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55. Urteil vom 6. November 1996 i.S. Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit gegen A. und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 95 Abs. 1 AVIG, Art. 30 AVIV, Art. 74quater IVV, Art. 58 VwVG. Sind formlos zugesprochene, d.h. faktisch verfügte Leistungen noch nicht rechtsbeständig geworden, kann die Verwaltung darauf grundsätzlich ohne Rechtstitel (Wiedererwägung oder prozessuale Revision) zurückkommen. | |
Sachverhalt | |
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B.- In Gutheissung der hiegegen eingereichten Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den angefochtenen Verwaltungsakt vom 7. Oktober 1994 auf, und es wies die Sache an die Kasse zurück, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre und die Differenzzahlung vornehme (Entscheid vom 30. Mai 1995).
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides.
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A. hat sich nicht vernehmen lassen; die Arbeitslosenkasse trägt auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Gemäss einem allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts kann die Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (BGE 119 V 183 Erw. 3a, 477 Erw. 1 a, je mit Hinweisen).
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Diese für die Wiedererwägung formell rechtskräftiger Verfügungen massgebenden Voraussetzungen gelten auch mit Bezug auf die Rückerstattung zu Unrecht bezogener Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung gemäss Art. 95 AVIG (BGE 110 V 179 mit ![]() | 9 |
Bei faktischem Verwaltungshandeln sind jedoch die Rückkommenstitel der Wiedererwägung oder prozessualen Revision nur erforderlich, wenn die in Frage stehende Taggeldabrechnung auch vom Versicherten nicht mehr beanstandet werden kann, das Verwaltungshandeln vielmehr eine mit dem Ablauf der Beschwerdefrist bei formellen Verfügungen eintretende vergleichbare Rechtsbeständigkeit erreicht hat. Entsprechend der im Bereich des KUVG entwickelten, auf den Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit beruhenden Praxis kann die Rechtsbeständigkeit als eingetreten gelten, wenn anzunehmen ist, ein Versicherter habe sich mit einer getroffenen Regelung abgefunden. Dies ist nach der Rechtsprechung dann der Fall, wenn er sich nicht innert (nach den Umständen) angemessener Überlegungs- und Prüfungsfrist dagegen verwahrt (BGE 110 V 168 Erw. 2b; RKUV 1990 Nr. K 835 S. 82 Erw. 2a, 1988 Nr. K 783 S. 395 Erw. 3a mit Hinweisen; vgl. auch BGE 107 V 191 Erw. 1). Vorher darf die Verwaltung unter Vorbehalt des Vertrauensschutzes (BGE 116 V 298) grundsätzlich frei, d.h. ohne Bindung an Wiedererwägung oder Revision, auf ihre Abrechnung zurückkommen (MEYER-BLASER, Die Rückerstattung von Sozialversicherungsleistungen, in: ZBJV 131/1995 S. 498 Fn. 125), so gut wie es ihr zusteht, während laufender Rechtsmittelfrist voraussetzungslos auf eine formelle Verfügung zurückzukommen (BGE 107 V 191 f.; vgl. auch BGE 121 II 276 Erw. 1a/aa mit zahlreichen Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung).
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5. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass das Einkommen, welches der Beschwerdegegner als selbständiger Musiklehrer verdient, grundsätzlich als Zwischenverdienst im Sinne von Art. 24 AVIG anzurechnen ist. Da die Abrechnung für August 1994 damals vom Versicherten bei Nichteinverständnis noch hätte beanstandet werden können, war sie nicht rechtsbeständig geworden, als die ![]() | 12 |
a) Das kantonale Gericht hat die Beschwerde unter Bezugnahme auf GERHARDS (Arbeitslosenversicherung: "Stempelferien", Zwischenverdienst und Kurzarbeitsentschädigung für öffentliche Betriebe und Verwaltungen - Drei Streitfragen, in: SZS 1994 S. 321, insbes. S. 346) sowie die bundesamtlichen Weisungen betreffend Behandlung von Zwischenverdiensteinkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit (ALV-Praxis 94/1 vom 15. Dezember 1994, Blatt 3/12) geschützt mit der Begründung, die Anwendung des Entstehungs- oder Fakturierungsprinzips, d.h. des Zeitpunkts, in welchem das Einkommen verrechnet, aber noch nicht eingegangen sei, erscheine nicht als vertretbar, da es dazu führe, dass dem Versicherten ein Einkommen angerechnet werde, obwohl der Eingang der Zahlung auf sich warten lasse. Damit aber laufe er Gefahr, keine oder nur geringe Differenzzahlungen zu erhalten, von denen er nicht leben könne. Aus diesen schutzrechtlichen Überlegungen heraus sei das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit erst in jener Kontrollperiode zu berücksichtigen, in der es tatsächlich anfalle.
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Demgegenüber bringt das BIGA im wesentlichen vor, es sei mittlerweile zur Überzeugung gelangt, dass das von ihm in den erwähnten Weisungen als massgeblich erachtete Realisierungsprinzip mit Sinn und Zweck der Zwischenverdienstregelung nicht vereinbar sei. Insbesondere widerspreche es dem Gleichbehandlungsgebot, da Zwischenverdiensteinkommen aus einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nach dem Entstehungsprinzip behandelt würden. Bei diesen Lohnempfängern erfolge nämlich die Anrechnung des Zwischenverdienstes für die in der jeweiligen Kontrollperiode erbrachte geldwerte Arbeitsleistung ohne Rücksicht auf den Realisierungszeitpunkt, d.h. unabhängig davon, ob der Lohn verspätet zur Auszahlung gelange. Entscheidend sei daher nicht, in welchem Zeitpunkt das Entgelt in die Verfügungsgewalt des Versicherten übergehe, sondern wann der wirtschaftliche Wert für die Arbeits- oder Dienstleistung erbracht bzw. entstanden sei.
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b) Der Auffassung des Bundesamtes ist im Ergebnis beizupflichten. Als der für die Berechnung des Taggeldes zugrunde zu legende (Art. 22 Abs. 1 AVIG) versicherte Verdienst gilt gemäss Art. 23 ![]() | 15 |
Zwar ist nicht zu verkennen, dass durch die Anrechnung ausstehender Zahlungen das Ersatzeinkommen des Versicherten geschmälert wird. Es ist aber nicht Sache der Arbeitslosenversicherung, solche Ausstände zu "bevorschussen" und alsdann wieder - sei es direkt vom Versicherten, sei es (über das Rechtsinstitut der Zession) von dessen Schuldner - zurückzufordern. Vielmehr obliegt es dem Ansprecher selber, dafür zu sorgen, dass er durch entsprechende ![]() | 16 |
c) Im Lichte des Gesagten hat die Arbeitslosenkasse die von den Musikschülern für die Monate August und September 1994 geschuldeten Entgelte zu Recht in denjenigen Kontrollperioden berücksichtigt, in welchen der Beschwerdegegner seine Leistung erbracht hat. Der vorinstanzliche Entscheid ist daher in diesem Punkt aufzuheben.
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