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28. Urteil vom 8. Mai 1998 i. S. K. gegen IV-Stelle des Kantons St. Gallen und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | |
Regeste |
Art. 36 Abs. 2 IVG; Art. 30 Abs. 2 AHVG (je in der bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen Fassung): Berechnung der ordentlichen Invalidenrente. |
Der Umstand, dass Art. 36 Abs. 2 IVG die Bestimmungen des AHVG zur Rentenberechnung lediglich als sinngemäss anwendbar erklärt, erlaubt hinsichtlich der in der Invalidenversicherung zu berücksichtigenden Beitragsjahre und Einkommen keine Abweichung gegenüber der Berechnung der Altersrente. | |
Sachverhalt | |
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B.- Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher K. die Zusprechung der höchstmöglichen vollen Invalidenrente hatte beantragen lassen, wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen ab (Entscheid vom 6. November 1996).
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K. das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern.
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Die IV-Stelle und das BSV schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: | |
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Für die Berechnung der ordentlichen Invalidenrenten sind vorbehältlich Art. 36 Abs. 3 IVG die Art. 29 Abs. 2, 29bis, 30, 30bis, 31, 32, 33 Abs. 3, 34, 35 und 38 AHVG sinngemäss anwendbar. Der Bundesrat kann ergänzende Vorschriften erlassen (Art. 36 Abs. 2 IVG). Hat der Versicherte bei Eintritt der Invalidität das 45. Altersjahr noch nicht zurückgelegt, so wird das durchschnittliche Jahreseinkommen um einen prozentualen Zuschlag erhöht. Der Bundesrat setzt den Zuschlag fest und stuft ihn ab nach dem Alter des Versicherten bei Eintritt der Invalidität (Art. 36 Abs. 3 IVG). Nach Art. 33 Abs. 1 IVV beträgt der Zuschlag bei Eintritt der Invalidität nach Vollendung von 23 und vor Vollendung von 24 Altersjahren 90% des massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens.
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Laut Art. 30 AHVG wird die Rente nach Massgabe des durchschnittlichen Jahreseinkommens des Versicherten berechnet (Abs. 1). Das durchschnittliche Jahreseinkommen wird ermittelt, indem die Summe der Erwerbseinkommen, von denen der Versicherte Beiträge geleistet hat, durch die Zahl der Beitragsjahre geteilt wird. Es werden aber nur die Beiträge, die der Versicherte seit dem 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahres bis zum 31. Dezember vor der Entstehung des Rentenanspruches entrichtet hat, und die entsprechenden Beitragsjahre angerechnet (Abs. 2). Nach Art. 30bis AHVG in Verbindung mit Art. 51 und 53 AHVV stellt das BSV für die Berechnung des durchschnittlichen Jahreseinkommens und der Renten verbindliche Tabellen auf. Gemäss Art. 33ter Abs. 1 AHVG passt der Bundesrat die ordentlichen Renten in der Regel alle zwei Jahre auf Beginn des Kalenderjahres der Lohn- und Preisentwicklung an. Laut Art. 1 der Verordnung 95 über Anpassungen an die Lohn- und Preisentwicklung bei der AHV/IV wurden die laufenden Voll- und Teilrenten auf den 1. Januar 1995 angepasst, indem das bisher massgebende durchschnittliche Jahreseinkommen um 3,19% erhöht wurde, wobei die ab 1. Januar 1995 gültigen Rententabellen zur Anwendung gelangten (Abs. 2 und 3).
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3. a) Die IV-Stelle legte der Rentenberechnung in direkter Anwendung von Art. 30 Abs. 2 AHVG die vom Beschwerdeführer in den Jahren 1990 bis 1992 erzielten Einkommen zugrunde, die sich gemäss den Eintragungen in den individuellen Konten auf insgesamt 103'546 Franken beliefen. Das durchschnittliche Jahreseinkommen betrug demzufolge 34'968 Franken (Rententabellen 1993 Bd. 2 S. 10) und unter Berücksichtigung des Zuschlages von 90% gemäss Art. 36 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 33 Abs. 1 IVV 66'552 Franken (Rententabellen 1993 Bd. 2 S. 39). Damit ergab sich im Rahmen von Skala 44 der bundesamtlichen Rententabellen (1993 Bd. 2 S. 44) entsprechend der Verfügung der IV-Stelle vom 24. Mai 1995, bei für den Erwerb der maximalen Vollrente erforderlichen Grenzwerten von 67'680 ![]() | 10 |
b) Der Versicherte macht geltend, für die Rentenberechnung seien lediglich die Einkommen der Jahre 1990 und 1991 zu berücksichtigen, weil die vollständige Arbeitsunfähigkeit, welche zur Invalidität und zur Zusprechung einer ganzen Rente führte, bereits anfangs März 1992 eingesetzt habe. Eine lediglich "sinngemässe" Anwendung der Bestimmungen des AHVG, wie sie in Art. 36 Abs. 2 IVG normiert sei, lege eine Abweichung vom Wortlaut von Art. 30 Abs. 2 AHVG nahe, weil beachtet werden müsse, dass der Invalidenrentenanspruch nach Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG erst nach einer Wartezeit von einem Jahr mit einer Arbeitsunfähigkeit von durchschnittlich mindestens 40% entstehe. Würden die während der Wartezeit erzielten Einkommen in die Berechnung miteinbezogen, wirke sich dies je nach Dauer der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers auf die Höhe des massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens des Versicherten mehr oder weniger nachteilig aus, zumal Taggelder bei Unfall, Krankheit oder Invalidität (mit Ausnahme derjenigen nach Art. 25ter IVG) nicht der Beitragspflicht unterlägen. Die aus der Rentenberechnung resultierenden Zufälligkeiten entsprächen nicht dem Willen des Gesetzgebers. Um diese zu vermeiden, seien in sinngemässer Anwendung von Art. 30 Abs. 2 AHVG lediglich die Beiträge und Beitragsjahre bis zum 31. Dezember desjenigen Jahres zu berücksichtigen, welches dem Beginn der Wartezeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG vorausgeht.
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4. a) Die Eidg. Expertenkommission für die Einführung der Invalidenversicherung hat sich über die vorliegend zu entscheidende Rechtsfrage ausgesprochen, indem sie die in der AHV damals geltende Streichung des schlechtesten Beitragsjahres auch in der Invalidenversicherung anwenden wollte. Sie gab sich dabei Rechenschaft, dass diese Regel in der Invalidenversicherung erweitert werden sollte, weil der Invalide vor der Entstehung des Rentenanspruches im allgemeinen während mindestens eines Jahres nur geringfügige Beiträge leistet. Da indes die Streichungsregel nicht unbeträchtliche administrative Schwierigkeiten ![]() | 12 |
b) Aus den Gesetzesmaterialien (zu deren Bedeutung für die Auslegung vgl. BGE 115 V 349 Erw. 1c mit Hinweisen auf die Rechtsprechung und Lehre) ist somit klar ersichtlich, wie die Wendung "sinngemäss" in Art. 36 Abs. 2 IVG zu verstehen und dass die vom Beschwerdeführer vertretene Interpretation nicht angängig ist. Der Ausdruck "sinngemäss" ist als "analog" (gleich "entsprechend"; vgl. DUDEN, Die deutsche Rechtschreibung, 21. Aufl., S. 110) aufzufassen, wie sich insbesondere auch aus der Botschaft des Bundesrates ergibt. Dies schliesst eine lediglich beschränkte Anwendbarkeit der Regeln des AHVG über die Rentenberechnung in der Invalidenversicherung aus, welche die Kohärenz des Rentensystems in Frage stellen würde. Wo es der Gesetzgeber als notwendig erachtete, hat er in dem auf weitgehender Parallelität zwischen den Versicherungszweigen AHV und IV beruhenden Konzept Abweichungen explizit vorgesehen, so z.B. bei der Sondernorm des Art. 36 Abs. 3 IVG über die Erhöhung des massgebenden durchschnittlichen ![]() | 13 |
Da der Gesetzgeber in der streitigen Rechtsfrage bewusst darauf verzichtet hat, das bei Anwendung von Art. 29 Abs. 1 Variante 2 (seit 1. Januar 1988: lit. b) IVG absehbar tiefere Einkommen während der Wartezeit bei der Rentenberechnung ausser acht zu lassen, gebricht es an einer Rechtsgrundlage, um entsprechend den Vorbringen des Beschwerdeführers in diesem Sinne zu verfahren. Wie das Eidg. Versicherungsgericht bereits im unveröffentlichten Urteil F. vom 29. Dezember 1992 in bezug auf die Berechnung der Ehepaar-Invalidenrente entschieden hat, bleibt im Bereich des IVG aufgrund der Verweisungsnorm des Art. 36 Abs. 2 IVG - unter Vorbehalt gesetzlich vorgesehener Ausnahmen wie Art. 36 Abs. 3 IVG - kein Raum für eigenständige Rentenberechnungsregeln.
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c) Im weiteren besteht auch keine Möglichkeit zu richterlicher Lückenfüllung, da das Fehlen einer abweichenden Regelung betreffend das während der Wartezeit erzielte (regelmässig tiefere) Einkommen aufgrund der Materialien als qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers zu werten ist, womit zum vornherein keine vom Gericht auszufüllende echte Gesetzeslücke vorliegt (BGE 122 V 376 oben mit Hinweisen). Es würde sich somit höchstens um eine unechte oder Wertungslücke handeln, einen rechtspolitischen Mangel, den der Richter im allgemeinen hinzunehmen hat. Sie regelbildend zu schliessen, steht ihm nur dort zu, wo der Gesetzgeber sich offenkundig über gewisse Tatsachen geirrt hat oder wo sich die Verhältnisse seit Erlass des Gesetzes in einem Masse gewandelt haben, dass die Vorschrift unter gewissen Gesichtspunkten nicht oder nicht mehr befriedigt und ihre Anwendung ![]() | 15 |
Art. 36 Abs. 2 Satz 2 IVG, der dem Bundesrat die Kompetenz zum Erlass "ergänzender" Vorschriften einräumt, bietet keine Handhabe, um dem Anliegen des Beschwerdeführers auf dem Verordnungsweg zu entsprechen. Behoben oder zumindest gemildert werden könnte das Problem der fehlenden oder tieferen Einkommen während der Wartezeit gemäss Art. 29 Abs. 1 Variante 2 (lit. b) IVG allenfalls durch eine Änderung von Art. 6 Abs. 2 lit. b AHVV, indem nebst den Taggeldern der Arbeitslosenversicherung (Art. 22 Abs. 2 AVIG), der Invalidenversicherung (Art. 25ter IVG) und der Tagesentschädigungen der EO (Art. 19a EOG) weitere Ersatzeinkünfte der Beitragspflicht unterstellt würden, namentlich Versicherungsleistungen bei Unfall oder Krankheit. Eine entsprechende Anpassung kann indessen nicht vom Richter, sondern müsste vom Gesetz- und Verordnungsgeber vorgenommen werden (unveröffentlichtes Urteil T. vom 17. April 1989).
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d) Die weiteren in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobenen Einwendungen sind nicht stichhaltig. Ob entgegen der ursprünglichen Annahme praktisch keine Renten bei Dauerinvalidität (Art. 29 Abs. 1 Variante 1 IVG; ab 1. Januar 1988 lit. a) ausgerichtet werden, kann dahingestellt bleiben. Tatsache ist, dass die Botschaft vom 24. Oktober 1958 (BBl 1958 II 1199 und ![]() | 17 |
(...)
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5. Zusammenfassend ist festzustellen, dass nach der entstehungsgeschichtlich belegten Absicht des Gesetzgebers, welche in Art. 36 Abs. 2 IVG positivrechtlich normiert wurde, Art. 30 Abs. 2 AHVG bei der Berechnung der Invalidenrenten direkt und uneingeschränkt anwendbar ist. Eine Besserstellung bei der Ermittlung des massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens von Versicherten, deren Rentenanspruch nach Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG entsteht, könnte unter den gegebenen Voraussetzungen nur vom Gesetz- und/oder Verordnungsgeber herbeigeführt werden.
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