGE 114 Ia 99 Erw. 2a, 111 Ia 103 Erw. 2b, BGE 109 Ia 233 Erw. 5b; GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. 1, S. 385; MÜLLER, in Kommentar zu Art. 4 BV, N. 106; REINHARDT, Das rechtliche Gehör in Verwaltungssachen, Diss. Zürich 1968, S. 215 f.). Im Verwaltungsverfahren gilt dieses Mitwirkungs- oder Äusserungsrecht des Betroffenen namentlich im Zusammenhang mit der Durchführung eines Augenscheins (BGE 113 Ia 82 Erw. 3a, BGE 112 Ia 5 Erw. 2c), der Befragung von Zeugen (BGE 92 I 260 f.; HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 141 f.) sowie bezüglich eines Expertengutachtens (BGE 101 Ia 311 f. Erw. 1b und Erw. 2a, 99 Ia 46). Auf diese Beweismittel darf im Verwaltungsverfahren bei der Entscheidung nicht abgestellt werden, ohne dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, an der Beweisabnahme mitzuwirken oder wenigstens nachträglich zum Beweisergebnis Stellung zu nehmen.
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b) Das Verfahren vor der Invalidenversicherungs-Kommission hat der Bundesrat in den Bestimmungen der Art. 69 bis 77 IVV geregelt. Gemäss Art. 69 Abs. 2 Satz 2 IVV kann das Sekretariat der Invalidenversicherungs-Kommission zwecks Abklärung des ![]() | 3 |
c) Im vorliegenden Zusammenhang stellt sich weitergehend die Frage nach der Zulässigkeit und Beweistauglichkeit bloss mündlich bzw. telefonisch eingeholter Auskünfte. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat dazu in Rz. 2054 des Kreisschreibens über das Verfahren in der Invalidenversicherung (KSVI) vom 1. Juli 1987 angeordnet, dass mündlich oder telefonisch eingeholte Auskünfte in den Akten festzuhalten sind. Diese Verwaltungsweisung ist für den Sozialversicherungsrichter nicht verbindlich. Er soll sie bei seiner Entscheidung mit berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulässt. Er weicht anderseits insoweit von einer solchen Verwaltungsweisung ab, als sie sich nicht als gesetzes- oder verfassungskonform erweist (BGE 115 V 6 Erw. 1b in fine und 328 Erw. 2a, je mit Hinweisen).
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Eine verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung von Art. 69 Abs. 2 Satz 2 IVV kann nicht dahin gehen, dass neben schriftlichen Berichten mündliche bzw. telefonische Auskünfte unbeschränkt zulässig und beweistauglich wären, sofern sie nur in einer Aktennotiz festgehalten werden (vgl. die zitierte Rz. 2054 des KSVI). Einer solchen Auslegung stehen einerseits die aus dem ![]() | 5 |
Eine formlos eingeholte und in einer Aktennotiz festgehaltene mündliche bzw. telefonische Auskunft stellt deshalb nur insoweit ein zulässiges und taugliches Beweismittel dar, als damit blosse Nebenpunkte, namentlich Indizien oder Hilfstatsachen, festgestellt werden. Sind aber Auskünfte zu wesentlichen Punkten des rechtserheblichen Sachverhaltes einzuholen, kommt grundsätzlich nur die Form einer schriftlichen Anfrage und Auskunft in Betracht (BGE 99 Ib 109 Erw. 4). Werden Auskunftspersonen zu wichtigen tatbeständlichen Punkten dennoch mündlich befragt, ist eine Einvernahme durchzuführen und darüber ein Protokoll aufzunehmen (vgl. KÖLZ, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, § 7, N. 22). In der Regel ist dem Betroffenen überdies Gelegenheit zu geben, der Einvernahme beizuwohnen (TINNER, Das rechtliche Gehör, ZSR 83/1964 II S. 352). Soweit Sachverständige nicht mit einem schriftlichen Gutachten beauftragt, sondern als Auskunftspersonen mündlich befragt werden, ist ![]() | 6 |
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b) Der angefochtenen Verfügung und dem vorinstanzlichen Entscheid liegt somit eine Sachverhaltsfeststellung in einem wesentlichen Punkt zugrunde, die mittels einer unzulässigen Beweisabnahme erfolgt ist. Die angefochtene Verfügung und der kantonale Entscheid sind deshalb aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob Aussicht besteht, dass nach einem korrekt durchgeführten Beweisverfahren und nach Anhörung des Beschwerdeführers anders entschieden würde (BGE 112 Ia 7 Erw. 2c in fine und BGE 105 Ia 51 Erw. 2c in fine; vgl. auch BGE 116 V 185 Erw. 1b, je mit Hinweisen).
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