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64. Auszug aus dem Urteil vom 19. August 1996 i. S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt gegen M. und Versicherungsgericht des Kantons Aargau | |
Regeste |
Art. 18 UVG, Art. 28 Abs. 4 UVV. |
- Die Anwendung von Art. 28 Abs. 4 UVV ist auch bei Versicherten im "vorgerückten Alter" erst dann zu erwägen und durch entsprechende Abklärungen zu ergründen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der physiologischen Altersgebrechlichkeit verglichen mit den anderen invalidisierenden Ursachen eine wesentliche Bedeutung zukommt. |
- Gemäss Art. 28 Abs. 4 UVV ist sowohl bezüglich des Validen- als auch des Invalideneinkommens von den Verhältnissen eines Versicherten mittleren Alters auszugehen. | |
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2. a) Die hier streitige Invaliditätsbemessung stützte sich in medizinischer Hinsicht auf die Ergebnisse der ärztlichen Abschlussuntersuchung vom 27. September 1993. Darin wurde eine verminderte Belastbarkeit des rechten dominanten Handgelenks festgehalten und im übrigen geschlossen, dass dem Beschwerdegegner eine schwere Arbeit mit der betroffenen Hand nicht mehr zugemutet werden könne. Nach Hinweis auf ![]() | 2 |
Ausgehend hievon schritt die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) zu einem Einkommensvergleich (Art. 18 Abs. 2 UVG), wobei sie als Valideneinkommen, mithin als das ohne Invalidität erzielbare Einkommen, Fr. 56'469.-- einsetzte, was dem Betrag entsprach, den der Beschwerdegegner bei seiner früheren Arbeitgeberin hätte erzielen können. Verglichen mit dem trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung zumutbarerweise erzielbaren Invalideneinkommen, das sie in ihrer Verfügung vom 11. April 1994 auf Fr. 42'900.-- festsetzte, ergab sich ein Invaliditätsgrad von 25 %. Dazu vermerkte die SUVA unter ausdrücklichem Hinweis auf Art. 28 Abs. 4 UVV, dass bei der Rentenfestsetzung das fortgeschrittene Aktivitätsalter, das sich ebenfalls auf die Erwerbsfähigkeit auswirke, nicht berücksichtigt werden könne.
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Diese Invaliditätsbemessung wurde im Rahmen des Einspracheentscheides vom 7. Februar 1995 insofern relativiert, als die SUVA zur Annahme eines höheren Invalideneinkommens von Fr. 47'738.-- gelangte. Dabei handelte es sich um einen Durchschnittswert, der sich auf verschiedene konkrete Arbeitsplatzbeschreibungen mit entsprechenden Lohnangaben abstützte, die bereits anlässlich der Rentenverfügung vorgelegen hatten. Trotz des damit ermittelten geringeren Invaliditätsgrades von rund 15% sah die SUVA davon ab, die ihrer Verfügung zugrundeliegende Invaliditätsbemessung zu berichtigen.
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b) Weil sich der Beschwerdegegner im massgebenden Zeitpunkt des Rentenbeginns bereits im vorgerückten Alter gemäss Art. 28 Abs. 4 UVV befand, hat das kantonale Gericht an diesem Einkommensvergleich bemängelt, dass darin weder die erwerblichen Verhältnisse eines Versicherten mittleren Alters noch die einem solchen zumutbaren Arbeitsleistungen berücksichtigt worden seien. Selbst die kreisärztliche Arbeitsfähigkeitsbeurteilung enthalte keinen Hinweis darauf, ob der versicherte Gesundheitsschaden im Alter von 40 bis 45 Jahren zur gleichen Einschränkung des Leistungsvermögens geführt hätte wie beim Beschwerdegegner. Schliesslich lasse sich auch den Angaben der SUVA über mögliche Verweisungstätigkeiten ![]() | 5 |
c) Hiegegen wendet die SUVA in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde im wesentlichen ein, dass die strittige Invaliditätsbemessung entgegen den vorinstanzlichen Erwägungen gerade nicht gestützt auf Art. 28 Abs. 4 UVV, sondern ohne Rücksicht auf das fortgeschrittene Alter gemäss Art. 18 Abs. 2 UVG erfolgt sei. Inwiefern die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit jener Bestimmung gegeben sein könnten, sei nicht ersichtlich und auch im angefochtenen Gerichtsentscheid nicht dargetan. Selbst wenn Art. 28 Abs. 4 UVV anwendbar wäre, hätte dies - wenigstens vom Verordnungswortlaut her - nicht zwangsläufig zur Folge, dass auch das Valideneinkommen entsprechend dem im mittleren Alter möglichen Verdienst festgelegt werden müsste. Endlich sei auch die vorinstanzliche Kritik an den angegebenen Verweisungstätigkeiten und den daraus abgeleiteten Einkommenszahlen unbegründet. Dabei handle es sich um Anfangslöhne, die keine Alterskomponente enthielten, wogegen die von der Vorinstanz geforderten näheren Angaben zum Alter der betroffenen Versicherten im Vergleich zur ordentlichen Rentenfestsetzung zu einem unverhältnismässigen Aufwand führen würde.
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3. a) Mit Art. 28 Abs. 4 UVV (vgl. Erw. 1b) wird bei der Invaliditätsbemessung zum einen dem Umstand Rechnung getragen, dass nebst der - grundsätzlich allein versicherten - unfallbedingten Invalidität (vgl. Art. 6 sowie auch Art. 18 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 UVG) auch das vorgerückte Alter eine Ursache der Erwerbslosigkeit oder -unfähigkeit bildet (BGE 113 V 135 Erw. 4b mit Hinweis). Denn sehr oft ist ein und derselbe Gesundheitsschaden im Alter aus verschiedenen Gründen wie etwa schlechtere Umschulungs-, Wiedereingliederungs-, Anpassungs- und Angewöhnungsfähigkeit mit wesentlich erheblicheren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit verbunden als bei einem jüngeren Versicherten (RKUV 1990 Nr. U 115 S. 391 oben Erw. 4c; vgl. ferner ZAK 1989 S. 315 Erw. 2b und - eingehender - PETER OMLIN, Die Invalidität in der obligatorischen Unfallversicherung, Freiburger Diss. 1995, S. 235 ff.). Anderseits muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass die Invalidenrenten der Unfallversicherung bis zum Tod der Versicherten zur Ausrichtung gelangen (Art. 19 Abs. 2 UVG), wobei sie nach Vollendung des Alters für die AHV-Rente nicht mehr revidiert werden können (Art. 22 Abs. 1 Satz 2 UVG). Bei ![]() | 7 |
b) Mit der Ausklammerung der auf das Alter entfallenden Erwerbslosigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit beschritt der Verordnungsgeber nicht Neuland (BGE 113 V 136 Erw. 4b). Bereits in der Rechtsprechung zu Art. 91 KUVG war diesem Umstand Rechnung getragen worden, indem physiologische Altersgebrechlichkeit mit Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit als Unfallfremder Zustand behandelt wurde und Anlass zu einer Kürzung der Leistungen bildete (EVGE 1967 S. 148 Erw. 3b). Allerdings wurde damals der Invaliditätsgrad unter Berücksichtigung auch der unfallfremden Faktoren global festgesetzt und erst hernach die unfallfremde Komponente auf dem Wege der Kürzung ausgeschieden (BGE 105 V 207 Erw. 2 mit Hinweis). Demgegenüber trägt das geltende neue Recht dem Alter unter den in Art. 28 Abs. 4 UVV genannten Voraussetzungen bereits bei der Ermittlung des Invaliditätsgrades Rechnung, und zwar in der Weise, dass Massstab für die Ermittlung der hypothetischen Erwerbseinkommen mit und ohne Invalidität ein Versicherter im mittleren Alter ist (zum Ganzen vgl. BGE 113 V 136 Erw. 4b). Indes soll das in Art. 28 Abs. 4 UVV verankerte Vorgehen bei der Bemessung der Invalidität keinen wesentlich weiteren Anwendungsbereich haben als die früher über Art. 91 KUVG erfolgte Berücksichtigung des Altersfaktors. Folglich setzt seine Anwendung voraus, dass der physiologischen Altersgebrechlichkeit im gesamten Ursachenspektrum der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit eine im Vergleich zur unfallbedingten Körperschädigung wesentliche Bedeutung zukommt (RKUV 1990 Nr. U 115 S. 390 Erw. 4b).
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4. a) Im vorliegenden Fall besteht kein Zweifel, dass die SUVA die streitige Invaliditätsbemessung gerade nicht nach Art. 28 Abs. 4 UVV ![]() | 9 |
b) Nebst der fehlenden Motivation des Beschwerdegegners dürfte es denn auch vor allem diese Arbeitsmarktsituation gewesen sein, die seiner Wiedereingliederung hinderlich war, nachdem er die Stelle bei der X AG verloren hatte. Während das Fehlen der Motivation kaum auf das Alter, hingegen - wie insbesondere dem kreisärztlichen Bericht vom 26. Juli 1993 zu entnehmen ist - hauptsächlich auf eine gewisse Anspruchshaltung zurückzuführen war, verhält es sich in bezug auf die Arbeitsmarktsituation anders. Insofern war die Vermittelbarkeit des Beschwerdegegners nicht nur wegen der Unfallfolgen, sondern naturgemäss gerade auch aufgrund des Alters beeinträchtigt. Dennoch, ja gerade deshalb wäre die Annahme verfehlt, der Beschwerdegegner hätte die Erwerbstätigkeit "altershalber" nicht mehr aufgenommen und damit den ersten der beiden in Art. 28 Abs. 4 UVV (Variante I) enthaltenen Tatbestände verwirklicht. Abgesehen davon, dass ein endgültiger Rückzug aus dem Erwerbsleben trotz anhaltender Stellenlosigkeit nicht erstellt ist, kommt dem Altersfaktor unter den hier gegebenen Umständen nur mittelbare Bedeutung zu (RKUV 1996 Nr. U 244 S. 144). Denn anders als dort, wo der Entschluss zur Aufgabe der Erwerbstätigkeit schon vor dem Unfall feststand, oder dort, wo ein Versicherter von sich aus eine innegehabte Stelle preisgibt, steht hier die Situation auf dem realen Arbeitsmarkt im Vordergrund, was gegen die Anwendung von Art. 28 Abs. 4 UVV (Variante I) spricht (OMLIN, a.a.O., S. 250).
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d) Nach Lage der Akten sind keine Anzeichen dafür ersichtlich, dass sich das Alter in der dargelegten Weise erheblich ausgewirkt haben könnte:
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aa) Dies betrifft zunächst die ärztliche Abschlussuntersuchung vom 27. September 1993 mit der darin - nach einleitendem Hinweis auf den guten Allgemeinzustand des Beschwerdegegners und dessen mangelnde Kooperation - festgehaltenen verminderten Belastbarkeit des rechten dominanten Handgelenks. Obwohl dabei im Rahmen der abschliessenden Zumutbarkeitsbeurteilung auf eine gewisse Beeinträchtigung des Leistungsvermögens erkannt worden sein mag (vgl. Erw. 2a), lassen die kreisärztlichen Ausführungen keine Zweifel offen, dass der Beschwerdegegner namentlich mit Motivationsproblemen zu kämpfen hat, die mit seinem Alter nichts zu tun haben und für die Höhe des Rentenanspruchs - jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen - nicht von Belang sind. Daneben ist zu erwähnen, dass die beim Unfall erlittenen Verletzungen von verschiedenen ![]() | 13 |
bb) Was sodann die erwerblichen Auswirkungen anbelangt, kommt dem Altersfaktor ebenfalls keine erhebliche Bedeutung zu. Insbesondere liesse sich gegenüber dem nach Massgabe des am letzten Arbeitsplatz real erzielten Verdienstes festgesetzten Valideneinkommen der Vorwurf nicht halten, es sei insofern von überhöhten Werten ausgegangen worden. Denn der Beschwerdegegner war im Zeitpunkt seines Unfalles erst seit zwei Jahren für die X AG tätig gewesen, weshalb sein Gehalt nicht durch langjährige Betriebstreue mitbestimmt gewesen sein konnte; ebensowenig bestehen Anzeichen dafür, dass dies aufgrund langjähriger oder besonders wertvoller Berufserfahrung der Fall gewesen wäre, nachdem der früher vor allem im Tunnelbau tätige Beschwerdegegner nach relativ kurzer Zeit in der Fabrik offenbar nicht als Facharbeiter im Einsatz stand und infolge Arbeitsrückganges einige Monate vor dem Unfall gar von der Giesserei in die Dreherei versetzt werden musste.- In bezug auf das Invalideneinkommen ist sodann nicht zu beanstanden, dass sich die SUVA bei der Festsetzung an Vergleichswerten aus ihrer Praxis ausrichtete, die über das Alter der betreffenden Versicherten keinen Aufschluss vermitteln. Dafür bestand schon deshalb keine Notwendigkeit, weil der Altersfaktor aus medizinischer Sicht keine wesentliche Rolle spielte. Abgesehen davon wurde gerade durch das gewählte Vorgehen vermieden, dass dem Beschwerdegegner - bedingt durch sein "vorgerücktes Alter" - ein zu tiefes Invalideneinkommen angerechnet wurde.
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5. Zusammenfassend ergibt sich, dass das Vorgehen der SUVA unter Berücksichtigung von Art. 28 Abs. 4 UVV nicht zu bemängeln ist. Nachdem sich gegen die im Einspracheentscheid näher begründete Invaliditätsbemessung durch Einkommensvergleich auch sonst nichts einwenden lässt (vgl. Erw. 2a hievor), besteht für zusätzliche Abklärungen kein Anlass. Desgleichen erübrigt es sich, auf die weiteren Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde näher einzugehen. Am Rande sei jedoch erwähnt, dass bei der Anwendung von Art. 28 Abs. 4 UVV - entgegen der von der SUVA vertretenen Auffassung und dem Anschein, der durch eine strikte ![]() | 15 |
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