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28. Urteil vom 10. Juni 1992 i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zürich gegen S. und Sozialdienst und Jugendsekretariat der Stadt W. und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 49 IVG; Art. 77 und 85 Abs. 3 IVV, Art. 88a Abs. 1 IVV in Verbindung mit Art. 78 AHVV, Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV; Art. 76 Abs. 1 AHVV: Wirkung der verspäteten Meldung einer Arbeitsaufnahme (Meldepflichtverletzung) auf die Rückerstattungspflicht. |
Nicht mehr rückerstattungspflichtig sind die nach Eingang der verspäteten Meldung bezogenen Renten (Erw. 3b; Änderung der Rechtsprechung). | |
Sachverhalt | |
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B.- Der Sozialdienst erhob gegen beide Verfügungen Beschwerde an die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich und beantragte in eigenem Namen und für I. S. die Aufhebung der verfügten Rückerstattungen. Zur Begründung machte er geltend, die Anzeigepflicht sei nicht verletzt worden.
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Die Ausgleichskasse verfügte - soweit die Rückerstattungspflicht des Sozialdienstes in Frage stand - am 21. Juni 1990 lite pendente und unter wiedererwägungsweiser Rücknahme der an den Sozialdienst gerichteten Verfügung vom 19. Januar 1990 in dem Sinne neu, dass die Stadt W. Rentenbetreffnisse von Fr. 4'494.-- (statt Fr. 3'546.--) zurückzuerstatten habe. Sie begründete dies damit, dass der Sozialdienst nicht nur für die Kinderrenten, sondern auch für die Stammrente - soweit diese gemäss dem Drittauszahlungsgesuch vom 28. September 1987 an ihn ausbezahlt worden war - ![]() | 4 |
In der Vernehmlassung vom 30. Juli 1990 legte die Ausgleichskasse zunächst ihre Auffassung dar, dass trotz der Mitteilung des Pfarramtes vom 20. März 1989 eine Meldepflichtverletzung vorliege; hieraus ergebe sich die Rückerstattungspflicht für sämtliche unrechtmässig bezogenen Rentenbetreffnisse. Hinsichtlich der Frage, von wem welcher Anteil am gesamten Rückerstattungsbetrag zu begleichen sei, schloss die Ausgleichskasse aus den Angaben im Drittauszahlungsgesuch und aus der erfolgten Betreuung der Versicherten durch den Sozialdienst ohne weiteres auf eine "Ermächtigung des Sozialdienstes zur fürsorgerischen Rentenverwendung", welche Ermächtigung sich bis Ende Februar 1989 auf die Gesamtrente und ab März 1989 nur mehr auf die beiden Kinderrenten erstreckt habe. Der auf die Stadt W. entfallende Anteil betrage (wie lite pendente am 21. Juni 1990 verfügt) Fr. 4'494.--; damit reduziere sich die Rückerstattungsverpflichtung der Versicherten um Fr. 948.-- auf Fr. 3'497.--. Unter Berufung auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Ausdehnung des Beschwerdeverfahrens über das durch den Anfechtungsgegenstand (angefochtene Verwaltungsverfügung) geregelte Rechtsverhältnis hinaus, nahm sie ferner zu den Punkten Erlass, Nachzahlung und Verrechnung Stellung.
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Die Rekurskommission kam zu folgenden Ergebnissen:
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- Die Versicherte habe die Arbeitsaufnahme vom 1. September 1988 der Verwaltung erst mit Schreiben des Pfarramtes vom 20. März 1989 melden lassen, somit rund sechs Monate nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit. Damit sei bis zu diesem Zeitpunkt die Meldepflicht objektiv verletzt; nach Eingang dieses Schreibens liege in objektiver Hinsicht keine Verletzung der Meldepflicht mehr vor. In zeitlicher Hinsicht bestehe folglich für die Monate April 1989 bis Januar 1990 keine Meldepflichtverletzung, da weder die Versicherte noch den Sozialdienst an deren vorbehaltloser weiterer Rentenauszahlung ein Verschulden treffe;
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- die Versicherte habe die ihr obliegende Meldepflicht insoweit nicht schuldhaft verletzt, als sie bis zum Widerruf der Drittauszahlung der Stammrente gemäss Schreiben vom 21. Februar 1989 davon habe ausgehen dürfen, dass der Sozialdienst, welcher bis ![]() | 8 |
- der Sozialdienst habe die Meldepflicht verletzt, weil er es unterlassen habe, über den dreimonatigen erfolgreichen Arbeitsversuch im Altersheim ab 1. September 1988 bei der Verwaltung Meldung zu erstatten; bezüglich der Kinderrenten sei der Sozialdienst jedoch blosse Zahl- oder Inkassostelle gewesen, in welcher Eigenschaft diese Behörde nicht rückerstattungspflichtig sei. Anders verhalte es sich für die Stammrente, da der Sozialdienst für die Versicherte die Lohnverwaltung besorgt und sie während längerer Zeit unterstützt habe. Folglich sei der Sozialdienst rückerstattungspflichtig für die von Dezember 1988 bis Februar 1989 an ihn ausbezahlte Stammrente der Versicherten.
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Die Rekurskommission hob aus diesen Erwägungen heraus, in teilweiser Gutheissung der Beschwerde, die angefochtenen Kassenverfügungen vom 19. Januar 1990 einschliesslich der Wiedererwägungsverfügung vom 21. Juni 1990 bezüglich des Umfangs der Rückerstattungspflicht auf, wies die Beschwerde im übrigen ab und wies die Sache an die Ausgleichskasse zur verfügungsweisen Neuberechnung der Rückerstattungsbeiträge zurück (Entscheid vom 17. Mai 1991).
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C.- Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren:
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"1. Dispositiv-Ziff. 1 und 2 des angefochtenen Urteils seien insoweit
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aufzuheben, als die Beschwerden von I. S. und dem Sozialdienst W.
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gutgeheissen werden.
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2. Die Beschwerde von I. S. vom 8. Februar 1990 sei teilweise
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gutzuheissen und die Beschwerdeführerin sei zu verpflichten, unserer
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Ausgleichskasse unrechtmässig bezogene Rentenbetreffnisse im Betrag von
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Fr. 3'497.-- zurückzuerstatten; in diesem Umfange sei unsere
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Kassenverfügung vom 19. Januar 1990 zu bestätigen.
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3. Die Beschwerde des Sozialdienstes W. vom 8. Februar 1990 sei
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abzuweisen und die pendente lite erlassene Kassenverfügung vom 21. Juni
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1990 sei zu bestätigen."
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Der Sozialdienst lässt sich, auch namens der Versicherten, auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vernehmen.
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Auf die Rechtsschriften der Parteien und des BSV wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Art. 78 AHVV ist, in Ergänzung zu Art. 85 Abs. 3 IVV, auch in der Invalidenversicherung anwendbar. Laut dieser Bestimmung muss eine Ausgleichskasse, die Kenntnis davon hat, dass eine Person (oder ihr gesetzlicher Vertreter für sie) eine Rente bezogen hat, auf die ihr ein Anspruch überhaupt nicht oder nur in geringerer Höhe ![]() | 28 |
b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat im unveröffentlichten Urteil G. vom 4. Mai 1984 im Zusammenhang mit der Prüfung der Erlassfrage erkannt, dass es sich bei der Meldung einer Änderung in den Anspruchsvoraussetzungen, welche den Versicherten obliegt, um eine einmalige Erklärung gegenüber der Verwaltung handelt, welche unverzüglich nach Eintritt der Änderung zu erfolgen hat (vgl. Art. 77 Abs. 1 IVV); wird eine entsprechende Mitteilung unterlassen, so ist und bleibt die diesbezügliche Pflicht verletzt, woran auch der Umstand nichts mehr zu ändern vermag, dass die Verwaltung von der fraglichen Änderung im nachhinein doch noch Kenntnis erhielt; werden Renten trotz Bekanntwerden einer relevanten Änderung uneingeschränkt weiter ausgerichtet, so vermag ein solcher Fehler der Ausgleichskasse die anfänglich fehlende Gutgläubigkeit infolge Meldepflichtverletzung nicht wiederherzustellen.
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b) Während die Rekurskommission für die Zeit ab April 1989 im Hinblick auf das Schreiben vom 20./23. März 1989 den Tatbestand der Meldepflichtverletzung als nicht mehr erfüllt erachtet, vertreten die Ausgleichskasse und das BSV die Auffassung, dass, wenn die Meldepflicht einmal verletzt sei, dies die Pflicht zur Rückerstattung sämtlicher unrechtmässig bezogener Leistungen nach sich ziehe, somit auch der nach Eingang der verspäteten Meldung ausgerichteten.
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Der Auffassung der Verwaltung kann nicht beigepflichtet werden. Die klare und unmissverständliche Aussage einer mit der Versicherten befassten Person über eine seit mehreren Monaten ganztags ausgeübte Erwerbsarbeit hätte nach landläufigem Verständnis die Rechtmässigkeit des laufenden Invalidenrentenbezugs offensichtlich, ![]() | 32 |
Im Rückerstattungsrecht kann eine ordnungsgemässe Meldung für die Zeit des nachfolgenden Leistungsbezuges nicht irrelevant sein; denn die Rückerstattung unrechtmässig bezogener Leistungen hat nicht pönalen Charakter, sondern ist eine an das Recht gebundene Administrativmassnahme (versicherungsmässige Sanktion). Daher kann Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV nicht unberücksichtigt bleiben; nach dieser Bestimmung erfolgt die Herabsetzung oder Aufhebung der Renten und Hilflosenentschädigungen rückwirkend vom Eintritt der für den Anspruch erheblichen Änderung, wenn die unrichtige ![]() | 33 |
Da die gleichen Grundsätze auch für das Erlassverfahren gelten, kann an den vorne (Erw. 2b) zitierten Erwägungen im Urteil G. vom 4. Mai 1984 nicht festgehalten werden.
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a) Was die Kinderrenten anbelangt, so steht fest, dass diese in keinem Zeitpunkt der Versicherten selber ausbezahlt wurden. Folglich ist sie von vornherein hiefür nicht rückerstattungspflichtig. Was nun den Sozialdienst anbelangt, hat die Rekurskommission zutreffend erkannt, dass dieser die Kinderrenten als blosse Zahlstelle in Empfang genommen hat, was rechtsprechungsgemäss keine Rückerstattungspflicht nach sich zieht. Denn bezüglich der Kinderrenten bestand die Aufgabe des Sozialdienstes einzig und allein darin, diese direkt dem geschiedenen Ehegatten und Vater der Kinder zu überweisen, nachdem letzterem mit Scheidungsurteil die elterliche Gewalt zugesprochen und die Versicherte verpflichtet worden war, "Kinderzulagen, Sozialversicherungsrenten und ähnliche für den Unterhalt der Kinder bestimmte Leistungen, die ihr zustehen, sofort nach Erhalt abzuliefern". Dass der Sozialdienst bezüglich der Kinderrenten für die Versicherte in irgendeiner Weise fürsorgerisch tätig gewesen wäre, ist nach der Aktenlage nicht erstellt und nach den glaubwürdigen Vorbringen in der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch nicht anzunehmen.
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Richtig ist indessen, dass der Sozialdienst insoweit nicht als blosse Inkassostelle aufgetreten ist, als er für die Versicherte, wie im Drittauszahlungsgesuch vermerkt, die Lohnverwaltung übernahm. Dieser Auftrag konnte sich jedoch angesichts der erwähnten Regelung der Scheidungsnebenfolgen, soweit IV-Leistungen betreffend, nur auf die Stammrente von I. S. beziehen. Da der Sozialdienst diese bis und mit Februar 1989 unbestrittenerweise zur Verwaltung ![]() | 37 |
b) Was die Stammrente für März 1989 anbelangt, so ist der vorinstanzliche Entscheid ebenfalls zu bestätigen: Das Rentenbetreffnis für März 1989, den ersten Monat des direkten Rentenbezugs durch die Versicherte, als die Mitteilung vom 20./23. März 1989 noch nicht wirksam werden konnte, ist zufolge Meldepflichtverletzung von ihr zurückzuerstatten. Dass sie wegen ihres psychischen Gesundheitszustandes nicht in der Lage gewesen wäre, Meldung zu erstatten, kann nicht angenommen werden.
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5. Entgegen den Darlegungen der Ausgleichskasse im vorinstanzlichen Verfahren, besteht kein Anlass und auch keine verfahrensmässige Möglichkeit, den Prüfungsgegenstand auf die Fragen des Erlasses, der Nachzahlung und der Verrechnung auszuweiten. Von Tatbestandsgesamtheit kann nicht die Rede sein. Vielmehr sind die aufgrund der Ergebnisse dieses Verfahrens neu festzusetzenden Rückerstattungsbeträge zunächst zu ermitteln. Anschliessend hat die Ausgleichskasse gegebenenfalls über die von ihr aufgeworfenen Fragen verfügungsweise zu befinden (vgl. BGE 110 V 51 Erw. 3b mit Hinweisen).
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