BGE 119 V 335 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
48. Urteil vom 18. Mai 1993 i.S. X gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 6 UVG. | |
Sachverhalt | |
A.- Der 1945 geborene X erwarb 1973 das Handelsdiplom einer Handelsschule und war in den Jahren 1977 bis 1982 als Versicherungsinspektor tätig. Seit 1. November 1983 richtet ihm die Ausgleichskasse des Kantons Bern eine ganze Invalidenrente aus, basierend auf einem Invaliditätsgrad von 80% wegen einer schweren Psychoneurose. - In der Zeit vom 1. Juni 1987 bis 28. November 1987 arbeitete er aushilfsweise als Taxichauffeur bei der Firma F.-Taxi und war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Unfall versichert. Am 6. September 1988 erstattete der Arbeitgeber der Anstalt eine Unfallmeldung mit den Angaben, X sei am 1. Juli 1987 beim Rückwärtsfahren in eine Stange (Eisenpfahl) gefahren und habe sich dabei eine Halswirbelverletzung zugezogen. Die SUVA befragte nebst dem Versicherten den Taxiunternehmer H. zum Schadenereignis (Rapporte vom 17. Oktober 1988) und holte bei den im Meldeformular angegebenen Ärzten verschiedene Berichte ein. Danach konsultierte der Versicherte im April 1987 und Februar 1988 wegen eines chronischen Infekts der oberen Luftwege mit Rachenentzündung Dr. med. B. (Bericht vom 10. November 1988). Ab 18. Februar 1988 erfolgte die weitere Behandlung beim Internisten Dr. med. Ho., welcher auf ihm erstmals unterbreitete Klagen über Nackenbeschwerden (am 12. August 1988) ein diskretes Zervikalsyndrom bei eingeschränkter Rotation des Kopfes nach rechts ohne radikuläre Symptomatik diagnostizierte (Zeugnisse vom 30. September und 11. November 1988). Die darauf angefertigten Röntgenbilder der Halswirbelsäule (HWS) ergaben keine Hinweise auf ossäre Läsionen oder eine Instabilität, jedoch degenerative Veränderungen in Form einer mässigen Unkarthrose bei C5 und einer leichten Spondylose bei C5 und C6 (Röntgenbefund Bezirksspital M. vom 16. August und 9. Dezember 1988). Ein neurologisches Konsilium des Dr. med. Me. förderte laut Bericht vom 6. September 1988 keine pathologischen Befunde zutage. Auf Anfrage antwortete der behandelnde Psychiater Dr. med. He. am 15. November 1988 der SUVA, X habe ihm gegenüber erstmals Mitte Juli 1987 Nackenbeschwerden erwähnt, wobei er keine diagnostischen Abklärungen angeordnet habe, zumal die Behandlung in somatischer Hinsicht damals über andere Ärzte erfolgt sei.
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Aufgrund dieser Berichte und einer eigenen Untersuchung vom 17. Januar 1989 gelangte der SUVA-Kreisarzt Dr. K. zum Schluss, dass die geltend gemachten Nackenbeschwerden nicht überwiegend wahrscheinlich in einem Kausalzusammenhang mit dem Unfallereignis vom 1. Juli 1987 stünden. Gestützt darauf verneinte die SUVA verfügungsweise am 31. Januar 1989 einen Anspruch auf Versicherungsleistungen. Die hiegegen eingereichte, durch Gutachten neuropsychologischer (Prof. Dr. phil. P., vom 22. Juni 1989) und neurologischer (Dr. med. Ha., vom 21. Juli 1989) Fachrichtung untermauerte Einsprache lehnte die Anstalt nach Einholung einer Stellungnahme der Abteilung Unfallmedizin zur Ursache der Nackenschmerzen (Bericht Dr. med. Bä. vom 24. Oktober 1989) ab, weil keine Unfallkausalität bestehe (Einspracheentscheid vom 10. November 1989).
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B.- X beschwerte sich beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit dem Antrag, die SUVA sei zur Erbringung der gesetzlich geschuldeten Leistungen, insbesondere für Heilbehandlung und Taggeld, ab Unfalldatum zu verpflichten. Zur Begründung machte er im wesentlichen geltend, beim Vorfall vom 1. Juli 1987 ein Schleudertrauma der HWS erlitten zu haben, welches Ursache seiner Beschwerden sei. Das Gericht führte nach Edition der Akten der Invalidenversicherung eine Zeugeneinvernahme durch (Befragung des Arbeitgebers H. und der Betriebsangestellten Frau Ka.) und beauftragte Prof. Dr. med. R., Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV), mit einer medizinischen Expertise (Gutachten vom 27. November 1990 mit Ergänzungen vom 26. April 1991). Ferner machte der Psychiater Dr. med. He. auf Anfrage des Gerichts zusätzliche Ausführungen zum Gesundheitszustand (Berichte vom 16. Juli und 16. August 1990). Mit Entscheid vom 28. Oktober 1991 wies das Verwaltungsgericht Bern die Beschwerde ab.
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C.- X lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren um Zusprechung der gesetzlichen Leistungen; eventuell sei die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen an die SUVA zurückzuweisen.
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Während die Anstalt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, enthält sich das Bundesamt für Sozialversicherung einer Vernehmlassung.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Die Leistungspflicht eines Unfallversicherers gemäss UVG (Art. 6 Abs. 1 UVG) setzt zunächst voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht. Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhangs sind alle Umstände, ohne deren Vorhandensein der eingetretene Erfolg nicht als eingetreten oder nicht als in der gleichen Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit eingetreten gedacht werden kann. Entsprechend dieser Umschreibung ist für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht erforderlich, dass ein Unfall die alleinige oder unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist; es genügt, dass das schädigende Ereignis zusammen mit anderen Bedingungen die körperliche oder geistige Integrität des Versicherten beeinträchtigt hat, der Unfall mit andern Worten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch die eingetretene gesundheitliche Störung entfiele (BGE 117 V 360 E. 4a mit Hinweisen).
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Ob zwischen einem schädigenden Ereignis und einer gesundheitlichen Störung ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht, ist eine Tatfrage, worüber die Verwaltung (im Beschwerdefall der Richter) im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu befinden hat. Die blosse Möglichkeit eines Zusammenhangs genügt für die Begründung eines Leistungsanspruches nicht (BGE 117 V 360 E. 4a mit Hinweisen).
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Diese Beweisgrundsätze gelten ohne weiteres auch in Fällen mit Schleuderverletzungen der HWS (BGE 117 V 360 E. 4a). In diesem Urteil führte das Gericht aus: Ist ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule diagnostiziert und liegt ein für diese Verletzung typisches Beschwerdebild mit einer Häufung von Beschwerden wie diffuse Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Übelkeit, rasche Ermüdbarkeit, Visusstörungen, Reizbarkeit, Affektlabilität, Depression, Wesensveränderung usw. vor, so ist der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und der danach eingetretenen Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit in der Regel anzunehmen. Es ist zu betonen, dass es gemäss obiger Begriffsumschreibung für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhanges genügt, wenn der Unfall für eine bestimmte gesundheitliche Störung eine Teilursache darstellt (BGE 117 V 360 E. 4b).
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2. a) Im vorliegenden wie auch in anderen Verfahren wird, vorab von seiten der SUVA, Kritik an BGE 117 V 359 geübt. Kritik erwuchs dieser Rechtsprechung auch in mehreren Publikationen (vgl. dazu u.a. KUHN, Zum Schleudertraumaentscheid des Eidg. Versicherungsgerichts vom 4.2.1991, in: Schweizerische Ärztezeitung, Bd. 72, 17/1991, S. 701; STEINEGGER, Das EVG auf Schleuderkurs?, in: SJZ, Heft 23/1991, S. 385, insbesondere S. 389; JENZER, Das Sagen in der Konfusion um das Schleudertrauma, in: Schweizerische Ärztezeitung, Bd. 72, 26/1991, S. 1103; WALZ, Begriffsverwirrung bei HWS-Verletzungen, in: Schweizerische Ärztezeitung, Bd. 73, 7/1992, S. 232; JENZER, Zum Stellenwert ärztlicher Wahrnehmungen nach Beschleunigungsverletzung (sog. "Schleudertrauma") der HWS, in: Schweizerische Ärztezeitung, Bd. 73, 8/1992, S. 273; DEBRUNNER, Das Privileg des Schleudertraumas, in: Schweizerische Ärztezeitung, Bd. 72, 44/1991, S. 1862; DEBRUNNER, Das Schleudertrauma/Ein helvetisches Syndrom!, in: Schweizerischer Versicherungskurier, 2/1992, S. 46; SENN, EVG und Schleudertrauma: Wer schleudert eigentlich?, in: Plädoyer, 1/1992, S. 36; STEINEGGER, EVG und Schleudertrauma - eine Replik, in: Schweizerischer Versicherungskurier, 1992, S. 55; GEISER, Schleudertrauma - ein verwirrendes Schlagwort, in: Schweizerische Medizinische Wochenschrift, 123/1993, Nr. 14, S. 630). Darauf ist im folgenden einzugehen.
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Die SUVA führt aus, bei der Beurteilung von Krankheits- und Unfallfolgen sei die Verwaltung (im Beschwerdefall der Richter) auf zuverlässige Angaben medizinischer Experten angewiesen, wobei die entscheidenden Behörden nicht ohne triftige Gründe von der Einschätzung eines Facharztes abwichen, dessen Aufgabe gerade darin bestehe, seine Spezialkenntnisse den rechtsanwendenden Instanzen zur Verfügung zu stellen, um einen bestimmten medizinischen Sachverhalt zu erfassen. Diese allgemein anerkannten Grundsätze der Rechtsfindung gälten nicht mehr im Falle von Schleuderverletzungen. Im bereits erwähnten Urteil und in weiteren Entscheidungen St. vom 26. März 1991 und S. vom 2. April 1991 definiere nämlich das Eidg. Versicherungsgericht die Beweisanforderungen für den natürlichen Kausalzusammenhang ganz anders, indem ein solcher ohne weiteres angenommen werde, wenn ein Schleudertrauma der HWS diagnostiziert worden sei und ein für diese Verletzung typisches Beschwerdebild mit einer Häufung von Beschwerden vorliege. Diese Umschreibung sei in mehrfacher Hinsicht verfehlt: Zum einen werde im Gegensatz zu allen übrigen Bereichen der Unfallmechanismus anstatt gesicherte Befunde und Diagnosen als Grundlage für die Kausalitätsbeurteilung herangezogen. Zum anderen werde unterschoben, dass Schleudermechanismen - ungeachtet der tatsächlichen Verletzungsfolgen - zu einem typischen Beschwerdebild mit einer Häufung von Beschwerden führten. Nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft gebe es aber weder ein typisches Beschwerdebild bei Schleuderverletzungen der HWS noch eine charakteristische Häufung von unspezifischen Beschwerden (vgl. auch STEINEGGER, Das EVG auf Schleuderkurs?, in: SJZ, Heft 23/1991, S. 385, insbesondere S. 389). Der Normalverlauf bei HWS-Schleuderverletzungen sei zwar durch eine initiale Symptomatik mit schmerzhafter Bewegungshemmung im Nacken-/Kopfbereich und Begleiterscheinungen wie Schwindel geprägt. Nur ausnahmsweise zeigten einzelne Patienten nachhaltig fortdauernde Beschwerden. Indem die neue Rechtsprechung "den Ausnahmefall zur Regel (mache)", erfahre ein einzelner Unfallmechanismus oder ein einzelner Körperteil eine "privilegierte Behandlung" derart, dass aus äusserlichen Umständen des Unfalles und den nachher aufgetretenen Beschwerden der Kausalzusammenhang vermutet werde (vgl. auch DEBRUNNER, Das Privileg des Schleudertraumas, in: Schweizerische Ärztezeitung, Bd. 72, 44/1991, S. 1862). Die "Umkehr der Beweislast, wie sie dem Entscheid vom 4.2.1991 zugrunde liege", führe zur Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhanges zwischen Unfall und danach eingetretener Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit, sobald der Versicherte ein Schleudertrauma der HWS und "möglichst diffuse Beschwerden" darzutun vermöge, ohne dass der Vorzustand und die Spezialkenntnisse des Facharztes berücksichtigt würden.
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b) aa) Soweit die SUVA meint, die Beurteilung des natürlichen Kausalzusammenhanges gründe allein auf äusseren Umständen des Unfalles und subjektiven Angaben des Versicherten über undifferenzierte Beschwerden, bleibt festzustellen, dass aus der beanstandeten Rechtsprechung eine solche Schlussfolgerung nicht abgeleitet werden kann. Auch bei Schleudermechanismen der HWS bilden zuallererst die medizinischen Fakten, wie die fachärztlichen Erhebungen über Anamnese, objektiven Befund, Diagnose, Verletzungsfolgen, unfallfremde Faktoren, Vorzustand usw. die massgeblichen Grundlagen für die Kausalitätsbeurteilung durch Verwaltung und Gerichtsinstanzen. Das Vorliegen eines Schleudertraumas wie seine Folgen müssen somit durch zuverlässige ärztliche Angaben gesichert sein. Trifft dies zu und ist die natürliche Kausalität - aufgrund fachärztlicher Feststellungen in einem konkreten Fall - unbestritten, so kann der natürliche Kausalzusammenhang ebenso aus rechtlicher Sicht als erstellt gelten, ohne dass ausführliche Darlegungen zur Beweiswürdigung nötig wären. Dies war denn auch im kritisierten Urteil nach den ihm zugrunde liegenden Akten eindeutig der Fall. Die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhanges beruhte dort auf insofern schlüssigen medizinischen Grundlagen, weshalb sein Vorliegen nicht weiter zu erörtern war. Es ist verfehlt, daraus den Schluss zu ziehen, die mit BGE 117 V 359 geänderte Rechtsprechung, wonach eine Leistungspflicht des Unfallversicherers in Fällen von Schleudertraumen ohne nachweisbare organische Befunde, im Gegensatz zur alten Praxis, grundsätzlich möglich ist (vgl. BGE 117 V 363 E. 5d), lasse bei der Beurteilung der natürlichen Kausalität von Folgeschäden nach HWS-Verletzungen die medizinischen Untersuchungsergebnisse ausser acht, wodurch der natürliche Kausalzusammenhang gleichsam in solchen (oder vergleichbaren) Fällen als von vornherein gegeben vorausgesetzt werde.
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bb) Davon, dass die Spezialkenntnisse der Fachärzte im Rahmen der Kausalitätsbeurteilung des Art. 6 UVG nicht gefragt sein sollen, kann ebensowenig die Rede sein wie von einer Umkehr der Beweislast. Ob ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen einer Schleuderverletzung der HWS ohne organisch nachweisbare Beschwerden und den eingetretenen Gesundheitsschädigungen besteht, ist - nicht anders als sonst in der Unfallversicherung - eine Tatfrage, worüber die Verwaltung (und im Beschwerdefall der Richter) im Rahmen der Beweiswürdigung nach dem im Sozialversicherungsrecht herrschenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu befinden hat. Auch in diesem Bereich bedarf es somit für die Leistungsberechtigung gegenüber dem Unfallversicherer, dass die geklagten Beschwerden medizinisch einer fassbaren gesundheitlichen Beeinträchtigung zugeschrieben werden können und dass diese Gesundheitsschädigung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem versicherten Unfall steht. Dafür ist unter Umständen ein interdisziplinäres Zusammenwirken der verschiedenen medizinischen Fachrichtungen, nötigenfalls unter Einschluss der Neuropsychologie, erforderlich. Zu beachten sind hier die Schwierigkeiten, die sich aus dem Umstand ergeben, dass der im Zusammenhang mit HWS-Verletzungen sich manifestierende Beschwerdekomplex mitunter noch andere Ursachen haben kann, was aber nicht von vornherein zur Verneinung der natürlichen Kausalität führen darf, da der Unfall als eine Teilursache für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhanges genügt (vgl. E. 1). Anderseits vermag auch die Neuropsychologie, nach derzeitigem Wissensstand, es nicht, selbständig die Beurteilung der Genese abschliessend vorzunehmen. Spricht nach der Aktenlage medizinisch vieles für Unfallkausalität der ausgewiesenen Beschwerden, ohne dass aber vom unfallärztlichen Standpunkt aus der Zusammenhang direkt mit Wahrscheinlichkeit zu bejahen wäre, können die neuropsychologischen Untersuchungsergebnisse im Rahmen der gesamthaften Beweisführung bedeutsam sein. Das setzt aber voraus, dass der Neuropsychologe - im Einzelfall - in der Lage ist, überprüf- und nachvollziehbare, mithin überzeugende Aussagen zur Unfallkausalität zu machen, die sich in die anderen (interdisziplinären) Abklärungsergebnisse schlüssig einfügen. Blosse Klagen über diffuse Beschwerden genügen somit keineswegs für den Beweis der Unfallkausalität. Wie die nachfolgende Fallbeurteilung zeigt, können geklagte Beschwerden zwar teilweise mit solchen, die nach Schleudertraumen der HWS häufig angegeben werden, korrespondieren und dennoch nicht als überwiegend wahrscheinliche Folge eines Unfalles gelten, sondern als Folge eines krankhaften Vorzustandes. Es kann daher nicht ernstlich die Rede davon sein, dass das Gericht sich die Formel "post hoc, ergo propter hoc" zu eigen gemacht hätte, nach deren Bedeutung eine gesundheitliche Schädigung schon dann als durch den Unfall verursacht gilt, weil sie nach diesem aufgetreten ist (vgl. dazu auch MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 460, N 1205). Damit stösst der Vorwurf einer "Privilegierung" und "Sonderbehandlung" der Versicherten mit Schleuderverletzungen der HWS ins Leere.
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b) Die Vorinstanz hat in E. 4b ihres Entscheides erwogen, "die übrigen Beschwerden des Versicherten" entsprächen im wesentlichen dem prätraumatischen Beschwerdebild und seien gestützt auf die Gerichtsexpertise nicht unfallkausal. Dies gelte namentlich für die von Prof. Dr. phil. P. diagnostizierten neuropsychologischen Ausfälle, wie "eine übermässige bis extreme Unzuverlässigkeit in monotonen Aufmerksamkeitsaufgaben". Zwar führe der Experte laut Bericht vom 22. Juni 1989 diese Beeinträchtigungen auf eine ausgeprägte Funktionsstörung in den Hirnstammstrukturen zurück. Dabei sei er von der Annahme ausgegangen, dass es sich bei den erwähnten Einschränkungen um das typische, nach Schleudertrauma der HWS objektiv erfassbare Resultatemuster handle und dass der Beschwerdeführer mit den "gegenwärtigen" Aufmerksamkeitsschwächen in keiner Weise die vor dem Unfall ausgeübten beruflichen Tätigkeiten jahrelang hätte verrichten können.
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c) Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verneinung des natürlichen Kausalzusammenhanges vorgebracht wird, vermag zu keiner anderen Betrachtungsweise zu führen. Wie die Vorinstanz zutreffend bemerkt, geht der Neuropsychologe hinsichtlich seiner letzten Annahme von falschen Voraussetzungen aus, war doch der Beschwerdeführer schon seit November 1982 krankheitsbedingt, u.a. auch wegen Störungen des Gedächtnisses, der Konzentrationsfähigkeit und der Aufmerksamkeit, nicht mehr erwerbstätig und in hohem Masse invalid. Die kognitiven Beeinträchtigungen, welche bereits im Jahre 1985 Anlass zu einer neurologischen Untersuchung gaben, sah Dr. med. Ro. angesichts des neurologisch normalen Befundes im Zusammenhang mit der ausgeprägten psychovegetativen Labilität des Versicherten. Was die Kausalitätsbeurteilung auf der Grundlage neuropsychologischer Testuntersuchungen im besonderen betrifft, ist grundsätzlich zwar kein Grund ersichtlich, die neuropsychologische Diagnostik nicht mitzuberücksichtigen; hiezu besteht in beweisrechtlicher Hinsicht jedenfalls so lange kein Anlass, als selbst der Spezialarzt der Neurologie im Rahmen einer Gesamtwürdigung dem neuropsychologisch eindeutigen Befund einen Aussagewert beimisst (BGE 117 V 382 E. 3f). So verhält es sich hier aber gerade nicht, sieht doch Prof. Dr. med. R. als fachärztlicher Neurologe keinen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom 1. Juli 1987 und den schon 1985 diagnostizierten, weiterhin unveränderten neuropsychologischen Leistungsschwächen (Ergänzungsbericht vom 26. April 1991).
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Die neuropsychologische Abklärung hat wohl den Nachweis gewisser Defizite erbracht. Daraus allein lässt sich aber entgegen der Meinung des Beschwerdeführers noch nichts über die Unfallkausalität ableiten. Zum einen scheint Prof. Dr. phil. P. seinen Bericht ohne Kenntnis der vollständigen Akten erstattet zu haben, womit seine Schlussfolgerung den Anforderungen an eine Expertise im Sinne der Rechtsprechung (vgl. RKUV 1991 Nr. U 133 S. 312 E. 1b mit Hinweisen) nicht zu genügen vermag. Zum anderen lässt er die schwer belastete Persönlichkeit sowie die stark invalidisierende Charakterneurose ausser acht und äussert sich ebensowenig dazu, wie sie das Testergebnis beeinflusst haben könnten. Der neuropsychologische Bericht bildet daher vorliegend keine schlüssige Grundlage für die Kausalitätsbeurteilung. Zu Recht hat die Vorinstanz nicht darauf abgestellt.
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Fehl geht sodann die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe das rechtliche Gehör verletzt, weil sie seinem Beweisantrag auf Beizug eines Zusatzberichtes von Prof. Dr. phil. P. nicht stattgegeben habe. Vor dem Eidg. Versicherungsgericht verlangt er erneut die Einholung weiterer neuropsychologischer Unterlagen. Der Sachverhalt ist indes nach der Aktenlage hinreichend abgeklärt und bedarf diesbezüglich keiner Ergänzung. Von zusätzlichen Berichten neuropsychologischer Richtung sind mit Bezug auf die Kausalität keine neuen Erkenntnisse zu erwarten, welche den Ausgang des Prozesses zu beeinflussen vermöchten, weshalb darauf zu verzichten ist (vgl. auch BGE 104 V 210 E. a). Darin liegt kein Verstoss gegen das rechtliche Gehör gemäss Art. 4 BV (BGE 106 Ia 162 E. 2b; RKUV 1985 Nr. K 646 S. 238 E. 2d).
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b) Dem ist die Vorinstanz im Rahmen ihrer Beweiswürdigung nicht gefolgt. In Anlehnung an den Aufsatz "Das Schleudertrauma der HWS - eine interdisziplinäre Herausforderung" von JENZER/STEINEGGER (publiziert in: Sonderdruck des Schweizer Versicherungskuriers, 1990, S. 1 ff.) hat sie die gesamte, die medizinischen Unterlagen der Invalidenversicherung mitumfassende Aktenlage sorgfältig auf die verschiedenen möglichen Ursachen der Beschwerden hin untersucht. Der Sachverhalt wurde insbesondere unter dem Blickwinkel von "Vorzustand, Unfallhergang, Beschwerdebild, Erstbefunde, Röntgenbefund und Arbeitsunfähigkeit" detailliert überprüft, was angesichts des schwerwiegenden Vorzustandes unumgänglich war.
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Das kantonale Gericht stellte fest, schon vor dem Unfall habe erwiesenermassen ein ausgeprägtes psychosomatisches Leidensbild im Sinne einer schweren psychovegetativen Störung vorbestanden (vgl. psychiatrisches Gutachten Dr. med. He., neurologisches Gutachten Dr. med. Ro. und polydisziplinäres Gutachten MEDAS). Die Darstellung des Beschwerdeführers über seine Leiden weise ab August 1988 "eine deutlich zunehmende Tendenz" auf, indem er von diesem Zeitpunkt an - retrospektiv - geltend mache, seit dem Unfall allerheftigste Nackenschmerzen verspürt zu haben. Objektivierbare Erstzeitangaben über angebliche Schmerzen fehlten indessen, zumal er den als Zeugen einvernommenen Personen (Herr H. und Frau Ka.) weder am Unfalltag noch später etwas davon erzählt habe. Noch im November 1987 habe er im IV-Fragebogen trotz ausführlicher Schilderung seiner Beschwerden mit keinem Wort Unfallfolgen erwähnt, sondern eine Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes ab Oktober 1987 mit zusätzlichen familiären und psychischen Problemen begründet. Für die Annahme, dass die Beschwerden vorerst kaum gravierend gewesen sein dürften, spreche nebst der Aussage des Psychiaters Dr. med. He., wonach der Versicherte ihm anlässlich der (schon vor dem Unfall festgelegten) Konsultation vom 17. Juli 1987 eher beiläufig Nackenschmerzen angegeben habe, auch der Umstand, dass der am 1. Februar 1988 aufgesuchte Arzt Dr. B. keine Nackenschmerzen oder andere Unfallfolgen behandelt und Dr. med. Ho. (Behandlung ab 18. Februar 1988) erstmals im August 1988 Klagen über Nackenbeschwerden zu Gehör bekommen habe. Klinische oder apparative medizinische Untersuchungen seien erst im August/September 1988 - mehr als ein Jahr nach dem Unfall - erfolgt, wobei die Ärzte ein diskretes Zervikalsyndrom mit minim eingeschränkter Rotation des Kopfes nach rechts diagnostizierten. Die ebenfalls erst nach August 1988 angefertigten Röntgenaufnahmen der HWS zeitigten keine Anhaltspunkte für posttraumatische Folgen, sondern lediglich gewisse altersentsprechende Veränderungen. Aufgrund der Wochenrapporte habe der als Ferienaushilfe angestellte Beschwerdeführer ab 28. Juni 1987 bis 2. August 1987 mit fast regelmässigen Tageseinsätzen zwischen 30 und 47,5 Stunden gearbeitet. Nach dem am 1. Juli 1987 um ca. 15.00 Uhr geschehenen Unfall sei er noch bis 20.00 Uhr als Taxichauffeur eingesetzt gewesen, am nächsten Tag von 6.00 bis 12.00 Uhr und am 3. und 4. Juli 1987 sogar während 8,5 bzw. 10 Stunden.
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Aufgrund dieses Beweisergebnisses erwog die Vorinstanz, der Gerichtsexperte gehe mit seiner Annahme, dass Nacken- und Kopfschmerzen schon innert Stunden nach dem Unfall aufgetreten seien und sich dann verstärkt hätten, von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. Seiner Schlussfolgerung, die diskrete (erst im August 1988 objektivierte) Zervikalgie sei wahrscheinlich die natürliche Folge einer minimalen nicht nachweisbaren Verletzung des Weichteilmantels durch das Unfallereignis vom 1. Juli 1987, könne daher nicht beigepflichtet werden. Ebensowenig überzeuge die Auffassung, der Versicherte habe anfänglich die Beschwerden minimalisiert und sie deshalb erst am 17. Juli 1987 erwähnt, zumal langes Autofahren zu wiederholten Erschütterungen führe, was bei dem nachträglich behaupteten Zustand erhebliche Schmerzen ausgelöst und eine Therapie erforderlich gemacht hätte. Treffe die vom Gerichtsgutachter präsumierte Sachverhaltshypothese nicht zu, sei der Unfall zwar eine mögliche, aber nicht die überwiegend wahrscheinliche Ursache der Nackenschmerzen. Die erst zwei Wochen nach dem Ereignis erwähnten und mehr als 13 Monate später objektivierten Zervikalgien könnten ebensogut aufgrund des Vorzustandes und des psychischen Zustandes zur Zeit des Unfalles und in der Folgezeit psychosomatisch bedingt sein. Der natürliche Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Nackenbeschwerden müsse somit verneint werden.
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c) Diesen Ausführungen kann beigepflichtet werden. Die Vorinstanz hat alle Akten, insbesondere die diversen medizinischen Unterlagen, sorgfältig gewürdigt und überzeugend dargelegt, weshalb die Schlussfolgerungen des Gerichtsgutachters für die Kausalitätsbeurteilung mit Bezug auf die Nacken- und Kopfschmerzen nicht stichhaltig sind. Wie sie im angefochtenen Entscheid richtig aufzeigt, geht der Experte von falschen - für die Beurteilung wesentlichen - Tatsachen aus. Die Expertise ist daher in diesem Punkte nicht schlüssig, so dass darauf nicht abgestellt werden kann. Gestützt auf die übrige medizinische Aktenlage, mit diversen Arztberichten sowohl der SUVA (Untersuchungsbericht Dr. K. vom 18. Januar 1989; Bericht Dr. Bä. vom 14. Oktober 1989; ärztliche Beurteilung vom 25. März 1991) als auch anstaltsunabhängiger Ärzte (Bericht Dr. med. Me. vom 6. September 1988; Atteste Dr. med. Ho. vom 30. September und 11. November 1988), ist mit dem kantonalen Gericht festzustellen, dass nach dem im Sozialversicherungsrecht erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 117 V 360 E. 4a und 376 E. 3a, je mit Hinweisen) ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 1. Juli 1987 und dem im August 1988 diagnostizierten Zervikalsyndrom nicht gegeben ist. Somit ist die SUVA weder für die nach der Diagnose durchgeführte Behandlung noch für die sich daraus allenfalls ergebende Arbeitsunfähigkeit, Invalidität oder Integritätseinbusse leistungspflichtig, ohne dass die Frage der Adäquanz weiter zu prüfen wäre. Sämtliche Einwände in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vermögen hieran nichts zu ändern.
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