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11. Auszug aus dem Urteil vom 20. Februar 1997 i.S. Bundesamt für Militärversicherung gegen B. und Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau | |
Regeste |
Art. 16 Abs. 2 MVG. | |
Sachverhalt | |
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Mit Erledigungsvorschlag vom 11. Oktober 1993 lehnte das BAMV die Übernahme der Kosten der Amalgamentfernung und Quecksilberausscheidung ab. Hieran hielt das Amt nach Beizug einer Stellungnahme seines Chefarztes (Dr. med. M.) vom 29. November 1993 mit Einspracheentscheid vom 19. Januar 1994 fest.
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B.- Die dagegen erhobene Beschwerde, mit der B. im wesentlichen die Übernahme der durch die Diagnose der Unverträglichkeit (Fr. 766.70) und die ![]() | 3 |
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das BAMV die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides im wesentlichen mit der Begründung, eine Amalgamunverträglichkeit sei nicht erstellt und die erfolgte Entfernung des Amalgams könne nicht als wissenschaftlich gesicherte Therapie gelten.
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B. lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. (...).
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Aus den Erwägungen: | |
1. a) Gemäss Art. 16 Abs. 1 MVG in der seit dem 1. Januar 1994 geltenden totalrevidierten Fassung hat der Versicherte Anspruch auf eine zweckmässige und wirtschaftliche Heilbehandlung, die geeignet ist, seinen Zustand oder seine Erwerbsfähigkeit zu verbessern oder vor weiterer Beeinträchtigung zu bewahren. Die Heilbehandlung umfasst nach Art. 16 Abs. 2 MVG namentlich die medizinische Untersuchung und Behandlung sowie die Pflege, (...), mit Einschluss der Analysen, der Arzneimittel und der weitern zur Therapie ![]() | 6 |
b) Mit welchen Mitteln der Wirkungsnachweis gemäss Art. 16 Abs. 2 Satz 2 MVG im einzelnen zu erbringen ist, geht aus dem Gesetz nicht hervor. Ebensowenig vermag in dieser Frage die in den Materialien dokumentierte Entstehungsgeschichte Aufschluss zu vermitteln. Zu Art. 15 Abs. 1 des Entwurfs, der vollumfänglich dem Gesetz gewordenen Art. 16 Abs. 1 MVG entspricht, findet sich in der bundesrätlichen Botschaft vom 27. Juni 1990 der Hinweis, dass damit ein in der Sozialversicherung allgemein anerkannter Grundsatz verankert werde, wonach der Versicherte auf eine angemessene ("zweckmässige und wirtschaftliche"), nicht aber auf eine maximale Behandlung Anspruch habe. Was sodann die einzelnen Mittel und Methoden einer wirksamen Heilbehandlung anbelange, werde der Rahmen in Absatz 2 (von Art. 16 MVG) bewusst weit gefasst, um auch in Zukunft neuen Erkenntnissen über diagnostische und therapeutische Mittel und Methoden rechtzeitig Rechnung tragen zu können (BBl 1990 III 230; vgl. LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, Bern 1994, § 29 Rz. 14). In diesem Zusammenhang gelangte denn auch an der Sitzung der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit vom 31. Januar 1991 unwidersprochen zum Ausdruck, dass Art. 16 Abs. 2 MVG die Übernahme sinnvoller komplementärmedizinischer Heilmassnahmen ermögliche, wobei mit dem - nicht für jede Behandlung, sondern vor allem bei neuen Methoden zu erbringenden - Wirkungsnachweis denkbaren Missbräuchen vorgebeugt werden könne (vgl. Voten Schwegler und Schoch, S. 3 f. des Protokollauszugs).
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c) Nach der Weisung des BAMV Nr. 10 über die Heilbehandlung vom 30. Juni 1993, in Kraft seit 1. Januar 1994, gilt der Wirkungsnachweis im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 MVG als erbracht, wenn die betreffende Untersuchungs- und Behandlungsmethode von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis anerkannt ist. Entscheidend sind dabei das Ergebnis der Erfahrungen und der Erfolg einer bestimmten Therapie (Rz. 14). Im Interesse des Versicherten kann ausnahms- und versuchsweise eine komplementäre Heilmethode (Akupunktur, Homöopathie etc.), deren Wirkungsnachweis nicht erbracht ist, von der Militärversicherung bewilligt und übernommen werden (Rz. 15).
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d) Im Schrifttum zum früheren MVG in der Fassung vom 20. September 1949 wird zu Art. 16 aMVG ("Der Versicherte hat Anspruch auf ärztliche ![]() | 9 |
2. a) Das in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 MVG verankerte Erfordernis des Wirkungsnachweises findet sich in gleicher Form auch in Art. 15 Abs. 2 der vom Ständerat am 25. September 1991 verabschiedeten (Amtl.Bull. 1991 S 779) Vorlage zu einem Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 27. September 1990 (BBl 1991 II 185 ff.). Im Unterschied zur militärversicherungsrechtlichen Regelung sieht indes Art. 15 Abs. 2 Satz 2 ATSG zusätzlich ausdrücklich vor, dass der Bundesrat nach Anhören der von ihm bestellten Fachkommissionen für alle Sozialversicherungszweige Vorschriften über die Zulassung neuer oder umstrittener Mittel und Methoden der Untersuchung und Behandlung erlassen kann (BBl 1991 II 189 und 251). Dieser auf die Ermöglichung weitgehender Übereinstimmung in der Beurteilung neuer oder umstrittener diagnostischer und therapeutischer Mittel abzielende Vorschlag ist im Rahmen der vertieften bundesrätlichen Stellungnahme vom 17. August 1994 nicht näher erörtert worden. Er hat nur insofern eine Ergänzung erfahren, als der Bundesrat gemäss einem 3. Satz von Art. 15 Abs. 2 ATSG dafür sorgt, dass die Anbieter medizinischer Spitzenleistungen Evaluationsregister über ![]() | 10 |
b) Der Wirkungsnachweis gemäss Art. 16 Abs. 2 Satz 2 MVG und Art. 15 Abs. 2 ATSG beruht auf einem an sich unbestrittenen Prinzip, dessen Anwendung jedoch in den einzelnen Zweigen des Sozialversicherungsrechts bislang recht unterschiedlich erfolgte (BBl 1991 II 251).
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aa) Unter der bis Ende 1995 geltenden Ordnung des KUVG vom 13. Juni 1911 war die gesetzliche Leistungspflicht der Krankenkassen für Krankenpflege auf die vom Arzt vorgenommenen wissenschaftlich anerkannten diagnostischen und therapeutischen Massnahmen und die wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen beschränkt (Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. a und b und Ziff. 2 KUVG; Art. 21 Abs. 1 Vo III über die Krankenversicherung vom 15. Januar 1965). Nach der hiezu ergangenen Rechtsprechung erfüllte eine Behandlungsmethode dann das Erfordernis der wissenschaftlichen Anerkennung, wenn ihr diese von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis zuteil wurde. Entscheidend waren dabei das Ergebnis der Erfahrungen und der Erfolg einer bestimmten Therapie (BGE 120 V 122 Erw. 1a, 211 Erw. 7a und 476 f. Erw. 4a, BGE 119 V 28 f. Erw. 3a und RKUV 1996 Nr. K 975 S. 70 Erw. 7a und Nr. K 976 S. 81 Erw. 7a, je mit Hinweisen; JEAN-LOUIS DUC, Les assurances sociales en Suisse, Lausanne 1995, S. 210 Rz. 230, inkl. FN 309 und 310). War umstritten, ob eine diagnostische oder therapeutische Massnahme wissenschaftlich, zweckmässig und wirtschaftlich ist, so entschied das Eidg. Departement des Innern (EDI) nach Anhören der Eidg. Fachkommission für allgemeine Leistungen der Krankenversicherung, ob die Massnahme als Pflichtleistung von den Krankenkassen übernommen werden musste (Art. 12 Abs. 5 KUVG in Verbindung mit Art. 21 Abs. 2 Vo III; vgl. Anhang zur Vo 9 des EDI vom 18. Dezember 1990). Desgleichen bezeichnete das EDI nach Anhören der Fachkommission die von den Kassen gemäss Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. b und Ziff. 2 KUVG zu übernehmenden wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen (Art. 21a Vo III; vgl. Vo 7 des EDI vom 13. Dezember 1965).
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Nach der unter dem KUVG ergangenen Rechtsprechung waren die Meinungsäusserungen der Eidg. Fachkommission für den Richter grundsätzlich nicht verbindlich. Wenn es allerdings darum ging, einen Sachverhalt zu würdigen, der ausschliesslich medizinische Überlegungen beschlug, so wurde der Richter im allgemeinen als nicht in der Lage erachtet zu beurteilen, ob ![]() | 13 |
bb) Während für das KUVG der Grundsatz galt, dass die ärztliche Behandlung in diagnostischer wie in therapeutischer Hinsicht wissenschaftlich sein muss, und im übrigen auch bestimmt war, wer über die Frage der wissenschaftlichen Anerkennung entscheidet, enthalten UVG und UVV keine entsprechende Regelung. Dennoch wird das Erfordernis der Wissenschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit auch im Bereich der obligatorischen Unfallversicherung als selbstverständlich vorausgesetzt (MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 289 f.; ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 2. Aufl., Zürich 1995, S. 241 Ziff. II). Gemäss Art. 10 Abs. 3 Satz 1 UVG könnte der Bundesrat die Leistungspflicht der Versicherung näher umschreiben und damit unter anderem auch festlegen, welche Vorkehren als wissenschaftlich anerkannt gelten und wer im Zweifelsfall hierüber zu entscheiden hätte. Von dieser Befugnis hat er bis heute jedoch keinen Gebrauch gemacht, dies weil den betreffenden Fragen in der Unfallversicherung aufgrund von Art. 48 Abs. 1 UVG nicht dieselbe Bedeutung zuzukommen scheint wie in der Krankenversicherung. Denn nach dieser Bestimmung kann der Versicherer (...) die nötigen Anordnungen zur zweckmässigen Behandlung des Versicherten treffen. Er darf daher - aufgrund des in der obligatorischen Unfallversicherung geltenden Naturalleistungsprinzips (vgl. RKUV 1995 Nr. U 227 S. 190 mit Hinweis auf FRANÇOIS-X. DESCHENAUX, Le précepte de l'économie du traitement dans l'assurance maladie sociale..., in: Festschrift 75 Jahre EVG, Bern 1992, S. 529 f.) - die diagnostischen und therapeutischen Massnahmen im Einzelfall festlegen und damit insbesondere auch über deren wissenschaftliche Anerkennung entscheiden. Dabei wird er sich freilich regelmässig an die Praxis der Krankenversicherung halten und ![]() | 14 |
cc) Auch in der Invalidenversicherung besteht eine Leistungspflicht bei medizinischen Massnahmen im allgemeinen (Art. 12 IVG) und bei Geburtsgebrechen (Art. 13 IVG) im besonderen unter anderem nur, wenn die Massnahmen nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sind (Art. 2 Abs. 1 in fine IVV und Art. 2 Abs. 3 GgV). Rechtsprechungsgemäss findet dabei die auf dem Gebiet der Krankenpflege geltende Definition der Wissenschaftlichkeit grundsätzlich auch auf die medizinischen Massnahmen der Invalidenversicherung Anwendung. Ist mithin eine Vorkehr mangels Wissenschaftlichkeit nicht als Pflichtleistung der Krankenkassen nach KUVG anerkannt, so kann sie auch nicht als medizinische Massnahme nach Art. 12 IVG zu Lasten der Invalidenversicherung gehen (BGE 115 V 195 f. Erw. 4b, BGE 114 V 22 f. Erw. 1a). Diese Einschränkung erscheint um so gebotener, als die Invalidenversicherung die medizinischen Massnahmen als Naturalleistungen erbringt und aufgrund des dieser Leistungsart innewohnenden Eingliederungsrisikos nach Art. 11 IVG bzw. Art. 23 IVV im Falle eines Behandlungsmisserfolges unter Umständen haftbar werden könnte (BGE 114 V 26 Erw. 2d).
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Abgesehen von den medizinischen Massnahmen gilt das Erfordernis der Wissenschaftlichkeit ebenso in bezug auf die Sonderschulmassnahmen gemäss Art. 19 IVG, insbesondere diejenigen pädagogisch-therapeutischer Art (Art. 19 Abs. 2 lit. c IVG, Art. 8 Abs. 1 lit. c und Art. 10bis IVV). Massgebend ist dabei jedoch nicht der Begriff der medizinischen, sondern der pädagogischen Wissenschaft (BGE 114 V 26 Erw. 2c und d; unveröffentlichtes Urteil H. vom 12. September 1994). Dementsprechend kann insofern bei Zweifeln hinsichtlich der Wissenschaftlichkeit - im Unterschied zu den medizinischen Massnahmen - nicht in Anlehnung an die Erkenntnisse der Eidg. Fachkommission für allgemeine Leistungen der Krankenversicherung ![]() | 16 |
dd) Für den Bereich der Ergänzungsleistungen hat die Rechtsprechung klargestellt, dass Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG im Hinblick auf die zu verhindernde Unterschreitung eines angemessenen Existenzbedarfs die Ausgaben für sämtliche Arten von Vorkehren erfassen soll, die nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft zur Heilung, Linderung oder Stabilisierung eines Leidens erforderlich sind (BGE 108 V 241 Erw. 4c, EVGE 1968 S. 69 Erw. 2d). Das Erfordernis der Wissenschaftlichkeit gemäss Art. 5 lit. a ELKV (in der bis 31. Dezember 1995 gültig gewesenen Fassung) bezieht sich dabei über den Verordnungswortlaut hinaus nicht nur auf die gemäss Anordnung des Arztes durch medizinische Hilfspersonen durchgeführten, sondern gleichermassen auf die vom Arzt selbst vorgenommenen Massnahmen sowie auf medikamentöse Behandlungen. Was letztere anbelangt, bedeutet dies nicht, dass nur die in der Arzneimittel- und in der Spezialitätenliste enthaltenen Präparate zu vergüten sind; der Vergütungsanspruch erstreckt sich vielmehr auf alle ärztlich verordneten Heilmittel, denen im konkreten Fall die Eigenschaft eines Medikaments nicht abgesprochen werden kann, worunter auch ärztlich verordnete homöopathische Heilmittel fallen können (unveröffentlichtes Urteil H. vom 21. Juni 1993; vgl. ferner Rz. 5040 der vom Bundesamt für Sozialversicherung herausgegebenen Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL] in der ab 1. Januar 1994 gültig gewesenen Fassung).
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c) Nach dem Gesagten kann festgehalten werden, dass den im Bereich des Krankenversicherungsrechts geltenden Regeln im hier interessierenden Zusammenhang auch für die anderen Zweige der Sozialversicherung grosse Bedeutung zukommt. Es rechtfertigt sich daher, im folgenden auch die mit dem KVG vom 18. März 1994 auf den 1. Januar 1996 in Kraft getretene neue Ordnung darzustellen.
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aa) Art. 32 Abs. 1 KVG setzt für eine Übernahme der Kosten bei sämtlichen der im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu erbringenden Leistungen (Art. 25 bis 31 KVG) voraus, dass diese wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein müssen (Satz 1). Die Wirksamkeit muss nach ![]() | 19 |
bb) Besonderes Augenmerk verdient die Entstehung von Art. 32 KVG. Denn der bundesrätliche Gesetzesentwurf enthielt hinsichtlich der Voraussetzungen für die Kostenübernahme durch die Krankenversicherung insofern eine wichtige Neuerung, als er das Kriterium der wissenschaftlichen Anerkennung ausdrücklich aufgab und nur noch verlangte, dass die Leistungen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich zu sein hätten (vgl. Art. 26 Abs. 1 E-KVG). Die Botschaft des Bundesrates zur Revision der Krankenversicherung vom 6. November 1991 führt hiezu aus, dass das Kriterium der Wissenschaftlichkeit in den letzten Jahren und vor allem auch in der Vernehmlassung stark in Zweifel gezogen worden sei. Der Begriff der wissenschaftlichen Anerkennung werde heute als ungeeignet und zu ungenau erachtet, weshalb er durch denjenigen der Wirksamkeit ersetzt werde. Die Befürchtung, dass damit die Leistungspflicht über die klassische Medizin hinaus auf Massnahmen ausgedehnt werde, die nicht auf einem seriösen medizinischen Ansatz beruhen ![]() | 20 |
Der Gesetzesentwurf hat in den Räten ausführliche Diskussionen ausgelöst, nachdem die vorberatende ständerätliche Kommission den nach der Differenzbereinigung schliesslich in das Gesetz aufgenommenen Zusatz vorgeschlagen hatte, dass die Wirksamkeit nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein müsse (vgl. MAURER, Das neue Krankenversicherungsrecht, Basel 1996, S. 51 f., FN 129). Auf seiten der Befürworter dieses Zusatzes gelangte einhellig zum Ausdruck, dass wissenschaftlich nicht im Sinne von naturwissenschaftlich zu verstehen sei, der Wirkungsnachweis auch etwa mittels Statistik erbracht werden könne und es vor allem nicht darum gehe, damit den Bereich der Komplementärmedizin von der Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung auszuschliessen (Amtl.Bull. 1992 S 1303 ff., 1993 N 1845 ff., 1056 ff., 1994 N 17 ff.; Protokoll der ständerätlichen Kommissionssitzungen vom 29./30. Juni 1992 S. 39 f. und vom 12./13. Oktober 1992 S. 43 ff.).
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a) Zum einen umschreibt Art. 16 MVG die Leistungspflicht der Militärversicherung generalklauselartig (Abs. 1 und 2). Damit besteht ein wesentlicher Unterschied zur Krankenversicherung, die unter dem neuen Recht dem Listenprinzip (Art. 34 KVG) folgt (vgl. MAURER, Krankenversicherungsrecht, a.a.O., S. 45). Diese Differenz erscheint als um so ausgeprägter, als die Krankenversicherung - wie früher (Art. 21 Abs. 2 Vo III und Anhang zur Vo 9) - eine zusätzliche Konkretisierung ihrer Leistungspflicht gemäss Empfehlung fachlich berufener Kommissionen auf Verordnungsstufe kennt, und zwar in bezug auf ärztliche Leistungen nunmehr in Form von Negativlisten (Art. 33 Abs. 1 und 3 KVG; Art. 33 lit. a und c KVV; Art. 1 KLV; vgl. MARKUS MOSER, Erläuterungen durch den Vizedirektor, in: CHSS 1996 H. 2 S. 89). Derselbe Unterschied besteht sodann gegenüber dem Entwurf zu einem Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (Art. 15 Abs. 2 Satz 2 ATSG) und - an sich - auch gegenüber der obligatorischen ![]() | 23 |
b) Zum andern verlangt Art. 16 Abs. 2 MVG für Untersuchung und Behandlung wohl einen Wirkungsnachweis, doch ist - und dies in Anlehnung an Art. 15 Abs. 2 ATSG - das für andere Leistungszweige typische qualitative Erfordernis der wissenschaftlichen Anerkennung nicht mehr ausdrücklich aufgenommen worden. Damit unterscheidet sich Art. 16 Abs. 2 MVG nicht nur von Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. a und b und Ziff. 2 KUVG sowie den zuvor dargestellten Leistungsbereichen der Invalidenversicherung (vgl. Erw. 2b/cc). Ein Unterschied besteht vielmehr ebenso gegenüber Art. 32 Abs. 1 KVG, welche Bestimmung ausdrücklich einen Wirkungsnachweis nach wissenschaftlichen Methoden verlangt. Bis auf diesen Kompromiss (vgl. Erw. 2c) vermochte sich die Abkehr vom Erfordernis der wissenschaftlichen Anerkennung gemäss Art. 16 Abs. 2 MVG indes auch im Rahmen der parlamentarischen Beratung der Totalrevision des Krankenversicherungsrechts zu behaupten. Ihr liegt gewachsenes Unbehagen gegenüber einem überlieferten Verständnis von Wissenschaftlichkeit zugrunde. Vor allem aber geht sie zurück auf das - bei beiden Reformwerken gleichermassen präsente - Bestreben, bei der Leistungserbringung den Errungenschaften der Komplementärmedizin Rechnung zu tragen (vgl. Erw. 1b und 2c/bb).
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c) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Militärversicherung im Zusammenhang mit dem Wirkungsnachweis gemäss Art. 16 Abs. 2 MVG nicht nur vom Erfordernis der Wissenschaftlichkeit gelöst hat.
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Von diesen Unterschieden abgesehen, stimmen Art. 16 MVG und Art. 32 KVG jedoch insofern überein, als die zu übernehmenden Leistungen nicht nur wirksam, sondern auch zweckmässig und wirtschaftlich zu sein haben (vgl. dazu MAURER, Krankenversicherungsrecht, a.a.O., S. 52).
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In dieser Hinsicht kann zweierlei festgehalten werden: Einerseits folgt aus den Vorarbeiten des Gesetzes (vgl. Erw. 1b) und mit Blick auf die Entwicklung in der Krankenversicherung (vgl. Erw. 2c/bb), dass sich aufgrund der beabsichtigten Ausdehnung der Leistungspflicht auf komplementärmedizinische Methoden eine Beurteilung der Wirksamkeit nicht auf eine naturwissenschaftliche oder gar schulmedizinische Optik beschränken darf. Denn diese Kriterien vermögen jenen Leistungen häufig nicht oder nur unzureichend gerecht zu werden. Insofern erscheint es durchaus als folgerichtig, wenn die Prüfung auf die Frage der Wirksamkeit beschränkt und kein abschliessender Aufschluss über den kausalen Verlauf ![]() | 29 |
b) Dass der Verzicht auf das Erfordernis der wissenschaftlichen Anerkennung und der unterbliebene Hinweis auf die beim Wirkungsnachweis zu verwendenden wissenschaftlichen Methoden im Bereich der Militärversicherung über das Gesagte hinaus noch eine weitere Bedeutung haben könnte, ist selbst nach Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien nicht ersichtlich. Dies erstaunt insofern nicht, als bereits das frühere Recht jedenfalls nach seinem Wortlaut (Art. 16 aMVG) den Begriff der wissenschaftlichen Anerkennung nicht enthalten hatte (vgl. Erw. 1d). Zum andern darf der in dieser Hinsicht bestehende Unterschied zu Art. 32 Abs. 1 KVG aber auch nicht überbewertet werden. Denn für die in der parlamentarischen Diskussion erfolgte Ergänzung des bundesrätlichen Entwurfs zum KVG mit dem Zusatz des Wirkungsnachweises nach wissenschaftlichen Methoden war wohl letztlich allein die - auch Art. 16 Abs. 2 MVG keineswegs fremde (vgl. Erw. 1b) - Absicht entscheidend gewesen, der gerade im Bereich komplementärmedizinischer Leistungen vermuteten Gefahr des Missbrauchs entgegenzuwirken.
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c) Die Beurteilung der Wirksamkeit einer diagnostischen oder therapeutischen Massnahme obliegt aufgrund der Ausgestaltung des MVG nicht einer Fachkommission, sondern in erster Linie der Verwaltung und - im Streitfall - dem angerufenen Richter. Für beide gilt, dass sie sich nach Massgabe des Untersuchungsgrundsatzes - mithin von Amtes wegen, aber unter Mitwirkung der Parteien (BGE 122 V 158 Erw. 1a, BGE 121 V 210 Erw. 6c, je mit Hinweisen) - die entscheidwesentlichen Informationen zu beschaffen haben.
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Aufgrund dieser fallbezogenen Arztberichte lässt sich die Wirksamkeit des streitigen Diagnoseverfahrens nicht beurteilen. Immerhin fällt deren Annahme - nach den vorherigen Ausführungen (vgl. Erw. 4a) - jedenfalls nicht bereits deshalb ausser Betracht, weil sie schulmedizinisch umstritten zu sein scheint.
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c) Im vorliegenden Fall scheidet angesichts von Tragweite und Vielschichtigkeit der angesprochenen Thematik die Möglichkeit aus, dass sich der Richter ein abschliessendes Urteil allein nach Einsicht in die Fachliteratur verschaffen könnte (vgl. Erw. 2b/cc in fine). Nach dem Gesagten besteht vielmehr Anlass, zur Frage der Wirksamkeit der hier streitigen diagnostischen und therapeutischen Vorkehren ein Gutachten einzuholen. Bei der Fragestellung und vor allem auch bei der Auswahl des oder der Experten wird in ganz besonderem Masse auf die hievor erarbeiteten Grundsätze zu achten sein. (...).
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