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17. Urteil vom 13. Juni 1996 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen O. und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | |
Regeste |
Art. 13 Abs. 1 und 2 IVG, Art. 1 Abs. 1 und 2 GgV, Ziff. 404 GgV Anhang. |
An den Erfordernissen der Diagnosestellung und Behandlung vor vollendetem 9. Altersjahr als Anspruchsvoraussetzungen ist festzuhalten. | |
Sachverhalt | |
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B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft mit Entscheid vom 2. März 1994 gut. Es erachtete die Voraussetzungen zur Gewährung medizinischer Massnahmen als erfüllt.
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O. lässt sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Die Ausgleichskasse verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Auf die Begründungen wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Als Geburtsgebrechen im Sinne von Art. 13 IVG gelten Gebrechen, die bei vollendeter Geburt bestehen. Die blosse Veranlagung zu einem Leiden gilt nicht als Geburtsgebrechen. Der Zeitpunkt, in dem ein Geburtsgebrechen als solches erkannt wird, ist unerheblich (Art. 1 Abs. 1 GgV). Die Geburtsgebrechen sind in der Liste im Anhang aufgeführt; das Eidg. Departement des Innern kann eindeutige Geburtsgebrechen, die nicht in dieser Liste enthalten sind, als solche im Sinne von Art. 13 IVG bezeichnen (Art. 1 Abs. 2 GgV). Als medizinische Massnahmen, die für die Behandlung eines Geburtsgebrechens notwendig sind, gelten sämtliche Vorkehren, die nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sind und den therapeutischen Erfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben (Art. 2 Abs. 3 GgV).
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b) Ziff. 404 GgV Anhang umschreibt folgendes Geburtsgebrechen: Kongenitale Hirnstörungen mit vorwiegend psychischen und kognitiven Symptomen bei normaler Intelligenz (kongenitales infantiles Psychosyndrom, kongenitales hirndiffuses psychoorganisches Syndrom, kongenitales hirnlokales Psychosyndrom), sofern sie mit bereits gestellter Diagnose als solche vor Vollendung des 9. Altersjahres behandelt worden sind.
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Nach der Verwaltungspraxis gelten die Voraussetzungen von Ziff. 404 GgV Anhang als erfüllt, wenn vor Vollendung des 9. Altersjahres mindestens Störungen des Verhaltens im Sinne krankhafter Beeinträchtigung der ![]() | 9 |
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a) In BGE 105 V 22 Erw. b wurde dargelegt, dass der Bundesrat in Art. 13 Abs. 2 Satz 1 IVG eine umfassende Kompetenz erhielt, aus der Gesamtheit der Geburtsgebrechen im medizinischen Sinne jene auszuwählen, für welche Massnahmen nach Art. 13 IVG zu gewähren sind. Er durfte sowohl die generelle Regel von Art. 1 GgV als auch die speziellen Voraussetzungen in einzelnen GgV-Ziffern aufstellen und dabei unter anderem Zwecke der Praktikabilität berücksichtigen. Bei verschiedenen Geburtsgebrechen ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten bezüglich der Frage, ob sie bei vollendeter Geburt bestanden haben (Art. 1 GgV) oder erst später eingetreten sind. Aus Gründen der Praktikabilität wurde in Ziff. 404 GgV Anhang die Abgrenzung in der medizinisch begründeten Annahme gefunden, dass das Gebrechen vor Vollendung des 9. Altersjahres diagnostiziert und behandelt worden wäre, wenn es angeboren gewesen wäre. Eine solche Abgrenzung ist durchaus berechtigt. Es kann keine Rede davon sein, dass die Umschreibung in Ziff. ![]() | 11 |
b) Zur Frage, ob die bei fehlender Diagnosestellung und Behandlung vor vollendetem 9. Altersjahr begründete Annahme, es liege kein Geburtsgebrechen im Rechtssinne vor, widerlegbar sei - ob also dem Versicherten der Beweis des Gegenteils offenstehe -, hat sich das Eidg. Versicherungsgericht in BGE 105 V 21 nicht ausdrücklich geäussert. In den folgenden Urteilen hat es seinen Erwägungen jeweils beigefügt, später vorgenommene Abklärungsmassnahmen würden "kaum noch zuverlässig Aufschluss über die Abgrenzungsfrage" geben, ob das Gebrechen bei vollendeter Geburt bestanden habe oder später eingetreten sei (vgl. Art. 1 Abs. 1 GgV); diese Formulierung liess offen, welche Rechtsfolge eintreten würde, wenn bei Diagnosestellung und/oder Behandlung nach Ablauf des 9. Lebensjahres - entgegen der empirischen Regel - der Nachweis der Existenz des Gebrechens bei vollendeter Geburt gelingen sollte (ZAK 1984 S. 33 Erw. 1).
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c) Im Urteil K. vom 14. Mai 1981 wurde dagegen ausgeführt, Ziff. 404 GgV Anhang beruhe auf der medizinisch begründeten Annahme, dass das Gebrechen vor Vollendung des 9. Altersjahres diagnostiziert und behandelt worden wäre, wenn es angeboren gewesen wäre. Freilich hätte der Bundesrat für den Fall, dass bei vollendetem 9. Altersjahr das Geburtsgebrechen entweder nicht diagnostiziert oder als solches nicht behandelt worden ist, sich mit der widerlegbaren Vermutung begnügen können, ein Geburtsgebrechen sei nicht ausgewiesen. Dass statt dessen die Anspruchsvoraussetzungen schlechthin zu verneinen seien, beruhe in Anbetracht der geschilderten medizinischen Erfahrungsregel indes weder auf sinn- und zwecklosen Schlüssen, noch auf einer rechtlichen Unterscheidung, die eines vernünftigen Grundes entbehren würde. - In diesem Urteil hielt das Eidg. Versicherungsgericht somit erstmals fest, dass es sich bei den in Ziff. 404 GgV Angang enthaltenen Erfordernissen um Anspruchsvoraussetzungen handelt.
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e) Im Urteil G. vom 7. November 1983 stellte das Gericht schliesslich klar, es gehe nicht nur darum, ob ein POS als solches vorliege; vielmehr müsse ausserdem feststehen, dass das Leiden angeboren sei. Nach Vollendung des 9. Altersjahres durchgeführte Abklärungsmassnahmen könnten nach dieser empirischen Erkenntnis nicht mehr zuverlässig Aufschluss über die Abgrenzungsfrage geben, ob das Gebrechen angeboren war oder später erworben wurde. "Somit begründet allein schon die fehlende Diagnosestellung vor vollendetem 9. Altersjahr gemäss Ziff. 404 GgV die unwiderlegbare Rechtsvermutung, dass dem POS der Charakter eines angeborenen Leidens abgeht."
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f) Hinsichtlich des Zeitpunktes der Diagnosestellung gilt nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts folgendes: Wird die Diagnose eines POS rechtzeitig gestellt und erfolgt im Hinblick darauf die Behandlung ebenfalls rechtzeitig, so sind die Anspruchsvoraussetzungen im Sinne von Ziff. 404 GgV Anhang erfüllt, auch wenn die Verwaltung zunächst Zweifel an der Diagnosestellung hegte und deswegen eine ergänzende Abklärung anordnete, die erst nach vollendetem 9. Altersjahr eine Bestätigung der gestellten Diagnose ergibt (ZAK 1985 S. 284 Erw. 2).
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Gemäss dem Urteil A. vom 2. Mai 1985 müssen die Symptome zwar kumulativ, nicht aber alle gleichzeitig vorhanden sein. Es genügt daher, dass aufgrund der gesamten Anamnese alle für das POS symptomatischen Störungen vor dem 9. Lebensjahr festgestellt werden können, wobei aber nicht erforderlich ist, dass diese Symptome gleichzeitig in Erscheinung treten und bei der Leistungszusprechung noch vorhanden sind.
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Mit dem Erfordernis der Diagnosestellung vor dem 9. Lebensjahr wird nicht verlangt, dass bereits dannzumal sämtliche Symptome, welche den ärztlichen Schluss auf ein Geburtsgebrechen nach Ziff. 404 GgV Anhang stützen, genannt und festgehalten sein müssen. Die Anführung der jeweiligen Krankheitszeichen ist erst für die beweisrechtliche Frage relevant, ob die Diagnose zutrifft oder nicht (zit. Urteil A.).
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Die in Verordnung und Verwaltungspraxis aufgeführten Symptome sind für den Arzt im Zeitpunkt der Diagnosestellung insofern massgebend, als er mit ihrer Feststellung der Verwaltung gegenüber seine Diagnose erhärtet. Die Verwaltung hat die Richtigkeit des ärztlichen Attests zu prüfen. Dabei darf vom Vorliegen sämtlicher relevanter Symptome im entscheidenden Zeitpunkt ![]() | 19 |
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bb) Nach der Rechtsprechung kann das Eidg. Versicherungsgericht Verordnungen des Bundesrates grundsätzlich, von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen abgesehen, auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüfen. Bei (unselbständigen) Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüft es, ob sie sich in den Grenzen der dem Bundesrat im Gesetz eingeräumten Befugnisse halten. Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Spielraum des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsebene eingeräumt, muss sich das Gericht auf die Prüfung beschränken, ob die umstrittenen Verordnungsvorschriften offensichtlich aus ![]() | 21 |
cc) Die Auffassung der Vorinstanz erweist sich als allzu formalistisch. Der Anspruch gemäss Art. 13 IVG auf die zur Behandlung von Geburtsgebrechen notwendigen medizinischen Massnahmen bei bis zu 20jährigen Versicherten besteht - anders als nach der allgemeinen Bestimmung des Art. 12 IVG - unabhängig von der Möglichkeit einer Eingliederung in das Erwerbsleben. Die Behandlung des Leidens an sich ist hier nicht ausgeschlossen. Art. 13 IVG nimmt mit der weitgehenden Privilegierung seiner Anwendungsfälle eine besondere Stellung im System der Invalidenversicherung ein. Er trägt der Erkenntnis Rechnung, dass es sich bei den Geburtsgebrechen weder um Krankheiten noch um Unfälle handelt, so dass deren Behandlung begrifflich weder in das Gebiet der Krankenversicherung noch in das der Unfallversicherung fällt. Im Hinblick auf diese Vorzugsstellung kommt dem invalidenversicherungsrechtlichen Begriff des Geburtsgebrechens eine besondere Bedeutung zu (ZAK 1961 S. 206). Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit gebieten nach zutreffender Auffassung der Vorinstanz aufgrund dieser Sonderstellung eine strikte Abgrenzung des Anwendungsbereiches dieser Bestimmung. In der GgV werden die einzelnen leistungsbegründenden Geburtsgebrechen denn auch abschliessend aufgezählt (unter Vorbehalt von Erweiterungen gemäss Art. 1 Abs. 2 Satz 2 GgV) sowie teilweise noch in qualitativer oder zeitlicher Hinsicht näher umschrieben.
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Mit Art. 13 Abs. 2 IVG wurde dem Bundesrat somit eine umfassende Kompetenz erteilt, aus der Gesamtheit der Geburtsgebrechen im medizinischen Sinne jene auszuwählen, für welche Massnahmen nach Art. 13 IVG zu gewähren sind (Geburtsgebrechen im Rechtssinne des IVG; BGE 105 V 22 Erw. b mit ![]() | 23 |
dd) Der Verordnungsgeber durfte daher eine bestimmte Altersgrenze und Kriterien sowohl der Diagnosestellung als auch der Behandlung zur Bewältigung des Abgrenzungsproblems einführen. Die in Kraft stehende Fassung von Ziff. 404 GgV Anhang wurde vom Bundesrat auf Vorschlag der Eidg. Kommission für die medizinische Eingliederung in der Invalidenversicherung, in welcher auch Kinderpsychiater vertreten waren, beschlossen (Urteil K. vom 14. Mai 1981).
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Ziff. 404 GgV Anhang beruht demnach auf der medizinisch begründeten und empirisch belegten Annahme, dass das Gebrechen vor Vollendung des 9. Altersjahres diagnostiziert und behandelt worden wäre, wenn es angeboren gewesen wäre. Zu einem spätern Zeitpunkt durchgeführte Abklärungsmassnahmen können nach dieser empirischen Erkenntnis nicht mehr zuverlässig Aufschluss über die Abgrenzungsfrage geben, ob das Leiden angeboren war oder später erworben wurde (BGE 105 V 22; ZAK 1984 S. 33). Dabei handelt es sich entgegen der unbelegten vorinstanzlichen Behauptung nicht um "eine stark schematisierende und auf groben Annahmen beruhende Regelung". Das kantonale Gericht unterlässt es im übrigen zu Recht, die vom Bundesrat und der Verwaltung gewonnenen medizinischen Erkenntnisse in Frage zu stellen. Es besteht auch heute kein Anlass, davon abzuweichen. Schliesslich anerkennt auch die Vorinstanz ausdrücklich die Altersgrenze von 9 Jahren als Anspruchsvoraussetzung. Sie findet nach den zutreffenden Ausführungen des BSV ihre Begründung im wesentlichen darin, dass mit zunehmendem Alter eine Abgrenzung zwischen angeborenen und erworbenen Störungen medizinisch nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit möglich ist.
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b) aa) Weiter argumentiert das kantonale Gericht, sei ein bestimmtes angeborenes Leiden als Geburtsgebrechen im Sinne des Gesetzes anerkannt, stehe es dem Verordnungsgeber nicht mehr frei, Voraussetzungen zu statuieren, welche sich nicht ausschliesslich auf die Verifizierung des medizinischen Befundes oder auf einen für die Anspruchsberechtigung erforderlichen Intensitätsgrad im Sinne eines Abgrenzungskriteriums beschränkten. Dies erhelle aus der Charakteristik von Art. 13 IVG als Auffangnorm: Der Regelungsbereich dieser Bestimmung erfasse eine Gruppe von Risiken, die sozialversicherungsmässig abzusichern seien und doch von keinem der klassischen Sozialversicherungsgebiete abgedeckt würden. Der Inhalt einschränkender Normen sei deshalb stets vor dem Hintergrund dieses Gedankens gesetzgeberischer Motivation zu sehen.
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bb) Die Vorinstanz kann auch aus diesen Überlegungen zum Normzweckgedanken nichts zugunsten ihrer Auffassung ableiten. Sie übersieht, dass es mit den in Ziff. 404 Anhang GgV umschriebenen Voraussetzungen - im Sinne von Abgrenzungskriterien - ausschliesslich darum geht, ein bestimmtes Leiden als angeboren zu qualifizieren, damit es als Geburtsgebrechen im Sinne des Gesetzes anerkannt werden kann.
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c) aa) Sodann argumentiert die Vorinstanz, die Auffassung des Eidg. Versicherungsgerichts, wonach es sich bei den Erfordernissen von Ziff. 404 GgV Anhang um Anspruchsvoraussetzungen handle, folge einer streng am Wortlaut orientierten Auslegung. Aufgrund des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes sei es zur rechtsgenüglichen Bestimmung eines POS-Befundes als Geburtsgebrechen indessen nicht erforderlich, Diagnose und Behandlung kategorisch als Anspruchsvoraussetzungen zu behandeln. Aus dem Normzweckgedanken heraus genüge gleichermassen die dahingehende Umsetzung von Ziff. 404 GgV Anhang, dass bei fehlender Diagnosestellung und Behandlung vor vollendetem 9. Altersjahr bloss die widerlegbare Vermutung begründet werde, es liege kein Geburtsgebrechen im Rechtssinne vor. Dabei sei zu beachten, dass die Altersgrenze von 9 Jahren ![]() | 29 |
"Die medizinisch-therapeutische Betreuung muss sich insgesamt als kontinuierlicher, zusammenhängender Vorgang darstellen und darf in der schliesslich zur endgültigen Diagnose führenden Form nicht erst nach dem massgeblichen Zeitpunkt gemäss Ziff. 404 des Anhanges zur GgV eingesetzt haben.
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Vor Vollendung des neunten Altersjahres mussten Untersuchungen bzw. Behandlungen vorgenommen worden sein, welche durch im wesentlichen gleiche Symptome und Erscheinungen veranlasst worden waren, die danach zur zutreffenden Diagnose nach dem neunten Geburtstag geführt haben. (...)
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Das Erfordernis der Behandlung ist (...) im Sinne einer (...) Behandlungsbedürftigkeit zu interpretieren. Bei einem optimalen Verlauf der diagnostischen Vorgänge wäre deshalb eine POS-spezifische Behandlung vor Vollendung des neunten Altersjahres angezeigt gewesen. (...)"
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Nach Sinn und Zweck von Ziff. 404 GgV Anhang darf schliesslich nach Meinung der Vorinstanz ein POS, das vor Vollendung des 9. Altersjahres feststellbar war, ohne weiteres als Geburtsgebrechen betrachtet werden. Könnten die Erfordernisse der Verordnung umständehalber bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingehalten werden, so müsse aufgrund der faktischen Quasi-Unmöglichkeit eines direkten Beweises das Vorliegen eines POS (bzw. die Möglichkeit einer Diagnose und einer darauf gestützten Behandlung) vor Vollendung des 9. Altersjahres nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt sein.
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bb) Diese Argumentation vermag die Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts zum hier streitigen Geburtsgebrechen nicht in Frage zu stellen.
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Die Vorinstanz verkennt, dass es bei den in Ziff. 404 GgV Anhang umschriebenen Voraussetzungen nicht um "Eingriffe in Rechtspositionen eines prinzipiell Anspruchsberechtigten aus Gründen der Praktikabilität" geht, sondern um die Definition von Anspruchsvoraussetzungen mittels Abgrenzungskriterien. Insbesondere hat es das Eidg. Versicherungsgericht klar abgelehnt, diese Bestimmung dahingehend umzusetzen, dass bei fehlender Diagnose und Behandlung vor dem 9. Altersjahr bloss die widerlegbare Vermutung begründet würde, es liege kein Geburtsgebrechen im Rechtssinne vor. Vielmehr ist daran festzuhalten, dass fehlende Diagnose und Behandlung vor vollendetem 9. Altersjahr die unwiderlegbare Rechtsvermutung begründen, ![]() | 35 |
cc) Abschliessend ist darauf hinzuweisen, dass die jüngste Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts zur Frage des Zeitpunktes der Diagnosestellung (Erw. 2f hievor) dem von der Vorinstanz im angefochtenen Entscheid vertretenen Anliegen weitgehend entgegenkommt. Denn laut dem zitierten Urteil H. vom 7. Mai 1992 ist nicht ausgeschlossen, dass mit ergänzenden Abklärungen nach dem 9. Geburtstag nachweisbar ist, es habe nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit bereits bei vollendetem 9. Altersjahr die komplette Symptomatik des Geburtsgebrechens Ziff. 404 GgV Anhang bestanden.
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"Im vorliegenden Fall wurde das Kind im April 1991, also im Alter von achteinviertel Jahren, beim Schulpsychologischen Dienst (SPD) wegen Verdachts auf Legasthenie und Dyskalkulie angemeldet. Die zuständige Psychologin bestätigte mit Schreiben vom 30. August 1993 gegenüber der Vorinstanz die Darstellung der Eltern, dass in der Folge eine Legasthenietherapie durchgeführt worden sei, welche aber sistiert worden sei, da die in der Therapie erzielten Leistungen nicht in den Schulalltag hätten umgesetzt werden können. In diesem Zusammenhang sei auch eine 'starke Geschwisterproblematik' festgestellt worden. Im Herbst 1991 wurde der Tochter des Beschwerdeführers aufgrund des Erscheinens von 'Doppelbildern' eine Brille verordnet, wovon man sich eine Behebung der festgestellten visuellen Wahrnehmungsschwäche erhoffte. Zur selben Zeit fanden aufwendige Abklärungen (Magnetresonanztomographie, Elektroenzephalogramm) zwecks Ausschlusses eines allfälligen Hirntumors ![]() | 38 |
b) Gemäss dem kantonalen Gericht liessen die erwähnten Untersuchungen und die Therapie vor dem 9. Geburtstag eine rechtzeitige Diagnose als denkbar erscheinen. Legasthenie und Dyskalkulie begründeten im Zusammenhang mit den konkreten Begleiterscheinungen jedenfalls den Verdacht auf hirnfunktionelle Störungen, so dass die POS-spezifischen Abklärungen eher zufällig erst nach anderen Untersuchungen vorgenommen worden seien. Das zunächst als 'Geschwisterproblematik' gedeutete auffällige Sozialverhalten habe zum kinderpsychiatrischen Befund mangelnden Selbstwertgefühls geführt, welcher ohne weiteres durch die den 'POS-Kindern' gemeinhin zugeschriebene Reizüberempfindlichkeit und Leistungsinkonstanz bedingt sein könne. Deshalb schloss die Vorinstanz, die Voraussetzungen von Ziff. 404 GgV Anhang seien nach der Aktenlage mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit vor dem 9. Geburtstag erfüllt gewesen.
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c) Diese Argumente vermögen nichts an der Tatsache zu ändern, dass das POS im vorliegenden Fall nicht rechtzeitig diagnostiziert worden ist. Zwar haben unbestrittenermassen seit 1991 und damit vor Vollendung des 9. Altersjahres Untersuchungen stattgefunden. Diese Abklärungen bezogen sich jedoch nie auf ein POS, sondern auf andere Krankheiten wie Hirntumor, Sehprobleme und psychische Leiden. Selbst wenn sich dabei Fehldiagnosen seitens der Ärzte ergeben haben sollten, lässt sich daraus keine rechtzeitig gestellte richtige Diagnose ableiten. Daran ändert der Umstand nichts, dass die objektive Erkennbarkeit des Geburtsgebrechens bei richtiger Betreuung an sich möglich gewesen wäre. Zudem geht es nicht an, bei der festgestellten Behandlungsbedürftigkeit bereits eine Behandlung im Verordnungssinne anzunehmen; denn bei einer solchen Betrachtungsweise würde der Rechtsbegriff der Behandlung die erforderliche Bestimmtheit verlieren, und demzufolge könnte Ziff. 404 GgV Anhang die ihr zugedachte Abgrenzungsfunktion praktisch nicht mehr erfüllen.
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