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2. Urteil vom 17. April 1997 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen F. und Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden | |
Regeste |
Art. 5 Abs. 2 AHVG: Massgebender Lohn. | |
Sachverhalt | |
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Mit Verfügung vom 17. Mai 1995 verhielt die AHV-Ausgleichskasse des Schweizerischen Konditor-Confiseurmeister-Verbandes F. dazu, auf der gemäss Gerichtsurteil geleisteten Zahlung paritätische Sozialversicherungsbeiträge (AHV/IV/EO und ALV) von Fr. 1266.85 (mit Verwaltungskosten) zu entrichten.
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B.- In Gutheissung der dagegen geführten Beschwerde hob das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden die Kassenverfügung mit der Begründung auf, es handle sich bei der Entschädigung nach Art. 336a OR nicht um massgebenden Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung (Entscheid vom 2. Oktober 1995).
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C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) beantragt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides.
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Die Ausgleichskasse unterstützt sinngemäss diesen Antrag unter Hinweis darauf, dass ihr Vorgehen in Einklang mit der Praxis des BSV und anderer Kassen stehe. F. lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
1. Nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 AHVG werden vom Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit, dem massgebenden Lohn, Beiträge erhoben. Als massgebender Lohn gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt jedes Entgelt für in unselbständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begrifflich sämtliche Bezüge des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis fortbesteht oder gelöst worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden oder freiwillig erfolgen. Als beitragspflichtiges Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit gilt somit nicht nur unmittelbares Entgelt für geleistete Arbeit, sondern grundsätzlich jede Entschädigung oder Zuwendung, die sonstwie aus dem Arbeitsverhältnis bezogen wird, soweit sie nicht kraft ausdrücklicher ![]() | 6 |
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Die in Art. 336a und 337c Abs. 3 OR geregelten "Entschädigungen" stimmen in ihrer Rechtsnatur überein (BGE 120 II 245 Erw. 3b und 247 unten Erw. 3e, vgl. ferner BGE 121 III 66 Erw. 2a, BGE 116 II 301 Erw. 5a). Es handelt sich dabei - ungeachtet des Gesetzeswortlauts - nicht um Schadenersatz (vgl. Art. 336a Abs. 2 Satz 2 OR und 337c Abs. 1 OR), sondern um Strafzahlungen für das durch die missbräuchliche Kündigung oder die ungerechtfertigte Entlassung zugefügte Unrecht (BGE 120 II 214 Erw. 9b, BGE 119 II 160 Erw. 2b, BGE 118 II 167 Erw. 4b/dd, BGE 116 II 301 Erw. 5a; vgl. sodann den Randtitel von Art. 336a OR: "Sanktionen"). Neben diesem auf Prävention angelegten pönalen Charakter soll damit auch die seelische Unbill desjenigen angemessen abgegolten werden (BGE 118 II 167 Erw. 4b/dd), der durch die missbräuchliche oder ungerechtfertigte Auflösung des Arbeitsverhältnisses in seiner Persönlichkeit verletzt wurde (BGE 116 II 301 Erw. 5a mit Hinweisen auf die Materialien). Insofern hat das Bundesgericht in bezug auf Art. 337c Abs. 3 OR erkannt, dass der Grund des Entschädigungsanspruchs in der Verletzung absoluter Persönlichkeitsrechte liegt (BGE 121 III 68 Erw. 3c; SJ 1995 S. 805 Erw. 4a).
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b) Soweit sich das Schrifttum zur Rechtsnatur der "Entschädigungen" gemäss Art. 336a OR und 337c Abs. 3 OR äussert, besteht Uneinigkeit lediglich hinsichtlich des Genugtuungscharakters, der von einigen Autoren aus ![]() | 9 |
Einige der genannten Autoren verweisen darauf, dass "Entschädigungen" im Sinne von Art. 336a und 337c Abs. 3 OR wegen ihres fehlenden Lohncharakters weder vom Verrechnungsverbot gemäss Art. 323b Abs. 2 OR noch vom Pfändungsschutz nach Art. 93 SchKG erfasst würden; aus demselben Grund würden sie auch von der Insolvenzentschädigung gemäss Art. 51 AVIG nicht gedeckt. Hingegen genössen sie - da es sich um eine Forderung aus dem Arbeitsverhältnis handle - das Konkursprivileg erster Klasse gemäss Art. 219 SchKG (statt vieler: BRÜHWILER, a.a.O., N. 1 zu Art. 336a und N. 10 zu Art. 337c OR; STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 2 zu Art. 336a OR; VISCHER, a.a.O., S. 172 Fn. 72; in diesem Sinne bereits die bundesrätliche Botschaft zur Volksinitiative "betreffend Kündigungsschutz im Arbeitsvertragsrecht" ... vom 9. Mai 1984, BBl 1984 II 601).
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3. a) Die hier streitige Frage der Beitragspflicht auf "Entschädigungen" gemäss Art. 336a (und Art. 337c Abs. 3) OR ist vom Eidg. Versicherungsgericht bis heute noch nie beurteilt worden. Die Vorinstanz hat ihren Entscheid, die vom Beschwerdegegner ausgerichtete "Entschädigung" nach Art. 336a OR vom massgebenden Lohn gemäss Art. 5 Abs. 1 und 2 AHVG ![]() | 11 |
b) Das BSV verweist in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde hierauf sowie auf den Widerspruch, der sich daraus ergebe, dass die herrschende Lehre die Beitragspflicht - anders als bei Art. 336a und 337c Abs. 3 OR - auf der Entschädigung gemäss Art. 337c Abs. 1 OR bejahe, obwohl es sich dabei ebenfalls nicht um eine Lohnforderung handle (vgl. statt vieler: BRÜHWILER, a.a.O., N. 5 zu Art. 337c OR mit Hinweisen; ENGEL, a.a.O., S. 354 f.).
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Ein solcher Widerspruch liegt freilich nur dann vor, wenn das Problem auf die begriffliche Ebene reduziert wird (THOMAS KOLLER, Ordentliche, fristlose und missbräuchliche Kündigung des Arbeitsvertrages, AJP 10/95 S. 1266). Denn bei Art. 337c Abs. 1 OR (vgl. Erw. 2a) geht es zwar nicht um Lohn, jedoch um Schadenersatz für den durch die ungerechtfertigte fristlose Kündigung entstandenen Lohnausfall (BGE 120 II 245 Erw. 3b, BGE 117 II 271 Erw. 3b; vgl. ferner BGE 121 III 67 unten Erw. 2b). Aufgrund dieses Lohnersatzcharakters besteht im Vergleich zu den Strafzahlungen gemäss Art. 336a und 337c Abs. 3 OR (vgl. Erw. 2) ein sachlicher Unterschied, der sich auch in beitragsrechtlicher Sicht auswirken könnte. Wie es sich damit verhält, bleibt im folgenden zu prüfen.
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b) Nachdem das Eidg. Versicherungsgericht die für den Verzicht auf die Ausübung einer Tätigkeit ausgerichtete Entschädigung bereits mit EVGE 1950 ![]() | 15 |
Diese von der Verwaltungspraxis (vgl. Rz. 2083 f. der Wegleitung des BSV über den massgebenden Lohn [WML], gültig ab 1. Januar 1996) rezipierte Rechtsprechung wurde in der Folge verschiedentlich bestätigt (ZAK 1959 S. 431 Erw. 2, 1961 S. 33 Erw. 2a und ZAK 1968 S. 400). Unter Bezugnahme hierauf erkannte das Eidg. Versicherungsgericht in Abkehr von seiner früheren Sichtweise (EVGE 1950 S. 206), dass Konkursdividenden auf Forderungen des Arbeitnehmers, die diesem wegen konkursbedingter vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses zustehen, massgebenden Lohn darstellen (BGE 102 V 156). Zum gleichen Ergebnis gelangte es schliesslich sowohl im Falle einer "Barauszahlung aus Freistellung" an einen ehemaligen Direktor (AHI 1994 S. 262 ff.) als auch bezüglich der Entschädigung eines Arbeitnehmers für den Verlust der noch nicht angetretenen Stelle (AHI 1997 S. 22 f.).
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