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67. Urteil vom 22. November 1996 i.S. F. gegen Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Abteilung Arbeitslosenkasse und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 17 Abs. 2 AVIG, Art. 27 Abs. 1 AVIV. |
Der Anspruch auf kontrollfreie Tage ist nicht aufgrund bezogener Taggelder, sondern aufgrund einer zeitmässigen Berechnung, nach Massgabe der Tage zurückgelegter Arbeitslosigkeit, zu bestimmen. | |
Sachverhalt | |
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Mit Verfügung vom 15. September 1994 verneinte das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Abteilung Arbeitslosenkasse, Bern (KIGA), ![]() | 2 |
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 6. März 1995 ab.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt F. für die Woche vom 1. bis 5. August 1994 die Zusprechung von Taggeldern beantragen.
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Die Arbeitslosenkasse verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) schliesst auf Nichteintreten; eventuell sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Gestützt auf diese gesetzliche Grundlage normierte der Bundesrat in Art. 27 Abs. 1 AVIV (in der bis Ende 1991 gültig gewesenen Fassung vom 31. August 1983) unter dem Randtitel "Kontrollfreie Bezugstage" folgendes: "Nach je 75 Tagen kontrollierter Arbeitslosigkeit innerhalb der Rahmenfrist hat der Versicherte Anspruch auf fünf aufeinanderfolgende kontrollfreie Bezugstage, die er frei wählen kann. Während dieser fünf kontrollfreien Bezugstage muss er nicht vermittlungsfähig sein, jedoch die übrigen Voraussetzungen (Art. 8 AVIG) erfüllen."
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Diese Regelung interpretierte die Verwaltung wertmässig, d.h. nach ihrer Auffassung konnte der Versicherte erst nach dem Bezug von 75 vollen Taggeldern in den Genuss von fünf weiteren, nicht der Stempelkontrolle unterliegenden Taggeldern kommen (vgl. BGE 114 V 197 Erw. 2a; GERHARDS, Arbeitslosenversicherung: "Stempelferien", Zwischenverdienst und ![]() | 8 |
b) Im Rahmen einer Überprüfung dieser Praxis stellte das Eidg. Versicherungsgericht fest, dass die Betrachtungsweise der Verwaltung nicht nur den schutzrechtlichen Feriengedanken völlig unbeachtet lässt, sondern auch zu einer rechtsungleichen Behandlung der Versicherten führt, indem jene, die keine vollen Taggelder beziehen, länger darauf warten müssen, bis sie über fünf kontrollfreie Tage verfügen, als Versicherte, die Anspruch auf ein volles Taggeld haben. Das Gericht hat daher entschieden, dass Tage kontrollierter Arbeitslosigkeit, die zu kontrollfreien Bezugstagen berechtigen, nicht wertmässig, sondern zeitmässig - nach der Zahl der Kontrolltage - zu bestimmen seien (BGE 114 V 198 f. Erw. 2c).
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c) Anlässlich der ersten Teilrevision (in Kraft seit 1. Januar 1992) wurde die Verordnungsbestimmung von Art. 27 Abs. 1 AVIV unter dem Randtitel "Kontrollfreie Tage" daraufhin wie folgt neu gefasst: "Nach je 50 bezogenen Taggeldern innerhalb der Rahmenfrist hat der Versicherte Anspruch auf fünf aufeinanderfolgende kontrollfreie Tage, die er frei wählen kann. Während dieser fünf kontrollfreien Tage muss er nicht vermittlungsfähig sein, jedoch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen (Art. 8 AVIG) erfüllen."
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Mit dieser Neuregelung, welche das Kriterium der "Tage kontrollfreier Arbeitslosigkeit" durch jenes der "bezogenen Taggelder" ersetzt, wurde eine Rückkehr zur früheren - vom Eidg. Versicherungsgericht in BGE 114 V 194 als unrechtmässig bezeichneten - Verwaltungspraxis bezweckt, weil sie nach Auffassung des BIGA die Arbeit der Kassen stark vereinfacht und angemessener erscheint. Zur Angleichung der Länge der Stempelferien an die im Arbeitsvertragsrecht getroffene Regelung erfolgte eine Herabsetzung der massgebenden Anzahl Tage von 75 auf 50 (Erläuterungen des BIGA zum Vernehmlassungsentwurf Teilrevision Arbeitslosenversicherungsverordnung; GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. III, S. 1191, N 2 zu Art. 27 AVIV; GERHARDS, Arbeitslosenversicherung, SZS 1994 S. 327).
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Gestützt auf die neue Verordnungsbestimmung von Art. 27 Abs. 1 AVIV hat das KIGA der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 15. September 1994 aufgrund einer wertmässigen Betrachtungsweise bei 127,5 bezogenen Stempeltagen 10 kontrollfreie Bezugstage zugestanden.
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2. a) Die Vorinstanz hat erwogen, da Art. 17 Abs. 2 AVIG dem Verordnungsgeber eine umfassende Regelungskompetenz zur Ordnung der ![]() | 13 |
b) Dem hält die Versicherte in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegen, währenddem sie aufgrund ihrer Tätigkeit bei der S. AG Anspruch auf jährlich vier Wochen Ferien habe, dürfe sie als Teilarbeitslose nach der von der Vorinstanz geschützten Berechnungsart der Verwaltung bei der Arbeitslosenversicherung - im Gegensatz zu einem Vollarbeitslosen, dem nach einem Jahr 20 kontrollfreie Tage zustehen - im gleichen Zeitraum nicht einmal zwei ganze Ferienwochen beziehen. Über die jährlich mindestens vier Ferienwochen, auf welche sie gemäss Art. 329a Abs. 1 OR zwingend Anspruch habe, könne sie wegen der arbeitslosenversicherungsrechtlich vorgeschriebenen Kontrollpflichten somit nicht frei verfügen. Da die kontrollfreien Tage den arbeitsvertraglichen Ferienanspruch für den Bereich der Arbeitslosenversicherung zu gewährleisten habe, dürfe die vom Bundesrat zu treffende Regelung, trotz umfassender Kompetenz, nicht zu einem Eingriff in zwingende Vorschriften des Obligationenrechts führen. Gerade dies treffe indessen zu, wenn der Ferienanspruch nicht nach Kalendertagen, sondern nach geleisteten vollen Arbeitstagen berechnet werde.
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c) Demgegenüber stellt sich das BIGA auf den Standpunkt, dass die Ausübung eines Zwischenverdienstes dem Versicherten mancherlei Vorteile für seine finanzielle Zukunft bringe, indem damit Beitragszeit aufgebaut und der Taggeldbezug geschont werde, wobei das Monatseinkommen immer höher liege als ohne Zwischenverdiensttätigkeit. Wer einen Zwischenverdienst ausübe, sei arbeitslos und habe sich den Normen des Arbeitslosenversicherungsrechts zu unterziehen, wozu auch Art. 27 AVIV gehöre. Kein Erlass könne jedoch verhindern, dass Normen im Einzelfall zu unbefriedigenden Resultaten führten. Im übrigen widerspreche die Verordnungsbestimmung weder der Verfassung noch dem Arbeitslosenversicherungsgesetz. Sodann erachtet es das BIGA als fraglich, ob der mit der Ferienregelung angestrebte Erholungszweck ![]() | 15 |
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b) Die dem Bundesrat in Art. 17 Abs. 2 AVIG übertragene Kompetenz zur Regelung der Kontrollvorschriften ist sehr weit gefasst, weshalb dieser grundsätzlich die Bedingungen frei bestimmen kann, unter denen sich der Arbeitslose der Kontrollpflicht unterziehen muss und unter denen er davon befreit ist. Insofern stellt die gestützt auf diese gesetzliche Grundlage - welche sich zur Frage der Stempelferien nicht äussert - mit Art. 27 Abs. 1 AVIV in der seit 1. Januar 1992 gültigen Fassung getroffene Regelung keinen förmlichen Verstoss gegen die gesetzliche Delegationsnorm dar. Eine Verordnungsvorschrift hat sich indessen nicht nur an den Rahmen der im Gesetz delegierten Kompetenzen zu halten, sie darf auch aus anderen Gründen nicht verfassungs- oder gesetzwidrig sein (BGE 122 V 93 f. Erw. 5a/bb) und somit auch nicht gegen materielle Bestimmungen anderer formeller Bundesgesetze verstossen (KNAPP, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, S. 72, Rz. 335).
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Der Begriff der Ferien im arbeitsvertragsrechtlichen Sinn umfasst sowohl die Gewährung einer zum voraus bestimmten Zahl aufeinanderfolgender freier Tage, die der Erholung dienen, als auch die Bezahlung des darauf entfallenden üblichen Lohnes. Gemäss Art. 329a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 362 OR haben die Arbeitnehmer jedes Dienstjahr Anspruch auf mindestens ![]() | 18 |
Obwohl mit der im Rahmen der ersten Teilrevision vorgenommenen Neuregelung die massgebende Anzahl bezogener Taggelder von 75 auf 50 herabgesetzt wurde, verhindert Art. 27 Abs. 1 AVIV weiterhin die uneingeschränkte Realisierung des durch die Gesetzesrevision vom 16. Dezember 1983 verbesserten Schutzes im Arbeitsvertragsrecht (Art. 329a OR). Zudem muss beispielsweise ein Halbtagsbeschäftigter auch nach der neuen Regelung 400 halbe Taggelder beziehen und somit mehr als ein Jahr arbeiten, ehe er vier Wochen Stempelferien beziehen kann (GERHARDS, Kommentar, S. 1194, N 11 zu Art. 27 AVIV). Auch wenn sich die Versicherten gemäss Art. 21 AVIV nur ![]() | 19 |
c) An eine zeitmässige Lösung wurde auch im AVIG-Entwurf gedacht, welcher den Gedanken der Stempelferien in Art. 16 Abs. 4 (Botschaft zu einem neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980) noch als Gesetzesregel vorsah und dabei von Tagen kontrollierter Arbeitslosigkeit ausging. Werden schliesslich die übrigen - in Art. 18 bis 26 AVIV normierten - bundesrätlichen Kontrollvorschriften zum Vergleich herangezogen, fällt auf, dass diese ebenfalls nicht einen wertmässigen, sondern einen zeitmässigen (Zeitpunkt der Kontrolle, Häufigkeit der Kontrolle, Befreiung von der Kontrollpflicht) Ansatzpunkt aufweisen, was Art. 27 Abs. 1 AVIV als AlV-interne Gesetzwidrigkeit erscheinen lässt (GERHARDS, Kommentar, S. 1193, N 10 zu Art. 27 AVIV; GERHARDS, Arbeitslosenversicherung, SZS 1994 S. 329).
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d) Abgesehen davon drängt sich eine Abkehr von der wertmässigen Regelung der Stempelferien zugunsten einer zeitmässigen Betrachtungsweise auch deshalb auf, weil mit dem durch den dringlichen Bundesbeschluss vom 19. März 1993 eingefügten Art. 16 Abs. 1bis AVIG (in Kraft vom 1. April 1993 bis 31. Dezember 1995) und dem seit 1. Januar 1996 in Kraft stehenden Art. 16 AVIG - bei im hier interessierenden Zusammenhang im wesentlichen unverändertem Art. 17 Abs. 2 AVIG - der Begriff der zumutbaren Arbeit, zu deren Annahme der Versicherte nach Art. 17 Abs. 1 verpflichtet ist, erweitert wurde. Die damit verbundene vermehrte Anwendung der Zwischenverdienstregelung (Art. 24 AVIG) und Ausrichtung entsprechender Differenzzahlungen führt letztlich zum Konsum von weniger Taggeldern pro Kontrollperiode, womit die Möglichkeit des Einzugs von Stempelferien noch ![]() | 21 |
e) Die Beschwerdeführerin macht sodann geltend, die Berechnung der kontrollfreien Tage nach bezogenen Stempeltagen führe zu einer Benachteiligung der Teilarbeitslosen gegenüber den Ganzarbeitslosen und Vollzeitbeschäftigten und verletze somit das Rechtsgleichheitsgebot von Art. 4 Abs. 1 BV.
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In der Tat müssen auch nach der seit Januar 1992 geltenden Fassung von Art. 27 Abs. 1 AVIV Versicherte, die keine vollen Taggelder beziehen, länger darauf warten, bis sie über fünf kontrollfreie Tage verfügen können, als jene, die Anspruch auf ein volles Taggeld haben, obschon sie in gleicher Weise auf Stempelferien angewiesen sind und arbeitsvertragsrechtlich Teil- und Vollzeitbeschäftigte bezüglich des Ferienanspruchs gleich behandelt werden. Die Neuregelung hat somit die vom Eidg. Versicherungsgericht in BGE 114 V 199 Erw. 2c gerügte, durch nichts begründbare, rechtsungleiche Behandlung nicht beseitigt. Damit erweist sich die zu überprüfende Verordnungsbestimmung nicht nur als gesetz-, sondern auch als verfassungswidrig.
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4. Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die der Beschwerdeführerin zustehenden Stempelferien aufgrund einer zeitmässigen Berechnung, nach Massgabe der Tage zurückgelegter Arbeitslosigkeit, zu bestimmen sind. In diesem Sinne wird die Verwaltung den Taggeldanspruch für die vom 18. Juli bis 5. August 1994 bezogenen Ferien neu festzusetzen haben.
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