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6. Urteil vom 7. März 1997 i.S. Fürsorgeamt der Stadt Zürich gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich betreffend L. | |
Regeste |
Art. 85bis IVV, Art. 104 lit. a OG, Art. 4 Abs. 1 BV |
- Diese Bestimmung ist intertemporalrechtlich auf alle im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens (1. Januar 1994) hängigen Fälle anwendbar. |
- Die im Rahmen vorfrageweiser Prüfung vertretene Auffassung der kantonalen Instanz, wonach das zürcherische Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe vom 14. Juni 1981 (Sozialhilfegesetz) kein eindeutiges Rückforderungsrecht im Sinne von Art. 85bis Abs. 2 lit. b IVV enthalte, ist nicht willkürlich und verletzt daher Bundesrecht nicht. | |
Sachverhalt | |
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert das Fürsorgeamt seinen im vorinstanzlichen Verfahren gestellten Antrag.
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Die Zweigstelle Zürich der kantonalen Ausgleichskasse und die Ausgleichskasse des Kantons Zürich schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV), das sich gegenüber dem Fürsorgeamt bereits mit Schreiben vom 3. Juni 1994 zur Sache geäussert hatte, und die als Mitinteressierte zur Stellungnahme eingeladenen Erben der Versicherten haben sich nicht vernehmen lassen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Im Lichte der Rechtsprechung gemäss BGE 118 V 88 ist das Drittauszahlungsbegehren des beschwerdeführenden Fürsorgeamtes unbegründet. Denn unbestrittenermassen liegt keine erst nach der Beschlussfassung durch die Invalidenversicherungs-Kommission erteilte Zustimmung zur Drittauszahlung der Rentenbetreffnisse vor.
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2. Die kantonale Rekurskommission hat die streitige Drittauszahlung indessen auch aufgrund des auf den 1. Januar 1994 in Kraft gesetzten Art. 85bis IVV geprüft, welcher den Randtitel "Nachzahlungen an bevorschussende Dritte" trägt. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung können Arbeitgeber, Einrichtungen der beruflichen Vorsorge, Krankenversicherungen, öffentliche und private Fürsorgestellen oder Haftpflichtversicherungen mit Sitz in der Schweiz, welche im Hinblick auf eine Rente der Invalidenversicherung Vorschussleistungen erbracht haben, verlangen, dass die Verrechnung der ![]() | 8 |
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a) Das Eidg. Versicherungsgericht hat in seiner Rechtsprechung - in Übereinstimmung mit jener des Bundesgerichts und der Doktrin - immer wieder den intertemporalen Grundsatz bestätigt, dass der Beurteilung einer Sache jene Rechtsnormen zugrunde zu legen sind, die in Geltung standen, als sich der zu den materiellen Rechtsfolgen führende und somit rechtserhebliche Sachverhalt verwirklichte (vgl. BGE 122 V 36 Erw. 1 mit Hinweis).
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Bei zusammengesetzten Tatbeständen, d.h. bei Rechtsnormen, welche den Eintritt der in ihr vorgesehenen Rechtsfolge von der Verwirklichung mehrerer subsumtionsrelevanter Sachverhaltselemente abhängig machen, hat die Rechtsprechung erkannt, dass für die Entscheidung der intertemporalrechtlichen Anwendbarkeit massgeblich ist, unter der Herrschaft welcher Norm sich der Sachverhaltskomplex schwergewichtig, überwiegend ereignet hat (vgl. AHI 1995 S. 3 ff., 1994 S. 140 f. Erw. 5, je mit Hinweisen).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die kantonale Rekurskommission im angefochtenen Entscheid zum Schluss gelangt, dass Art. 85bis IVV vorliegend intertemporalrechtlich nicht anwendbar sei, nachdem sich die streitigen Nachzahlungen vollumfänglich auf Zeitabschnitte bezögen, in denen die fragliche Verordnungsbestimmung noch nicht in Kraft stand. Das ![]() | 12 |
b) Bei den wiedergegebenen intertemporalrechtlichen Regeln handelt es sich um Richtlinien, die nicht stereotyp anzuwenden sind. Vielmehr entscheidet sich auch die Frage nach der intertemporalrechtlichen Geltung einer Norm primär nach den allgemeinen, anerkannten Auslegungsgrundsätzen. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass Regelungsgegenstand des Art. 85bis IVV die Drittauszahlung als solche darstellt, nicht das ihr zugrunde liegende Substrat, nämlich die nachzuzahlende Invalidenrente. Ab 1. Januar 1994 können die in Art. 85bis Abs. 1 IVV erwähnten Berechtigten, welche Vorschussleistungen erbracht haben, verlangen, dass die Rentennachzahlung bis zur Höhe ihrer Vorschussleistungen verrechnungsweise an sie ausbezahlt wird. Art. 85bis IVV ist die Antwort des Verordnungsgebers auf BGE 118 V 88, worin das Eidg. Versicherungsgericht auf die fehlende gesetzliche Grundlage einer allein auf die zum voraus erteilte Einwilligung abstellenden Drittauszahlung gemäss damaliger Verwaltungspraxis hinwies (BGE 118 V 92 Erw. 2b). Der Wille des Verordnungsgebers ist klar feststellbar (AHI 1994 S. 59 f. mit Hinweis auf AHI 1993 S. 87 = BGE 118 V 88) und geht dahin, Drittauszahlungsgesuchen von den in Art. 85bis Abs. 1 IVV erwähnten Institutionen die erforderliche materiellrechtliche Grundlage zu verleihen. Dieses Ziel der Verordnungsnovelle würde auf Jahre hinaus vereitelt, wenn für die intertemporalrechtliche Anwendbarkeit nicht auf das Drittauszahlungsbegehren und den Entscheid darüber, sondern darauf abgestellt würde, auf welche (zurückliegenden) Zeitabschnitte sich die nachzuzahlenden Rentenbetreffnisse beziehen.
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c) Selbst wenn man in dieser intertemporalrechtlichen Anwendung von Art. 85bis IVV eine echte Rückwirkung erblicken wollte, wäre eine solche im vorliegenden Zusammenhang als zulässig zu erachten (HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des allgemeinen Verwaltungsrechts, 2. Aufl., Zürich 1993, S. 62 f., N. 268 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Indem den in Abs. 1 ![]() | 14 |
Art. 85bis IVV ist demnach im vorliegenden Verfahren, entgegen der vorinstanzlichen Auffassung, intertemporalrechtlich anwendbar.
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4. Normenkontrollrechtlich ist Art. 85bis IVV als rechtsbeständig, d.h. als gesetzes- und verfassungskonform zu betrachten. Die BGE 118 V 88 zugrunde liegende Verwaltungspraxis konnte nur deswegen nicht vollumfänglich als rechtmässig bestätigt werden, weil sie auf keiner (materiellrechtlichen) Grundlage beruhte. Die Drittauszahlung gemäss dargelegter Praxis bestand zwar nicht contra, aber doch praeter legem (BGE 118 V 92 Erw. 2b), da sie sich nicht auf eine Gesetzesgrundlage zu stützen vermochte, die sie von der formellgesetzlich vorgesehenen Unabtretbarkeit gemäss Art. 50 IVG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 AHVG ausgenommen hätte (in der bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen Fassung; vgl. nunmehr den mit Wirkung ab 1. Januar 1997 [10. AHV-Revision] eingefügten Abs. 2, welcher die Nachzahlung bei Vorschussleistungen generell vom Abtretungsverbot des Art. 20 Abs. 1 AHVG ausnimmt). Nun behält aber Art. 20 Abs. 1 Satz 3 AHVG die Vorschriften über die Gewährleistung zweckentsprechender Rentenverwendung vor (im AHV-Bereich Art. 45 AHVG, für ![]() | 16 |
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a) Der bevorschussende Charakter der während Jahren zugesprochenen Sozialhilfeleistungen ist in Anbetracht der von der Versicherten am 4. Mai 1983 und 15. Oktober 1985 unterzeichneten Drittauszahlungsgesuche eindeutig erstellt.
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b) Dass das Fürsorgeamt das Formular 318.182 "Gesuch um Rentenauszahlung an eine Drittperson oder Behörde" verwendet hat, lässt sich entgegen der vorinstanzlichen Auffassung ebenfalls nicht beanstanden.
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c) Fraglich ist, ob infolge der Rentennachzahlung ein eindeutiges Rückforderungsrecht abgeleitet werden kann, wie es Art. 85bis Abs. 2 lit. b IVV verlangt, eine Voraussetzung, hinsichtlich welcher sich der Verordnungsgeber augenscheinlich an BGE 118 V 94 Erw. 5 orientiert hat. Freiwillige Leistungen nach Art. 85bis Abs. 2 lit. a IVV scheiden aus, ebenso vertraglich erbrachte Leistungen, handelt es sich doch bei der Sozialhilfe um eine öffentlichrechtliche Leistung. Es fragt sich also einzig noch, ob die zürcherische Sozialgesetzgebung ein eindeutiges Rückforderungsrecht enthält.
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aa) Gemäss § 19 des zürcherischen Gesetzes über die öffentliche Sozialhilfe vom 14. Juni 1981 (Sozialhilfegesetz; SHG) kann die Leistung wirtschaftlicher Hilfe davon abhängig gemacht werden, dass der Hilfesuchende vermögensrechtliche Ansprüche gegenüber Dritten an die Fürsorgebehörde abtritt, soweit sie nicht von Gesetzes wegen übergehen. Hat ein Hilfesuchender Grundeigentum oder andere Vermögenswerte in erheblichem ![]() | 21 |
bb) Das BSV hat in seiner Stellungnahme vom 3. Juni 1994 zuhanden des Fürsorgeamtes ausgeführt, dass die Formulierungen von § 19 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Zürich den formellen Voraussetzungen zur Verrechnung der Nachzahlung der Rente mit erbrachten Vorschussleistungen des Fürsorgeamtes nicht genügen; wohl räume das Sozialhilfegesetz den Fürsorgebehörden unter bestimmten Voraussetzungen ein Rückforderungsrecht ein; dieses richte sich indessen ausschliesslich gegen die fürsorgerisch unterstützten Personen und nicht gegen die Ausgleichskassen.
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Dem hält das Fürsorgeamt in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegen, die Ansicht der Vorinstanz, wonach ihm gestützt auf das Sozialhilfegesetz als Ergebnis vorfrageweiser Prüfung kein eindeutiges Rückforderungsrecht zukomme, so dass Art. 85bis Abs. 2 lit. b IVV nicht zur Anwendung gelange, müsse ebenfalls bestritten werden. Nach Auffassung des Fürsorgeamtes begründet § 19 des Sozialhilfegesetzes, für sich allein gesehen, eine solche Rückerstattungspflicht der Unterstützten nicht; die wirtschaftliche Hilfe könne aber von der Unterzeichnung einer Abtretung zu seinen Gunsten abhängig gemacht werden; der Begriff "Abtretung" in § 19 SHG sei gemäss den Materialien nicht im rechtlichen Sinn von Art. 164 ff. OR zu verstehen; da Invalidenrenten unabtretbar und unverpfändbar seien (Art. 20 Abs. 1 AHVG), erfolge in der Praxis der Sozialberatungen die "Abtretung" durch die Unterzeichnung der Rentendrittauszahlungsformulare; damit gäben die Unterstützten eine eindeutige Willenserklärung ab, dass sie mit der Verrechnung der Nachzahlungen mit den im selben Zeitraum entstandenen Unterstützungsauslagen einverstanden sind; dies sei auch im Fall der Frau L. erfolgt, habe sie sich doch durch die Unterzeichnung des ![]() | 23 |
Die kantonale Rekurskommission ist demgegenüber, allerdings ohne nähere Begründung, davon ausgegangen, dass § 19 SHG kein eindeutiges Rückforderungsrecht infolge der Rentennachzahlung enthalte.
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cc) Wie diese Kontroverse über die Tragweite des kantonalen Rechts zu entscheiden ist, kann offenbleiben. Art. 85bis Abs. 2 lit. b in fine IVV macht die Anwendung dieser Bestimmung und der sich aus ihr ergebenden bundesrechtlichen Rechtsfolge (Drittauszahlung nach Massgabe des Art. 85bis Abs. 3 IVV) von der Beantwortung einer kantonalrechtlichen Vorfrage abhängig, eben davon, ob das einschlägige kantonale Sozialhilfegesetz ein "eindeutiges" Rückforderungsrecht enthält. Diese Pflicht zur vorfrageweisen Prüfung einer kantonalrechtlichen Norm, welche solange stattfinden kann, als nicht ein als Tatbestand wirkender Entscheid der hauptfrageweise zuständigen kantonalen Behörde vorliegt, entspricht ständiger Rechtsprechung und Doktrin (BGE 120 V 382 Erw. 3a, BGE 117 V 250 Erw. 3, BGE 115 V 437 ff.; GRISEL, Traité de droit administratif, Band I, S. 187 ff.). Das ändert aber nichts daran, dass mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur die fehlerhafte Anwendung von Bundesrecht gerügt werden kann (Art. 104 lit. a OG). Der einfache Rechtsfehler, begangen in der Anwendung kantonalen Rechts, bildet als solcher keine Bundesrechtsverletzung. Eine solche liegt erst vor, wenn das kantonale Recht in willkürlicher Weise angewendet wird (BGE 110 V 362 f. Erw. 1b in fine mit Hinweisen). Davon kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Die Verneinung eines eindeutigen kantonalen Rückforderungsrechtes gemäss zürcherischem Sozialhilfegesetz durch die Rekurskommission mag zwar diskutabel sein. Eine schlechthin unhaltbare, damit willkürliche und deshalb bundesrechtswidrige Rechtsauffassung kann darin aber nicht erblickt werden.
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6. Ist somit ein eindeutiges Rückforderungsrecht im Sinne von Art. 85bis Abs. 2 lit. b IVV nicht dargetan, sind die Voraussetzungen für eine Drittauszahlung gestützt auf Art. 85bis IVV nicht erfüllt. Der angefochtene ![]() | 26 |
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