![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
6. Urteil vom 24. März 1992 i.S. F. gegen Konkordia, Schweizerische Kranken- und Unfallkasse, und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt | |
Regeste |
Art. 1 Abs. 2, Art. 12 Abs. 2 KUVG: Territorialitätsprinzip. Tragweite einer Auslandversicherung. | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
![]() ![]() | 2 |
B.- M.F., Vater des verstorbenen S.F., von den Erben nachträglich bevollmächtigt, liess hiegegen durch Dr. S. Beschwerde an das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt erheben, im wesentlichen mit dem Antrag, es sei die Konkordia zu verpflichten, die Rechnungen des Kings College Hospital und der Dres. med. H. und W. unter Anrechnung der bereits geleisteten Fr. 13'360.-- voll zu tragen. Nach Beizug der Beschwerdeantwort und Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels holte das kantonale Gericht bei den Universitätskliniken der Kantonsspitäler Basel, Zürich und Bern Erkundigungen zur Frage ein, ob die Lebertransplantation in der Schweiz praktiziert werde.
| 3 |
Mit Entscheid vom 23. November 1990 wies das Versicherungsgericht die Beschwerde ab, dies aus der Erwägung heraus, dass das in der sozialen Krankenversicherung geltende Territorialitätsprinzip im Rahmen der vereinbarten Auslandversicherung nicht gänzlich ausgeschaltet, sondern nur in dem Sinne gelockert werde, dass ein Versicherter für Behandlungen "an seinem jeweiligen Aufenthaltsort im Ausland Versicherungsschutz" geniesse, nicht jedoch auf der ganzen Welt, was eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots der Mitglieder und des Grundsatzes der Gegenseitigkeit bedeuten würde. Folglich entfalle eine Leistungspflicht für die in London entstandenen Kosten. Die Fragen, ob es sich bei der beabsichtigten Lebertransplantation um eine wissenschaftlich anerkannte Heilanwendung handle und ob sich der verstorbene Versicherte im Londoner Spital in einer Privat- oder allgemeinen Abteilung aufgehalten habe, liess das kantonale Gericht offen.
| 4 |
5 | |
Konkordia und Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
| 6 |
Auf die Rechtsschriften der Verfahrensbeteiligten wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
| 7 |
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
8 | |
9 | |
Aufgrund des Versicherungsausweises steht fest, dass der verstorbene S.F. in der Abt. PE 3 für "volle Deckung für zusätzliche Kosten in der allgemeinen Abteilung aller Akutspitäler" versichert war (der Spitalzusatz Abt. EA ist nicht von Belang, nachdem die Kasse den diesbezüglich vereinbarten Betrag von Fr. 40.-- je Tag auch an den Spitalaufenthalt in London ausgerichtet hat [vgl. Abrechnung vom 21. März 1989]). Nach Art. 3 des Reglementes Privatpatienten-Spitalversicherung PE werden die Leistungen der PE gemäss diesem Reglement und den Statuten ohne summenmässige Begrenzung ausgerichtet. Bei ärztlich verordneter stationärer Behandlung, die einen Aufenthalt in einem inländischen Akutspital ![]() | 10 |
a) Das BSV, welches sich dem Standpunkt von Vorinstanz und Kasse im wesentlichen anschliesst, lässt sich folgendermassen vernehmen:
| 11 |
"Eine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin für die Behandlung von S.F. im Kings College Hospital in London entfällt danach allein aufgrund des eltenden Territorialitätsprinzips, welches in der sozialen Krankenversicherung - abgesehen von den Ausnahmen betreffend Grenzgänger - nach konstanter Rechtsprechung des EVG ausnahmslos gilt (vgl. RKUV 86 Nr. K 656 S. 12 und 85 Nr. K 649 S. 265) und u. E. auch bei einer sog. Auslandversicherung analog zur Anwendung kommen muss. Bei einer Auslandversicherung haben sich demzufolge die Leistungen der Kasse grundsätzlich auf Behandlungen am Aufenthaltsort im Ausland zu beschränken. Würde sich nämlich die Auslandversicherung auf das gesamte Ausland erstrecken, hätte dies gegenüber den Versicherten in der Schweiz, welche sich wegen des geltenden Territorialitätsprinzips selbst bei einer in der Schweiz nicht gegebenen Therapiemöglichkeit nicht zu Behandlungszwecken ins Ausland begeben dürfen, eine Besserstellung zur Folge, was nicht Sinn der Auslandversicherung sein kann und auch nicht dem in der sozialen Krankenversicherung allgemein gültigen Gebot der Gleichbehandlung entsprechen würde. Unter diesen Umständen kann offenbleiben, ob die Lebertransplantation im damaligen Zeitpunkt zu den Pflichtleistungen gehörte und tatsächlich nur in London eine erfolgversprechende Vornahme derselben bestand. Ebenfalls braucht nicht näher abgeklärt zu werden, ob sich S.F. im Kings College Hospital in London in der seiner Versicherung entsprechenden Spitalabteilung aufhielt."
| 12 |
b) Der Beschwerdeführer dagegen hält das Territorialitätsprinzip im Rahmen der von den Krankenkassen freiwillig angebotenen und gegebenenfalls abgeschlossenen Auslandversicherungen nicht für massgeblich, weil der Versicherungsschutz ungenügend wäre, wenn die Kasse Zahlungen verweigern könnte, nur weil eine Behandlung im jeweiligen Aufenthaltsland angeboten werde, wo die medizinische Versorgung nicht in genügendem Masse gewährleistet sei.
| 13 |
3. Im Krankenversicherungsrecht ist - wie im gesamten Sozialversicherungsrecht - der Grundsatz von Treu und Glauben ![]() | 14 |
a) Unter diesem Gesichtspunkt ist es klar, dass die Auslandversicherung, welche der Verstorbene S.F. abgeschlossen hatte, nicht auf einen bestimmten Staat beschränkt ist. Statuten (Art. 39 ff.), Privatpatienten-Spitalversicherungs-Reglement (Art. 4 Ziff. 2) und Versicherungsausweis sprechen ausnahmslos und einhellig von Ausland, Auslandaufenthalt, Abreise ins Ausland usw. Weder den massgeblichen Rechtsgrundlagen noch den verfügbaren Akten, welche dem Versicherungsabschluss zugrunde liegen (vgl. das Versicherungsänderungsformular vom 12. August 1988), ist zu entnehmen, dass die vereinbarte Auslandversicherung auf ein einzelnes Bestimmungsland oder auf das Land des gewöhnlichen Aufenthaltes beschränkt sein sollte.
| 15 |
Bei Auslandaufenthalt hat sich der Versicherte jedoch grundsätzlich am Aufenthaltsort behandeln zu lassen. Die Bestimmungen der Auslandversicherung sind nicht so zu verstehen, dass sich der Versicherte von seinem gewöhnlichen oder jeweiligen Aufenthaltsort zwecks Behandlung in irgendein Spital seiner Wahl (z.B. in ein Drittland) begeben könnte und dort Versicherungsschutz genösse. Nur bei zwingenden medizinischen Gründen, also in Ausnahmefällen, darf er sich vom gewöhnlichen Aufenthaltsort an einen andern ausländischen Behandlungsort in eine Heilanstalt begeben. Ein solcher Tatbestand ist vorliegend zweifellos gegeben.
| 16 |
Diese territoriale Ausdehnung der Leistungspflicht durch die abgeschlossene Auslandversicherung bedeutet aber nicht, dass das auslandversicherte Mitglied im Krankheits-, namentlich im Hospitalisationsfall von der Kasse Leistungen beanspruchen könnte, welche aufgrund der sonstigen sachlich einschlägigen gesetzlichen oder statutarisch/reglementarisch vertraglichen Bestimmungen entfallen. Mit andern Worten: Die Auslandversicherung weitet den territorialen Anwendungsbereich der abgeschlossenen Versicherung aus, wobei aber in sachlicher Hinsicht die übrigen in Gesetz oder kasseninternem Recht stipulierten Anspruchsvoraussetzungen massgeblich bleiben.
| 17 |
![]() | 18 |
Sodann haben die Kassen Pflichtleistungen nur für jene diagnostischen und therapeutischen Massnahmen zu erbringen, welche wissenschaftlich anerkannt sind (Art. 12 Abs. 2 KUVG; Art. 21 Abs. 1 Vo III über die Krankenversicherung). Nach der Rechtsprechung gilt eine Behandlungsmethode dann als wissenschaftlich anerkannt, wenn sie von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis anerkannt ist. Entscheidend sind dabei das Ergebnis der Erfahrungen und der Erfolg einer bestimmten Therapie (BGE 113 V 45 Erw. 4d/aa und BGE 105 V 185 Erw. 3). Ist umstritten, ob eine diagnostische oder therapeutische Massnahme wissenschaftlich, zweckmässig und wirtschaftlich ist, so entscheidet das Eidg. Departement des Innern (EDI) nach Anhören der Eidg. Fachkommission für allgemeine Leistungen der Krankenversicherung, ob die Massnahme als Pflichtleistung von den Krankenkassen übernommen werden muss (Art. 12 Abs. 5 KUVG in Verbindung mit Art. 21 Abs. 2 Vo III). Die Meinungsäusserungen dieser Kommission sind für den Richter grundsätzlich nicht verbindlich. Wenn es allerdings darum geht, einen Sachverhalt zu würdigen, der ausschliesslich medizinische Überlegungen beschlägt, so ist der Richter im allgemeinen nicht in der Lage zu beurteilen, ob die Schlussfolgerungen der Fachleute stichhaltig sind. Er muss sich deshalb deren Meinung anschliessen, sofern sie nicht unhaltbar scheint (BGE 113 V 46 Erw. 4d/cc und BGE 112 V 306 Erw. 2c).
| 19 |
![]() | 20 |
21 | |
Nun ist es in London nicht zu dieser Lebertransplantation gekommen, weil nach den glaubwürdigen Angaben in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und der Beschwerde im vorinstanzlichen Verfahren der Zustand von S.F. sich derart verschlechterte, dass der Eingriff nicht mehr vorgenommen werden konnte. Es ergab sich somit ein völlig neuer Sachverhalt: Der Versicherte war unheilbar krank geworden. Die geplante Operation, wofür die Krankenkasse nicht ![]() | 22 |
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Versicherte, nur für allgemein versichert, sich im Londoner Spital privat oder halbprivat aufgehalten habe. Tatsache ist, dass der schwerstkranke Versicherte vom ersten bis zum letzten Tag auf der Intensivstation lag, was für ihn, als Allgemeinversicherten, bei seinem Zustand die adäquate Spitalunterbringung war, weshalb die Kasse aus der Allgemeinversicherung hierfür leistungspflichtig wird (BGE 115 V 48 Erw. 3b/aa zweiter Absatz). Dieser Leistungspflicht genügt die Kasse nun aber nicht, wenn sie einfach die Leistungen erbringt, welche bei einem Aufenthalt in der allgemeinen Abteilung in einem Basler Spital zufolge der Tarifverträge nur sehr bescheiden ausgefallen wären. Vielmehr muss eine Kasse aus einer ausländischen Allgemeinversicherung das erbringen, was der Aufenthalt in der dortigen, dieser schweizerischen Kategorie entsprechenden Institution kostet.
| 23 |
Weil S.F. aus zwingenden medizinischen Gründen nach London verlegt wurde, ist die Krankenkasse im Rahmen der statutarischen Leistungen der Auslandversicherung für die medizinischen Vorkehren im Londoner Spital leistungspflichtig, und zwar unter den gleichen Bedingungen, wie wenn der Verstorbene erstmals in London erkrankt wäre. Sie wird diese Leistungen festzulegen haben.
| 24 |
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
| 25 |
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 23. November 1990 und die angefochtene Verfügung vom 15. Februar 1990 - soweit sie einen Leistungsanspruch (gemäss Erw. 4 in fine) für den Aufenthalt des Versicherten im Kings College Hospital in London verneinen - aufgehoben werden und ![]() | 26 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |