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6. Urteil vom 23. Februar 1993 i.S. Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen gegen Z. und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | |
Regeste |
Art. 22 Abs. 1 und 3 FLG; Art. 85 Abs. 2 AHVG. Eine Beschwerde kann nicht stillschweigend zurückgezogen werden (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 1b). | |
Sachverhalt | |
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Mit Mutationsmeldungen vom 31. August und 13. November 1989 teilte die Gemeindezweigstelle W. der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen mit, Verena Z. absolviere vom 3. Juli bis 3. Oktober 1989 ein Praktikum in einem Regionalspital, und vom 6. November 1989 bis 5. November 1992 stehe sie an einer Schule für allgemeine Krankenpflege in Ausbildung zur diplomierten Krankenschwester. In der Folge sprach die Ausgleichskasse Walter Z. für die Tochter Verena Kinderzulagen von Fr. 115.-- und ab 1. April 1990 von Fr. 135.-- zu (Verfügungen vom 27. Oktober 1989, 27. Dezember 1989, 19. Februar 1990 und 18. Mai 1990).
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Am 7. Februar 1991 meldete die Gemeindezweigstelle W. der Ausgleichskasse, Verena Z. habe das Lehrverhältnis auf den 31. Juli 1990 aufgelöst; seit Oktober 1990 habe sie eine Anstellung, im Sommer 1991 werde sie eine neue Lehre beginnen. Gestützt darauf forderte die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 5. März 1991 die auf die Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 1990 entfallenden Kinderzulagen für Verena in der Höhe von insgesamt Fr. 675.-- als unrechtmässig bezogen zurück.
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B.- Walter Z. reichte hiegegen Beschwerde ein mit dem Antrag auf Aufhebung der Rückforderungsverfügung. Zur Begründung führte er aus, seine Tochter habe die Lehre als Krankenschwester wegen ihrer Zuckerkrankheit Ende Juli 1990 abbrechen müssen; Anfang August 1991 werde sie eine Verwaltungslehrstelle antreten. Dazu legte er den entsprechenden Lehrvertrag mit der politischen Gemeinde N. vom 1. März 1991 ins Recht, wonach Verena Z. ab 5. August 1991 bis 4. August 1994 eine Lehre als kaufmännische Angestellte absolvieren werde.
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Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die Beschwerde nach durchgeführtem zweifachen Schriftwechsel mit Entscheid vom 26. August 1992 gut und hob die Verfügung vom 5. März 1991 auf.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Ausgleichskasse die Aufhebung des kantonalen Entscheids und die Wiederherstellung der angefochtenen Verfügung.
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Auf die einzelnen Vorbringen in den Rechtsschriften wird - soweit erforderlich - in den Erwägungen eingegangen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Mit Eingabe vom 12. März 1991 an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hat Walter Z. gegen die Verfügung vom 5. März 1991 unmissverständlich Beschwerde erhoben mit dem Antrag, "dass wir die ausbezahlten Zulagen behalten dürfen". In der vorinstanzlichen Replik vom 30. Mai 1991 hat er ausdrücklich "an unserem Antrag" festgehalten. Demgegenüber weist er in der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde darauf hin, es liege "nicht in unserem Willen, nochmals alles aufzurollen. Wir bezahlten die Kinderzulagen Mitte letzten Jahres retour und betrachteten damit alles für erledigt. ... Wir bitten Sie, die Angelegenheit auch als erledigt zu betrachten." Auch im Schreiben vom 27. November 1992, das er im Anschluss an die Zustellung der bundesamtlichen Vernehmlassung eingereicht hat, wiederholt Walter Z., das Geld zurückbezahlt und "dabei nichts anderes gedacht zu haben", "als die Sache sei damit erledigt". Es sei für ihn unverständlich, dass diese Angelegenheit immer weiter gezogen werde.
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b) Bei dieser Verfahrenslage fragt sich, ob das kantonale Gericht im Entscheid vom 26. August 1992 zu Recht angenommen hat, die am 12. März 1991 erhobene Beschwerde sei aufrechterhalten worden.
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Nach der Rechtsprechung kann der Beschwerderückzug nur klar, ausdrücklich und unbedingt erfolgen (BGE 111 V 158 E. 3a mit Hinweisen). Insbesondere kann die Beschwerde nicht stillschweigend zurückgezogen werden (BGE 111 V 158 E. 3b). Im vorliegenden Verfahren liegt keine ausdrückliche Rückzugserklärung des ![]() | 12 |
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b) Ausgleichskasse und Vorinstanz haben zutreffend darauf hingewiesen, dass weder das Gesetz noch die Verordnung zum FLG (FLV), noch die bundesamtlichen Erläuterungen zu den Familienzulagen ![]() | 15 |
Nach Art. 25 Abs. 2 AHVG entsteht der Anspruch auf eine einfache Waisenrente am ersten Tag des dem Tode des Vaters folgenden Monats und erlischt mit der Entstehung des Anspruches auf eine Vollwaisenrente, mit der Vollendung des 18. Altersjahres oder mit dem Tode der Waise. Für Kinder, die noch in Ausbildung begriffen sind, dauert der Rentenanspruch bis zum Abschluss der Ausbildung, längstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr.
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"Muss die Waise ein bestehendes Lehrverhältnis aus persönlichen oder gesundheitlichen Gründen vorzeitig auflösen, so gilt die Ausbildung nicht als unterbrochen, sofern unverzüglich eine neue Lehrstelle gesucht und die Ausbildung fortgesetzt wird (ZAK 1975 S. 375)."
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Gestützt darauf hat die Vorinstanz das Vorliegen eines für die Suspendierung der Kinderzulagen relevanten Unterbruchs der Ausbildung verneint. Zur Begründung hat sie im wesentlichen ausgeführt, Verena Z. habe ihre Lehre als Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen auf den 31. Juli 1990 abgebrochen. Zwischen dem Abbruch der Lehre als Krankenschwester und dem Beginn der neuen Lehre am 5. August 1991 liege somit ein Unterbruch von gut einem Jahr. Das sei nach Angaben des Walter Z. darauf zurückzuführen, ![]() | 19 |
b) Die Ausgleichskasse wendet in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein, die Vorinstanz habe bei ihrer Interpretation der zum Ausbildungsunterbruch im AHV-Bereich entwickelten Praxis übersehen, dass nur jene Unterbrechungsgründe eine Weiterausrichtung der Waisenrente erlauben, welche die Unfähigkeit des Kindes, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, andauern lassen. Ferien, Militärdienst und Krankheit würden es dem Kind nicht erlauben, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Beim vorzeitigen Abbruch einer Ausbildung und dem darauf folgenden Beginn einer anderen Lehre treffe dies nur zu, wenn der Unterbruch so kurz sei, dass zwischenzeitlich keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden könne. Gerade diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Verena Z. habe nicht erst am 31. Juli 1990 gewusst, dass sie ihre Ausbildung als Krankenschwester abbrechen werde. Es wäre ihr daher möglich gewesen, entweder schon auf den 1. August 1990 eine neue Lehrstelle zu suchen oder bereits ab diesem Zeitpunkt eine Anstellung anzunehmen. Sodann habe die Vorinstanz Rz. 186 RWL ausser acht gelassen, wonach Waisen, die zur Hauptsache dem Erwerb nachgehen, nicht als in Ausbildung begriffen gelten. Demzufolge müsse während der Zeit, in der Verena Z. erwerbstätig gewesen sei oder erwerbstätig hätte sein können, notwendigerweise ein zulagenrechtlich relevanter Ausbildungsunterbruch vorgelegen haben. Der Zulagenanspruch des Beschwerdegegners habe somit am 31. Juli 1990 geendet.
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Die Frage, ob tatsächlich eine derartige Auskunft erteilt wurde, was die Ausgleichskasse in der vorinstanzlichen Duplik in Abrede gestellt hat, braucht indes nicht geprüft zu werden. Denn die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Berufung auf den Vertrauensschutz sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt (vgl. BGE 117 Ia 287 E. 2b, BGE 116 Ib 187 E. 3c, BGE 116 V 298, je mit Hinweisen); insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdegegner im ![]() | 23 |
b) Im unveröffentlichten Urteil D. vom 28. November 1988 hat das Eidg. Versicherungsgericht die Rechtsprechung zum Ausbildungsunterbruch wie folgt zusammengefasst:
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"Wie das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt festgehalten hat, vermag die Leistung obligatorischen Militärdienstes eine Ausbildung nicht rechtserheblich zu unterbrechen. Dies gilt nicht allein, wenn die Militärdienstleistung in ein bereits begonnenes Studium hineinfällt, sondern grundsätzlich auch dann, wenn durch sie bloss die Aufnahme des Studiums hinausgeschoben wird, wobei im letzteren falle die Überlegung massgebend ist, dass die Ausbildung mit der Maturitätsprüfung in der Regel nicht abgeschlossen wird (BGE 100 V 165; ZAK 1967 S. 551 E. 2; vgl. auch EVGE 1966 S. 92 und S. 173).
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Zur Frage, ob sich eine zeitliche Lücke zwischen Maturitätsprüfung und Militärdienstantritt, zwischen zwei Militärdienstleistungen bzw. zwischen Militärdienstende und (Wieder-)Aufnahme des Studiums auf den Rentenanspruch auswirkt, hat sich das Eidg. Versicherungsgericht wie folgt geäussert. Im Urteil F. vom 16. September 1966 hat es festgehalten, dass die Ausbildung durch eine Lücke zwischen Beendigung der Sommer-Rekrutenschule und Beginn der Frühjahrs-Unteroffiziersschule nicht unterbrochen werde (EVGE 1966 S. 174 E. 3), weil - wie später in BGE 100 V 164 E. 1 in fine und BGE 104 V 69 verdeutlicht wurde - der Militärdienst das Studium nicht während des ganzen Semesters erlaubt hätte. In gleichem Sinne entschied das Gericht im Urteil D. vom 26. Juli 1967, wobei es hier zudem auch eine rechtserhebliche Unterbrechung für die vier Monate zwischen der Beendigung der Frühjahrs-Rekrutenschule im Juni und der Immatrikulation im folgenden Oktober verneinte; das Gericht hielt ausdrücklich fest, aufgrund des weit auszulegenden Begriffs der Ausbildung wäre ein Rentenanspruch für diese ohnehin beschränkte Zeit auch dann gegeben, wenn sie bloss der Vorbereitung des Studiums gedient hätte (ZAK 1967 S. 551 E. 2). Das Gericht konnte darum die von der Verwaltung nicht weiter abgeklärte Frage offenlassen, ob der Versicherte in der Zwischenzeit möglicherweise eine bescheidene Erwerbstätigkeit ausgeübt hatte. Hingegen ging es im Urteil S. vom 6. November 1974 näher auf die Bedeutung einer solchen zwischenzeitlichen Erwerbstätigkeit ein (BGE 100 V 164). Im Falle eines Versicherten, der zwischen der Maturitätsprüfung (September 1973) und dem Beginn der Rekrutenschule (Februar 1974) vorübergehend eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hatte, entschied das Gericht, dass ein Rentenanspruch nicht verneint werden könne "für den Fall, da in der Zeit zwischen Ende des Dienstes und Beginn des nächsten Semesters bzw. zwischen zwei ![]() | 26 |
Das BSV macht in seiner Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend, gemäss konstanter Praxis liege keine Unterbrechung der Ausbildung vor, sofern in der Zeit zwischen Semesterschluss und Einrücken bzw. zwischen Beendigung des Militärdienstes und Semesterbeginn oder zwischen zwei Dienstleistungen eine lückenfüllende Erwerbstätigkeit ausgeübt werde.
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Dies lässt sich BGE 100 V 164, auf den sich das BSV in diesem Zusammenhang beruft, aber nicht entnehmen. Dem zitierten Urteil liegt vielmehr die Überlegung zugrunde, dass die Ausbildung und damit der Rentenanspruch nicht unterbrochen wird, selbst wenn der Versicherte vorübergehend eine bescheidene Erwerbstätigkeit ausübt. Denn andernfalls hätte das Gericht in den Urteilen D. vom 26. Juli 1967 und W. vom 13. April 1978 die Frage nicht offenlassen können, ob der Versicherte eine zwischenzeitliche Erwerbstätigkeit ausgeübt hatte bzw. ob ihm die Aufnahme einer solchen zuzumuten gewesen wäre. Hingegen beruft sich das BSV insofern zu Recht auf BGE 100 V 164, als dem Urteil sinngemäss entnommen werden kann, dass ein rechtserheblicher Ausbildungsunterbruch nur verneint werden kann, wenn er auf äussere Umstände zurückzuführen ist (vgl. BGE 102 V 212), mithin also objektiv begründet ist."
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Gestützt darauf hat das Eidg. Versicherungsgericht einen den Anspruch zum Erlöschen bringenden Abbruch der Ausbildung verneint im Falle eines Versicherten, der im März 1986 die Maturitätsprüfung bestanden hatte und sich erst im Wintersemester 1986/87 an der Universität immatrikulierte, weil für den Sommer die Absolvierung der Rekrutenschule vorgesehen war, von der er dann allerdings kurzfristig ![]() | 29 |
c) Im Lichte dieser Rechtsprechung, an welcher festzuhalten ist, ergibt sich für den vorliegenden Fall folgendes: Aufgrund der glaubwürdigen Angaben des Beschwerdegegners im Administrativ- und vorinstanzlichen Verfahren darf davon ausgegangen werden, dass Verena Z. die Lehre als Krankenschwester auf Ende Juli 1990 nicht freiwillig, sondern wesentlich auch aus gesundheitlichen Gründen abbrach. Ebenso darf als glaubhaft angenommen werden, dass sie beabsichtigte, nach dem Scheitern der ersten Lehre eine neue berufliche Ausbildung aufzunehmen. Dies spricht für einen anspruchswahrenden Ausbildungsunterbruch und nicht, wie das BSV geltend macht, für einen anspruchslöschenden Ausbildungsabbruch. Hieran ändert auch die Aufnahme einer überbrückenden Erwerbstätigkeit ab Oktober 1990 grundsätzlich nichts, kommt es doch nach der dargelegten Rechtsprechung nicht darauf an, ob der Jugendliche einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder nicht oder ob ihm im letzteren Falle die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zuzumuten gewesen wäre. Wenn nun aber, wie im vorliegenden Fall, ein langer Ausbildungsunterbruch von einem Jahr oder mehr vorliegt, und wenn - kumulativ - während dieses Ausbildungsunterbruchs eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, welche nicht (z.B. im Sinne eines Vorpraktikums) der Vorbereitung auf die zweite berufliche Ausbildung dient, dann kann nicht mehr gesagt werden, der Jugendliche stehe in diesem Zeitraum in Ausbildung oder sei in Ausbildung begriffen. Kurzzeitige Ausbildungsunterbrüche von einigen Monaten (mit oder ohne ausfüllende Erwerbstätigkeiten) können zulagenrechtlich nicht gleich beurteilt werden, wie erwerblich genutzte Ausbildungspausen von einem Jahr oder mehr. Im ersten Fall steht die ausbildungsbedingte Erwerbslosigkeit im Vordergrund, wogegen im zweiten Fall nicht gesagt werden kann, der den Zulagenanspruch vermittelnde Jugendliche müsse wegen der Ausbildung oder wegen der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit, zwischen den verschiedenen Ausbildungsschritten entsprechend disponieren zu können, eine Zeit der Einkommenslosigkeit hinnehmen.
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