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33. Urteil vom 30. April 1996 i.S. Amt für Sozialbeiträge Basel-Stadt, gegen M. und Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel | |
Regeste |
Art. 47 Abs. 1 AHVG, Art. 27 Abs. 1 ELV. | |
Sachverhalt | |
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Die Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel, wies die gegen die Rückerstattungsverfügung erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 10. Dezember 1991 ab. Dieser Entscheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
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Am 1. April 1992 ersuchte M. das Amt für Sozialbeiträge um Erlass der Rückerstattung, welches Begehren mangels guten Glaubens mit Verfügung vom 7. April 1992 abgewiesen wurde.
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B.- Die Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel, hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 14. Januar 1993 gut, indem sie die angefochtene Verfügung aufhob und M. die Rückerstattung von Fr. 6'948.-- erliess.
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C.- Das Amt für Sozialbeiträge Basel-Stadt beantragt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides. Zur Begründung wird dem Sinne nach ausgeführt, dass sich die Versicherte unter den gegebenen Umständen nicht auf ihren guten Glauben berufen könne; zwar sei sie im Zeitpunkt des Leistungsbezuges gutgläubig gewesen, doch hätte ihr bekannt sein müssen, dass die rückwirkend ausgerichtete Invalidenrente mit den bereits erbrachten Ergänzungsleistungen zu kompensieren seien.
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Während sich M. nicht vernehmen liess, schliesst das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Bezüglich der Erlassvoraussetzungen ist zu ergänzen, dass die Rechtsprechung unterscheidet zwischen dem guten Glauben als fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen kann und ob er bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen sollen. Die Frage nach dem Unrechtsbewusstsein gehört zum inneren Tatbestand und ist daher Tatfrage, die nach Massgabe von Art. 105 Abs. 2 OG von der Vorinstanz verbindlich beantwortet wird. Demgegenüber gilt die Frage nach der Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit als frei überprüfbare Rechtsfrage, soweit es darum geht, festzustellen, ob sich jemand angesichts der jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse auf den guten Glauben berufen kann (BGE 102 V 246 Erw. b; AHI 1994 S. 123 Erw. 2c mit weiteren Hinweisen).
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4. a) Hinsichtlich der Frage des guten Glaubens hat die Vorinstanz erkannt, dass sich die Beschwerdegegnerin bis zum Empfang des Schreibens der Rentenanstalt vom 4. April 1991, mit dem sie über den Umfang ihres vorsorgerechtlichen Invalidenleistungsanspruchs unterrichtet wurde, des Unrechts ihres Ergänzungsleistungsbezugs nicht bewusst war. Damit liegt nach dem Gesagten (Erw. 3) eine Feststellung tatsächlicher Art vor, und da ![]() | 12 |
Im weiteren kann dem kantonalen Gericht insoweit beigepflichtet werden, als es der Beschwerdegegnerin unter den gegebenen Umständen auch die Berufung auf den guten Glauben zugestanden hat. Immerhin setzte sie die Verwaltung nach Erhalt der Mitteilung über ihre zusätzlichen Einkünfte gemäss den verbindlichen Feststellungen im vorinstanzlichen Entscheid noch im gleichen Monat April 1991 ins Bild, womit sie dem in Art. 24 ELV verankerten Erfordernis der "unverzüglichen Mitteilung" genügte. Dass sie zu dieser Meldung bereits früher gehalten gewesen wäre, trifft nicht zu. Denn vor der Anfang April 1991 erfolgten Mitteilung der Rentenanstalt waren weder der Umfang der vorsorgerechtlichen Invalidenleistungen noch der Zeitpunkt ihrer Ausrichtung bekannt. Damit hätte die Meldung an die Durchführungsstelle höchstens ermöglicht, die Verfügung über die Ergänzungsleistungen an eine Bedingung zu knüpfen oder unter einen Vorbehalt zu stellen. Hingegen wäre der hypothetische Rentenanspruch auf die Höhe der laufenden Ergänzungsleistungen von vornherein ohne Einfluss geblieben, da diese grundsätzlich nach Massgabe der tatsächlich vereinnahmten Einkünfte und vorhandenen Vermögenswerte zu ermitteln ist (vgl. BGE 115 V 353 am Ende Erw. 5c; AHI 1994 S. 216 Mitte). Endlich kann der Beschwerdegegnerin trotz der ihr obliegenden Mitwirkungspflicht (vgl. BGE 120 V 360 Erw. 1a mit Hinweis) auch nicht vorgeworfen werden, nicht bereits bei der Anmeldung zum Ergänzungsleistungsbezug auf ihr hängiges Begehren gegenüber der Rentenanstalt verwiesen zu haben. Jedenfalls liesse sich insofern der Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht halten, wie das kantonale Gericht zu Recht erkannt hat.
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b) Kann nach dem Gesagten der gute Glaube der Beschwerdegegnerin bejaht werden, bleibt im folgenden die weitere Erlassvoraussetzung der grossen Härte (Art. 47 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 ELV) zu prüfen. Erst in diesem Zusammenhang wird auch auf die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobenen Einwände einzugehen sein. Denn entgegen dem beschwerdeführenden Amt beschlägt die von ihm angeschnittene Problematik weniger den Bereich des guten Glaubens als vielmehr die mit dem Erfordernis der grossen Härte angesprochene wirtschaftliche Situation der von der Rückerstattung betroffenen Person.
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b) In Anwendung dieser Rechtsprechung hat das Eidg. Versicherungsgericht verschiedentlich erkannt, dass das Vorliegen einer grossen Härte bei einem Versicherten, dessen Einkommen die massgebende Grenze unterschreitet, nicht schon deshalb verneint werden könne, weil er über ein gewisses Vermögen verfüge. Diese Aussage lässt sich bereits dem in ZAK 1973 S. 198 veröffentlichten Urteil N. vom 16. März 1972 entnehmen (a.a.O., S. 201 oben), wie namentlich in BGE 111 V 134 Erw. 4c unmissverständlich klargestellt wurde ("... il résulte, en effet, clairement de cet arrêt que, lorsque le revenu de l'assuré n'atteint pas la limite déterminante en l'occurence, l'existence d'une situation difficile ne peut pas être niée du seul fait que l'assuré jouit d'une certaine fortune"). In der Folge ist diese Rechtsprechung nicht nur stillschweigend angewendet (unveröffentlichtes Urteil K. vom 30. Oktober 1989), sondern auch ausdrücklich (unveröffentlichtes Urteil R. vom 18. Oktober 1990) bestätigt worden. Dabei führte das Eidg. Versicherungsgericht zuletzt aus, dass das Vermögen eines Versicherten für die Beurteilung seiner Rückzahlungsfähigkeit und des Vorliegens eines Härtefalles nur in seiner "Einkommensrelevanz" massgeblich sei, indem einerseits der Vermögensertrag und anderseits ein Fünfzehntel (vgl. Art. 60 Abs. 2 AHVV) des nach Abzug ![]() | 16 |
c) Eine Einschränkung hat der Anwendungsbereich des Erlasses durch die Rechtsprechung hingegen dort erfahren, wo der Verwaltung die Möglichkeit der Verrechnung offensteht. Gerade im Zusammenhang mit Art. 27 Abs. 2 ELV, wonach Rückforderungen von Ergänzungsleistungen mit fälligen Leistungen aufgrund des ELG sowie des AHVG und des IVG verrechnet werden können, hat das Eidg. Versicherungsgericht erkannt, dass bei dieser Verrechnung ein Erlass nur dann in Betracht fällt, wenn sie mit laufenden oder künftig fällig werdenden Leistungen erfolgt. Anderes gilt jedoch, wenn es darum geht, dem Versicherten bereits ausbezahlte Leistungen durch gleich hohe, unter anderem Titel geschuldete zu ersetzen und die beiden Betreffnisse miteinander zu verrechnen. Hier besteht lediglich ein anderer Rechtsgrund für die geschuldeten Leistungen; das Vermögen des Rückerstattungspflichtigen erfährt keine Veränderung, die zu einem Härtefall im Sinne von Art. 47 Abs. 1 AHVG führen könne, weshalb die Frage des Erlasses nicht zu prüfen ist (ZAK 1977 S. 195 f. Erw. 3). - Wie das Eidg. Versicherungsgericht später entschieden hat, handelt es sich dabei um einen allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts, der stets angewendet werden muss, wenn der Erlass einer verrechnungsweise geltend gemachten Rückforderung zu prüfen ist (ARV 1987 Nr. 13 S. 120 Erw. 3b; vgl. ferner BGE 116 V 297 Erw. 5b).
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b) Tatsächlich verhält es sich im vorliegenden Fall so, dass die gutgläubige Beschwerdegegnerin nach bisheriger Rechtsprechung in den Genuss der Rechtswohltat des Erlasses gelangen würde, weil die ihr nachträglich zugeflossenen vorsorgerechtlichen Invalidenleistungen von Fr. 16'791.-- der ![]() | 19 |
c) Die mit der geschilderten Art der Vermögensanrechnung einhergehende Bejahung der grossen Härte bewirkt, dass das mit der Rückerstattung verfolgte Ziel der Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung (vgl. MEYER-BLASER, a.a.O., S. 477) oftmals selbst dann unerreicht bleibt, wenn die rückerstattungspflichtige Person über geäufnete Mittel verfügt. Insofern sind die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgetragenen Bedenken begründet. Die bisherige Praxis verkennt namentlich, dass sich die finanzielle Situation in der Regel grundsätzlich anders gestaltet, wenn neben den laufenden Einkünften zusätzliche Mittel vorhanden sind, welchem Umstand bei der nach den gesamten wirtschaftlichen Verhältnissen des Rückerstattungspflichtigen vorzunehmenden Beurteilung der Zumutbarkeit der Rückerstattung Rechnung zu tragen ist (vgl. BGE 107 V 80 Erw. 3b). Darüber hinaus führt sie im Ergebnis zu einer unhaltbaren Bevorteilung jener Versicherter, die nach der Festsetzung ihres Ergänzungsleistungsanspruchs in den Genuss rückwirkend ausgerichteter zusätzlicher Leistungen gelangen. Würden nämlich diese Versicherungsleistungen - statt aufs Mal - fortlaufend ausgerichtet, käme es zur entsprechenden Anpassung der Ergänzungsleistungen (Art. 25 ELV) und damit nicht zu einer eigentlichen Überentschädigung, während bei unterbliebener Meldung (Art. 24 ELV) ein Erlass mangels guten Glaubens in aller Regel ohnehin ausser Betracht fallen dürfte. Abgesehen davon lässt sich der vorliegende Fall aufgrund seiner Umstände in gewisser Hinsicht mit ![]() | 20 |
d) Nach dem Gesagten ist die bisherige Rechtsprechung dahin zu präzisieren, dass die Rückerstattung im Falle rückwirkend ausgerichteter Rentennachzahlungen insoweit keine grosse Härte darstellen kann, als die aus den entsprechenden Nachzahlungen stammenden Mittel im Zeitpunkt, in dem die Rückzahlung erfolgen sollte (dazu BGE 116 V 12 Erw. 2a), noch vorhanden sind. Diese Präzisierung bezieht sich indes nur auf jene Fälle, in denen dem Versicherten im nachhinein zusätzliche Leistungen aus Ansprüchen zufliessen, die sich bezüglich ihrer zeitlichen Bestimmung mit dem vorangegangenen Ergänzungsleistungsbezug decken und dessen Unrechtmässigkeit erst zutage treten lassen. In allen anderen Fällen bleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung, wonach allenfalls vorhandene Vermögenswerte bei der Prüfung der grossen Härte gemäss Art. 60 AHVV zu berücksichtigen sind.
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Gegen die hier vorgeschlagene Lösung mag wohl angeführt werden, dass sich das Eidg. Versicherungsgericht in einem früheren Urteil ausdrücklich gegen eine Beschränkung der Rückerstattung auf die ungerechtfertigte Bereicherung wandte, weil eine solche Lösung nicht nur den sparsamen Versicherten benachteilige, sondern auch mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden wäre (BGE 107 V 83 Erw. 5b). Indes dürften sich Probleme dieser Art in Grenzen halten, während gegenüber jener Benachteiligung das allgemeine öffentliche Interesse an der Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung überwiegt. Mit dieser Neubewertung wird im übrigen ein im geltenden Ergänzungsleistungsrecht zwar nicht ausdrücklich verankerter, diesem aber eigener Wesenszug stärker als bisher betont, dass nämlich die Ergänzungsleistungen je nach Sachlage gleichsam Vorschusscharakter aufweisen können (vgl. auch Art. 85bis IVV). So wäre der Ergänzungsleistungsanspruch der Beschwerdegegnerin - wie bereits erwähnt (Erw. 4a) - nach der Anmeldung keineswegs tiefer bemessen worden, wenn die Durchführungsstelle um die erst in Zukunft anfallenden zusätzlichen ![]() | 22 |
7. Nach dem Gesagten hält der angefochtene Gerichtsentscheid - soweit er hier zu überprüfen ist - sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis nicht stand. Denn die Beschwerdegegnerin erhielt nachträglich für einen Zeitraum Invalidenleistungen ausgerichtet, für den sie bereits Ergänzungsleistungen bezogen hatte. Infolgedessen fällt ein Erlass ausser Betracht, soweit sie im Zeitpunkt der entsprechenden Rückerstattung noch über Mittel aus der Nachzahlung verfügte.
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