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32. Auszug aus dem Urteil vom 14. November 1995 i.S. Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen gegen N. und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | |
Regeste |
Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG. | |
Sachverhalt | |
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Am 26. März 1992 eröffnete die Ausgleichskasse der Versicherten, dass sie in der Zeit vom 1. November 1988 bis 31. März 1992 ordentliche Ergänzungsleistungen im Betrag von Fr. 17'656.-- und in den Monaten Januar ![]() | 2 |
B.- N. liess hiegegen Beschwerde erheben. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hob die Verfügungen vom 26. März 1992 in (teilweiser) Gutheissung der Beschwerde auf und wies die Sache zur Neuberechnung der Ergänzungsleistungen rückwirkend ab 1. November 1988 an die Verwaltung zurück (Entscheid vom 3. Juni 1993).
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Ausgleichskasse die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids.
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Während sich N. im ablehnenden Sinn vernehmen lässt, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
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Aus den Erwägungen: | |
4. a) Die Ergänzungsleistungen bezwecken eine angemessene Deckung des Existenzbedarfs (vgl. Art. 34quater Abs. 2 BV in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 ÜbBest. BV; BGE 108 V 241 Erw. 4c). Bedürftigen Rentnern der Alters- und Hinterlassenen- sowie der Invalidenversicherung soll ein regelmässiges Mindesteinkommen gesichert werden (bundesrätliche Botschaft zum Entwurf eines Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen vom 21. September 1964; BBl 1964 II 689, 692 und 694). Die Einkommensgrenzen haben dabei die doppelte Funktion einer Bedarfslimite und eines garantierten Mindesteinkommens (BBl 1964 II 691; BGE 113 V 285 Erw. 5b mit Hinweisen, BGE 103 V 28 Erw. 2b). Es gilt deshalb der Grundsatz, dass bei der Anspruchsberechnung nur tatsächlich vereinnahmte Einkünfte und vorhandene Vermögenswerte zu berücksichtigen sind, über die der Leistungsansprecher ungeschmälert verfügen kann (BGE 110 V 21 Erw. 3; ZAK 1989 S. 329 Erw. 3b, 1988 S. 255 Erw. 2b). Anderseits findet dieser Grundsatz dort eine Einschränkung, wo der Versicherte ohne rechtliche Verpflichtung und ohne adäquate Gegenleistung auf Vermögen verzichtet hat, wo er einen Rechtsanspruch auf bestimmte Einkünfte und Vermögenswerte hat, davon aber faktisch nicht ![]() | 6 |
b) Die Rechtsprechung hat das Vorliegen des Verzichtstatbestandes stets allein davon abhängig gemacht, ob eine Vermögenshingabe ohne rechtliche Verpflichtung und ohne adäquate Gegenleistung erfolgt war. Lagen diese Voraussetzungen für die Annahme eines Verzichts nicht vor, hat das Eidg. Versicherungsgericht eine Vermögensanrechnung nicht zugelassen, und zwar selbst dann nicht, wenn der Leistungsansprecher vor der Anmeldung zum Bezug der Ergänzungsleistungen über seine Verhältnisse gelebt haben könnte. Dazu hat es wiederholt ausgeführt, dass das Ergänzungsleistungssystem keine gesetzliche Handhabe dafür biete, eine wie auch immer geartete "Lebensführungskontrolle" vorzunehmen und danach zu fragen, ob ein Gesuchsteller in der Vergangenheit im Rahmen einer "Normalitätsgrenze" gelebt hat, die im übrigen erst noch näher umschrieben werden müsste. Vielmehr hätten die Ergänzungsleistungsbehörden von den tatsächlichen Verhältnissen auszugehen, dass ein Gesuchsteller nicht über die notwendigen Mittel zur angemessenen Deckung des Existenzbedarfs verfüge, und - dies stets unter Vorbehalt der Einschränkungen nach Massgabe von Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG - nicht danach zu fragen, warum dem so sei (BGE 115 V 354 Erw. 5c; AHI 1995 S. 166 f. Erw. 2b, 1994 S. 216 Erw. 3b, je mit Hinweisen auf die unveröffentlichte Rechtsprechung).
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In diesem Zusammenhang hat das Eidg. Versicherungsgericht klargestellt, dass sich die Frage nach den Gründen einer Vermögenshingabe allein dann erübrigt und nur dann auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen ist, wenn kein Verzicht im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG vorliegt. Derjenige, der nicht darzutun vermag, dass seine Geldhingabe im Austausch gegen eine adäquate Gegenleistung erfolgt ist, kann sich mithin nicht auf den gegebenen Vermögensstand berufen, sondern muss sich die Frage nach den Gründen für den Vermögensrückgang gefallen und mangels entsprechenden Beweisen hypothetisches Vermögen entgegenhalten lassen (AHI 1995 S. 167 Erw. 2b, 1994 S. 217 f. Erw. 4a und b).
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5. a) Im vorliegenden Fall steht nach Lage der Akten fest, dass der Beschwerdegegnerin im Jahre 1988 aus einer Erbschaft Fr. 148'125.-- zugeflossen waren. Davon richtete sie 1988 und 1989 Geldbeträge an R.N. und L.N. von insgesamt Fr. 37'125.-- aus. Das kantonale Gericht hat diese ![]() | 9 |
b) Streitig und zu prüfen ist einzig, ob bei der Ergänzungsleistungsberechnung zusätzlich zum Betrag von Fr. 67'125.-- weiteres Verzichtsvermögen aufzurechnen ist. Nach den Erwägungen der Vorinstanz rechtfertigt der Umstand, dass ein Versicherter seinen Vermögensverbrauch nicht mit Quittungen über die getätigten Ausgaben belegen kann, nicht die Vermutung, er habe sich freiwillig und ohne adäquate Gegenleistung seines Vermögens entäussert. Mit einer derart weitreichenden Vermutung würden die Beweisanforderungen überspannt; vielmehr müsse es genügen, wenn ein Versicherter glaubhaft mache, dass er nicht freiwillig auf Vermögen verzichtet habe. In diesem Sinne habe das Eidg. Versicherungsgericht im Falle einer Altersrentnerin bei einem nicht mit Quittungen belegten Rückgang des Vermögens von rund Fr. 35'000.-- auf Fr. 700.-- innerhalb eines Jahres einen Vermögensverzicht verneint und sich damit begnügt, den Rückgang mit diversen Auslandaufenthalten, Verpflegungskosten und übrigen Baranschaffungen zu erklären (BGE 115 V 355 Erw. 5e). Im vorliegenden Fall sei glaubhaft gemacht, dass die Beschwerdegegnerin im Zeitraum von rund zweieinhalb Jahren (November 1988 bis Mai 1991) ihr restliches Vermögen unter anderem für eine Haushalthilfe, für eine neue Wohnungseinrichtung von Fr. 25'000.-- sowie für Kur- und Ferienaufenthalte von mehr als Fr. 10'000.-- verwendet habe, womit eine weitere Anrechnung von Vermögen entfalle.
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Die Ausgleichskasse macht demgegenüber geltend, es gehe nicht an, die Vorbringen der Beschwerdegegnerin in bezug auf den Vermögensverzehr bereits deshalb zu akzeptieren, weil sie glaubhaft erschienen. Vielmehr hätte der volle Beweis erbracht werden müssen. Der Verzicht auf einen strikten Beweis sei allenfalls dort gerechtfertigt, wo ein Versicherter den Vermögensverzehr nicht nachweisen könne, weil er nur aufwendiger gelebt und beispielsweise öfters in teuren Restaurants gegessen oder teure Kleider ![]() | 11 |
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b) Die Verwaltung als verfügende Instanz und - im Beschwerdefall - der Richter dürfen eine Tatsache nur dann als bewiesen annehmen, wenn sie von ihrem Bestehen überzeugt sind (Kummer, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Aufl., Bern 1984 S. 136). Während im Zivil- und Strafverfahren die richterliche Überzeugung grundsätzlich auf dem vollen Beweis gründet, hat der Richter im Sozialversicherungsrecht seinen Entscheid, sofern das Gesetz nicht etwas Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu fällen (BGE 119 V 9 Erw. 3c/aa mit Hinweisen).
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Wenn die Ausgleichskasse von der Beschwerdegegnerin den strikten Beweis für den geltend gemachten Vermögensverzehr verlangt, so zielt sie auf eine ![]() | 14 |
Anderseits ist der Kasse insoweit beizupflichten, als nicht auf bloss glaubhaft gemachte Sachbehauptungen abgestellt werden kann. Ein solches Abweichen vom sozialversicherungsrechtlichen Regelbeweismass ist nur ausnahmsweise ausdrücklich im Gesetz vorgesehen, so etwa bei der - mit der vorliegenden Problematik nicht zu vergleichenden - Feststellung von Tatsachen, welche für das Eintreten auf eine Neuanmeldung oder ein Revisionsgesuch (Art. 87 Abs. 1, 3 und 4 IVV) massgebend sind. Dazu kommt, dass es sich beim Fehlen von Vermögen nicht um faktisch unbeweisbare Sachvorbringen handelt (vgl. ZAK 1989 S. 410), welchem Umstand allenfalls durch Beweiserleichterungen zu begegnen wäre (vgl. KUMMER, Berner Kommentar, N. 211 zu Art. 8 ZGB; HOHL, a.a.O., S. 145 f.; ISAAK MEIER, a.a.O., S. 68 ff.). Dass ein Versicherter Beweismittel zufällig nicht greifbar hat, rechtfertigt nicht die Herabsetzung der Beweisanforderungen auf blosses Glaubhaftmachen. Denn auch im allgemeinen Regelbeweismass ist ein Spielraum vorhanden, der es dem Richter gestattet, auf Beweisschwierigkeiten des Leistungsansprechers Rücksicht zu nehmen (vgl. dazu ISAAK MEIER, a.a.O., S. 62). Soweit die Vorinstanz davon ausgeht, das Eidg. Versicherungsgericht habe sich in BGE 115 V 352 im Zusammenhang mit dem Nachweis des Fehlens von Vermögen für eine Absenkung des ![]() | 15 |
c) Nach dem Gesagten hat das kantonale Gericht zuwenig strenge Anforderungen an das Beweismass gestellt, indem es blosses Glaubhaftmachen genügen liess. Die Sache ist deshalb zu neuer Entscheidung unter dem Gesichtspunkt des Wahrscheinlichkeitsbeweises an die Vorinstanz zurückzuweisen. In diesem Zusammenhang wird sie zu berücksichtigen haben, dass der Richter gestützt auf den Untersuchungsgrundsatz von Amtes wegen für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen hat. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht uneingeschränkt; er findet sein Korrelat in den Mitwirkungspflichten der Parteien (BGE 117 V 263 f. Erw. 3b und 282 f. Erw. 4a, BGE 116 V 26 f. Erw. 3c, BGE 115 V 142 Erw. 8a mit Hinweisen; vgl. auch BGE 119 V 211 Erw. 3b, 349 Erw. 1a).
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